Erstrittene Subjektivität : Diskurse der Transsexualität

‘Du musst Deinen Platz "in der Welt" einfordern, in der einen oder anderen Weise.’ So antwortet Louis G. Sullivan 1976 seiner transgeschlechtlich lebenden Freundin Liz M. auf ihre Verzweiflung ...

‘Du musst Deinen Platz "in der Welt" einfordern, in der einen oder anderen Weise.Â’ So antwortet Louis G. Sullivan 1976 seiner transgeschlechtlich lebenden Freundin Liz M. auf ihre Verzweiflung und die daraus resultierende vorläufige Entscheidung, wieder als Mann zu leben. Der aktuell und konkret entschiedene Geschlechterentwurf scheint in diesem Zusammenhang weniger von Bedeutung zu sein als das aktive Einfordern eines Ortes, in dem sie leben und von dem aus sie handeln kann. Insofern ist das ‘du msstÂ’ doppelt zu lesen: Einerseits als Aufforderung nicht darauf zu warten, dass ihr ein Platz in dieser Welt gegeben wird. Andererseits auch als Überlebens-Notwendigkeit. Sullivan schrieb diese Zeile in einer Zeit, in der er sich ebenso wie Liz M. unter Druck sah, sich für den einen oder anderen Geschlechterentwurf zu entscheiden, und in der die Frage nach der Realisierung seines schwulen Begehrens in einer männlichen Position dringlicher wurde. Mit dem Begriff des Einforderns besteht er damit aktiv auf einem Platz für sich als weiblichen Transvestiten mit homosexueller Orientierung oder schwulen Transsexuellen in einer Welt, die ihm eben diese Plätze bestreitet.

Das Eingangszitat verdichtet, worum es in diesem Aufsatz gehen soll: um Eigensinn und Möglichkeiten streitender Subjektivität innerhalb der Bedingungen der Zwangsordnung Sexualität und Geschlecht; einer Ordnung, in der ‘one [the transsexual] is programmed to disappearÂ’ (Stone 1991, 295). ‘Zum Verschwinden bringenÂ’ meint nach Judith Butler nicht nur die nachträgliche Normalisierung ‘vorgängigerÂ’ Geschlechterentwürfe, sondern auch die Regulierung von Sagbarem und Nicht-Sagbarem, die Disziplinierung von Imagination, Begehren, Lüsten und Körperpraxen -- kurzum die Regulierung von Subjektivität und Handlungsformen (Das Argument 242, 2001). Anhand einer Analyse von Sullivans unveröffentlichten Tagebüchern frage ich, wie diese Ordnung konkret ge- und erlebt wird, die den Individuen einen kohärenten Geschlechter- und Selbstentwurf aufbürdet, der real nicht lebbar ist, und die nur spezifische Formen zur ‘Lösung dieses KonfliktesÂ’ zur Verfügung stellt. Mich interessiert, wie dabei Subjektivität als Verhältnis von ‘entworfen werdenÂ’ und ‘sich entwerfenÂ’ gefasst werden kann. Wie ist diese an Bedingungen und Zwänge ihrer Artikulation geknüpft und wie lassen sich darin Bedingungen von (politischer) Handlungsfähigkeit fassen, die wiederum Interventionen in vorstrukturierte Anordnungen ermöglichen?

In doppelten Sinne versteht sich der vorliegende Text als Beitrag zu einer ‘Theorie der GeschlechterverhältnisseÂ’: Er nimmt die Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit für jegliche Auseinandersetzung um Geschlechterverhältnisse zum Ausgangspunkt. Im Anschluss an feministische Diskussionen gehe ich davon aus, dass die Geschlechterverhältnisse geprägt sind durch eine symbolische und materielle Gewalt einer auf Zweigeschlechtlichkeit beruhenden Geschlechterordnung, mit Hilfe derer Unterscheidungen getroffen, Dichotomien und Hierarchien produziert, und legitimiert werden und in historisch spezifischer Weise die Re/Produktion der Gesellschaft (mit) reguliert wird. Zweigeschlechtlichkeit meint dabei die gesellschaftliche Verfasstheit, in der es nur zwei Geschlechter gibt, die als naturgegeben und unveränderbar gedacht werden, die sich akkurat voneinander abgrenzen lassen und doch heterosexuell ergänzen sollen. Aus der Annahme, dass diese moderne Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit ökonomische, politische, soziale, kulturelle und biologische Wirklichkeiten (mit-) strukturiert, folgt, dass diese nur zu begreifen sind, wenn sie immer auch als zweigeschlechtlich und heteronormativ geordnete und durchgesetzte in den Blick genommen werden. Andernfalls werden die in und durch die Verhältnisse produzierten ‘GewissheitenÂ’, Wissensformen und hierarchischen Anordnungen einfach und unbewusst reproduziert. Diese ‘KonstruktionÂ’ der Zweigeschlechtlichkeit besteht jedoch nicht allein in der hierarchischen Anordnung zweier Geschlechter. Eine Dimension der Durchsetzung dieser Ordnung als Ordnungssystem liegt in der Herstellung von geschlechtlichen Normen (als Frau oder Mann) und ihren Abweichungen, in der konstitutiven Verwobenheit von Zentrum und Rändern begründet. Es handelt sich um eine verfügende Anordnung, ein Dispositiv diskursiver und nicht-diskursiver Praxen, in dem die Individuen positioniert werden und ‘BevölkerungÂ’ reguliert wird. ‘GeschlechtÂ’ -- und in Konsequenz die Art und Weise wie (Hetero-) Sexualität und Fortpflanzung darin gefasst wird und regulierend wirkt --, ist hierbei immer als Resultat gesellschaftlicher Kämpfe zu sehen. Ich stimme mit Frigga Haug überein, dass Geschlechterverhältnisse immer im Plural zu fassen sind, denn die ‘SingularisierungÂ’ hieße, aus der historisch spezifischen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen als Geschlechterdifferenz -- der Differenz zwischen zwei vermeintlich gegebenen Geschlechtern -- eine überhistorische Naturtatsache zu machen.

Innerhalb der Debatten der letzten Jahre um die Bedeutung der Zweigeschlechtlichkeit für die Re/Produktion der Geschlechterverhältnisse wird u.a. in konkreten Feldern der gewaltförmigen Durchsetzung der Geschlechterordnung und entsprechenden Regulierungsweisen nachgegangen. Indem ich die Regulierung von Subjektivität bzw. das ‘SubjektÂ’ (hier das transgeschlechtlich lebende) ins Zentrum rücke, -- nicht als abstrakte Größe, sondern als konkret gelebtes, dialektisches und unabgeschlossenes ‘Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse ‘- kritisiere ich zugleich diejenigen ‘konstruktivistischeÂ’ Theorieansätze, in denen ‘GeschlechtÂ’ und Transsexualität zum Bewusstseinsphänomen wird oder aber eine gesellschaftliche Dimension -- i.d.R. die Medizin -- gewissermaßen deterministisch beschworen und mit dem Sozialen kurzgeschlossen wird. Wie Zweigeschlechtlichkeit als Ordnungssystem von Subjektivität und Bevölkerung operiert, wirkt und wie diesem widersprochen wird, lässt sich nur konkret überprüfen. Aus der Perspektive des um ‘GeschlechtÂ’ ringenden Sullivan lassen sich die materielle Kraft der Zurichtung sowie widerständige Aneignungen, kontextspezifische Normalisierungsanforderungen und konflikthafte Aushandlungspraxen konkreter ausbuchstabieren. So soll theoretisch und politisch Raum entstehen für auch über das individuelle Subjekt hinausgehende widerstreitende Praxen.

Einigen Thesen zum Regime der Zweigeschlechtlichkeit folgen knappe methodische Überlegungen zum Umgang mit Tagebüchern und schließlich die Arbeit mit dem Material.

#u# Die Zwangsordnung Geschlecht und Sexualität als Ordnungssystem von Subjektivität

In den letzten Jahren wurde durch feministische, lesbisch-schwule und queere Forschung das Regime der Zweigeschlechtlichkeit als problemgeschichtlicher Kontext entfaltet, auf dem sich das ‘Problembündel GeschlechtÂ’ sowie Kämpfe um transgeschlechtliche Existenzweisen und Praktiken der Selbstbehauptung (aus)bilden (können und müssen). Hier zeigt sich, dass weder das Regime der Zweigeschlechtlichkeit noch die Kategorien der Transsexualität, der Homosexualität oder des Transvestismus natürlich, überhistorisch und unproblematisch sind. Im Anschluss an Foucault (1980, 1983) lässt sich diese konstitutive Verwobenheit der Zweigeschlechtlichkeit mit "ihren" AbweichungenÂ’ herausarbeiten . Die Hervorbringung geschlechtlicher Abweichungen als spezifischer Diskurs- und Existenzformen insbesondere in und durch den medizinischen und (sexual-) wissenschaftlichen Diskurs und die sich darin begründende -- spezifisch moderne -- Medikalisierung des Geschlechts und seines Wechsels sichert, so lässt sich die Forschung zusammenfassen, Zweigeschlechtlichkeit als hegemoniale Ordnung. Sie bilden das konstitutive Außen einer Kultur, die die ihr eigenen Irritationen verdrängen muss. Man könnte sagen, dass in diesen Abweichungsformen die Pathologien und die Konflikte der zweigeschlechtlichen Ordnung quasi zwischengelagert sind.

Daher ist es folgerichtig, auch Transsexualität als diskursives Regime in den kulturkritischen Blick zu nehmen, da sich hier Konflikte um die zweigeschlechtlichen Ordnung und ihre Regulierung studieren lassen. Neben dieser eher kulturtheoretischen Auseinandersetzung bedeutet dies zugleich die Verabschiedung vom Paradigma einer Minderheitenforschung . Statt dessen wird der Blick auf das soziale Ordnungssystem der Zweigeschlechtlichkeit gelenkt.

Folgen wir Foucault und Butler, findet die Formierung von Subjektivität nicht nur als Unterwerfung unter vorgegebene Subjektformen (der beiden Geschlechter und hier der Transsexualität) sowie Anordnungen (der Notwendigkeit sich zu entscheiden) statt. Subjektivität muss vielmehr als Verhältnis von Unterwerfung und Ermöglichung (Handlungsfähigkeit) begriffen werden. Das Einklagen eines transsexuellen Status (vgl. die in den siebziger und achtziger Jahren veröffentlichten Auto/Biografien von Transsexuellen) -- artikuliert eine Gleichzeitigkeit: einerseits die diskursive Unterwerfung unter die Bedingungen der Medizin als einer der Institutionen, die die herrschende geschlechtliche Identitätslogik bündelt und durch Individualisierung eines gesellschaftlichen ‘ProblemsÂ’ durchsetzt, andererseits die Möglichkeit, durch diese sozial legitimierte Form des Geschlechtswechsels existieren zu können. Die Dokumente transsexueller Männer und Frauen zeigen, dass es außerhalb dieser legitimierten Form des Geschlechtswechsels wenig sozial lebbaren bzw. vermittelbaren Raum gibt, Geschlechtermodelle zu leben, die quer zu den distinkten Positionen von Frau und Mann liegen. Umgekehrt heißt das aber nicht, dass der Raum ‘zwischen den GeschlechternÂ’ unbewohnt, dass der soziale Raum lückenlos vernäht ist (vgl. Hark 1998).

Ein Teil der feministisch queeren Forschungsliteratur, die sich der Problematik der Zweigeschlechtlichkeit am Beispiel der Transsexualität annimmt, beleuchtet das komplizierte Verhältnis von Subjektivität und Medizin merkwürdig wenig und bewegt sich auf der Folie von Voluntarismus versus technologischem Determinismus. Anhand Bernice Hausman (1995) möchte ich folgendes Problem in der bestehenden Theoriebildung verdeutlichen, wenngleich es selten so zugespitzt wird: In der Kritik an der Naturalisierung von Geschlecht wird linear von der Definitionsmächtigkeit der Medizin (und anderer wissenschaftlicher Diskurse und Praxen) auf die von ihr betroffenen Subjekte in verkürzt konstruktivistischer bzw. diskursanalytischer Weise geschlossen. Transgeschlechtliche Subjektivität wird ununterscheidbar von medizinischen Konstrukten, Transsexuelle werden zu übereifrigen Konstrukteuren der Zweigeschlechtlichkeit. Wenngleich Hausman anfangs betont, dass es ihr nicht um Transsexuelle gehe, sondern um Transsexualität als offiziellem Diskurs der Medizin und Sexualwissenschaft (xi), gibt sie diese Prämisse später (im Kapitel ‘Demanding SubjectivityÂ’ ) auf. Transsexuelle Subjektivität artikuliert sich für Hausman ausschließlich im ‘demand for sex changeÂ’ und im Bestehen auf einer ‘gender identityÂ’ (110). Weil dies aber von der Medizin geschaffene ideologische Begriffe sind, schließt sie, dass es ausreicht, Diskurse der Mediziner zu lesen, um Subjektivität von Transsexuellen zu fassen (ebd.). In ihrer Lektüre dieser Texte wird der/die Transsexuelle zu einem verblendeten Opfer des medizinischen Apparates -- ‘dupes of genderÂ’ (140) -- eine Diskurskategorie des medizinischen Diskurses über natürliche Geschlechtsidentität. Da Transsexuelle aber nach Hausman ihre Subjektivität im ‘demand of sex changeÂ’ einfordern, werden sie von ‘Objekten und OpfernÂ’ zu reaktionären, angepassten Subjekten, die sich der Medizin und der Ideologie eines heterosexistischen Geschlechterdiskurses ausliefern (ebd.).

Auch wenn die Definitionsmacht von Medizin und Sexualwissenschaft unbestreitbar ist, greift Hausmans ‘DiskursanalyseÂ’ zu kurz. Problematisch sind ihre Reduktion des Sozialen auf die Medizin sowie ihrÂ’SubjektverständnisÂ’. In ihm fehlt ein transsexuelles Subjekts, das an sozialen Zwängen und medizinischen Vorgaben leidet und zugleich ein Subjekt mit Glücksmomenten ist aufgrund gelungener Selbst-Repräsentationen und der Realisierung von Wünschen -- u.a. durch einen strategischen Einsatz von Diskursen gegenüber ‘der WeltÂ’. In der Konsequenz fehlt ihr ein Konzept, dass das Verhältnis zwischen mühseligem Erstreiten einer lebbaren Subjektivität und ihrer gesellschaftlichen Regulierung fasst. Da sie so weder nach den jeweils spezifischen Funktionen von Vergeschlechtlichung in konkreten gesellschaftlichen Kontexten noch nach spezifischen Lebensbedingungen fragen kann, bürdet sie Transsexuellen als individuellen Subjekten die Aufgabe auf, durch ein Abschwören von Geschlecht Zweigeschlechtlichkeit zu revolutionieren, wie Henry Rubin in einer Kritik an Hausman formuliert (1998). In dieser Vereindeutigungsbewegung stellt sie widersprüchliche, sich verändernde und nach Realisierung in sozialen Beziehungen strebende Praxen sowie das Soziale als ein Ensemble von Verhältnissen gnadenlos still. Die/der Transsexuelle, die sich solch politisch überdeterminierter oder moralisierender Sinngebung entzieht oder entziehen muss, wird durch die jeweilige ‘SubjektformÂ’ zu einem den Normen unterworfenem Subjekt und erneut zum konstitutiven Außen von Theorie und (queerer) Politik (Brandenburg, 2001). Zwar ist dieses Bemühen, der Wirkmächtigkeit diskursiver Anordnungen und der Formierung von Subjektivität (abstrakt-theoretisch) nachzugehen, für kritische Theoriebildung wichtig . Allerdings werden die verschiedenen analytischen Ebenen -- gesellschaftliche Regulation von Zweigeschlechtlichkeit, Durchsetzung über spezifische Institutionen und gesellschaftliche Praxen, soziale und subjektive Aneignung und Aushandlung -- tendenziell als Determinierungsverhältnis kurzgeschlossen, anstatt sie in ihrer relativen Autonomie zu denken und den Raum für widerstreitende Praxen zu öffnen. Das komplexe Vermittlungsverhältnis zwischen Sozialität und Subjektivität, die Prozesse der Aushandlung von Unterwerfung, Selbstunterwerfung und Entunterwerfung und so die Frage nach Veränderungsmöglichkeiten, die die Subjekte zum Ausgangspunkt nimmt, bleiben unerforscht..

Um soziale Handlungsspielräume, Bruchstellen und Regulierungsweisen genauer zu fassen, scheint es mir notwendig, das ‘Ringen um GeschlechtÂ’ aus der Perspektive des ‘SubjektsÂ’ ins Zentrum zu stellen. Wie lässt sich Bewegung Rechnung tragen, ohne die individuellen Übersetzungen jenseits der Bedingungen zu fassen, die diese formen und hervorbringen? Die unveröffentlichten Tagebücher von Louis G. Sullivan (1961-1991) bieten dafür eine ausgezeichnete Möglichkeit. Anders als in den im Nachhinein geschriebenen Autobiographien und den Berichten von Medizinern, die Hausman und vielen anderen als primäre Materialien dienen und in denen Konflikte und Widersprüche, Ambivalenzen und Ungleichzeitigkeiten zugunsten einer mehr oder weniger vereindeutigten Vergangenheit eingeebnet werden, ist ein Tagebuch Ort alltäglicher Aushandlungspraxen, die sich zudem über die Zeit verändern. Widersprüchliche Erlebnisse und Erwartungen, bisherige Sinnkonstruktionen und ihre Brüche, das Ausloten von Handlungsmöglichkeiten, Erfahrungen von Grenzen aber auch Möglichkeiten werden sichtbar. In der Tagebuchdiskussion lassen sich gesellschaftliche Denkformen, Diskursverknüpfungen und verfügende Institutionen wie auch Widerstreit und widerständige Bewegungen ausmachen. Dabei geht es nicht darum, das Tagebuch als authentischen, von allen Zwängen befreiten Ort zu fassen. Sullivans Tagebuch entspricht einem diaristischem Selbstverständigungs- und damit Selbstvergewisserungstext (Foucault 1993; Hahn/Knapp 1987; Nussbaum 1993; zur Nieden 1993). Es ist ein Ort, an dem konflikthafte Situationen gedeutet und Lösungen angedacht werden. Das Schreiben findet insofern innerhalb eines hegemonialen Rahmens statt: Das Tagebuch ist Ort deutender Selbstbeobachtung, die im Konflikt verschiedener Diskurse und Praxen der Konstruktion eines sinnhaften Selbst sowie lebbarer Praxen in der Welt dient (vgl. auch Prosser 1998) und in der Intensität des Selbstbezugs mit spezifischen Konzeptionalisierungen des ‘IchsÂ’ einhergeht (zu Nieden 1993).

#u# Vereindeutigungszumutungen

Sullivan, der sich Mitte der sechziger Jahre der ‘sex and gender bendingÂ’ Gegenkultur und ab 1973 der Homo-Bewegung der USA im Mittleren Westen angeschlossen hatte, definierte sich zunächst als weiblicher Transvestit mit schwuler Orientierung. Nach einer einige Jahre erlebten und umkämpften ‘UmbruchphaseÂ’ möglicher Positionen begann er sich 1979/80 als schwuler Transsexueller neu zu verorten. Er wandte sich an medizinische Institutionen, von denen er zunächst aufgrund seiner schwulen Orientierung abgelehnt wurde. 1986 unterzog er sich der geschlechtsangleichenden Operation. 1991 starb Lou Sullivan mit 39 Jahren an den Folgen von AIDS. Neben seinen Aktivitäten und Publikationen innerhalb der Homo-Bewegung zu Transsexualität und Transvestismus hat er seit Ende der siebziger Jahre mit dem Aufbau sozialer Netzwerke begonnen. 1986 gründete er die erste bis heute existierende kontinuierliche Gruppe für transgeschlechtlich lebende Männer, FTM International. In den letzten Jahren seines Lebens widmete er sich besonders der Auseinandersetzung mit sexualmedizinischen Institutionen mit dem Ziel, die Anerkennung von Homosexualität durch MedizinerInnen als legitime ‘OrientierungÂ’ Transsexueller zu erreichen (vgl. auch Stryker 1999).

Bei den Tagebucheinträgen Anfang der siebziger Jahre ist Sullivan zwischen 20 und 23 Jahre alt. Seit sie 15 ist, ist ihr Begehren nach schwulen Männern, ihr Begehren als schwuler Mann zu leben und die Fragen, die das für ihr Geschlecht aufwirft, Thema im Tagebuch. Die Gegenkultur der sechziger Jahre, die ihr zeitweise den Ort des Experimentierens mit Geschlechtern und Sexualitäten und die Möglichkeit bot, Geschlecht und Begehren nicht in eine logische Kette bringen zu müssen, verschwindet Anfang der siebziger Jahre in Milwaukee. Wenngleich ihre Beziehung zu Jim, einem bisexuellen Mann, Verhandlungsraum für Umdeutung bietet -- das ‘SpielÂ’ mit den Geschlechtern und die Frage nach der Definition der Beziehung als schwule Beziehung ist von Anbeginn vorhanden -- wird ihr Begehren ‘ortlosÂ’ und schwieriger sozial umzusetzen. Sie ist schmerzhaft damit konfrontiert, dass es niemanden ‘so wie sieÂ’ gibt. Indem sie an Lust und Begehren festhält, wird dieses Begehren bzw. sie selbst zu einer Perversion. Deutlich wird dies, als sie ihr Gefühle zu einem Film schildert, in dem Mick Jaggar einen bisexuellen Mann spielt
But the role Jaggar played turned me on so -- I could identify with a bisexual male, that's how fucked I am that I had possibly the most satisfying sex contact with Jim that nite I've ever had. There's so much written about all kinds of sexually weird people but a female who imagines herself as a bisexual male is way beyond anything I've ever read. And so how do I cope with myself? (13.1.1971)
Mit dem Eintritt 1973 in die Gay People's Union schafft sie sich einen neuen Existenz-Ort. Sie/er baut sich einen Freundeskreis und aktivistischen Kontext um die GPU herum auf. Die Tunten, transsexuellen Frauen und schwulen Männer werden zu seinem Hauptbezugsfeld, durch das er die schwule Subkultur kennenlernt. Als weiblicher Transvestit mit schwuler Orientierung und ohne Vorbild, so die Selbstbeschreibung, entwirft er sich in die schwule Subkultur hinein und hat mit der Zielstrebigkeit seines Tuns gelegentlich auch im Sex Erfolg. So beschreibt er ausführlich, wie er den ersten sexuellen Kontakt zu einem schwulen Mann hat und dies genießt (18.9.1073). Die Position des Geschlechts bleibt darin aber notwendig ambivalent und konflikthaft. Auch wenn es ihm aktiv gelingt, ‘to get a gay man and make love to himÂ’ (ebd.), bleibt Sullivan damit konfrontiert, dass er für den Partner ein ‘MädchenÂ’ bleibt. Zwar begreift Sullivan den Sex von seinem Selbstverständnis her als schwulen Sex, doch er weiß, dass er darauf setzen muss, dass sein Partner bereit ist, mit ihm als Frau Sex zu haben. Sein Geschlechterentwurf als Transvestit oder Mann bleibt dementsprechend unausgesprochen. Auf das Unwohlsein des Partners, als schwuler Mann nach fünf Jahren wieder mit einer Frau ins Bett zu gehen, denkt Sullivan eben nur bei sich, dass ‘as far as IÂ’m concerned, if he went with me he wouldnÂ’t be breaking his recordÂ’ (ebd.).

Die schwerlich zu lösenden Widersprüche, hier zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, werden immer wieder relevant und werfen ihn in die Position des ‘fitting nowhereÂ’, lassen das Gefühl entstehen, eine ‘non-personÂ’ zu sein, wie er an anderer Stelle schreibt (16.10.1974). In der Zwischenzeit hat sich Sullivan in das Thema einzulesen versucht, und das Problem mit FreundInnen erörtert. Das Austesten der Gender Identity Clinics ist eine, wenn auch nicht eindeutige Option geworden. So sagt er, ‘I don't want to temper with my bodyÂ’ (ebd.) und sich auf die Logik der Medizin und ihrer Versprechungen einzulassen, hieße, ‘to actualize my fantasies of being a guy, I could never beÂ’. Dabei wird bisweilen das Leiden an der Unmöglichkeit, sein schwules Begehren zu realisieren und sich von dieser Position aus mit anderen Männern in Beziehung zu setzen, zu etwas, dass er sich in der eigenen Interpretation nur im Kopf 'aufgebaut' hat, verursacht durch das zu viele Lesen -- wahrscheinlich -- sexualmedizinischer Literatur, denn etwas anderes gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Literatur, so scheint es, ermöglicht nicht nur eine Option, sondern auch einen neuen Selbstentwurf, der zugleich unmöglich ist.

In dieser Situation bietet sich die Medizin nicht als Lösung seiner Konflikte an. Während diese zwar als institutionalisierte Instanz die Möglichkeit verspricht, Unterstützung in der Aushandlung eines Konflikts zu finden, der alleine bzw. in dem gegenwärtigen sozialen Beziehungsgefüge sich als immer unlösbarer darstellt, formuliert Sullivan gleichzeitig sein Misstrauen gegen die regulierende Macht dieser Stimme. Dabei ist diese Macht nicht buchstäblich zu nehmen, sie wirkt als regulierender Diskurs, der einen neuen Geschlechterentwurf formen lässt, der dann aber, in dem was er verspricht, doch nicht zu realisieren ist. Wenn er schreibt: ‘I'm not trying to actualize my fantasies of being a guy which I know I never could, even if I was taking hormones etc. I'd still never be the guy I wish I was.Â’ (ebd.), scheint dies gerade Aufforderung an sich selbst, der Macht nicht zu viel Raum zu geben und die Kontrolle über die eigenen Lebensentwürfe zu behalten.

Sullivan artikuliert hier Versuche, innerhalb enger Möglichkeitsräume Phantasien eines anderen Lebens zu entwickeln, die über die vorgegebene Zwei-Geschlechter-Ordnung hinausreichen. Gewissermaßen von unten -- in der Aneignung schwul-lesbischer Subkultur und Politik -- versucht Sullivan, sich in die Verhältnisse einzuarbeiten und passend zu machen. Sich Passend machen bedeutet hier nicht, eine der beiden zugeschriebenen Geschlechterpositionen einzunehmen, sondern sich in und an den Bruchstellen der zweigeschlechtlichen Ordnung zu orientieren, diese für sich zu nutzen, um seinen Wünschen nach sozialen Beziehungen eine Form zu geben und sie für sich umzuarbeiten. Diese Praxen der Selbstvergesellschaftung stoßen dabei aber immer wieder an Grenzen. Sei es, weil seine Wahrnehmung von sich nicht der anderer entspricht, sei es, weil er die ‘OrientierungÂ’ verliert oder weil sein Tun unbeabsichtigte Folgen (neue Wünsche und Selbstentwürfe) zeitigt, was andere Praxen erfordert. Sullivan verhandelt so ein konstantes Wechselspiel zwischen der positiven Besetzung eines Lebens als ‘half & halfÂ’ (1.11.1974), aus dem Bewegung entsteht, die die Zwei-Geschlechter-Ordnung überschreiten kann, und dem ‘fitting nowhereÂ’ (13.1.1971), das sich immer darin begründet, dass er durch seine Praxen aus der Zwei-Geschlechter-Ordnung herauskatapultiert ist. So entfaltet sich diese Ordnung für ihn als Double Bind: Es gibt den Bedeutungsverlust der Zweigeschlechtlichkeit und eine oft haltlose Verortung jenseits davon, gleichzeitig die Einsicht oder Angst davor, dass mit dem ‘AbreissenÂ’ einer der beiden Seiten sich der eigene Unort, als Möglichkeit der Existenz, auflöst .

Diese radikal kontingente (nicht beliebige!) Existenzweise fordert Sullivan einen permanenten Akt der Selbstreflexion ab. Wenn es keine -- oder nur sehr prekäre -- Haltepunkte im Koordinatensystem Zweigeschlechtlichkeit gibt, steht er vor der Herausforderung, immer wieder auf sich zurückgeworfen zu sein und sich bewusst zu sich und anderen ins Verhältnis setzen zu müssen. Dabei geht es nicht um Reflexion an sich. Sie ist auf soziale Praxen, ein ‘in der WeltÂ’ ausgerichtet, entfaltet aber in dem Prozess auch eine Eigendynamik. Wenn z.B. seine Wünsche als nicht realisierbare Phantasmen und als Verkennung von Realitäten verhandelt werden, ist weniger eine Kritik an denjenigen Verhältnissen impliziert, die ihn zwingen, sich stetig neu zu befragen. Vielmehr richtet sich die Kritik gegen ihn selbst. Zwar ist in Sätzen, in denen er sich auffordert, sich nicht komplizierter zu machen, der Versuch zu lesen, dem Diskurs und der Realität der Zweigeschlechtlichkeit die Wirkmacht abzusprechen und sich nicht in ‘DenkübungenÂ’ zu ergehen. In paradoxer Weise jedoch verlagert sich dabei der gesellschaftliche Konflikt. Er wird zu einer Frage individueller Fähigkeit, ermöglicht aber gleichzeitig ein Tun ‘in der WeltÂ’, das damit auch die ‘WeltÂ’ mit seinem Tun konfrontiert.

Das Spannungsverhältnis zwischen Ermöglichung und Unterwerfung, Handlungsfähigkeit und Ohnmacht, Konfrontation und Reibung -- und auf einer anderen Ebene: Geschlecht und (Homo-) Sexualität -- bleibt Sullivan sein Leben lang erhalten. Allerdings verschiebt es sich immer wieder. Dies lässt sich jedoch nur genauer fassen, wenn wir Sullivans Versuchen, eigensinnige Praxen zu entwickeln, weiter nachgehen und über die ‘MedizinÂ’ hinaus denken.

Nach Sullivans Umzug nach San Francisco 1975 bieten sich ihm hier zwar einerseits mehr Möglichkeiten, seinen Lebensentwurf zu leben, andererseits bricht ihm sein relativ stabiler -- wenn auch prekärer -- Kontext aus Milwaukee weg: FreundInnen, sozio-politische Betätigung und Austausch, ein Arbeitsplatz und Orte der Geselligkeit. Das Leben in der Ambiguität wird zunehmend schwierig, als sich auch noch die Jobsuche als fast unmöglich gestaltet. Diese Veränderung im sozialen Gefüge erfordert eine radikale Neuverhandlung der Situation und möglicher Strategien ihrer Gestaltung.

In den folgenden zwei Jahren problematisiert er immer wieder die sozialen Effekte des Lebens in der Ambiguität. Weder ist es ihm möglich und wünschenswert, als ‘Frau durchzugehenÂ’, noch ist der Wunsch, als schwuler Mann zu leben, eine zu der Zeit umsetzbare Option. Es wäre ein Leben in einer anderen Norm, ohne Vergangenheit und eins, in dem er fürchtet, zum ‘screaming swishy faggotÂ’ (5.8.1976, einer kleinen schreienden Tunte) zu werden. Und so lastet ein permanenter Druck auf ihm, sich entscheiden zu müssen und dies gleichzeitig nicht zu können. Deutlich wird in diesen Auseinandersetzungen die Notwendigkeit, eine Position einnehmen zu können, von der aus Situationen und soziale Beziehungen gestaltet werden können, die die Möglichkeit der Selbstrepräsentation lassen. Er bewirbt sich an der Stanford Gender Identity Clinic, zieht aber kurz darauf die Bewerbung zurück und entscheidet sich, wieder als Frau zu leben. Ein Jahr später schreibt er bzw. sie, dass auch dieses Leben ihn nicht glücklich mache, und reflektiert die Bedeutung des Cross-Dressing:
I've been feeling so void (...) abandoning cross-dressing (...) And now I finally see that when I began full dressing 3 years ago, I did not seriously consider the inevitability of one day having to stop, to go back to women's shit. I had not planned, seen what I was doing in the long run. It was not irreversible (...) I did it so easily.
Und etwas später fügt er hinzu:
because one is into S & M does not mean they have to live the rest of their lives in leather. It is meant for one thing only. (...) and so maybe I should be a private cross-dresser only as it was the public display & confrontations that made it uncomfortable for me (...) to save it for 'special field trips', occasions when I want to pass. Instead of feeling I must pass. (24.6.1977)
Sullivan artikuliert hier rückblickend ein Gefühl von Ohnmacht. Er schreibt im Kontext, dass sich die Praxis des Full Time Cross-Dressing für ihn so nicht realisieren ließ, er aber als Wunsch daran festhält. Seine Interpretation des Konfliktes ist dass er, als er sein Vollzeit Cross-Dressing begann, nicht darüber nachgedacht habe, dass er damit auch wieder aufhören müsse; so nimmt er den Konflikt -- ‘the public display and the confrontations that made it uncomfortable for meÂ’ -- quasi als Zwangslogik nach innen. Die sich an seine Interpretation anschließende Unterscheidung zwischen etwas zu tun und etwas zu sein erlaubt ihm ein Selbst-Weltverhältnis, das ihm ein gewisses Maß an Selbstbestimmung gibt. Denn wenn Cross-Dressing als temporäre und private Praxis bestimmt ist, ist sie auch immer wieder neu zu entscheiden. Der Wunsch, als ein anderes Geschlecht durchzugehen, kann aus dem Diskurs und den sozialen Konflikten gelöst werden, die ihm abfordern, die Lebensentscheidung zu treffen, die er nicht treffen kann. Das, was der eigenen Verfügbarkeit entzogen ist, wird nur durch eine ‘PrivatisierungÂ’ von Wünschen und Handlungen gestaltbar.

Es ändert sich der Schreib-Stil. Sullivans Berichte richten sich zunehmend auf sein Tun ‘in der WeltÂ’. Das Ringen um den ‘richtigenÂ’ Selbstentwurf wird nunmehr primär als Blick auf Vergangenes erzählt. Nur noch notiert werden Entscheidungen, z.B. sein Cross-Dressing wieder Vollzeit aufzunehmen, oder dass er eine Kontaktanzeige in der schwulen Zeitschrift The Advocate aufgibt und Mitglied bei den Golden Gate Girls/Guys wird, eine der ersten sozialen Transgender Organisationen, die weder strikt nach Geschlechtern noch zwischen Transvestiten und Transsexuellen trennt. Er nimmt seinen Aktivismus wieder auf, beginnt, alte Artikel neu zu publizieren, neue zu schreiben.

Er entscheidet sich etwas später, als schwuler transsexueller Mann zu leben, löst diese Entscheidung aber von den rigiden Normalitätsanforderungen der offiziellen Transsexualität . Er muss nicht jetzt und für immer wissen, ob er eine Operation will, ob er die jetzt gewünschten Hormone später wieder absetzen will und wie er auf Dauer sein Leben gestalten will. ‘TranssexualitätÂ’ ist eine auch gestaltbare Form geworden, die seinem erfahrenen Leben gemäß der Veränderungsfähigkeit und Konflikthaftigkeit von ‘GeschlechtÂ’ Rechnung tragen kann und muss. Transsexualität so zu fassen, bedeutet aber, in eine direkte Konfrontation mit der Institution der Medizin zu gehen, was seinen Aktivismus der achtziger Jahre bestimmt. Es bedeutet ebenso, sich in seinen sozialen und sexuellen Beziehungen der ständigen Reibung von Selbst- und Fremdwahrnehmung zu stellen, sowie das Gegenüber mit der Sozialität von Geschlechterkonstruktionen zu konfrontieren.
One of the thoughts that saddened me, when crossdressing only, was that if I got together with a gay man, I would have to turn him heterosexual in order to have a relationship with me. I am so proud, and isn't it wonderful, that T. had to turn homosexual in order to have a relationship with me! That he had to present himself as a gay man(...). Just for that fact, my whole sex change was worth it! (27.7.1987)

#u# Resümee

Sullivans lebenslanges Ringen um lebbare Geschlechter- und Lebensentwürfe erzählt eine komplexe Geschichte. Es zeigt, dass (seine) Subjektivität und seine Praxen nicht nur durch spezifische -- pathologisierende -- Diskurse von Geschlecht und Sexualität, sondern auch gerade in Opposition und Konflikt zu diesen aktiv herausgebildet sind. Dabei war seine Aktivität nicht gegen die Medizin an sich gerichtet. Er blieb gemessen an der Zeit, die ihn hervorgebracht hat, im medizinisch-sexualwissenschaftlichem Diskurs und forderte primär den Einschluss schwuler transsexueller Männer in ihre Kategorien. So ist ihm am Ende seines Lebens gelungen, als schwuler Mann wahrgenommen zu werden, wenig befragt bleibt aber das Machtverhältnis, das dieses ermöglichte: die Autorität der Experten, über die ‘Wahrheit seiner ExistenzÂ’ zu entscheiden (Stryker 1999). Zugleich aber hat er mit seinen Aktivitäten der Sichtbarkeit und der Etablierung von Netzwerken zur Formierung der Transgender Bewegung beigetragen, die nun eine Kritik an der Medizin formuliert, die sich Sullivan wahrscheinlich nie hätte vorstellen können: ‘mit Geschlechtsidentitätsstörungen genau das zu machen, was die Homo-Befreiungsbewegung mit Homosexualität getan hatÂ’ (ebd. 79, Übersetzung C.G.): sie aus dem psychiatrischen Krankheitskatalog zu streichen.

Sullivans Tagebuch artikuliert, dass die erstrittene Formierung von Subjektivität immer in Überschneidung mit anderen Diskursen im Verhältnis zu sozialen Möglichkeitsräumen jenseits der Medizin stattfindet und zum Ort werden kann, von dem aus weitergehende, in das Soziale eingreifende Praxisformen entwickelt werden. Die Aneignung von Aspekten des schwulen Diskurses, der Befreiungsrhetorik sowie der queeren Aufbruchstimmung der frühen siebziger Jahre erlaubte es Sullivan, sich als Teil der schwulen Subkultur zu entwerfen. Später war es der Diskurs von Diskriminierung, durch den er seine Kritik an der Medizin selbstbewusst artikulierte. Die Formierung einer schwulen Position diente auch als strategischer Haltepunkt in der transsexuellen Position, wenn diese auch prekär blieb, zur sozialen Unmöglichkeit zu werden drohte, ihn eben als schwulen Mann unintelligibel machte und als Frau vereindeutigte.

Die paradoxale Konfliktsituation von Transsexuellen -- hier als Begriff für all diejenigen, die der geschlechtlichen Norm, dass das so genannte biologische Geschlecht dem sozialen entspricht und ein spezifisches sexuelles Begehren zur Folge hat, nicht entsprechen können/wollen -- legt eine intensive Reflexion und Selbstbegründung nahe (Lindemann 1993). Paradox ist, dass es Angebote gibt, diese geschlechtliche Norm immer wieder herzustellen, es aber nie gelingen kann und es einen permanenten Rückverweis darauf gibt. Wie wir gesehen haben, ist dabei das, was Geschlechtswechsel heißt, nicht unbedingt der zentrale Punkt. Vielmehr ist die Verschiebung des Selbst-Weltverhältnisses zur Frage um die ‘richtige IdentitätÂ’ wesentlich. Dabei darf über Wechseln oder Umgestalten der Geschlechterposition -- so die Botschaft auch über Sullivan hinaus -- eben nicht einfach so entschieden werden. Die Rekonzeptionalisierung der Entweder-Oder-Entscheidung als immer neu zu bestimmende Praxis sowie die Veränderung sozialer Austauschbedingungen führten Sullivan aus diesem pathologisierten ‘auf sich zurückgeworfen seinÂ’ heraus. In paradoxer Weise musste er sich darin als selbstbestimmendes Subjekt entwerfen, das das Cross-Dressing und die Transsexualität vermeintlich jenseits von sozialen und diskursiven Bedingungen zu einer persönlichen Entscheidung machte.

Sullivans Tagebuch ist insofern Verhandlungsort von verschiedenen ‘Vereindeutigungszu-mutungenÂ’. Mit Hilfe einer spezifischen Konstruktion des Selbst sowie im Kontext spezifischer sozialer Möglichkeitsräume werden diese umgearbeitet (nicht aufgelöst oder transzendiert) und entfalten sich als Heterogenität von Anforderungen und sozialen Praxen. Dass diese Umarbeitungen alles andere als ‘aus sich selbst herausÂ’ entstehen, sondern eine Aneignung gesellschaftlich zur Verfügung stehender Denkformen sind -- der moderne Selbstentwurf als autonom und sich selbst wissend -, kann deutlicher nicht sein. Interessant ist dabei allerdings, dass dieser ‘moderne SelbstentwurfÂ’ den Effekt produziert, Abstand von der Frage um den ‘richtigen GeschlechterentwurfÂ’ zu nehmen, und Sullivan sich dadurch als handlungsfähig entwirft. Es kann also nicht darum gehen, Sullivans Praxis als ‘falsches BewusstseinÂ’ zu denunzieren, sondern die Frage nach der Produktion und Funktion des subjektiven Sinns aufzuwerfen und Alternativen der Konfliktaustragung nicht im subjektiven zu suchen, sondern in die gesellschaftliche Produktion der Konflikte zu intervenieren.
Die Herausforderung in der Auseinandersetzung mit Transsexualität oder dem ‘Transgender PhänomenÂ’ besteht also darin, Zweigeschlechtlichkeit/Transsexualität als spezifisches -- zutiefst verregeltes -- Regime der Regulierung von Subjektivität und Lebenspraxen zu fassen, das spezifische Formen der Existenz und Möglichkeiten des Eingriffs bereitstellt. Dabei gilt es, das wie von Aushandlungspraxen herauszuarbeiten sowie diese Aushandlungen nie jenseits von konkreten Kontexten, Bedingungen und ihren Funktionen für Subjektivität zu fassen. Dafür ist es notwendig, Transsexuelle als Subjekte in und durch eigensinnige Praxen zu denken, die einen (gesellschaftlichen) Widerspruch lösen müssen, der (individuell) nicht zu lösen ist, aber subjektiv gelöst werden muss. Theoretischer wie methodischer Ausgangspunkt sollte von daher der konkret handelnde Mensch in seiner/ihrer Geschichte von Des-/Identifizierungen und Praxen der Realisierung sein, um aus seiner/ihrer Perspektive, Möglichkeiten und Beschränkungen, in denen er/sie lebt und handelt, zu begreifen (vgl. auch Hofmeister 2001; Roen 2001; Terry 1991). Es geht dabei weder um einen Idealmenschen, der sich von den Regeln der Zweigeschlechtlichkeit zu befreien weiß, noch um die Re-Etablierung eines autonomen, voluntaristischen Subjekts, dem die Zweigeschlechtlichkeit äußerlich bleibt, oder um ein Subjekt, das den Regeln vollständig unterworfen ist. Statt dessen geht es um die Rekonstruktion widersprüchlicher Stimmen und Praxen, die sich mit der Denkfigur Voluntarismus versus Determinismus nicht fassen lassen. Die Formierung der Transgender Bewegung mit ihren vielfältigen Selbstrepräsentationen und Theorieinterventionen ist hierbei als Chance zu begreifen, gemeinsam und im Streit nach den Bedingungen zu fragen, die notwendig sind, um nachhaltig in die Zwei-Geschlechter-Logik einzugreifen. Die Konfrontation mit zu einfachen Emanzipationslogiken wie auch Theoriemodellen ist dafür der erste notwendige Schritt.

#u#Literatur

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