Ein Kommentar von Christian Horn
Es war schon grotesk als im Fernsehmagazin Fakt die Bilder des einstigen Weltrekordhalters im Hammerwerfen, Walter Schmidt, zu sehen waren, welcher eimerweise Pillen, Spritzen und andere Präparate vor laufender Kamera präsentierte. Der Mitschnitt aus den 1970ern wurde im Rahmen der aktuellen Dopingenthüllungen bezüglich der Geschichte des BRD-Sports eingespielt. Den Athleten kann eigentlich gar kein Vorwurf gemacht werden. Wer nicht für Olympia dopen wollte, lief noch in Gefahr nicht vom Verband nominiert zu werden. Doping war auch im Westen inoffiziell gängige Praxis und Teil des Kalten Krieges und im Dienste der Staatsraison. Staatlich organisiert fand der Betrug in einer parlamentarischen Demokratie statt. Wie janusköpfig da einem der oft propagierte Kampf gegen Drogen vorkommt! Für den Sport scheint dieser Skandal ähnlich den laufenden Enthüllungen um die Geheimdienste zu sein. Jedes Jahr aufs Neue folgen aufgeflogene Sport-Idole insbesondere in Zusammenhang mit der Tour de France. Die Siegerliste beim größten Radrennen der Welt ist fast durchgängig über mehr als ein Jahrzehnt nicht mehr ernst zu nehmen. Analogien wie bei der ertappten Steuerhinterziehung sind zu beobachten. Es wird nur das gestanden, was sowieso bewiesen wurde.
Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, die Gründe für Doping nur in den Karriereaussichten von SpitzensportlerInnen zu suchen, obwohl hier bereits ein beträchtlicher Markt entstanden ist. Auch im Breitensport finden leistungssteigernde und schmerzbetäubende Mittel reißenden Absatz ohne Rücksicht auf die Gesundheit. Zu durchdrungen sind viele Freizeitsporttreibende vom „Höher, Schneller, Weiter“ – ein Motto, welches unsere Leistungsgesellschaft begründet in der sich neoliberale Individualitätsideologie widerspiegelt. Vor einigen Tagen nun machte die AOK-Befragung zum Thema Suchtmittel in der Presse die Runde. Auch Beschäftigte greifen zunehmend zu leistungssteigernden Mitteln. Sicherlich ist dies in unserer stressigen Arbeitswelt keine Überraschung. Aber ist es perfide, wenn wegen der steigenden Anforderungen im Berufsalltag schon pharmazeutische Produkte notwendig sind. Eine soziale Gegenkultur muss sich deswegen auch gegen Leistungsverdichtung und Arbeitsethos richten. Nicht zuletzt geht es um ein Recht auf Faulheit.
Dieser Kommentar erschien zuerst in der Direkten Aktion #219 - September / Oktober 2013