Karma für den Staat

In Süd(ost)asien wird Buddhismus ausschließend

 

In Myanmar und Sri Lanka wurden in den letzten Jahren Übergriffe gegen Minderheiten buddhistisch legitimiert. Zu den Unterstützern fremdenfeindlicher Bewegungen zählen viele Mönche. Woher kommt diese ausgrenzende Strömung im Buddhismus?

 

Die Frage nach religiösem Fundamentalismus im Buddhismus erfordert die Definition beider Begriffe. Religion ist ein Glaubenssystem basierend auf einer Vision des Transzendenten und/oder besseren Lebens in einer anderen Existenz. Gleichzeitig ist sie ein soziales Phänomen, ein Kernelement menschlicher Gesellschaft, welches Menschen universell verbindet. Fundamentalismus (lateinisch fundamentum: Basis, Grundlage) hingegen bietet – scheinbare – Sicherheit in einer unsicheren Welt. Die vermeintliche Rückkehr zu den Wurzeln kann ausschließend werden, wenn nur eine Interpretation der Lehre zugelassen wird. Das führt häufig zum Rückzug aus der Welt und zu Isolation. Gewalt nach außen entsteht, wenn FundamentalistInnen andere Auslegungen bekämpfen. Wer sich auf die reine Lehre beruft, meint meist gar nicht diese, sondern spätere, politisch gefärbte Anwendungen.

Daraus kann sich die Religionisierung der Politik entwickeln: Der Staat soll religiöse Gebote unterstützen und das fromme Leben ermöglichen oder erzwingen. Die Übertragung religiöser Belange auf die politische Ebene dient häufig nicht nur dem frommen Leben, sondern heiligt Ausschlussprozesse. Sie können sich gegen ‚Andere‘ und Minderheiten richten, gegen kritische Stimmen und die politische Opposition.

 

Buddhismus und Herrschaft

Der Buddhismus gilt als tolerante, gewaltlose Religion, die für Fundamentalismus keinen Raum lässt, nicht zuletzt, da er als ‚gottlose‘ Religion gilt: Er vermittelt keine Heilsbotschaft. Ziel dieser Religion ist der Ausstieg aus dem Saṁsāra, dem Kreis von Werden und Vergehen, um das Nirwana, absolute Nichtexistenz, zu erreichen. Dies ist Mönchen vorbehalten. Hierzu muss man Karma vermeiden, also die Konsequenzen individueller Handlungen im nächsten Leben. Ahimsa oder Nichtverletzung ist davon ein wesentlicher Bestandteil.

Mönche waren auf den Unterhalt durch Laien angewiesen. Ihre Sicherheit erforderte eine zumindest rudimentär befriedete Gesellschaft mit ökonomischem Überschuss. Erstmals gelang dies dem indischen Kaiser Aśoka (304 – 232 v. Chr.). Er wurde in Südostasien zum Modell des buddhistischen Herrschers, der die Religion notfalls gewaltsam schützt. Damit war die Idee des gerechten Krieges zum Schutz der Religion geboren.

Dieser Pfad führte bis zu aktuellen rassistischen Übergriffen gegen Andersgläubige. Vor einigen Jahren äußerte sich ein hochrangiger Mönch in Sri Lanka wie folgt: »Was können wir tun? Wir müssen die Kinder töten. Sie werden LTTE-Kämpfer, dann töten sie uns und zerstören den Buddhismus.« Hier werden Tötungen tamilischer Sri Lankaner mit Verweis auf die tamilische Guerilla LTTE legitimiert. Die tamilische Minderheit wird als Feindin der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und des sri-lankischen Buddhismus definiert. Ein Zitat des Myanma-Mönches Sitagu Sayadaw relativiert ebenfalls das Tötungsverbot: »Obwohl du Millionen von Menschen getötet hast, waren es nur eineinhalb echte Menschen.«

Sind solche Äußerungen Ausnahmen? Legitimierung der Gewalt existiert in der mündlichen Überlieferung: Buddhas Schüler Ananda zeichnete angeblich dessen Predigten auf und verbreitete sie. Ananda erbot sich, unter Inkaufnahme schlechten Karmas die Religion auch gewaltsam zu verteidigen. Aus dieser Tradition wurden in Südostasien ausgedehnte Kriege und Raubzüge gegen andere buddhistische Reiche geführt, die angeblich nicht der Lehre genügten.

Eine Rechtfertigung religiöser Gewalt findet sich im buddhistischen Kanon, d.h. in den Lehrreden Buddhas, nicht, dagegen in einem singhalesischen Epos aus dem 5./6. Jahrhundert, dem Mahāvaṁsa. Es beschreibt die – angeblich auf Tatsachen beruhende – Befreiung Sri Lankas vom Tamil-Hindu König Elara durch Dutthagāmani (2. Jh. v. Chr.). Am Ende ist Dutthagāmani schockiert über die Kriegstoten. Aber die Mönche beruhigen ihn: Er habe nicht Menschen erschlagen, sondern nur Tiere; keiner der Toten sei Buddhist gewesen.

In Sri Lanka wurde das Mahāvaṁsa teilweise als Erzählung über die Etablierung eines singhalesischen Buddhismus gelesen. Dies ist etwa so, als betrachte man heutzutage Berichte über die Kreuzzüge als religiös fundierte und zum Handeln verpflichtende Texte. Wichtig ist die Umkehrung der Wahrnehmung: Im 19. Jahrhundert wurde die Erzählung als großes Narrativ nationaler singhalesischer Hegemonie gelesen. Heute wird sie als religiös-doktrinärer Text interpretiert, der nationale Ansprüche legitimiert.

 

Aufstieg und Fall des Säkularismus

Ostern 2019 verübten muslimische Selbstmordattentäter in Sri Lanka Anschläge auf Kirchen und Hotels mit hunderten Toten. Die Täter wurden rasch als lokale Muslims identifiziert. Für radikale buddhistische Gruppen rechtfertigten die Anschläge wiederum neue Gewalttaten gegenüber muslimischen, aber auch tamilischen und christlichen Menschen. Fundamentalismus einer Religion findet oft seine Entsprechung im Fundamentalismus einer anderen.

Fundamentalistischer Buddhismus wird heute sowohl in Sri Lanka als auch in Myanmar benutzt, um ethnische/nationale Identität religiös zu markieren. Dabei hatte bereits die Kolonialzeit in beiden Ländern antikoloniale Laienbewegungen zur ‚Rettung’ der Religion hervorgebracht. Von ihnen erhoffte man sich neben dem Kulturerhalt auch ganz dezidiert die Rückgewinnung der Unabhängigkeit. Die postkolonialen Verfassungen beider Länder waren allerdings säkular. Nach der Unabhängigkeit verbanden sich alte Feindbilder mit notwendig enttäuschten Erwartungen. Man benötigte Schuldige für die zerstörten Hoffnungen. Religiöse Identität wandelte sich in Feindseligkeit gegenüber dem ethnisch-religiös Anderen. Seit 1956 und während des Bürgerkrieges war es in Sri Lanka vor allem der Saṅgha, die Mönchsgemeinschaft, der Religion und Ethnie gleichsetzte. Konzessionen an die TamilInnen würden demnach den singhalesischen Staat und Buddhismus zerstören. Damit einher ging die Forderung, den Buddhismus zur Staatsreligion zu machen.

In Myanmar, damals Burma, erklärte Premierminister U Nu 1961, auch auf Druck des Saṅgha, den Buddhismus zur Staatsreligion. U Nu’s buddhistische Glaubwürdigkeit schützte ihn nicht vor dem Zorn radikaler Mönche, da die Verfassung weiterhin Religionsfreiheit vorsah. Die Unruhen infolge des Gesetzes führten zum Militärputsch 1962 und zur Gesetzesannullierung. Auch gegenwärtig liegt in beiden Ländern die Betonung auf der ethnisch-religiösen Einheit. Der damalige sri-lankische Präsident Rajapaksa betonte im Mai 2009, dass die TamilInnen in Sri Lanka nur mit singhalesischer Duldung existieren. In Myanmar wiederum traten 2015 die ‚Race and Religion Protection Laws‘ in Kraft, die Konversion und interkonfessionelle Heiraten erschweren und die Kinderzahl bestimmter Ethnien begrenzen.

 

Neue Kampfverbände und alte Mythen

In beiden Ländern entstanden im letzten Jahrzehnt radikale buddhistische Organisationen. In Sri Lanka war das etwa die Bodu Bala Sena (BBS/Buddhas machtvolle Armee), die den Sinhala-Buddhismus ‚schützen‘ will; in Myanmar MaBaTha (Verband zum Schutz von Rasse, Buddha und Religion). Beide zeichnen sich vor allem durch Angriffe auf die muslimische, in Sri Lanka auch auf die tamilische und christliche Minderheit aus und genießen erheblichen gesellschaftlichen Rückhalt. Dies beruht auf alten Ressentiments und neuen Ängsten. Letztere hängen teilweise mit realen Missständen zusammen, wie etwa die schlechten Arbeitsbedingungen sri-lankischer Hausmädchen in den sunnitischen Golfstaaten. Während die BBS hier keine Lösung anbietet, war es in Myanmar MaBaTha, die auf die Verabschiedung der ‚Race and Religion Protection Laws‘ drängte. Die verbalen und physischen Angriffe auf die Rohingya sind eine daraus folgende, obwohl nicht notwendige Entwicklung.

Hielte man sich nur an die Lehre, wäre religiöse Gewalt illegitim. Die Rechtfertigung von Gewalt wird aus lokalen oder regionalen Quellen gezogen, die dabei ihren herrschaftlichen Kontext einspeisen. Obwohl Buddhismus als Weltreligion verstanden wird, sind seine Manifestationen, sein Gebrauch und die Verwendung für politische Zwecke stark lokal oder ethnisch gefärbt.

Religionisierung der Politik entsteht aus der Lokalisierung von Religion zugunsten regionaler politischer und wirtschaftlicher Interessen und Ziele. Hier beginnt der Fundamentalismus, nämlich mit der Frage, wem das ‚gute und fromme Leben‘ zusteht. Das hat mit der Rückkehr zu den Ursprüngen von Lehre oder Glauben wenig zu tun. Vielmehr geht es um soziale und ökonomische Privilegien aufgrund ethnisch interpretierter Religionszugehörigkeit; und um Religion als öffentlichen Lebensstil und Moral. Religionisierung der Politik in Richtung Fundamentalismus ist eine Bewegung von unten, eine Bewegung tatsächlicher oder gefühlter VerliererInnen. Sie ist die Forderung an den Staat, das gute Leben für die Auserwählten zu sichern. Daraus folgt das Recht, diese Teilhabe nichtzugehörigen Gruppen zu verweigern. Hier liegt die Saat religiös geheiligter Gewalt gegen Ausgeschlossene, die in den genannten Ländern prächtig aufgegangen ist.

 

 

Dagmar Hellmann-Rajanayagam ist Lehrbeauftragte in der Abteilung Südostasienstudien der Universität Passau sowie Mitarbeiterin beim Erasmus+ Projekt der Abteilung.