Vorgeschichte eines angekündigten Krieges

Das Nein der deutschen Regierung zum Irakkrieg war mitentscheidend für ihre Wiederwahl. Dennoch können die USA ungehindert ihre Einrichtungen in Deutschland und den deutschen Luftraum zur ...

... Kriegsvorbereitung nutzen. Kanzler Schröder sicherte ihnen auch für den Fall eines Krieges und unabhängig von einem Mandat des UN-Sicherheitsrats volle Bewegungsfreiheit zu. Außenminister Fischer schloß gar eine deutsche Zustimmung im UN-Sicherheitsrat, dessen Mitglied Deutschland gerade für zwei Jahre wurde, zu einem Krieg nicht aus.
Während einerseits auch in der Regierungskoalition Kritik an Fischers Stellungnahme und der indirekten Kriegsunterstützung laut wird, verlangen die Vertreter von CDU/CSU den vollen Schulterschluß mit der Bush-Regierung. Eine inhaltliche Debatte aber über die im wesentlichen von den USA bestimmte westliche Irakpolitik findet kaum statt.
Kriegerisch ist diese Politik seit langem - auch ohne neuen Einmarsch. Schon seit zwölf Jahren gleicht der Irak einer belagerten, ausgehungerten, durch Bomben verwüsteten Stadt, die nach wie vor unter regelmäßigem Beschuß liegt. Allein seit Januar 1999 fielen nach irakischen Angaben mehr als 300 Menschen den ständigen Luftangriffen zum Opfer.
Den ursprünglichen Anlaß für die Belagerung gab das Regime im Irak selbst. Zehn Tage nachdem die US-Botschafterin April Glaspie der irakischen Führung versichert hatte, "keine Meinung zu arabisch-arabischen Konflikten wie Ihren Grenzstreitigkeiten (mit Kuwait; J.G.) zu haben", marschierten irakische Truppen am 2. August 1990 in Kuwait ein (das Scheichtum war einst Teil des Irak gewesen, bevor die britische Kolonialmacht es abgetrennt hatte). Nur vier Tage später nahm der UN-Sicherheitsrat einen US-amerikanischen Vorschlag an und verhängte ein umfassendes Wirtschaftsembargo gegen das Land. Obwohl viele Länder zu vermitteln versuchten und die irakische Führung mehrfach ihre Bereitschaft zum Rückzug signalisiert hatte, wenn nur einige wenige nicht unberechtigte Forderungen des Irak berücksichtigt würden, scheiterten alle Friedensbemühungen an der Haltung der USA, die konsequent jede Verhandlungslösung blockierten.
Der Belagerungsring zog sich zusammen. Nachdem die USA sich und ihre Verbündeten im November 1990 durch den UN-Sicherheitsrat zum militärischen Angriff ermächtigt hatten, begann am 17. Januar 1991 der Bombenkrieg. In 43 Tagen wurde der größte Teil der irakischen Infrastruktur zerstört, und nach vorsichtigen Schätzungen fielen 150 000 Menschen den Hightech-Waffen der alliierten Luftstreitmacht zum Opfer. Die Angreifer hatten dagegen weniger als 200 Tote zu beklagen, vorwiegend durch Unfälle und "friendly fire".
Nach Beginn einer alliierten Bodenoffensive zogen sich die irakischen Truppen Ende Februar 1991 aus Kuwait zurück. Erst Tage später endeten die Kampfhandlungen, die Belagerung jedoch blieb.
Obwohl der Irak nun alle Forderungen des Sicherheitsrates erfüllt hatte, wurden die Sanktionen nicht aufgehoben, sondern mit neuen Forderungen verknüpft, darunter Offenlegung und Einstellung aller Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen.
Im Gegensatz zu Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg weite Teile Europas verwüstet hatte, aber nachher internationale Aufbauhilfen erhielt, wurde der Irak gewaltsam gehindert, seine zerstörte Infrastruktur, zum Beispiel die Wasserversorgung, wieder aufzubauen. UN-Organisationen vor Ort berichteten bereits 1991 über die katastrophalen Folgen vor allem für die schwächsten Glieder der Gesellschaft. Zuvor gut beherrschte Krankheiten breiteten sich rapide aus, die vorbildlichen unentgeltlichen Gesundheits- und Bildungssysteme brachen zusammen - ein hoch entwickeltes Land, das die Grundversorgung der Bevölkerung in allen wesentlichen Bereichen hatte sichern können, wurde von Hilfslieferungen abhängig.
Auch wenn der Belagerungsring sich im Lauf der Jahre lockerte, forderte die Blockade bisher nach Schätzungen von UN-Organisationen mehr als eine Million Menschenleben - das "stille Äquivalent zu zehn Hiroschimas" nannte es der Sprecher des UN-Welternährungsprogramms, Hannusch. Immer noch fallen monatlich weitere 5000 Menschen, vor allem Kinder, dem "sanktionierten Massenmord" zum Opfer, wie Noam Chomsky und Edward Said das Embargo charakterisierten. Schon die ersten UN-Untersuchungsberichte 1991 wiesen auf die eklatanten Menschenrechtsverletzungen hin, unter denen die durch das Embargo zur Geisel genommene Bevölkerung zu leiden hat. Ein Gutachten für den Unterausschuß der UN-Menschenrechtskommission kam schließlich vor zwei Jahren zu dem Schluß, die Sanktionen gegen den Irak seien eindeutig illegal.
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), zuständig für die Unterbindung des irakischen Atomwaffenprogramms, erklärte ihre Arbeit 1997 für abgeschlossen. Ein Jahr später waren auch die chemischen und biologischen Waffen und Produktionsstätten sowie die weitreichenden Raketen fast vollständig erfaßt und zerstört, wie die dafür zuständige UN-Kommission (UNSCOM) bekanntgab. Die USA aber forderten nun vom Irak den hundertprozentigen Nachweis, keine verbotenen Waffen und Produktionsanlagen mehr zu besitzen, und verhinderten so den formellen Abschluß der internationalen Mission; denn einen solchen Nachweis zu erbringen, ist praktisch unmöglich.
Der viertägige Bombenkrieg im Dezember 1998 machte dann jeglicher Rüstungskontrolle ein Ende. UNSCOM, vor dem Krieg bereits aus dem Irak ab ge zogen, war durch sich bestätigende Berichte über Spionagetätigkeiten eines Teils der Kontrolleure für den US-Geheimdienst völlig diskreditiert und wurde aufgelöst. Die Sanktionen aber blieben auf Druck der USA größtenteils bestehen.
Verständlich wird diese Politik vor dem Hintergrund, daß die unversöhnliche Feindschaft der Supermacht gegen das Baath-Regime weder mit dem Überfall auf Kuwait noch mit irakischen Aufrüstungsprogrammen begann, sondern mit der Nationalisierung der Ressourcen des Landes Anfang der 70er Jahre und nur eine Zeitlang von der Feindschaft gegen den Iran überlagert wurde; denn nach dem Sturz des Schahs sahen die USA im Iran unter Ajatollah Khomeini das größere Übel. Sie ermunterten den Irak zum Krieg gegen den Iran, dem Ersten Golfkrieg, und sie gaben dem Irak, als sich nach Anfangserfolgen das Blatt gegen ihn zu wenden drohte, auch massive militärische Unterstützung. Der Irak erhielt aus dem Westen unter anderem auch Material und Geräte zur Herstellung chemischer Waffen, die er mit stillschweigender Duldung der Lieferländer gegen iranische Truppen sowie mit ihnen verbündete kurdische Kräfte einsetzte.
Gleichzeitig belieferten die USA aber auch den Iran mit Waffen, denn am liebsten hätten sie keinen Sieger und kein Ende des Ersten Golfkriegs gesehen. Der irakische Überfall auf Kuwait gab den USA schließlich die Gelegenheit, den zur relativ unabhängigen Regionalmacht aufgestiegenen Irak wieder an die Kette zu legen. Die derzeitige US-Regierung, mit dem Ölgeschäft verbunden wie keine zuvor, strebt nun nach unmittelbarem Zugriff auf das irakische Öl und plant deswegen den Sturm auf das belagerte Land.
Dabei sollten ursprünglich die Vereinten Nationen keine Rolle spielen. Doch auch die Hardliner in Washington sahen im Sommer vergangenen Jahres ein, daß ein ungestümer Alleingang mit nur wenigen Verbündeten, die sich einem solchen Feldzug anschließen wollten, politisch sehr riskant wäre. Bush stellte der UNO im September 2002 ein Ultimatum: Entweder der Sicherheitsrat beschließe ein gewaltsames Vorgehen gegen den Irak, oder die Organisation mache sich überflüssig, und die USA würden in Zukunft ohne sie, mit "Koalitionen von Willigen", handeln.
Obwohl die irakische Regierung wenig später ihre Bereitschaft erklärte, die Waffeninspektoren ohne Vorbedingungen ins Land zu lassen und ihnen freien Zugang zu allen Einrichtungen zu gewähren, verlangten die USA eine neue, schärfere Resolution. Sie erhöhten durch eine Entschließung des US-Kongresses, die den Präsidenten zu einem militärischen Vorgehen auch ohne UN-Mandat ermächtigt, ihren Druck auf die Staatengemeinschaft. Die anderen Mitglieder des Sicherheitsrat gaben schließlich nach und verabschiedeten die Resolution 1441 (s. dazu auch die Beiträge von Norman Paech und Klaus Vack in diesem Heft). Diese enthält zusätzliche, recht unbestimmte Forderungen an den Irak und verlangt die Wiederaufnahme von Rüstungskontrollen unter sehr provokativen Bedingungen. Bei Nichterfüllung werden dem Irak "ernste Konsequenzen" angedroht, die allgemein - nicht zuletzt auch in Anbetracht des forcierten angelsächsischen Truppenaufmarschs am Golf - als militärische Maßnahmen interpretiert werden.
Zum Mißfallen der Regierung Bush akzeptierte der Irak die Resolution. Doch obwohl nun Waffeninspektoren der UNO seit Wochen ihrer Arbeit im Irak ungehindert nachgehen können und bisher keine Hinweise auf verbotene Rüstungsprogramme fanden, ist die Kriegsgefahr nicht gebannt. Im Gegenteil, die USA und Großbritannien haben ihre Kriegsvorbereitungen noch intensiviert. 100 000 Soldaten werden in Kürze vor Ort bereit zum Einsatz sein.
Noch beharren aber zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, Frankreich und Rußland, auf dem Standpunkt, daß auch Verstöße gegen Verpflichtungen aus der Resolution keinen Krieg rechtfertigen. Viel wird in den nächsten Wochen davon abhängigen, ob es den USA gelingt, einen Casus Belli zu schaffen, der vom Sicherheitsrat abgesegnet oder auch ohne förmlichen Beschluss von der heimischen Öffentlichkeit und genügend vielen anderen Staaten akzeptiert wird. Die Resolution 1441 bietet hierfür eine Fülle von Möglichkeiten.
Nicht unwesentlich wird dabei das Verhalten so mächtiger Staaten wie Deutschland sein. Verantwortlichen Politikern, wie dem deutschen Außenminister gegenüber, muß klargestellt werden, daß die UNO-Charta prinzipiell keine militärischen Maßnahmen allein aufgrund von Verstößen gegen Abrüstungsverpflichtungen oder UN-Resolutionen rechtfertigt. Eine unmittelbare Bedrohung für die USA oder ein anderes Land durch den Irak ist nicht ersichtlich.
Nicht nur der gesamten Golfregion droht eine Eskalation militärischer Gewalt: Die weltpolitischen Konsequenzen aus Bushs Präventivkriegsdoktrin, der hiermit der Weg bereitet werden soll, einer Doktrin unbegrenzter militärischer Herrschaft, die sich auch den Einsatz atomarer Waffen vorbehält, sind gar nicht absehbar. Die Nobelpreisträger Nelson Mandela und Günter Grass stellen daher die Bedrohungssituation richtig dar, wenn sie die die Politik der USA als die wirkliche Bedrohung des Weltfriedens bezeichnen.