Die USA, das gefährliche Tier

in (16.02.2002)

Im November 2001 ehrte das PEN-Zentrum Deutschland einen der bedeutendsten Dramatiker der Gegenwart, Harold Pinter, wegen seines Engagements für verfolgte Autoren mit der Hermann-Kesten-Medaille. ...

... Das Land Hessen hatte den Preis mit 20 000 Mark dotiert. Die Zeremonie fand im Berliner Theater am Schiffbauerdamm statt. Doch die Öffentlichkeit erfuhr wenig davon, vor allem nicht vom Höhepunkt der Feier: Pinters Dankrede. Wir suchten im Internet. Die Suchmaschine "Google" gab viele hunderte Hinweise auf Pinter, aber nur einen einzigen auf seine Berliner Rede. Er fand sich auf einer Seite der DKP Darmstadt, wo eine Meldung unter der Überschrift "Harold Pinter kritisiert NATO und USA" zitiert war. Wir fragten beim PEN-Zentrum Deutschland nach, das in Darmstadt seinen Sitz hat. Dort erfuhren wir (fast drei Monate nach der Preis-verleihung), die Rede liege bisher nicht schriftlich vor. Das Sekretariat in Darmstadt stellte uns aber freundlicherweise einen Tonbandmitschnitt zur Verfügung. Daraus sei hier zusammenfassend zitiert, was Pinter (in englischer Sprache) sagte und womit er die deutsche Öffentlichkeit bisher nicht erreichte.

Die Sprache der Politik und der Politiker ist immer korrupter und bedeutungsloser geworden. Im Grunde ist es ein Witz, wie sie sprechen, aber der Witz ist nicht komisch, vor allem die Folgen sind es nicht.
1999 sagte Margaret Thatcher zu General Pinochet, der unter Hausarrest in London stand: "General ich möchte Ihnen dafür danken, daß Sie die Demokratie nach Chile gebracht haben." Bekanntlich hatte Pinochet mit Hilfe der USA Folter und Mord nach Chile gebracht.
Die Türkei ist nach China das Land, in dem die meisten Autoren inhaftiert sind. In den dortigen Gefängnissen wird systematisch gefoltert, die Haftbedingungen sind entsetzlich. Ein großer Teil der Gefangenen sind Kurden. Dennoch unterstützen die westlichen NATO-Partner die Türkei - zum Beispiel mit Waffenlieferungen; für unsere Länder ist das ein gutes Geschäft. Nach der Situation der Kurden fragt niemand. Die USA haben nie erwogen, Istanbul und Ankara zu bombardieren, obwohl das, was dort geschieht, viel weiter geht, viel schlimmer ist als das, was man Milosevic vorwirft.
Präsident Bush spricht in der Tradition vieler US-Präsidenten von freiheitsliebenden Völkern. Aber in den Gefängnissen der USA sitzen zwei Millionen freiheitsliebende Menschen, zu einem großen Teil Schwarze, und viele Schikanen, denen sie ausgesetzt sind, müssen nach den Kriterien von amnesty international Folter genannt werden. Das ist ein riesiger Gulag, von dem niemand spricht. Auch viele schwarze Schriftsteller sind dort gefangen. Gelegentlich dringt ein Schrei nach draußen, aber er wird kaum gehört.
Gegenwärtig werden in den USA Militärgerichtshöfe eingerichtet. Dort soll gegen angebliche Terroristen geheim verhandelt werden, und gegen die Urteile soll es keine Berufungsinstanz geben. Daran ist nichts demokratisch, daß sind eher diktatorische Zustände.
Die USA und Großbritannien haben den Irak bombardiert und mit Sanktionen belegt, durch die - nach UN-Dokumenten - innerhalb von zehn Jahren annähernd eine Million Kinder gestorben sind. Das geschieht angeblich zur Verteidigung der Zivilisation, zur Verteidigung des moralischen Rechts der Guten (und die Guten sind wir). Ich nenne das Mord, ja Völkermord.
Nach den katastrophalen Ereignissen des 11. September fragten die USA nicht nach den Gründen; sie unterließen es, zu untersuchen und zu analysieren, um zu verstehen. Die einzige Reaktion, an der sich auch mein Premierminister Tony Blair beteiligte, waren Bomben auf ein einfaches, armes Land. Und das geschah wiederum angeblich zur Verteidigung der Zivilisation.
Die USA sagen jetzt, es gebe 40 bis 50 weitere Länder, die bekämpft werden müßten. Nehmen wir uns in acht. Die USA sind ein extrem gefährliches mächtiges Tier. Es kommt darauf an, welche Rolle Europa spielt. Gegenwärtig erinnert mich das Verhältnis Europas zu den USA an Shakespeares "Julius Cäsar", wo Casius den Koloß beschreibt, der breitbeinig über der Welt steht: Wir, die kleinen Leute, verstecken uns hinter ihm, schauen nur schüchtern herum und graben uns das eigene ehrlose Grab. Die europäische Verantwortung liegt aber darin, mutig, klar, intelligent, kritisch Einfluß zu nehmen. Bedenken wir: Viel Zeit ist nicht mehr.