(Post-)Koloniale Reisebilder

Die Reisen der frühen Entdecker und Forscher waren von einer doppelten Gier geprägt - von Neugier und Machtgier.

Die Reisen der frühen Entdecker und Forscher waren von einer doppelten Gier geprägt - von Neugier und Machtgier. Auf alten Fotografien erscheinen die Fremden meist als StatistInnen, als willenlose Projektionsfläche der europäischen Machtfantasien. Manche Abbildungen sind in ihrer unverstellten Gewalt haarsträubend, manche strotzen vor Klischees von kriegerischen Wilden oder von einem ursprünglichen Naturzustand.

Viele moderne Urlaubs- und Reisesehnsüchte weisen bemerkenswerte Parallelen zu kolonialen Bildern auf. Sehen Sie dazu mal auf die Titelseite dieser iz3w-Ausgabe. Paddel statt Gewehr, Schwimmweste statt Kakianzug, Kopfschutz statt Tropenhelm. Die Selbstdarstellung der Gruppe von AbenteuertouristInnen enthält eine Botschaft, die nur aufgrund eines kollektiven Wissens um den Entdeckermythos seine Wirkung erzielt - egal ob nun das Foto eher als witzig oder imposant gedeutet wird. Vermittelt wird der Sieg über die Naturgewalt und die gemeisterte Gefahr in wilder Umgebung dank Teamgeist und Zusammenhalt. Dies verweist auf Kontinuitäten zum Entdeckergeist des kolonialen Diskurses und in der Wahrnehmung und (Re)Präsentation der "Fremde".
Tatsächlich haben sich (touristische) Sehnsüchte, Stereotype und Fremdheitsmuster im Laufe der Zeit nur wenig verändert. Zwar ist auch die Reisebranche wie alle Märkte von wechselnden Moden, einer sich stetig ausdifferenzierenden Angebotspalette und ständig neuen Reisezielen gekennzeichnet. Dennoch bleiben die Bilder über die bereisten Länder und ihre BewohnerInnen, die in Prospekten, Fotoalben und Diavorträgen die fernen Länder markieren, erstaunlich konstant.
In einer Werbung des tansanischen Fremdenverkehrsamtes wird die Verknüpfung (neo)kolonialer Reisesehnsüchte und exotistischer Zuschreibungen besonders deutlich: "Die Attraktionen Tansanias rufen, mitten im unberührten Afrika, Bilder von frühen europäischen Abenteurern wie David Livingstone, Hans Rebman oder Henry Stanley wach. Mit einem reichen kulturellen Erbe von 120 Völkern und einem üppigen Wildbestand hat Tansania heute den Ruf, die letzte Region des reizvollen Afrikas aus dem letzten Jahrhundert zu sein."

Die Vorstellung über die Fremde(n) in Geschichte und Gegenwart ist Thema dieses Schwerpunktes. Wie eng das geistige koloniale Erbe mit den postkolonialen Blicken auf die Reiseländer verwoben ist, zeigt sich nicht nur in Fotografien und Reiseerzählungen, in Literatur und der selektiven Integration des Fremden in die Heimat - etwa in Form von kulinarischen Genüssen, Tanzfesten und multikulturellen Wochen. Auch wer und was als fremd gesehen und wie das Fremde bewertet wird - auf Reisen und zu Hause -, lässt sich aus den frühen Medien heraus ableiten.
Sie prägen unsere Fremdwahrnehmung bis heute, sei es auf Reisen oder in der "multikulturellen" Gesellschaft zuhause. In den auf den folgenden Seiten präsentierten Beispielen aus dem Verlagswesen, aus Literatur und Film und aus kulturellen Praxen geht es um die Alte und Neue Welt, um Orient und Okzident, um auf Reisen erworbene Bildung und durch Reisen (re)produzierte Bilder. Es geht um Grenzen und um Grenzüberschreitung, um Kulturkontakt und Zivilisationsmission, um Gewalt und Genuss. Kurzum: es geht um das Spannungsfeld von Tourismus, Migration und Rassismus im Kontext der europäischen Expansion.

Das Thema ist trotz aller Bezüge zur Geschichte ein äußerst aktuelles. Man denke an die Szenen an der spanischen Südküste oder an der marokkanischen Grenze der spanischen Enklave Ceuta, die vor Augen führen, dass die Globalisierung von Kapital und Konsum, von Märkten und Medien etc. keineswegs eine globale Gesellschaft der freien und gleichen BürgerInnen schafft, die dorthin reisen dürfen, wohin sie möchten. Vielmehr erleben wir eine Polarisierung der Weltbevölkerung, nicht nur, aber auch in Bezug auf Bewegungsfreiheit. Insofern enthüllt die Reflexion der postkolonialen Reisebilder eine Geschichte von Interaktionen jenseits von Grenzen, Kulturen und Zivilisationen, kurzum, eine kosmopolitische Aufmerksamkeitsstruktur: Wer ins Blickfeld gerät und welche migrantischen Realitäten, welche MigrantInnen hier und Einheimische dort nicht wahrgenommen werden, steht mit den touristischen Blicken auf die Fremde(n) in engem Zusammenhang.
Die Beiträge des Themenschwerpunktes beruhen auf einer von FernWeh zusammen mit dem Studium generale und dem Carl-Schurz Haus veranstalteten Vortragsreihe über die Konstruktion des Fremden in Geschichte und Gegenwart. Sie fand im Wintersemester 2005/2006 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg statt. Einige Vorträge werden von Radio Dreyeckland gesendet und sind demnächst auch auf unserer Homepage www.iz3w.org/fernweh abrufbar. Einige Beiträge werden darüber hinaus ab Februar in der "Teleakademie" des SWR-Fernsehen gesendet.

FernWeh - Forum Tourismus & Kritik im iz3w