Noch lange nicht Schluss mit Agenturschluss

Nach dem Agenturschluss am 3.1.05: Wie geht es weiter?

Die Initiative "Agenturschluss" hatte sich viel vorgenommen: Am ersten Werktag nach in Kraft treten der neuen Hartz-IV-Gesetze sollten die Arbeitsagenturen bundesweit lahmgelegt werden. In Form von Besetzungen, Blockaden oder Versammlungen in den Ämtern wollten die Aktivisten am 3.Januar in den Ablauf der Erwerbslosenbürokratie eingreifen. "Am ersten Werktag des neuen Jahres werden wir den Start von Hartz IV stoppen", proklamiert selbstbewusst der bundesweite Aufruf zu Agenturschluss.

Die Idee war bestechend, die Mobilisierung beachtlich. In den letzten beiden Dezemberwochen stieg die Zahl der Städte, die ihren Agenturschluss öffentlich ankündigten, auf 80. Das Medieninteresse im unmittelbaren Vorfeld war entsprechend groß. Die bundesweite Pressekonferenz am 29.Dezember in Berlin platzte aus allen Nähten. Doch dann - Flaute. Der Start von Hartz IV und Lkw-Maut lief "problemlos". Die bürgerliche Presse hat die Aktionen am 3.Januar nahezu einhellig klein geredet. Nur wenige hundert Leute hätten sich beteiligt. Leicht verstört über derartigen Gleichklang gehen die Interpretationen der Beteiligten weit auseinander. Waren es nur oder immerhin 5000-8000 Leute, die nach Auswertung von knapp sechzig detaillierteren Städteberichten an diesem Montagvormittag an der Aktion teilgenommen haben? Dazu ein etwas genauerer Blick auf das sehr unterschiedliche Geschehen in den jeweiligen Städten.

Was gelaufen ist
In vielen Orten blieb die Frage offen, ob die Aktiven in der Lage gewesen wären, den Betrieb der als "Arbeitspolizei" angeprangerten Behörde lahmzulegen oder zumindest gehörig durcheinander zu wirbeln. Die örtliche Verwaltung selbst schloss den Betrieb vollständig, "Interne Umzugsarbeiten", so die offizielle Begründung in Kassel. Andernorts beauftragten die Arbeitsämter private Sicherheitskräfte und/oder ein beträchtliches Polizeiaufgebot, die Räumlichkeiten hermetisch abzuriegeln. Zum Teil über mehrere Stunden gelangte dort niemand ins Arbeitsamt. Auch nicht diejenigen, die der Aufforderung nach Barauszahlung wegen der verpatzten ALG-II- Überweisungen gefolgt waren. Am späteren Vormittag ließ ein Spalier von Sicherheitskräften und ArbeitsamtmitarbeiterInnen ausschließlich "dringende Terminangelegenheiten" ein. Arbeitslos konnte sich hier niemand melden. Der Agenturschluss war an diesen Orten nur in Form einer Belagerung mit mehr oder weniger ausgeprägtem Kontakt zu den "Unbeteiligten" möglich.
In anderen Städten wurde der "Mitarbeiterschutz" weniger restriktiv ausgelegt. In Köln gelangten 150 Agenturschliesser mit etwas Schwung in das halbherzig gesicherte Arbeitsamt. Der Besuch der Mitarbeiter in den Büros war dort ebenso möglich wie eine Versammlung bei Frühstück und die Umgestaltung des Inventars auf den Fluren à la "die fetten Jahre sind vorbei".
Der Bogen schien erst überspannt, als sich Aktiven im Büro des Amtsleiters breit machten, dessen Arbeitsbedingungen ausgiebig untersuchten und in seinen Akten herumstöberten. Vielerorts hingegen erreichte die Zahl der Aktiven erwartungsgemäß nicht die "kritische Masse". Die am häufigsten genannten Aktivitäten erstreckten sich dort über symbolische Kartonblockaden, Kundgebungen in und vor den Arbeitsämtern, Umsonstfrühstücke, Infotische, Diskussionen am offenen Mikro und anschließende Demonstrationen.
Es gab also weder auf Seiten von Agenturschluss noch seitens der Arbeitsämter ein einheitliches, vorhersagbares Vorgehen. Einzige Konstante war die Polizei. Sie war fast überall präsent - auch vor den Arbeitsämtern mehrerer Städte, wo kein Agenturschlussvorhaben angekündigt worden war. Trotz zahlreicher Rangeleien und einiger Festnahmen beim Versuch, in das Arbeitsamt einzudringen, blieben die meisten Aktionen an diesem Tag eher unspektakulär. Dennoch bewerten die meisten Gruppen den Auftakt von Agenturschluss positiv.
Mindestens innerhalb der radikalen Linken sei es gelungen, dezentral relativ viele Leute an einem Werktag zu etwas anderem als zu einer angemeldeten Demonstration zu bewegen. In diesem Sinn ist es wenig sinnvoll, die Teilnehmerzahlen der Montagsdemonstrationen zum Vergleich heranzuziehen. Kollektiver Ungehorsam ist hierzulande keine Widerstandsform, auf die man in der Breite zurückgreifen kann. Viele Initiativen sehen genau diesen Punkt selbstkritisch. Wie kann zukünftig die leider nur begrenzte Interaktion mit den vermeintlich unbeteiligten "Kunden" und den Beschäftigten der neuen Arbeitsagenturen ausgeweitet werden?
Jenseits von einer weiter notwendigen Kampagnenpolitik wird letztendlich nur eine massenhafte Verweigerung und Blockade bei der alltäglichen Umsetzung von Hartz IV den gegenwärtigen sozialen Angriff wirklich gefährden können. Ohne eine umfassende Aktivierung und Selbstorganisierung der unmittelbar betroffenen Erwerbslosen ist ein solcher Alltagswiderstand schwer vorstellbar. Ein erster Schritt wäre sicherlich die Verbreiterung eines Bewusstseins darüber, dass auch bereits verabschiedete und eingeführte Gesetze, sollten wir sie für nicht legitim halten, durch massenhaften sozialen Ungehorsam wieder gekippt werden können.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di distanzierte sich noch einmal nachdrücklich von den Protesten und untersagte sogar in einem internen Schreiben den eigenen Funktionären die Teilnahme. Dies stieß jedoch auf zum Teil heftigen Unmut innerhalb der Gewerkschaft und entzündete eine kritische Debatte um die Fragen "Was ist Interessenvertretung?" und "Wessen Interessen will Ver.di vertreten?". Trotzdem beteiligten sich konsequenterweise auch Ver.di-Kollegen der regionalen Erwerbsloseninitiativen am Agenturschluss.

Was noch laufen soll
Fast alle Städte, die (u.a. auf Labournet und Indymedia) über ihren 3.Januar berichtet haben, betonen, dass sie ihre Aktivitäten im Rahmen der Aktion Agenturschluss nicht als einmaliges Ereignis, sondern als Auftakt zu einer Reihe weiterer Interventionen begreifen. Dazu haben am Wochenende vom 15./16.Januar rund 50 Personen aus zwanzig Städten auf einem bundesweiten Treffen die Aussichten verschiedener, weiterführender Strategien erörtert.
Grundlage für weitere Aktivitäten könnten die in einigen Orten zum Agenturschlussauftakt eröffneten Beschwerde- und Dokumentationsstellen sein. Wären sie eine Erfindung der Bundesagentur für Arbeit, hätten deren Begriffsretuschierer sie vermutlich "Hartz-IV-Monitoring-Stellen" getauft. Deren Gegner sprechen lieber von militanter Untersuchung, mit der sie Hartz IV auf die Finger schauen und kritisch begleiten wollen.
Tatsächlich sind die neu eingerichteten Kontaktmöglichkeiten via Telefon, E-Mail und einem anonymen bundesweiten Internetforum etwas anderes als bloße Meckerecken, eher eine Art von kollektiver Selbstverteidigung. Die Initiatoren wollen von Erwerbslosen genau wissen, was auf den Ämtern läuft, wie die sog. Eingliederungsvereinbarung konkret aussieht, wie die Leute bei den 1-Euro-Jobs behandelt werden, wie die Androhung zum Zwangsumzug aussieht usw. In einer Pressemitteilung kündigt das Wuppertaler Sozialforum an, alle Fallmanager und 1-Euro-Job-Einsatzstellen einem kritischen Kundencheck zu unterziehen. Denn wie heißt es so schön: "Der Kunde ist König." Um bei nachgewiesener Gängelei zielgenau intervenieren zu können, lautet die explizite Aufforderung, die Namen der verantwortlichen Fallmanager im Arbeitsamt bzw. der Verantwortlichen in den kirchlichen und kommunalen Beschäftigungsgesellschaften für "Gemeinwohlarbeit" zu nennen. Proletarische Umzüge nach italienischem Vorbild werden als eine von vielen (Re-)Aktionsformen in Aussicht gestellt. Weitere Möglichkeiten wurden auf dem bundesweiten Treffen bewusst nur angedeutet. Hier entscheiden Wut und Fantasie der regionalen Gruppen über die Formen des Widerstands.
Gerade die kürzlich vorgebrachte IHK- Offensive, 1-Euro-Jobs auch in privaten Unternehmen anzubieten, bekräftigt die Notwendigkeit für eine scharfe Mobilmachung gegen diese Form des Zwangs zur Arbeit generell, so der Erwerbslosenratschlag des Sozialforums. Gefragt sind überdies auch solidarische Beschäftigte der Arbeitsagenturen und Beschäftigungsstellen, die sich intern ebenfalls gegen die unwürdige Verarmungspolitik unter Hartz IV zur Wehr setzen wollen. Auch hier wird auf die Möglichkeit anonymer Berichte vom heimischen PC bzw. aus Internetcafés hingewiesen.
Zwei Tage nach Eröffnung der Beschwerdestelle trudelten prompt die ersten Details zur vermeintlichen "Zusätzlichkeit" einiger bereits geschaffener 1-Euro-Jobs im Bereich der Altenpflege ein. In mehreren Fällen wurde regulären Mitarbeitern gekündigt und deren Stelle eindeutig als Tätigkeit mit Mehraufwandsentschädigung neu besetzt. Um möglichst viele derartige konkrete Informationen zu sammeln, wird eine groß angelegte Umfrage angestrebt. In einigen Städten gab es bereits die ersten "Recherche-Spaziergänge" zu 1-Euro-Jobs-Einsatzstellen. Es liegt nunmehr ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch, mit dem bis dahin recherchierten Detailwissen am 25.April eine bundesweite Aktion gegen zentrale Beschäftigungsträger von 1-Euro-Jobs durchzuführen.

www.labournet.de/agenturschluss