Wutbürger vs. Sexarbeiterinnenrechte

Zur neuen Prostitutionsgesetzgebung in Wien

in (03.08.2012)

Fackelzüge gegen Straßenprostitution – vor etwa zwei Jahren hatte die Anrainer_innenorganisierung der „Bürgerinitiative Felberstraße“ im 15. Bezirk ihren üblen Höhepunkt erreicht. Es folgten eine Mediation der Stadt Wien und die Gesetzesnovellierung im November 2011. Inzwischen sind die Debatten um das Wiener Prostitutionsgesetz etwas verebbt. Wien propagiert nun das Gesetz als einen „erste[n] Schritt, die divergenten Interessen von Anrainerinnen und Anrainern, Sexarbeiterinnen und -arbeitern, Bordellbetreiberinnen und -betreibern sowie der Polizei unter einen legistischen Hut zu bringen“. Tatsächlich bringt der Beschluss aber vor allem neue Reglementierungen für Sexarbeiterinnen und berücksichtigt vermehrt Interessen von Anrainer_innen, kritisiert unter anderen Renate Blum vom Verein LEFÖ, der sich seit Jahren für Sexarbeiterinnen-Rechte engagiert. Trotz der in der Sache liberal positionierten Grünen und der Einbeziehung von LEFÖ und anderen Expert_innen wurden bessere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen nur bedingt verankert.

Kernstück des Gesetzes ist das Verbot der Straßenprostitution im Wohngebiet. Seit Jahren schon gab es von verschiedenen Seiten Kritik an der schwierigen Durchführbarkeit der vorherigen Regelung: zum einen eben durch Bürger_innen-Initiativen, die sich durch die Anbahnung/das Angebot sexueller Dienstleistungen belästigt fühlten, zum anderen z. B. von NGOs. Wo Sexarbeit draußen stattfinden konnte, war nämlich durch Schutzzonen geregelt, die im Umkreis von 150 Metern von bestimmten Gebäuden (z. B. von Schulen, Kirchen, Kindergärten, aber auch Straßenbahnstationen) galten. Konkret nachzuvollziehen war die 150-Meter-Grenze weder für die Sexarbeiterinnen noch für die Exekutive, so Blum: „Die Frauen meinten, sie stehen da richtig, und dann kam die Exekutive und meinte, sie tun das nicht – und haben bestraft.“ Beschwerden und die schwierige Handhabe der Straßenprostitution waren Anlass, das Prostitutionsgesetz schließlich zu überarbeiten.

Statt der Straßenprostitution im Wohngebiet gibt es nun einzelne Erlaubniszonen – Erlaubniszonen, über die lange debattiert wurde: Die Frauenstadträtin hatte die Bezirke um Vorschläge gebeten, die zwar erfolgten (u. a. zwei Abschnitte des Gürtels und der 9. Bezirk in der Gegend der WU), aber dann schnell zurückgezogen wurden; auch deshalb, weil sie Anrainer_innen auf den Plan riefen: „Die Initiative im 15. Bezirk war medial sehr präsent und hat insofern Schule gemacht“, meint Renate Blum. Die Anrainer_innenproteste waren meist intensiv und erfolgreich; schließlich wurden nur die Erlaubniszonen Prater und Auhof eingerichtet – und auch deren Weiterbestehen steht mittlerweile zur Diskussion.

Erlaubniszonen Auhof und Prater
Im Auhof gab es zunächst auch Proteste, die sich dort allerdings nicht durchsetzen konnten. Die Zone war aber von Beginn an kaum frequentiert, im Dezember traf LEFÖ dort wenige, im Jänner gerade einmal zwei, drei Frauen an. Das lag und liegt zum einen an der schlechten Lage – der Auhof ist am äußeren Rand des 14. Bezirks und verkehrstechnisch sehr schlecht angebunden –, zum anderen an der schlechten Infrastruktur: schlechte Beleuchtung, keine Stundenhotels, keine Sanitäranlagen und die Abhängigkeit von einer einzigen Tankstelle, um dort Kaffee zu trinken, sich aufzuwärmen und aufs Klo zu gehen. Die Sexarbeiterinnen würden außerdem oft direkt bei der Westeinfahrt stehen, und „die Sicherheit der Frauen ist dort nicht gewährleistet“, so auch die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger in einer Aussendung.

Die Zone Prater ist hingegen Tag und Nacht stark frequentiert: „Nach den Zahlen unserer Streetworkerinnen von letzter Woche standen so viele Frauen dort, dass das ganz sicher nicht mehr lange so sein wird“, meint Renate Blum. „Die Bezirksvorstehung vom 2. Bezirk hat bereits durch die Medien verlauten lassen, dass man sich für ein Verbot der Prostitution, die tagsüber stattfindet, stark machen möchte.“ Der Verein LEFÖ befürchtet inzwischen, dass es künftig in Wien gar keine Straßenprostitution mehr geben wird.

Weitere Neuerungen im Prostitutionsgesetz
Unterstützt wird das Verbot der Straßenprostitution im Wohngebiet durch die im neuen Gesetz verankerten Strafen für Freier, die außerhalb der Erlaubniszonen (und auch in nicht gemeldeten Lokalen) Prostitution anbahnen – bisher sah das Gesetz nur für die Prostituierten Strafen vor. Wien nimmt hier Anleihe am schwedischen abolitionistischen Modell, das u. a. davon ausgeht, durch Freierbestrafung Prostitution eindämmen zu können. Selbst die am Beschluss beteiligten Grünen kritisieren den Paragrafen: „Mögliche negative Auswirkungen könnten ein Verdrängen des Straßenstrichs in Seitengassen oder in zwielichtige Lokale sein, die zur Gefährdung der Frauen beitragen.“

Neu im Gesetz ist außerdem der Umgang mit Minderjährigen in der Sexarbeit. Die Strafen wurden reduziert (das erstmalige „Erwischen“ ist straffrei), stattdessen sind die jungen Frauen aber zu einer Beratung beim Jugendwohlfahrtsträger verpflichtet. Generell wurden die Strafen für Sexarbeiterinnen reduziert. Expert_innen geht dies aber nicht weit genug, sie fordern die Abschaffung der Bestrafung von Minderjährigen und eine Beschränkung der möglichen Anzahl an Strafverfügungen beispielsweise auf eine Verfügung pro Nacht. Auch die Unfreiwilligkeit der Beratung ist ein weiterer von Expert_innen kritisierter Punkt.

Ebenso kritisiert wird die noch immer geltende Meldepflicht von Sexarbeiterinnen bei der Polizei anstatt bei der Wirtschaftskammer: Prostitution und Kriminalität werden von vornherein aneinander gekoppelt und damit ein vermeintliches Naheverhältnis der Sexarbeit zu kriminellen Tätigkeiten festgeschrieben. Das gilt auch für die im Gesetz festgeschriebenen erweiterten Eingriffsmöglichkeiten der Polizei. Sie darf nun „bei begründetem Verdacht“ „mit angemessener unmittelbarer Zwangsgewalt“ ihre Zutrittsbefugnis in Lokalen durchsetzen und „wenn es unerlässlich ist“, Gewalt gegen „Sachen“ anwenden und bei Verdacht einer Straftat verdeckt ermitteln. Des Weiteren gibt es strengere Kontrollen von Lokalen – bei einer Neueröffnung besteht Meldepflicht, damit gehen aber auch Verbesserungen für Sexarbeiterinnen einher, z. B. sind Lokalbetreiber_innen künftig dazu verpflichtet, Alarmknöpfe in allen Zimmern anzubringen.

Veränderte Arbeitsbedingungen
Konsequenzen hat die neue Gesetzgebung in erster Linie für die Straßenprostitution – LEFÖs Beobachtungen im Streetwork zeugen davon, dass das Gesetz (nicht zuletzt aufgrund massiver Kontrollen nach Inkrafttreten) Wirkung zeigt. Sexarbeiterinnen auf der Straße sind mehr oder minder verschwunden. Wo sie hin sind, lässt sich nicht wirklich sagen: „In der Prostitution gabs immer schon eine große Mobilität, aber aktuell ist das ganz besonders so“, sagt Renate Blum. „Die Sexarbeiterinnen sind außerdem gut vernetzt, hören von besseren Bedingungen in anderen Städten und schauen sich das an.“ Sie verweist damit auch auf die Mobilität der neuen Schengenstaatsbürger_innen und die (nicht nur die Sexarbeit betreffende) Arbeitsmigration als Konsequenz der europaweit schlechten Arbeitsmarktsituation.

Mit dem Verbot der Straßenprostitution ist außerdem eine Verschiebung der Sexarbeit zu erwarten – nicht in Form eines Anstiegs von Indoor-Arbeitsstätten (die ja künftig stärker kontrolliert werden), sondern mit einer Verlagerung in andere Bereiche. So wird z. B. kolportiert, dass in Einkaufszentren Prostitution stattfindet; bzw. ist damit zu rechnen, dass die Anbahnung sexueller Dienstleistungen „auf Handy, Internet, mit bestimmten Codes, verschoben und nicht mehr auf der Straße passieren“ wird. Sexarbeit verlagert sich damit in Bereiche, zu denen Streetwork keinen Zugang mehr hat – die Frauen können dadurch weniger geschützt, beraten und unterstützt werden. Mit der Verdrängung von Sexarbeiterinnen aus dem öffentlichen Raum rückt die Stadt außerdem von einer Normalisierung der Arbeitsverhältnisse und damit der Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit weiter ab.

Die Szene ist heterogen, meint Renate Blum. Dementsprechend heterogen sind auch die Wünsche, die an Arbeitsbedingungen gerichtet werden; mit dem Wegfall von Straßenprostitution wird das Spektrum verkleinert. „In unseren Augen hätte da die Politik ein anderes Zeichen setzen und sehen müssen, wie Sexarbeit aussieht und was gute Rahmenbedingungen dafür wären.“

Sittenwidrigkeit kippen!
Gute Rahmenbedingungen, das hieße v. a. Aufhebung der Sittenwidrigkeit, die in der nationalen Gesetzgebung verankert ist. Die Sittenwidrigkeit steht exemplarisch für die gesellschaftliche Doppelmoral gegenüber der Prostitution, bedeutet sie doch, dass keine gültigen Arbeitsverträge abgeschlossen werden können, also weder Arbeitnehmer_innenrechte in Anspruch genommen (keine Anstellungen und Gewerkschaften), noch Verträge mit Kunden abgeschlossen werden können.

Selbst Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek spricht sich für die Aufhebung der Sittenwidrigkeit aus, ebenso die Mitarbeiter_innen verschiedener Ministerien. Es gäbe außerdem viele politisch aktive Personen, die sich für die Abschaffung einsetzen, meint Renate Blum. Und trotzdem „liegt sie in einer Schublade“, sie könnte aber „jederzeit herausgenommen werden und es würde 100-prozentig durchgehen“. Trotzdem fehlen noch die wesentlichen Schritte, damit Sexarbeit endlich aus dem Bereich der Sittenwidrigkeit enthoben wird.

„Und sicher, es gibt es auch Stimmen, die meinen, dass dann nicht alles rosig wäre – das stimmt natürlich“, meint Renate Blum. Anstellungsverhältnisse können natürlich neue Abhängigkeiten schaffen und Gewerkschaften nicht per se eine starke Interessenvertretung sein. Dennoch, mit der Aufhebung der Sittenwidrigkeit wäre ein wichtiger Schritt in Richtung bessere Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit gesetzt.


[printed in MALMOE 59, Juni 2012]