Ein Leben bar materieller Sorgen ist Kern utopischer Schriften aus allen Zeiten, von den Propheten des Alten Testaments bis heute. Die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen kam indes erst ...
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vor etwa dreißig Jahren auf. Diesbezügliche Konzepte wurden und werden von kleineren sozialen, kirchlichen oder intellektuellen Initiativen und Verbänden entworfen und verfeinert, haben aber kaum jemals den Weg in die "große Politik" gefunden. Erst durch Personen wie Götz Werner und Katja Kipping scheint sich dies langsam zu ändern. Ein weiteres Zeichen dafür ist auch der Zukunftskongress von Bündnis 90/ Die Grünen Anfang September 2006 in Berlin.
Die Bedeutung außerparlamentarischer Aktivitäten, wie Kampagnen, Veranstaltungen, Publikationen, für die Popularisierung von Grundeinkommenskonzepten ist unstrittig. Die schwierigere Frage ist, welche Rolle politische Parteien hierbei spielen könnten oder sollten: Schließlich läge es an ihnen, gegebenenfalls ein Grundeinkommensgesetz ins Parlament einzubringen und zu beschließen. Auf diesem Hintergrund sind auch die Beiträge von Sascha Liebermann (für die außerparlamentarische Sicht) und Katja Kipping (für die parteipolitische und parlamentarische Perspektive) in UTOPIE kreativ 176 zu betrachten. (2)
Ich stimme Katja Kipping zu, dass die Grundeinkommensdebatte nicht nur in außerparlamentarischen Bewegungen geführt werden darf, sondern in die Parteien getragen werden muss, um mittel- bis langfristig parlamentarische Mehrheiten zu gewinnen. Dies kann durch Druck von außen, aber auch durch die innerparteiliche programmatische Entwicklung geschehen.(3)
Bislang gibt und gab es in PDS und Linkspartei.PDS (aber auch in der WASG) einige Papiere, Anträge, Artikel in Mitgliederzeitungen und Veranstaltungen. Die Forderung nach einem Grundeinkommen hat jedoch den Weg in die linkssozialistische Programmatik noch nicht gefunden. Das Papier der "emanzipatorischen Linken" um Katja Kipping ("Freiheit und Sozialismus - letÂ’s make it real!") vom April 2006 war ein Versuch, dies zu ändern.(4)
Arbeit wird (in der Linkspartei.PDS wie in der Gesellschaft überhaupt) weitgehend als moralische Pflicht und als Legitimation von Einkommen betrachtet, auch wenn offensichtlich ist, dass in unserer Zeit nicht genügend bezahlte Arbeit für alle da ist und vielleicht - als Folge der Steigerung der Produktivität - nie mehr da sein wird. Die Koppelung zwischen Arbeit und Einkommen ist ein Prinzip, das - ungeachtet sonst zwischen den Bürgerinnen und Bürgern bestehender politischer, moralischer oder religiöser Differenzen - zusammen mit anderen neoliberalen Mythen von der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit wie eine Staatsreligion akzeptiert wird.
Es wundert nicht, dass sich in einer post-kommunistischen Partei wie der Linkspartei.PDS Rationalisierungsprozesse auch entlang des Konflikts zwischen sozialem Verantwortungsbewusstsein einerseits und konservativem Arbeitsethos andererseits manifestieren. Dies sollte dialektisch bezüglich der EU-Erweiterung und der Perspektive eines europaweiten Grundeinkommens im Auge behalten werden.
Es ist derzeit zu bezweifeln, dass - etwa auf einem Bundesparteitag - sich eine Mehrheit für die Aufnahme der Grundeinkommensforderung ins Parteiprogramm fände. Welche Chancen aber können einer Grundeinkommensforderung in der Linkspartei eingeräumt werden? Im Folgenden werde ich die Ergebnisse einer stichprobenartigen empirischen Untersuchung aus dem Jahr 2004 vorstellen, die zweifellos auch heute noch Trends aufzeigen kann. Eine wesentliche Gruppe der Befragten sind gesellschaftlich aktive Linkswähler und -wählerinnen, meist selbst Parteimitglieder, deren Antworten mit denen einer Kontrollgruppe (Anhänger und Sympathisantinnen von SPD, CDU und Bündnisgrünen) verglichen werden. Abhängige Variablen sind die Einstellungen gegenüber der Entkopplung von Arbeit und Einkommen. Diese quantitativen Daten sollen die Chancen und Schwierigkeiten von Grundeinkommensforderungen in der Linkspartei.PDS streiflichtartig illustrieren und diesbezügliche Tendenzen aufzeigen.
Den Probanden wurden Thesen vorgestellt; auf einer vierstufigen Skala konnten sie Zustimmung oder Ablehnung ankreuzen. Nachdem eine erste Faktorenanalyse einen "Hardlinerfaktor" und einen "Mitleidsfaktor " ergeben hatte, können nun die Antworten zu einigen Thesen des Fragebogens vorgestellt werden. Für den "Hardlinerfaktor" standen insbesondere die Thesen 25 - "Eine sozialistische Gesellschaftsordnung wird es nie geben können, da sie nicht dem menschlichen Wesen entspricht" - und 27 - "Würden alle etwa 800 Euro Grundeinkommen pro Monat erhalten, gäbe es kaum noch Anreize, einer Erwerbsarbeit nachzugehen". Der "Mitleidsfaktor" wird insbesondere durch These 17 repräsentiert: "Erstmal müssen alle genug haben, um menschenwürdig leben zu können. Bevor das nicht umgesetzt ist, sollte niemand im Luxus leben dürfen". Die Kernthesen waren:
- These 15: Alle Menschen sollten - um menschenwürdig leben zu können - steuerfinanziert vom Staat ein Grundeinkommen von etwa 800 Euro bekommen.
- These 16: Nur die Bedürftigen (Arbeitslose, Behinderte usw.) sollten eine Grundsicherung von etwa 800 Euro erhalten, sofern sie kein anderes Einkommen haben.
- These 24: Wir brauchen eine Partei, die in Parlamenten die Forderung nach einem Grundeinkommen unterstützt.
Es zeigte sich bezüglich der These 25 ("Eine sozialistische Gesellschaftsordnung wird es nie geben könnenÂ…"), dass die Skepsis bezüglich der Möglichkeit einer sozialistischen Gesellschaft unter Studierenden bedeutend höher ist als bei den anderen Gruppen; insbesondere auch Erwerbslose scheinen an die Machbarkeit des Sozialismus zu glauben bzw. darauf zu hoffen. Regional betrachtet scheinen die Sachsen bezüglich einer sozialistischen Zukunft die Zuversichtlichsten zu sein, Westdeutsche folgen wohl eher der Tradition antikommunistischer Ressentiments. Gefragt nach der politischen Ausrichtung der Probanden sowie deren gesellschaftlichem Engagement, ist es wirklich wenig überraschend, dass Sozialistinnen und Sozialisten mehr Zutrauen in eine sozialistische Zukunft zeigen als andere. Die hohe Anzahl von Vereins- oder Parteimitgliedern, die an eine sozialistische Zukunft glauben, dürfte der Korrelation zwischen Parteimitgliedschaft und linker politischer Ausrichtung geschuldet sein. Isoliert man diese Gruppen im Datensatz, zeigt sich aber immer noch, dass sich sozial Aktive eine sozialistische Gesellschaft offenbar besser vorstellen können als andere, wahrscheinlich, weil sie sich engagiert auch für die Verbesserung der Gesellschaft(sordnung) einsetzen. Dies aber ist traditionell etwas Linkes. Eine sozialistische Partei sollte daher ihre Bemühungen verstärken, gesellschaftlich aktive Multiplikatorinnen und Multiplikatoren anzusprechen und zu überzeugen. Da wir uns im Rahmen dieses Beitrags mit einer sozialistischen Partei, der Linkspartei.PDS beschäftigen, war eine Übersicht über Ergebnisse zu These 25 sicher nicht falsch. Die Untersuchung von These 27 ("Â…kaum noch Anreize, einer Erwerbsarbeit nachzugehen") kann uns nun vielleicht mehr darüber verraten, ob das Eintreten für ein Grundeinkommen sinnvoll für eine Linkspartei sein kann.
Im Rahmen der Umfrage wurde deutlich, dass die Skepsis gegenüber der Bereitschaft zu arbeiten, wenn es ein Grundeinkommen gibt, unter Studierenden deutlich größer ist als bei den anderen Gruppen (57 Prozent Zustimmung versus 20-29 Prozent). Weiterhin zeigte sich, dass der Bildungsgrad jedoch nur wenig Auswirkungen auf die Bestätigung oder Ablehnung der These "Würden alle etwa 800 Euro Grundeinkommen pro Monat erhalten, gäbe es kaum noch Anreize, einer Erwerbsarbeit nachzugehen" hat. Ausgehend davon, dass Studierende meist jüngeren Jahrgangs sind, könnten wir nun annehmen, dass sich die Jüngeren gegenüber der Arbeitsbereitschaft unter den Bedingungen eines Garantierten Grundeinkommens ablehnender äußern als andere. Allerdings ist das Gegenteil der Fall: Je älter die Befragten, desto weniger vertrauen sie einem Arbeitsethos unter Grundeinkommensbedingungen. Ob dies der Auffassung, der Mensch sei von Natur aus eher faul, geschuldet ist oder einem generationsspezifischen Arbeitsbegriff, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden.
Es liegt nahe, dass Linkspartei-Anhänger einem garantierten Grundeinkommen aufgeschlossen gegenüber stehen, denn mit großer Mehrheit lehnen sie These 27 ab. Bereinigen wir wieder die Vereins- und Parteimitglieder um die Mitglieder der Linkspartei.PDS, stellen wir fest, dass die Befürchtung, die Arbeitsbereitschaft würde sinken, wenn es ein Grundeinkommen gäbe, außerhalb des linken Lagers relativ groß ist, unabhängig vom gesellschaftlichen (organisierten) Netzwerk der Befragten. Nun ist klar, dass nicht alle, die ein Sinken der Arbeitsbereitschaft voraussehen, hierin den Untergang des Abendlandes erblicken. Umso wichtiger wird es sein, auch einen Blick auf die Ergebnisse zu These 15 ("Grundeinkommen") und 16 ("Grundsicherung") zu werfen.
Zunächst aber wenden wir uns der "Mitleidsfaktor-These" zu. These 17 ist praktisch die positive Version von These 27: "Erstmal müssen alle genug haben, um menschenwürdig leben zu können. Bevor das nicht umgesetzt ist, sollte niemand im Luxus leben dürfen". Daher kann sie zur Kontrolle der bisherigen Ergebnisse eingesetzt werden. Die Auswertung der erhobenen Daten ergab dabei, dass die These 17 am stärksten unterstützt wird von Älteren (83 Prozent Zustimmung bei über 60-jährigen), Rentnerinnen und Rentnern (82 Prozent Zustimmung in dieser Gruppe) und Menschen ohne akademische Ausbildung.
Diese idealtypische Person lebt in den Neuen Bundesländern, ist konfessionslos (zumindest aber eher protestantisch als katholisch), hat Kinder und tendiert dazu, die Linkspartei.PDS oder auch Bündnis 90/ Die Grünen zu wählen. Interessant ist, dass die Gebildeteren offensichtlich - sei es aufgrund ihrer möglicherweise privilegierten sozioökonomischen Situation, sei es aufgrund ihrer Teilhabe am Herrschaftswissen - systemnäher sind als Bildungsfernere und daher größere Schwierigkeiten haben, einer nicht systemkonformen, sondern eher urchristlichen These zuzustimmen. Ausgehend von ihrer eigenen sozioökonomischen Situation haben wohl insbesondere Kinderreiche eine egalitärere Sicht auf die Gesellschaft als Kinderlose oder gar "Dinks". Dies korreliert in gewisser Weise mit einer anderen in der untersuchten Gruppe zu beobachtenden Tendenz: Die Landbevölkerung neigt ebenfalls zu einer solidarischeren bzw. egalitäreren Sichtweise als die Stadtbevölkerung (zu der tendenziell eher die "Dinks" zu zählen sind).
Nun mag eine egalitäre Sichtweise vertreten werden können, ohne dass deren praktischer Umsetzung durch ein garantiertes Grundeinkommen zugestimmt wird. Es sollen also schließlich die Thesen 15 ("Alle Menschen sollten - um menschenwürdig leben zu können - steuerfinanziert vom Staat ein Grundeinkommen von etwa 800 Euro bekommen") und 16 ("Nur die Bedürftigen, Arbeitslose, Behinderte usw. sollten eine Grundsicherung von etwa 800 Euro erhalten, sofern sie kein anderes Einkommen haben") gegenübergestellt werden, da sie sich gegenseitig ausschließen. Allerdings ist dieser logische Ausschluss nur von einem Teil der Befragten so angenommen worden. Viele waren wohl der Auffassung, eine Grundsicherung, die tatsächlich eingeführt wird, sei immer noch besser als ein Grundeinkommen, das im Wolkenkuckucksheim verbleibt. Andere werden sich gegen jede Form garantierter Absicherung gewandt haben.
Im Detail sehen wir, dass sich die Befragten quer zu ihrem sozialen Status und Art der Beschäftigung äußerst heterogen verhalten. Eine Ausnahme bilden die befragten Erwerbslosen, die sich - obgleich sie ja ebenso von einer Grundsicherung profitieren würden - eindeutig für ein Grundeinkommen aussprechen. Vielleicht sind sie auch aufgrund ihrer prekären sozialen Lage politisierter als andere. Eine andere Interpretation wäre, dass Arbeitslose eben kein Privileg (oder gar Almosen) empfangen wollen, das anderen nicht zusteht, und deshalb für ein Grundeinkommen votieren, das jedem als Menschenrecht zustünde.
Die Daten zeigen ferner, dass weder Grundsicherung noch Grundeinkommen als "Jugendprojekte" betrachtet werden können. Im Gegenteil werden beide eher von der älteren Generation bejaht. Die Befragten unter 30 votieren zu 51,6 Prozent für ein Grundeinkommen, zu 57,2 Prozent für eine Grundsicherung, in der Altersgruppe zwischen 31 und 60 Jahren steht es 63,5 Prozent pro Grundeinkommen und 86 Prozent für die Grundsicherung, und 64 Prozent der Probanden über 60 Jahre sprechen sich für ein Grundeinkommen aus, 100 Prozent in dieser Altersgruppe wünschen sich eine Grundsicherung.
In gewissem Gegensatz zum vorher Gesagten (zu These 17) sind Personen mit urbanem Hintergrund in der Regel für ein Grundeinkommen offener (63,4 Prozent) als solche aus ländlichen Regionen oder Kleinstädten (50 Prozent), während die Anzahl von Kindern nicht signifikant zu sein scheint. Der Bildungsgrad spielt bei den Ergebnissen zu Thesen 15 und 16 eine untergeordnete Rolle.
Seit vielen Jahren tritt die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) für ein Grundeinkommen ein. Nichtsdestotrotz scheint es so, dass gerade die katholischen Befragten wesentlich häufiger für eine Grundsicherung eintreten als für ein Grundeinkommen. Dies kann ein Reflex des Subsidiaritätsprinzips der Katholischen Soziallehre sein. Die religiös nicht gebundenen Befragten bevorzugen tendenziell ein Grundeinkommen. Obwohl christliche Utopien natürlich auch von bedingungsloser Existenzsicherung für alle ausgehen, kann dieses Ergebnis nur wenig verwundern, zeigte doch die European Values Study, dass religiöse Überzeugungen und gesellschaftspolitisches Engagement nicht miteinander korrellieren.(5)
Interessant ist, dass die Sächsinnen und Sachsen - und ostdeutsche Befragte insgesamt - den sich gegenseitig ausschließenden Charakter der Thesen 15 und 16 klarer erkannt zu haben scheinen als andere. Nur bei den sächsischen Befragten gibt es für das Grundeinkommen jedoch eine Mehrheit, in den anderen Regionen wird eine Grundsicherung vorgezogen. Die idealtypischen Befürworter eines Grundeinkommens scheinen in der Tat sächsische Linkspartei-Anhänger zu sein, da immerhin 81,4 Prozent der Befragten Anhängerinnen und Anhänger der Linken.PDS, die auch Vereins- oder Parteimitglieder sind, ein Grundeinkommen bejahen (These 15) und 31,8 Prozent These 16 zustimmen (Grundsicherung). Befragte, die weder Die Linke.PDS wählen, noch Vereins- oder Parteimitglied sind, können sich zu 51,3 Prozent für ein Grundeinkommen und zu 69,5 Prozent für die Grundsicherung erwärmen. Dies ist sicher kein Zufall: Bereits seit Jahren wird im sächsischen Landesverband der PDS und jetzigen Linkspartei intensiv und kontrovers über Grundeinkommen und Grundsicherung diskutiert.
Die These 24 - "Wir brauchen eine Partei, die in Parlamenten die Forderung nach einem Grundeinkommen unterstützt" - findet jedoch in allen Lagern große Unterstützung. Besonderen Anklang findet diese These erwartungsgemäß wieder bei sächsischen Wählerinnen und Wählern der Linkspartei. Vielleicht glauben jene (entgegen den programmatischen Tatsachen), dass diese Partei in Gestalt der (zumindest sächsischen) Linkspartei.PDS bereits existiert. Aber auch Befragte, die weder in Sachsen wohnen noch Die Linke.PDS wählen, halten eine Partei für notwendig, die für ein Grundeinkommen eintritt.
Welche Schlüsse können wir aus den hier in aller Kürze vorgestellten Daten ziehen? Zunächst müssen wir die Abbildungskraft der Daten einschränken, denn es mag sein, dass diejenigen, die sich gegen ein Grundeinkommen aussprechen, den Fragebogen gar nicht ausfüllten, da sie Vorbehalte gegen das Anliegen der Untersuchung oder deren Durchführer hatten. Wie dem auch sei: Meine Untersuchung kann, wie eingangs gesagt, ohnedies nur Tendenzen aufzeigen, sie erhebt keinerlei Anspruch auf Repräsentativität. Die Tendenzen indes scheinen auf der Hand zu liegen:
- Im Gegensatz zu meinen früheren Vermutungen sind sozialistische Ideologie und Programmatik keine großen Hindernisse bei der Befürwortung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dennoch stellt das traditionelle sozialistische Arbeitsethos dabei freilich ein Problem dar.
- Vielen Initiativen innerhalb - aber auch außerhalb - der Linken ist es geschuldet, dass mehr und mehr Parteimitglieder der Auffassung sind, dass ein Grundeinkommen durchaus zur Humanisierung der Arbeits- und Lebenswelt beitragen könnte, indem es Existenzsicherung und Erwerbsarbeit entkoppelt. Die zweite Säule des Kapitalismus (neben der Lohnarbeit), das Privateigentum an Produktionsmitteln, würde durch ein Grundeinkommen nicht berührt. Daher begrüßen viele Sozialistinnen und Sozialisten das Grundeinkommen allenfalls als einen Schritt in Richtung Überwindung des Kapitalismus und nicht als Selbstzweck oder Endziel. Nur Hardliner verneinen noch, dass ein Grundeinkommen ein charmantes Mittel gegen Sozialabbau ist: Die Institutionalisierung von Welfare statt von Workfare unabhängig von der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt.
- Überraschend ist, dass sich außerhalb der Linkspartei die ältere Generation einem Grundeinkommen weitaus wohlwollender gegenüber zeigt als die Jugend. Als reines "Jugendthema" scheint das bedingungslose Grundeinkommen daher nicht zu taugen. Es könnte indes ohne Zielgruppenspezifik als Chance zur Verbesserung der Lebensqualität nahezu aller Bürgerinnen und Bürger vermittelt werden. Radikale Grundeinkommensgegnerinnen und -gegner sollten schließlich erkennen, dass es somit keinerlei Sinn ergibt, ihre Kritik an Grundeinkommensmodellen mit Polemiken gegen "Jugendbrigaden" zu würzen.
Die aufgezeigten Tendenzen mögen der gefühlten Realität in der Partei widersprechen, zumal Vollbeschäftigungsforderer und -forderinnen durch die Kooperation mit der WASG wieder auf dem Vormarsch sein dürften. Doch auch die WASG ist hier nicht homogen.
Die präsentierten Daten deuten eines an: Eine nicht zu unterschätzende Minderheit in der Gesellschaft spricht sich für ein Grundeinkommen aus. Die Linkspartei.PDS könnte dieses Potenzial nutzen, sie könnte es aber auch den Grünen überlassen, sofern sich die nicht wenigen Grundeinkommensanhängerinnen und -anhänger bei Bündnis ‘90/ Die Grünen durchsetzen (6), nun da ihre Partei in der Opposition ist und sich derartige Forderungen wird leisten können. Um diese Entscheidung dürfte die Linkspartei.PDS in naher Zukunft im Rahmen des Parteibildungsprozesses nicht herum kommen. Beide Optionen würden von der Basis der Linkspartei.PDS wohl mitgetragen werden, denn sowohl eine Grundsicherung (wie gehabt) als auch ein Grundeinkommen haben zahlreiche Anhänger in der Linkspartei. Die Entscheidung ist hier also noch völlig offen.
Jens-Eberhard Jahn - Jg. 1967, Sprachwissenschaftler und Historiker (M. A.), persönlicher Mitarbeiter der sächsischen Landtagsabgeordneten Elke Altmann, Kreisrat in Freiberg/Sachsen, Mitglied im SprecherInnenrat derAG ChristInnen bei der Linkspartei.PDS, Mitbegründer der BAG Grundeinkommen bei der Linkspartei.PDS. Veröffentlichungen zum Thema Grundsicherung und Grundeinkommen, zuletzt: Mühe und Muße. Grundsicherung, Grundeinkommen, sozialökologischer Umbau der Gesellschaft. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Leipzig 2003. E-Mail: jahnjepw@freenet.de.
1 Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte Kurzfassung eines Vortrags, den Jahn im Herbst 2004 auf dem Kongress des Basic Income European Network (BIEN), heute Basic Income Earth Network, in Barcelona hielt. Der Autor nahm im Auftrag der Rosa-Luxemburg- Stiftung als Beobachter am BIEN-Kongress teil. Bei Interesse stellt der Autor gern die Einzelergebnisse der Umfrage zur Verfügung.
2 Katja Kipping: Und weil der Mensch ein Mensch ist: Garantiertes Grundeinkommen, in: UTOPIE kreativ, Heft 176 (Juni 2005); Sascha Liebermann: Freiheit statt Vollbeschäftigung: Grundeinkommen als Ausweg aus der Krise, in: Ebenda.
3 Die Grundeinkommensdebatte ist bei den österreichischen Liberalen und den katalanischen Grünen besonders weit entwickelt, ist aber auch in Brasilien und Südafrika ein hervorgehobenes Thema der öffentlichen Debatte. In Deutschland spielte die Forderung eines Grundeinkommens in den 80er Jahren bei den Grünen eine Rolle und wird hier zurzeit gerade wieder entdeckt. In der Linkspartei.PDS existiert eine nicht zu unterschätzende Gruppe, die das linkssozialistische Konzept einer bedarfsorientierten Grundsicherung zu einem Konzept für ein bedingungsloses Grundeinkommen weiter entwickeln möchte. In dieser Zeitschrift wird die Debatte zurzeit intensiv nicht nur von Akteuren aus dem Spektrum der Linkspartei geführt (vgl. UTOPIE kreativ Heft 186, (April 2006).
4 Allerdings sollte - so das Papier - das Grundeinkommen erst nach einer Übergangsphase, in der es eine Grundsicherung geben solle, eingeführt werden. Diese Uneindeutigkeit ist u. a. vom Autor in einem Ergänzungspapier kritisiert worden (Titel: "Eine Emanzipatorische Linke muss antikapitalistisch sein!").
5 Vgl. Wil Arts, Jaques HagenaarÂ’s, Loek Halmann (eds.): The Cultural Diversity of European Unity. Findings, Explanations and Reflections from the European Values Study, Leiden & Boston 2003.
6 Siehe der Beschluss "Der ermutigende Sozialstaat" der Grünen Jugend vom Mai 2006.
in: UTOPIE kreativ, H. 195 (Januar 2007), S. 41-46
aus dem Inhalt:
VorSatz; Essay ANDREAS HEYER: Die Last der Verschwörung - Gracchus Babeufs Theorie der Freiheit und Gleichheit; Gesellschaft - Analysen & Alternativen Ulrich Busch: Berlin - Weltstadtvisionen und Finanzrestriktionen; ULLA PLENER: Wirtschaftsdemokratie in der Programmdiskussion der neuen Linken; JENS-EBERHARD JAHN: Zur Akzeptanz von Grundsicherung und Grundeinkommen in der Mitgliedschaft der Linkspartei.PDS; Utopie konkret MARTIN MEIER: Zur Bedeutung des Militärs in den politischen Utopien, Staatsromanen und Robinsonaden der Frühen Neuzeit; Zwischen allen Stühlen GÜNTER WIRTH: Walther Harichs "Ostorientierung" Einige Bemerkungen über den Vater von Wolfgang Harich - und ihn; DIETRICH WAHL: Ernst Bloch über Möglichkeit und linke Diskurse; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Gunnar Winkler: Die Region der neuen Alten. Fakten und Positionen zur sozialen Situation älterer Bürger in den neuen Bundesländern 1990 bis 2005 (JÖRG ROESLER); Falko Schmieder: Ludwig Feuerbach und der Eingang der klassischen Fotografie. Zum Verhältnis von Anthropologischem und Historischem Materialismus (JENS-F. DWARS); Robert Kurz: Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems (MICHAEL KATZMAYR); Paul Martin Neurath: Die Gesellschaft des Terrors. Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, hg. von Christian Fleck und Nico Stehr, aus dem Englischen von Hella Beister (ROGER BEHRENS); Siegfried Bock, Ingrid Muth, Hermann Schwiesau: Alternative deutsche Außenpolitik? DDR-Außenpolitik im Rückspiegel (II) (FRANZ-KARL HITZE); Simon Sebag Montefiore: Stalin, Am Hof des roten Zaren (BERT GROSSE); Jahresinhaltsverzeichnis 2005; Summaries