Präsidentin Laura Chinchilla ist so unpopulär wie noch nie. Für die kommenden Wahlen hat ihre Partei dennoch die besten Aussichten
Indigene Aktivist_innen werden Opfer einer neuen Welle der Gewalt, Gewerkschaften und soziale Organisationen rufen zum Generalstreik auf. Die Bevölkerung ist vor allem über das Ausmaß an Korruption und die gestiegene soziale Ungleichheit empört. In diesem politischen Klima beginnt der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl im Februar, bei der ausgerechnet die Regierungspartei wieder die besten Chancen hat.
„Die Gewalt gegen Indigene und alle, die ihr Land verteidigen, muss aufhören!“, ruft Jerhy Rivera. Er demonstriert mit vielen weiteren Indigenen, Bäuerinnen und Bauern in Buenos Aires, der Hauptstadt des gleichnamigen Kantons. Aus insgesamt zwölf Gemeinden der südlichen Region Costa Ricas haben sie sich am 19. Oktober zusammengefunden, um das Recht auf Land, Selbstbestimmung und die Autonomie ihrer Gemeinden lautstark einzufordern. Es ist eine breite Allianz unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen. Sie vereint der Kampf gegen Korruption, Rassismus und ein neoliberales Wirtschaftsmodell.
Hauptsächlich empört die Gemeinden die seit zwei Jahren zunehmende Gewalt aus dem Umfeld illegaler Landbesitzer_innen. In den indigenen Gemeinden Salitre und Térraba ist es mehrfach zu Einschüchterungsversuchen, Morddrohungen und offener Gewalt gegenüber indigenen Aktivist_innen gekommen, die ihr Land und ihre Rechte verteidigen. Auch Jerhy Rivera ist Opfer dieser Entwicklung geworden, sein Gipsarm und eine Kopfwunde sind stumme Zeugen der Gewalt.
„Ich wollte nur die Ländereien verteidigen, die uns noch bleiben“, berichtet er. „Sie haben mal wieder versucht, illegal unsere Bäume zu fällen und zu verkaufen. Als ich die Eindringlinge anzeigen wollte, haben sie mich fast zu Tode geprügelt. Ich dachte, der Höhepunkt sei schon der Brandanschlag auf unser kommunales Museum in Térraba gewesen“, fügt er noch hinzu.
Die soziale Situation in der armen Region rund um Buenos Aires ist schon immer angespannt gewesen. Obwohl den Indigenen das Land ihrer Territorien gesetzlich zugesichert worden ist, befindet sich die Mehrheit der Landflächen im Besitz von nicht-indigenen Siedler_innen.
Trotz aller Widerstände konnte sich die indigene Bewegung in letzter Zeit effektiv gegen die Korruption der Gemeindebehörden, ein Staudammprojekt (siehe LN 449) und die mangelnde Ausstattung ihrer Schulen zu Wehr setzen. Den Indigenen ist aus leidiger Erfahrung bewusst, dass sie sich damit nicht nur Freund_innen machen. Doch die nun ausgebrochene Gewalt stellt eine bisher nicht dagewesene Eskalation des Landkonflikts dar.
„Auf die Polizei oder gar die Regierung können wir uns nicht verlassen“, klagt Rivera. Diese habe alle möglichen Rechte zum Schutz der indigenen Gemeinden erlassen, nur um diese dann selbst zu missachten. „Schon in der öffentlichen Klinik von Buenos Aires werden wir Indigene schlechter als andere versorgt.“
Rivera bereitet daher in Zusammenarbeit mit weiteren indigenen Gemeinden eine Klage an die interamerikanische Kommission für Menschenrechte vor. Darin sollen alle jüngsten Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Aktivist_innen aus der Region zusammengefasst und der costa-ricanische Staat in seine Verantwortung genommen werden. Darüber hinaus erhoffen sich die Kläger_innen, dass die Kommission Druck ausüben kann und die indigenen Territorien wieder in ihren rechtmäßigen Besitz gelangen.
Wie die Indigenen aus Buenos Aires leisten derzeit auch Gewerkschaften und soziale Bewegungen aus dem ganzen Land Widerstand gegen die neoliberale Regierungspolitik. In ihrem Fokus steht die Wahrung der sozialen Sicherungssysteme. Sie wehren sich gegen die fortschreitenden Privatisierungen des Gesundheitssystems sowie in der Bildung und der Energieversorgung. Bereits Ende Juni organisierte ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften aus diesen Bereichen Streiks und Demonstrationen für einen sozialen Wandel. Jetzt rufen sie erneut zu einem Generalstreik am 11. November auf. Dieser soll sich nicht nur auf eine Großdemonstration in San José beschränken, sondern Streikaktionen im ganzen Land umfassen.
Was viele Costa-Ricaner_innen auf die Straße treibt, ist in erster Linie die ausufernde Korruption der scheidenden Regierung von Präsidentin Laura Chinchilla (siehe LN 457/458). „Wir haben die ganzen Korruptionsskandale satt, für die niemand ins Gefängnis gehen muss. Wir drängen darauf, dass die korrupten Politiker angeklagt werden“, begründet Mariano Rodriguez von der Vereinigung der Sekundarschullehrer_innen die Teilnahme seiner Gewerkschaft an dem Streik. Costa Rica und seine politische Elite erleben dieser Tage die Quittung für die vergangenen Jahre arroganter Politik. Ein Korruptionsskandal nach dem anderen bestimmte das politische Geschehen. An der einst so stolzen Vorzeige-Demokratie Costa Rica ist ein nur schwer zu reparierender Schaden entstanden. Auf der anderen Seite findet so eine starke Vernetzung und Mobilisierung seitens der Gewerkschaften und sozialer Organisationen statt.
Ein Blick auf das jüngste Latinobarometer genügt: In keinem anderen lateinamerikanischen Land ist die Unterstützung für die Demokratie in den letzten 18 Jahren derart massiv gesunken. Stellten sich gegen Ende der 1990er Jahre noch mehr als 80 Prozent der Costa-Ricaner_innen hinter die Demokratie, hat sich heute fast die Hälfte von ihr abgewandt. Im Gegenzug hat sich die Unterstützung für ein autoritäres Regime mehr als verdoppelt, fast jede_r Fünfte könnte sich vorstellen, ein autoritäres Regime der Demokratie vorzuziehen. Genauso viele Costa-Ricaner_innen sind demgegenüber gleichgültig eingestellt, fast drei Mal so viele wie noch 1995.
Der Mangel an Vertrauen kommt nicht ohne Grund. Die Tatsache, dass gleich zwei ehemalige Präsidenten wegen Bestechlichkeit zu je fünf Jahren Haft verurteilt worden sind, greift als Erklärung der aktuellen Entwicklung aber zu kurz. Der größte Vertrauensverlust in die Demokratie fand unter der nun ablaufenden Amtszeit von Laura Chinchilla statt. Keine der sechs vorherigen Staatsoberhäupter wurde von der Bevölkerung so schlecht beurteilt wie das erste weibliche Staatsoberhaupt des Landes.
Missmanagement und viele kleine politische Fehler haben dem öffentlichen Ansehen der Präsidentin geschadet: das Festhalten an einem umstrittenen Straßenprojekt, die ungeschickte Handhabung des Grenzkonfliktes mit Nicaragua oder das gebrochene Versprechen auf einen stärkeren Anstieg der öffentlichen Gehälter. Vor allem ist es aber der Anstieg sozialer Ungleichheit, den die Regierung mit ihrer Wachstums- und Privatisierungsstrategie mehr befeuert als begrenzt und somit viel Unmut provoziert hat.
Die am 2. Februar 2014 stattfindenden Präsidentschaftswahlen sollten daher die ideale Gelegenheit bieten, einen Politikwechsel einzuleiten. Unter den genannten Bedingungen könnte man meinen, dass die Regierungspartei von Chinchilla, die sozialdemokratische Partei der Nationalen Befreiung (PLN), zumindest nicht mehr als stärkste politische Kraft gehandelt wird.
Tatsächlich ist aber deren Kandidat Johnny Araya, langjähriger Bürgermeister von San José, ein haushoher Favorit auf das Präsidentenamt. Umfragen räumen ihm einen Stimmenanteil von bis zu 26 Prozent ein. Araya scheint es bisher erfolgreich geschafft zu haben, nicht mit dem negativen Bild der Präsidentin in Verbindung gebracht zu werden. Auf einer ersten Wahlkampfveranstaltung äußerte er sich kritisch zum politischen Kurs seiner Partei und stellte in Aussicht, mehr auf das Soziale achten zu wollen.
Dabei hatte es bis Anfang Oktober noch nach einer realistischen Alternative zu Araya und der PLN ausgesehen. Ausgerechnet die Partei der Christsozialen Einheit (PUSC), durch die Korruptionsskandale der ehemaligen Präsidenten nur noch drittstärkste Oppositionspartei, wählte den Direktor des Nationalen Kinderkrankenhauses Rodolfo Hernández zu ihrem Präsidentschaftskandidaten. Hernández schien vielen als glaubwürdiger Kandidat, der nicht in den alten Korruptionssumpf der PUSC verwickelt ist.
Doch dann trat er genau wegen dieses Zustandes gleich zweimal zurück. Zuerst, um gegen das Verhalten des Establishments der PUSC zu protestieren, das gegen ihn arbeiten würde. Tatsächlich hatten einige offen zur Wahl des Gegenkandidaten Araya aufgerufen. Um sich den Vorwurf nicht gefallen zu lassen, er würde sich vor seiner Verantwortung drücken, machte Hernández dann aber einen Rückzieher. Nur um zwei Tage später wieder offiziell seinen Rücktritt zu verkünden. Der Ersatzkandidat der PUSC, Rodolfo Piza, kommt nicht annähernd an die Popularitätswerte von Hernández heran.
Für die Opposition fällt der Effekt von Hernández’ Rücktritt zwiespältig aus. Einerseits sind die bisherigen Stimmen für Hernández ins Oppositionslager gewandert. Die zwei verbleibenden relevanten Präsidentschaftskandidaten konnten laut Umfragen ihre Stimmanteile verdoppeln. Andererseits reichen weder Otto Guevara der rechtsliberalen Libertären Bewegung (ML) mit nun 16 Prozent noch José María Villalta des Linksbündnisses Frente Amplio mit nun 19 Prozent an das Niveau des Favoriten Araya heran. Die Opposition zerfällt damit in ein rechtes und ein linkes Lager, ohne der Regierungspartei bisher erfolgreich Paroli bieten zu können.
Dennoch ist die Wahl damit noch nicht gelaufen. Der Erfolg der Frente Amplio geht auch auf einen kontinuierlichen Zuwachs zurück. Sie könnte längerfristig die Rolle der schwächelnden sozialdemokratischen Partei der Bürgeraktion (PAC) als linke Oppositionspartei einnehmen. Ihr junger Kandidat Villalta, bisher einziger Abgeordneter seiner Partei, hat es geschafft, durch stetige Oppositionsarbeit und die Nutzung sozialer Netzwerke vor allem junge Unterstützer_innen für die Frente Amplio zu werben. Zudem ist ein Drittel der Wahlberechtigten unter 29 Jahre alt. Unter ihnen befinden sich viele Unentschiedene und Nichtwähler_innen. Somit hat Villalta immerhin noch eine Perspektive, den Favoriten Araya herauszufordern. Bisher ist er der einzige Präsidentschaftskandidat, der den gewerkschaftlichen Aufruf zum Generalstreik unterstützt.