Blair als Vorbild, Gysi als Ausputzer
Vehement warnt der ehemalige CDU-Spitzenkandidat Steffel vor Entlassungen: Dies träfe vor allem die Jungen, Leistungsstarken und die Angestellten aus dem Ostteil der Stadt. Dem Mann ist zu zustimmen.
Das Programm von SPD und PDS heißt New Labour
Nach zügigen Verhandlungen legten SPD und PDS in Berlin pünktlich zum Jahresanfang ihren Koalitionsvertrag vor. Nicht überraschend, gibt es kaum Überraschungen: Einziges "Reformprojekt" des neuen Senats bleibt die Haushaltskonsolidierung, die mit Entlassungen im Öffentlichen Dienst und Finanzhilfen des Bundes bewerkstelligt werden soll.
Als Stadt und Land zugleich ist Berlin in besonderem Maße von den Steuerausfällen im Zuge der momentanen Rezession betroffen. Auch erweist sich die gerade erst mit rund zwei Milliarden Euro vor dem Bankrott gerettete Bankgesellschaft Berlin weiterhin als Fass ohne Boden. So bemängelte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen erst kürzlich zum wiederholten Male die "nicht-risikoadäquate Geschäftspolitik" der Bankgesellschaft beim Immobilienmanagement. Besonders lastete sie dem Vorstand "erhebliche Mängel" bei der Bearbeitung einzelner Kreditengagements an.
Gelddrucken a lá Berlin - aber nur für Bonzen
Trotz Kapitalerhöhung und intensiver Bemühungen fand die Finanzverwaltung bislang keinen Investor für die marode Bankgesellschaft - das Immobilien-Risiko ist einfach zu groß. Um ihr überhaupt eine Zukunftschance zu sichern, beschloss der Senat, alle Altrisiken des Immobiliengeschäfts zu übernehmen - eine Sozialisierung von Verlusten im großen Stil. Dabei handelt es sich nicht - wie zu vermuten wäre - um Geschäfte, die vor dem Platzen der Immobilienblase getätigt wurden, sondern weitestgehend um Engagements der Jahre 1995 bis 2000. In dieser Zeit versuchten die Bank-Töchter IBG und IBAG aggressiv, die bundesweite Marktführerschaft im Vertrieb geschlossener Immobilienfonds zu erringen. Um im hart umkämpften Markt bestehen zu können, bot die Bankgesellschaft umfangreiche Sonderkonditionen wie Mietgarantien mit Laufzeiten von 25 bis 30 Jahren an. Hinzu kommen nun weitere Wertberichtigungen auf die auf Vorrat gekauften Grundstücke und Immobilien.
Ein konkreter Fall mag den Berliner Filz verdeutlichen:
Anfang der 90er Jahre kaufte der spätere Groß-Pleitier Jürgen Schneider die Immobilie der ehemaligen französischen Botschaft an der Nobel-Meile Unter den Linden für über 61 Millionen Euro und belastete sie sofort bei der Bankgesellschaft mit Hypotheken für rund 112 Millionen Euro. Zwischen Kauf der Immobilie und der kurz darauf erfolgten Aufnahme der Hypotheken muss der Wert der Immobilie demnach um über 51 Millionen Euro gestiegen sein. Eine interessante und lukrative Möglichkeit Geld zu drucken. Eingefädelt hatte den Schneider-Deal der damalige Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU und gleichzeitige Vorstandsvorsitzende der Bankgesellschafts-Tochter BerlinHyp Klaus Landowsky. Zur Verantwortung wird er dafür jedoch nicht gezogen. Der Aufsichtsrat der BerlinHyp entlastete ihn für die fraglichen Geschäftsjahre in vollem Umfang. Mehrheitseigner der Bankgesellschaft und somit auch ihrer Tochter BerlinHyp ist bekanntlich das Land Berlin, das nun auch die Restschulden des Schneider-Deals von gut 102 Millionen Euro übernommen hat.
Welche Belastungen in Zukunft noch auf das Land zukommen werden, hält die Finanzsenatorin des rot-grünen Übergangssenats, Christiane Krajewski (SPD), für nicht kalkulierbar. Je nach Entwicklung der Konjunktur und des Immobiliensektors könnten es schnell mehrere Milliarden Euro werden. Zurecht fordert der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf deshalb die Einrichtung eines weiteren parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Der ist eigentlich längst überfällig. Ob sich die PDS jedoch mit dieser Forderung bei der SPD durchsetzen wird, ist mehr als fraglich. Schließlich stellte die Berliner SPD mit Frau Fugmann-Heesing von 1995 bis 1999 die für die Geschäfte der Bankgesellschaft verantwortliche Finanzsenatorin, die auch selbst von 1996 bis 2000 im Aufsichtsrat saß.
In den ersten Januartagen war aber nicht die Finanzmisere Berlins das wichtigstes Thema in der Stadt. Das besondere Interesse galt der Präambel des Koalitionsvertrages zwischen SPD und PDS. Wie nicht anders zu erwarten wird an Mauer, Stacheldraht und Zwangsvereinigung erinnert - und der PDS für ihre "Distanzierung von den Unrechtstaten der SED" ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Präambel enthält daneben für die Berliner Politik bemerkenswerte Eingeständnisse: Erstmals wird offiziell die "massive Deindustrialisierung" beider Stadthälften nach 1989 benannt, auch wenn der überstürzte Abbau der Bundessubventionierung weiterhin gutgeheißen wird. Und selbstverständlich sagt die Koalition "allen Formen von Filz, Vetternwirtschaft und Korruption den Kampf an". Offen wird die Solidarität des Bundes und Länder für Berlin eingefordert. "Solidarität ist keine Einbahnstraße", heißt es vielsagend. Dafür bekennt sich die PDS zwei Sätze weiter indirekt zur "westlichen Wertegemeinschaft" und zum "nordatlantischen Bündnis". Womit eine weitere Hürde für eine zukünftige Regierungsbeteiligung auch im Bund im Ansatz genommen wurde. Da darf es auch nicht weiter stören, dass sämtliche Unternehmensbeteiligungen, die nicht von "strategischer Bedeutung" für das Land sind, verkauft werden sollen, dem Universitätsklinikum der Freien Universität der Geldhahn zugedreht wird (wobei an anderer Stelle des Vertrages der Ausbau des Innovationsstandorts Medizintechnik gefeiert wird) oder mit der Erhöhung der Grundsteuer und einer Konzessionsabgabe auf Wasser allein Mieter und Verbrauer belastet werden.
"Berlin ist ein Sanierungsfall." Dank Krajewski und Wolf wird in Sachen Haushalt Tacheles geredet: "Berlin wird unverzüglich Gespräche mit dem Bund aufnehmen, um die bestehenden Regelungen zur Hauptstadtfinanzierung nachhaltig zu verbessern." Auch wird der Gang nach Karlsruhe nicht mehr ausgeschlossen, um dort Bundeszuschüsse einzuklagen. (vgl. ak 456) Noch bevor allerdings die Gespräche über einen "Berlin-Pakt" richtig anlaufen konnten, weigerte sich Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) demonstrativ, der Hauptstadt finanziell unter die Arme zu greifen. Seit der Steuerreform und den vollmundigen Konsolidierungsversprechen der Regierung Schröder sitzt das Bundesgeld nicht mehr so locker. Hinzu kommen der Absturz der Konjunktur und die immer neuen kostspieligeren Kriege. Der Bundesfinanzminister begründet seine ablehnende Haltung allerdings damit, dass Berlin zunächst eigene Konsolidierungsanstrengungen vorweisen müsse. Das ist natürlich ausgemachter Unsinn. Schließlich wurde seit 1995 gespart, gekürzt und verkauft. Und darauf war die Hauptstadt-SPD auch mächtig stolz. Widersprochen hat die Berliner SPD dem Finanzminister trotzdem nicht.
Allzeit bereit zum (Kröten-)Schlucken und Sparen
Einzig Saar-Import und Lafontaine-Vertraute Christiane Krajewski schloss als Retourkutsche erstmals auch gegenüber der Presse eine Klage beim Bundesverfassungsgericht auf eine bessere Finanzausstattung durch den Bund nicht mehr aus. Zwei Tage später kündigte sie aus "ganz persönlichen Gründen" an, dem neuen Wowereit-Senat nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Immerhin schaffte es die neuerdings geschlossen agierende Berliner SPD, den Konflikte mit der Finanzsenatorin unter der Decke zu halten. Statt dessen vermutete die Berliner Presse, ungenügende Sparbemühungen der neuen rot-roten Koalition habe Krajewski zu diesem Schritt bewogen. In der Tat ist eines richtig: Die anvisierten Kürzungen, die weit über den Personalbereich hinausgehen, werden kaum ausreichen, den Haushalt nachhaltig zu konsolidieren. Wer das will, müsste den halben Öffentlichen Dienst entlassen. Und zwar sofort.
Bis 2006 ist geplant, allein die Personalkosten um über eine Milliarde Euro jährlich zu kürzen. Das sind über 14 Prozent der Personalausgaben. Die eine Hälfte soll über den altersbedingten Abbau von 15.000 Stellen erreicht werden. Die andere Hälfte soll durch Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich und weiteren Gehaltsverzicht der Beschäftigten aufgebracht werden. Das geht aber nur in Absprache mit den Gewerkschaften und zusammen mit der PDS. Nachdem sich die Führung der Berliner SPD in der zweiten Hälfte der 90er Jahre unter Finanzsenatorin Fugmann-Heesing erfolgreich mit den Berliner Arbeitnehmervertretern entzweit hatte, liegt es nun an den Postsozialisten aus dem Ostteil, den neo-korporatistischen Kürzungspakt zu schmieden. Für den Fall aber, dass die Gewerkschaften nicht kooperieren, droht SPD-Chef Strieder bereits jetzt mit betriebsbedingten Kündigungen im Öffentlichen Dienst ab 2004. Vorgesehen für die finanzpolitische Drecksarbeit war kurzfristig sogar Harald Wolf. Als ehemaliger Kassenwart der "Vierten Internationale" bürgt er für die notwendige Seriosität, die von einem Berliner Finanzsenator erwartet wird.
Wie bei der Haushaltskonsolidierung, so wandeln Klaus Wowereit und Gregor Gysi auch in der Sozialpolitik auf den Spuren von Tony Blair: Mehrere hundert Millionen Euro will Rot-Rot bei der Sozialhilfe sparen. Nach dem "Kölner Modell" soll jedem "arbeitsfähigen" Antragsteller auf Sozialhilfe zunächst ein Jobangebot unterbreitet werden. Der SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder bringt es in lupenreiner New-Labour-Diktion auf den Punkt: "Das werden manche nicht als Chance, sondern als Zumutung empfinden." Recht hat er: Wo sowieso keine Jobs zu verteilen sind, wirken solche Maßnahmen als Einfallstor für den erwünschten staatlich subventionierten Niedriglohnsektor. Das Kombi-Lohn-Modell des Kanzlers wird vermutlich noch vor der Bundestagswahl folgen und dem aktivierenden Sozialstaat in Berlin weiteren Schwung verleihen.
Blair als Vorbild, Gysi als Ausputzer
Vehement warnt dagegen der ehemalige CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel vor Entlassungen: Dies träfe vor allem die Jungen, Leistungsstarken und die Angestellten aus dem Ostteil der Stadt. Zudem bestünde die Gefahr, kaum noch qualifizierte Mitarbeiter für den Öffentlichen Dienst zu bekommen, wenn weiter so auf den Mitarbeitern rumgetrampelt würde. Dem Mann ist zu zustimmen.
Es darf gerätselt werden, in welchem Maße sich die PDS nun von ihren Milieus und Wählern entfremden wird. Bei der De-Fakto-Zustimmung zum Flughafen-Standort Schönefeld ist die Empörung der Anwohner und treuen PDS-Wähler bereits riesengroß. In der Vergangenheit konnte sich die PDS bei den Kürzungen der großen Koalition als soziales Gewissen und ehrlicher Makler links der Sozialdemokratie verkaufen. Jetzt muss sie als "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" selbst tiefe Einschnitte verantworten.
So wie SPD und PDS Konsolidierung und Reformpolitik vortäuschen, simuliert der Berliner DGB den Widerstand mittels wohlklingender Presseerklärungen. Anstatt sich die Forderung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nach Bundesgeldern offensiv zu eigen zu machen und dies mit Streikdrohung aller DGB-Gewerkschaften zu untermauern, versuchen die Arbeitnehmervertreter lieber am Katzentisch des Berliner "Bündnisses für Arbeitslosigkeit und Konsolidierung" Platz zu nehmen. Da mag DGB-Chef Dieter Scholz noch so viele Gutachten beim DIW bestellen, praktische Relevanz hat das nicht. Einzig ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen kündigte Streiks für den Fall einer Kita-Privatisierung an. Eine konzertierte Aktion aller Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist das allerdings nicht. Und auch die Versuche der Reste der Berliner außerparlamentarischen Linken, verschiedene Akteure analog des Genoa Social Forum in einem "Aktionsforum Berlin" zu sammeln, wirken so ehrenwert wie hilflos.
Dagegen setzt "New Labour East", die PDS, geschickt auf symbolische Politik: Olympia 2012 in Berlin wurde kurzerhand abgesagt, der Kulturetat wird nicht gekürzt, der Alexanderplatz behält sein ostiges Ambiente (rote Karte für böse West-Investoren), die Tram fährt bald auch über die Leipziger Straße, der Luxemburg-Platz bekommt seine Rosa als Denkmal und der bereits unter Rot-Grün arg gebeutelte Staatsschutz wird in eine politikberatende Agentur umgewandelt - arme Schlapphüte!
Das einzige, was jeden Beobachter nach drei Wochen Verhandlungsmarathon wirklich interessiert, nämlich ob und wann das Land in Karlsruhe klagen wird, darauf geben die beiden Koalitionspartner keine Antwort. Wahrscheinlich hat der Kanzler wieder einmal auf den Tisch gehauen, eines seiner berüchtigten Machtworte gesprochen und Gysi & Wowi in die Schranken gewiesen.
Birger Scholz
(ursprünglich erschienen in: ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 458 / 18.01.2002)