Die Zeichen stehen auf Sturm

Mexiko – »gasolinazo« und Trumps Mauerbau

Mexiko erlebt im neuen Jahr stürmische Tage. Nachdem die Regierung unter Staatspräsident Enrique Peña Nieto zwischen den Jahren eine 20%ige Erhöhung der Benzin- und Dieselpreise ankündigte und damit ihr Versprechen zu Beginn der Amtszeit brach, es werde keine Preiserhöhungen im Strom- oder Treibstoffsektor geben, kam es zu massiven regionalen Protesten gegen den »gasolinazo« (etwa: Benzinkomplott).

Die Maßnahme der mexikanischen Regierung ist Bestandteil einer Energiereform, die die staatlichen Subventionen für Treibstoff schrittweise auf null zurückfahren und damit zugleich den Gas- und Ölsektor für private Investoren öffnen will. Nachdem die Regierung 2013 die Privatisierung des mexikanischen Energiesektors eingeläutet hat, steht nun das staatliche Ölunternehmen Petróleos Mexicanos (Pemex), das 1938 nach einem massiven Streik der Ölarbeiter verstaatlicht worden war, künftig internationalen Investoren offen. Es geht um ein Geschäftsvolumen von rund 30 Milliarden Dollar jährlich, das von der staatlichen Pemex in private Hände transferiert werden soll.

Unter den Protestierenden gegen den »gasolinazo« ganz vorne dabei sind die LKW-, Bus- und TaxifahrerInnen, also jene, deren Arbeit direkt mit dem Treibstoffverbrauch zu tun hat, aber auch ArbeiterInnen, KleinbäuerInnen, AkademikerInnen, Priester und LehrerInnen. Sie alle trieb der »Benzinpreiscoup« auf die öffentlichen Plätze, schließlich verteuern sich mit den steigenden Energiepreisen unmittelbar die Lebenshaltungskosten.

Für etwa 50 Millionen Menschen im Land, die schon jetzt an oder unter der Armutsgrenze leben, geht es bei diesen erwarteten Erhöhungen der Lebenshaltungskosten um die Frage ihrer Existenz bzw. ums nackte Überleben. Nach Feststellungen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) liegt schon heute der staatlich festgelegte Mindestlohn unterhalb der Armutsgrenze.

Eine aktuelle Studie der Autonomen Universität Mexiko (UNAM) weist nach, dass die Kaufkraft des durchschnittlichen Mexikaners seit der Amtsübernahme von Präsident Pena Nieto im Jahr 2012 um 11,1% gesunken ist. Der Preisindex für Grundnahrungsmittel für eine vierköpfige Familie ist auf 218,06 Pesos (10,19 Dollar) pro Tag gestiegen, was fast dem Dreifachen des täglichen Mindestlohns entspricht.

Der »gasolinazo« ist allerdings nur der berühmte Tropfen, der ein bis zum Rand mit Unmut gefülltes Fass zum Überlaufen bringt. Die Empörung richtet sich sowohl gegen die abgewirtschaftete Regierung, als auch gegen eine korrupte Elite. Selbst die mexikanische Bischofskonferenz schrieb in einer Mitteilung, dass es »nicht korrekt« sei, Gesetze in Kraft zu setzen, »ohne die Realität und die Gefühle der Bevölkerung« zu berücksichtigen – wofür die Bischöfe Unterstützung von Gouverneuren, Bürgermeistern, Gewerkschaften und oppositionellen PolitikerInnen erhielten.

Die Austeritätspolitik, mit der Peña Nieto die angeschlagene Wirtschaft ins Lot bringen wollte, hat keinerlei positive Effekte ausgelöst – weder wirtschaftlich noch sozial. Im Gegenteil: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in den letzten beiden Jahren deutlich gefallen und liegt nun auf dem Niveau von 2010. Das Haushaltsdefizit ist auf mehr als 4% des BIP angewachsen, die Staatsverschuldung hat 50% des BIP überschritten. Der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung ist zwischen 2012 und 2014 von 45,5% auf 46,2% angestiegen.

Experten gehen davon aus, dass das ohnehin schwache Wachstum im Land weiter einbrechen wird. Nationale wie internationale Institutionen korrigierten zwischenzeitlich ihre Prognosen deutlich nach unten. So rechnet die Weltbank in ihrem Wirtschaftsausblick für 2017 damit, dass das schwächelnde Wachstum weiter um 0,5 Prozentpunkte auf 2% zurückgehen wird. Noch nicht berücksichtigt sind die möglichen Auswirkungen der »unfreundlichen Gesten« des US-Präsidenten: Kündigung des NAFTA-Vertrages,[1] Bau einer 16-Meter hohen Mauer, Einführung von Import-(Straf)Zöllen für Waren aus Mexiko, massive Ausweisung von MexikanerInnen aus den USA.[2]

Dabei haben schon Trumps Attacken während des Wahlkampfs gegen den südlichen Nachbarn zu einem anhaltenden Verfall des mexikanischen Pesos geführt. Waren bis etwa Mitte 2015 für einen Dollar 15 Pesos zu bezahlen, hat die mexikanische Währung seither stark an Wert verloren, wobei die Wahl Trumps den Wechselkurs in einem Tag von 18,50 auf 21 Pesos pro Dollar sinken ließ. Am 11. Januar 2017 sackte die mexikanische Währung auf einen historischen Tiefstand von 22,50 Pesos pro Dollar ab, was die schwelende Krise in Mexiko beschleunigt.

Das Misstrauen der Mexikaner richtet sich nicht nur gegen Peña Nieto, sondern gegen den Staat einschließlich seiner Institutionen und Sicherheitskräfte, also Polizei und Militär, die in Teilen mit den kriminellen Drogenkartellen zusammenarbeiten. Mit der Folge, dass in Mexiko insbesondere Frauen und Mitglieder indigener Gemeinden sowie Menschenrechtler und Journalisten systematisch von Gewaltverbrechen wie Tötungen und Entführungen bedroht sind, wie jüngst erst wieder Michel Forst, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, feststellte.

In den letzten 16 Jahren wurden in Mexiko 100 Journalisten in Ausübung ihrer Arbeit getötet, so die Journalistenorganisation Article 19 (Amerika 21, 30.12.2016). Im aktuellen Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen zählt das Land zu den für Journalisten gefährlichsten in Lateinamerika und rangiert weltweit an dritter Stelle hinter Syrien und Afghanistan.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation »Alto al Secuestro« (»Stoppt die Entführungen«) sind seit dem Amtsantritt von Präsident Enrique Peña Nieto im Dezember 2012 mehr als 8.400 Menschen entführt worden (NPLA, 1.12.2016). Amnesty kommt in ihrem »Mexiko Report 2016« zu dem Ergebnis, dass weiterhin mehr als 27.000 Personen als vermisst oder verschwunden gelten, so wie die 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa, die in Iguala (Bundesstaat Guerrero) am 26. September 2014 gewaltsam entführt wurden und bis heute verschwunden sind.[3] In das grausame Verbrechen sind nachweislich der Bürgermeister des Ortes, die lokale Polizei, die Bundespolizei und kriminelle Drogenbanden (narcos) verwickelt.

Der Bewegung der Angehörigen, Kommilitonen und Freunde, die das Verschwinden und die mutmaßliche Ermordung der verschwundenen Studenten nicht wie viele anderer solcher Verbrechen hinnehmen wollte, ist es zu verdanken, dass die unheilige Verquickung staatlicher Stellen in Tateinheit mit der Drogenmafia teilweise ans Licht kam. Durch ihre Beharrlichkeit wurde ein Teil der dramatischen Missstände im Land national und international auf die politische Agenda gesetzt. Doch trotz erheblichem nationalen wie internationalen Drucks ist dieser Fall bis heute nicht aufgeklärt.

Stattdessen unterdrückt die Regierung von Peña Nieto weiterhin gewaltsam Demonstrationen und Streiks der Lehrergewerkschaft »Nationale Koordination für Bildungsarbeiter« (CNTE) gegen die wirtschaftsfreundliche »Bildungsreform«, die auf Privatisierung des Bildungssektors und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Lehrpersonals abzielt sowie laut Experten aus Wissenschaft und Bildung insbesondere große Nachteile für SchülerInnen in abgelegenen und von hoher Armut geprägten Regionen mit sich bringt.

Im Mai vergangenen Jahres verstärkte die CNTE ihre Proteste, unter anderem mit einem Protestcamp in Mexiko-Stadt und Straßenblockaden im ganzen Land. Der Konflikt eskalierte, als die Polizei versuchte, eine Straßensperre in Nochixtlán im Bundesstaat Oaxaca zu räumen. Laut dem Nachrichtenportal Aristegui Noticias starben mindestens acht Menschen und 108 wurden verletzt.

Die soziale Unzufriedenheit wird in den Medien durch Trumps Wirtschaftskriegserklärung »Don’t do business« gegen Mexiko überlagert. Jede Twitter-Meldung des US-amerikanischen Präsidenten wird als Angriff auf die Würde der Nation empfunden. Zeitungen und Fernsehsendungen sind voll von flammendem Patriotismus. Mexikanische Politiker, Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle verurteilen die Abschottungspolitik der USA.

Die von Trump unterzeichnete Verordnung, die die Grundlage für den Bau einer lückenlosen, 16 Meter hohen 3.200 Kilometer langen Mauer[4] an der US-mexikanischen Grenze ist, um angeblich »Kriminalität und illegale Einwanderung« einzudämmen, für deren Kosten der Staat Mexiko zu »100 Prozent« selbst aufkommen soll, wird wie eine Kriegserklärung aufgenommen.

Der mexikanische Historiker Enrique Krauze spricht von »der größten Beleidigung in der US-mexikanischen Geschichte seit dem Krieg von 1847« (Amerika 21, 28.1.2017). Viele Mexikaner erinnern sich daran, dass die Vereinigten Staaten ihrem Land in einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen 1846 und 1848 große Teile des Territoriums nahmen sowie an die »Monroe-Doktrin«, die Lateinamerika als Hinterhof der USA deklarierte. Donald Trumps Vorgehen ist für sie eine neue Episode im nun bereits 200 Jahre währenden Ringen Mexikos um die eigene Souveränität.

[1] Die Unterzeichnung des Freihandelsabkommen Nafta im Jahr 1994 hatte dramatische Konsequenzen für Mexiko. Das Freihandelsabkommen beförderte die Privatisierung wichtiger Sektoren: Banken, Telekommunikation und zuletzt Gas, Strom und die Ölförderung. Die verarmte Landwirtschaft musste plötzlich mit dem hoch subventionierten Agrobusiness in und aus den USA konkurrieren. Die Produktion brach ein. Die Kaufkraft in Mexiko nahm ab, stattdessen wuchsen die Arbeitslosigkeit, die Migration und die organisierte Kriminalität. Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind die katastrophalen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen des Freihandelsabkommens in Mexiko für jeden sichtbar. Aus gutem Grund dient Mexiko der europäischen Protestbewegung gegen TTIP als Blaupause.
[2] 2010 lebten fast 32 Mio. Mexikaner in den USA, die mit 63% die größte Gruppe unter den mehr als 50 Millionen Latinos bzw. Hispanics bildeten. Von den »US-Mexikanern«, die 11% der Gesamtbevölkerung ausmachen, wurden etwa zwei Drittel in den Vereinigten Staaten geboren.
[3] Vgl. Otto König/Richard Detje: »Nos faltan 43«. Die 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa , SozialismusAktuell vom 12. Oktober 2015.
[4] Die ersten Mauerabschnitte wurden schon unter US-Präsident Bill Clinton errichtet, nachdem das Thema der illegalen Einwanderung im Wahlkampf 1992 eine große Rolle gespielt hatte. Unter George W. Bush wurden die Anlagen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erheblich ausgebaut.