Preemptive strike

in (20.02.2003)

Eine neue weltpolitische Doktrin braucht, um hinreichend Eindruck zu machen, den Anwendungsfall, besonders dann, wenn sie militärischer Natur ist. ...

... Unter ihrem Präsidenten George W. Bush nehmen jetzt die USA für sich das Recht in Anspruch, einen Angriffskrieg gegen Staaten zu führen, die ihnen gefährlich werden könnten oder die ihnen bedrohlich erscheinen - wobei sie sich selbst vorbehalten, jeweils zu definieren, was denn als Gefahr oder als Bedrohung anzusehen sei. "Preemptive strike" wird in der US-amerikanischen Regierungssprache ein solches kriegerisches Vorgehen genannt; man kann das als "Präventiv schlag" übersetzen. Mit den bisher anerkannten (wenn auch keineswegs immer eingehaltenen) Regeln des Völkerrechts, etwa der Charta der Vereinten Nationen, ist diese neue Doktrin nicht vereinbar, auch nicht mit dem bisherigen völkerrechtlichen Verständnis von einem legitimen Präventivkrieg, das voraussetzt, daß ein gegnerischer Staat gerade dabei sei, das Kommando zum Überfall zu geben. Auch dieser Begriff von der "Prävention" ist, wie die Geschichte lehrt, leicht zu mißbrauchen.
Derart subtile Gedanken plagen aber den Präsidenten der USA gar nicht, wenn er jetzt den "Tag der Abrechnung" mit dem Irak vorbereitet; im Ernst behauptet kein politischer oder militärischer Repräsentant der Vereinigten Staaten, der Irak sei derzeit gewillt oder überhaupt in der Lage, Amerika zu überfallen. Auch die kurzzeitig benutzte propagandistische Legende, das Regime von Saddam Hussein bediene sich der terroristischen Dienste von Al Quaida zu Angriffen auf die USA oder organisiere dort Milzbrandattacken, ist nicht mehr in Gebrauch.
Bei der psychologischen Kriegsvorbereitung, wie sie die politische Administration der USA betreibt, steht im Mittelpunkt inzwischen das Argument, der Irak habe die Absicht und die Fähigkeit, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, und das dortige Regime sei bösartig genug, diese dann auch einzusetzen; deshalb reiche auch eine Entwaffnung nicht hin, sondern das Land müsse unter Kuratel gestellt werden, per "vorbeugendem Militärschlag". Selbstverständlich käme es der Regierung der USA gelegen, wenn die UN-Waffeninspekteure wenigstens Reste von biologischen oder chemischen Waffenarsenalen entdecken würden, aber wenn nicht, bleibt doch der Vorwurf, im Irak sei ein schurkisches Regime an der Macht, dem man alles zutrauen müsse und das nur durch militärischen Zugriff abgelöst werden könne.
Es liegt auf der Hand, daß dies als Begründung für einen Krieg ziemlich dünn ist; da gibt es viele Staaten auf der Welt, die in einer solchen Sicht als bedrohlich erscheinen könnten und demzufolge mit der Methode "preemptive strike" zu behandeln wären. Gesinnungsethiker könnten gar auf die Idee kommen, die USA selbst seien für eine derartige Behandlung in den Blick zu nehmen.
Es bedarf also einiger propagandistischer Anstrengungen der Regierung der USA, um für den offiziellen Diskurs der sogenannten Internationalen Gemeinschaft wenigstens den Anschein von Legitimität des beabsichtigten Krieges herzustellen. Die Regierungen jener Staaten, die den USA beim "vorbeugenden Schlag" gegen den Irak Beihilfe leisten oder zumindest widerspruchslos zusehen sollen, müssen der amtlichen Kriegsbegründung der USA keinen Glauben schenken, aber die Führungsmacht wünscht, daß sie zumindest so tun, als täten sie es. Die Frage ist, inwieweit das Publikum dieses Spiels sich mit alledem zufriedengibt. Könnte es sein, daß der Weg in den Krieg gegen den Irak Bedürfnisse nach Aufklärung provoziert - jenseits der offiziell verabreichten und in den Massenmedien vielfach reproduzierten Version?
In der Bundesrepublik haben die AnführerInnen der rot-grünen Regierungsparteien, als es um die Anpassung an herrschende Dogmen der Militär- und Machtpolitik ging, gern davon gesprochen, nun komme man "in der Realität an". Vermutlich werden sie dies wieder sagen, wenn ihre Zustimmung zum "preemptive strike" gegen den Irak fällig ist. Tatsächlich diente der Spruch vom Ankommen in der Realität allemal der Verschleierung von Realitäten. Aber nehmen wir unsere PolitikerInnen mal beim Wort und richten den Blick auf die Wirklichkeit: Es ist nicht so, als stünde erst jetzt notgedrungen die Entscheidung an, einen Krieg gegen den Irak zu führen. In der Realität wird dieser Krieg von den USA - mit Unterstützung Großbritanniens - seit Jahren geführt, und zwar seit dem formellen Ende der "Operation Wüstensturm", mit Luftangriffen, mit Handelsblockaden, mit Untergrundkämpfern. Der Irak hat erhebliche Teile seines Staatsgebietes praktisch längst verloren. Die einst vergleichsweise gut entwickelte Infrastruktur des Landes ist weitgehend zerstört, von dem ehedem hochgerüsteten Militärpotential ist wenig übriggeblieben. Hunderttausende von Menschen sind durch den informellen Krieg ums Leben gebracht worden. Durch die Politik der USA und Großbritanniens wurde einer inneren Opposition gegen das diktatorische und ausbeuterische Regime von Saddam Hussein die Luft weggenommen. Absurd wäre die Annahme, der Irak könnte "die Welt bedrohen"; das geschundene Land ist vielmehr präpariert für den endgültigen Zugriff einer externen Macht. Allerdings wird dieser auf brutale Weise weitere "Kollateralschäden" mit sich bringen, Elend und Tod für zahllose Menschen im Irak.
Saddam Hussein, 1991 in der propagandistischen Begleitung des Golfkrieges zum "neuen Hitler" hochstilisiert, betreibt zweifellos eine kriminelle Art von Politik. Damit steht er nicht allein, auch nicht unter den Potentaten orientalischer Länder. Zum Politmonster wurde er aber - und auch da steht er nicht allein - keineswegs aus eigener Kraft, sondern durch die machtpolitischen Operationen und die Unterstützung westlicher Staaten, speziell der USA. Zum Kriegsherrscher zeitweise großen Formats konnte er sich entwickeln, weil die Regierung der Vereinigten Staaten, nachdem ihnen im Iran der Schah als Statthalter verloren gegangen war, das dortige Mullah-Regime militärisch in die Enge treiben wollten. Was sie wiederum nicht daran hinderte, insgeheim auch mit der iranischen Regierung politische Geschäfte zu machen.
Das Waffenarsenal des Irak ist, ebenso wie das der anderen Staaten im Nahen Osten und am Golf, nicht als Eigenwuchs entstanden, sondern importiert; über Jahrzehnte hin entwickelte sich die Golf-Region zum höchstprofitablen Absatzgebiet für westliche Rüstungsgüter, und bei alledem mischten die westlichen Ölkonzerne mit. "Fossiler Energierohstoff als Kriegs-Treibstoff" - so hat Karl Grobe-Hagel den Grundcharakter der modernen Politikgeschichte in dieser Region gekennzeichnet, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Für die Ölökonomie stellt der Irak, als Staat selbst ein Resultat der Konkurrenz auswärtiger Mächte um diese Ressource, ein im weltweiten Maßstab höchstinteressantes Terrain dar, und Öl ist, wie Henry Kissinger gesagt hat, "zu kostbar, um es den Arabern zu überlassen".
Die Gruppe von US-Politikern, die für George W. Bush die geostrategischen Leitlinien entwirft, u.a. Richard Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz, hat langjährige Erfahrungen in der politischen Umsetzung von Interessen der Energiekonzerne, besonders in der Golf-Region. Längst vor dem 11. September 2001 hat diese Gruppe ein weltpolitisches Programm für die USA entworfen und öffentlich vertreten, das als Grundelemente enthält: Die Vereinigten Staaten sollen in Zukunft keine Weltmacht neben sich, aber auch keine unabhängig handlungsfähige regionale Vormacht aufkommen lassen; das globale militärische Potential der USA ist vorzugsweise für die Sicherung von Energieressourcen einzusetzen; der Golf-Region ist dabei hohes Gewicht beizumessen, auch wegen ihrer Bedeutung für eine "eurasische Brücke", also eine Linie von Machtbastionen der USA, die sich vom Balkan über den Vorderen Orient und den Kaspischen Raum nach Zentralasien zieht. Es liegt in der Logik eines solchen Programms, daß die Kontrolle über die irakischen Ölvorräte wiederhergestellt werden muß, teils für den eigenen Verbrauch der USA, teils zum Zwecke der Einflußnahme auf andere Abnehmerländer und auch als Ersatzressource für den Fall, daß es in anderen ölfördernden Ländern am Golf zu politischen Krisen kommt. Darüber hinaus ist die geostrategische Kontrolle über Bagdad für die USA wichtig, weil so Druck auf Teheran ausgeübt werden kann, das nach wie vor auch im Visier der US-Regierungspolitik liegt.
All diese Ambitionen sind überhaupt nicht neu, aber der nach dem 11. September 2001 erklärte "Krieg gegen den Terrorismus" hat günstige Bedingungen für ihre Umsetzung geschaffen, und der Begriff "preemptive strike" wird hier in seiner doppelten Bedeutung erkennbar: "Preemption" kann zu deutsch Prävention heißen und auch Vorkaufsrecht. Krieg und Geschäft haben ihren Zusammenhang.