Kämpfe um urbane Freiräume und klassische Betriebskämpfe – „Ein Problem nach dem anderen“ oder „zusammen mehr erreichen“?
Die Stadt als Ort und Gegenstand von sozialen Protestbewegungen ist Ausgangspunkt vieler aktueller Kämpfe. Themen sind steigende Mieten, Zwangsräumungen, Kommerzialisierung der öffentlichen Räume, die aktuellen Kämpfe von Flüchtlingen auf den Plätzen, die Ausrichtung der Stadt auf Citymarketing sowie die generelle Inwertsetzung des ganzen Lebens. Weltweit sind Kämpfe um die Stadt aktuell. So zum Beispiel, wenn WanderarbeiterInnen in China ihren Aufenthalt in den Städten nicht mehr auf die Zeiträume begrenzen wollen, in denen es Arbeit für sie gibt.
David Harvey kritisiert in „Rebellische Städte“ die Fixierung der Gewerkschaften auf die Produktion. Die Dynamiken des Kapitalismus beschränkten sich nicht auf die Produktion, daher sollten auch Gewerkschaften sich nicht darauf beschränken. Es stellt sich dennoch die Frage, ob die Kämpfe in und um die Stadt nicht eine Art „Feierabendwiderstand“ (Roman Danyluk) darstellen, die statt Kämpfen gegen die Lohnarbeit, um die eigenen Arbeitsbedingungen oder gegen die Schikanen beim Amt geführt werden.
Sofern der Schlüssel zur Überwindung des Kapitalismus in der Mehrwerterzeugung durch die Ausbeutung von Arbeit liegt, können städtische Kämpfe davon dennoch nicht isoliert angegangen werden. Mietkämpfe beziehen sich, wie Friedrich Engels richtig feststellt, auf die Sphäre des Konsums. Analysen und Proteste, die die Produktionssphäre nicht einbeziehen, bleiben oberflächlich. Sie können weder die Entstehung der unterschiedlichen Positionen auf dem Wohnungsmarkt durch kapitalistische Verhältnisse noch den Bezug zwischen Lohnhöhe und für die Miete aufgebrachter Arbeitszeit fassen. Miet- und Kapitalverhältnisse müssen in ihrer Beziehung betrachtet werden, ohne eine der Seiten als „sekundär“ abzuwerten. Bereits in der Pariser Kommune 1871 wurde zuerst die Nachtarbeit der Bäckereien abgeschafft und ein Mietmoratorium eingeführt.
Solange der Kapitalismus in der Stadt wie die Stadt im Kapitalismus angegangen werden, spielt es keine Rolle, ob die Kämpfe von der Stadt auf die Fabrik übergehen oder umgekehrt. Wenn wir es schaffen, eine andere Stadt zu erkämpfen, die nicht mehr auf einer Profitlogik basiert, sondern ein Recht-auf-Stadt für alle bereithält, dann kann dies auch der Ausgangspunkt für eine andere Gesellschaft sein.
Unbequeme Fragen ergeben sich: Wie sehen die „Klassenzusammensetzung“ und die entsprechenden unterschiedlichen Interessen der MieterInnen aus? Wie verhalten sich Kämpfe in Produktion und Stadt zur reproduktiven Arbeit? In welcher Beziehung stehen unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse wie Rassismus und Sexismus, die im Kampf um den öffentlichen Raum der Stadt ihren Ausdruck finden können, zum Kapitalverhältnis? Wie überschneidet sich die durch Verdrängung erzwungene Mobilität beim Wohnen mit „flexiblen“ Arbeitsverhältnissen? Die Auseinandersetzungen werden sich in diesen Kämpfen schließlich auch an der entscheidenden Frage messen lassen müssen, ob es um eine reine Teilhabe am kapitalistischen Verwertungsprozess geht, oder es Perspektiven gibt, die bestehenden Verhältnisse zu überwinden.
Einen Ansatzpunkt für die Verbindung von Stadt- und Arbeitskämpfen können Worker Centers darstellen. Diese Treff- und Organisationspunkte von ArbeiterInnen im Stadtteil waren wichtige Ausgangspunkte für den migrantischen Streik 2006 in den USA. Er wäre ohne die sozialräumliche Verankerung im Stadtteil so nicht möglich gewesen. Ein weiterer Ansatzpunkt kann die Bedeutung von Arbeit für das Funktionieren städtischer Infrastruktur sein. Strategische Kämpfe im Transportsektor zeigen, dass die Stadt, aber auch die kapitalistische Produktion hier getroffen werden kann. Drittens muss die Forderung nach Vergesellschaftung von Wohnraum nicht in Konkurrenz zur Vergesellschaftung von Produktionsmitteln gesehen werden, sondern vielleicht als flankierender Schritt in eine ähnliche Richtung, nämlich einer Ausdehnung von Selbstbestimmung und -verwaltung auf möglichst alle Lebensbereiche. Das Mietshäuser-Syndikat stellt wohl eine der interessantesten Formen dar, innerhalb des Kapitalismus das selbstbestimmte und selbstverwaltete Wohnen zu organisieren und verkörpert damit eine reale Utopie. Es gilt jedoch auch hier: der Kapitalismus – hier in Form des Wohnungsmarktes – lässt sich nicht aufkaufen.
Es geht darum, verschiedene Interventionen gegen die kapitalistischen Verhältnisse soweit zu vernetzen, dass es gelingen kann, grundsätzliche Veränderungen herbeizuführen. Und so ist es auch syndikalistisches Handeln, im Hier und Jetzt die Zukunft schon aufblitzen zu lassen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Direkten Aktion #220 - November / Dezember 2013