Mehr Schaden als Nutzen
Seit November letzten Jahres füllt das Neonazi-Trio, das sich »Nationalsozialistischer Untergrund« nannte und 1998 vor den Augen des Verfassungsschutzes abtauchte, die Zeitungen. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe standen seit Mitte der 90er Jahre unter »Beobachtung« des Thüringer Landesamtes (LfV) und hatten ab 1995 einen Eintrag im Nachrichtendienstlichen Informationssystem des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Sie gehörten damals zur Jenaer Sektion des »Thüringer Heimatschutzes«. Das Thüringer LfV habe hier »eine Quelle an exponierter Stelle« gehabt, erklärte dessen Präsident Thomas Sippel im November 2011 vor dem Innenausschuss des Bundestages. In der Tat: Der ebenfalls aus Jena stammende Tino Brandt, alias V-Mann »Otto«, war die Führungsfigur der »Heimatschützer«. Der Neonazi, der es bis zum stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden brachte, stand von 1994 bis zu seiner Enttarnung 2001 in Diensten des Amtes. Er soll dafür insgesamt rund 200.000 DM kassiert haben, die er nach eigenen Angaben in den Aufbau des THS investierte. »Otto« hatte die gesamte »Karriere« des NSU-Trios bis zu seinem Abtauchen Anfang 1998 aus nächster Nähe verfolgt und auch danach noch mit den dreien Kontakt. Bis ins Jahr 2000 soll er sich mehrmals mit den Untergetauchten getroffen und davon auch seinem V-Mann-Führer berichtet haben.
Wie Sippel bereits in besagter Innenausschusssitzung berichtete, habe sein Amt auch »zum Aufspüren des Unterschlupfs des Trios« V-Leute eingesetzt. Die lieferten aber nicht nur zutreffende Hinweise auf einen Aufenthaltsort in Sachsen, sondern lenkten sowohl die Verfassungsschützer, als auch die Zielfahnder der Polizei auf falsche Fährten. »Mal hieß es, das Trio setzte sich nach Südafrika ab, (…) dann hieß es, sie seien auf Kreta tot aufgefunden worden«, so Sippel. Auch von Ungarn sei die Rede gewesen, berichtete BKA-Präsident Jörg Ziercke in derselben Sitzung. Das alles seien »möglicherweise bewusst fehlgeleitete Informationen« gewesen.
Wie der »Spiegel« und die »Berliner Zeitung« im Januar unter Berufung auf einen geheimen Bericht des BfV meldeten, sollen sich nach dem Untertauchen des Trios insgesamt fünf V-Leute im Umkreis des THS getummelt haben. Drei von ihnen hätten für »Bundesbehörden« gearbeitet, zwei für das Thüringer LfV. Dass das Amt seinen V-Mann »Otto« bei den Versuchen der Kontaktaufnahme vor der Observation durch die Zielfahnder der Polizei gewarnt hat, passt in dieses Bild.
Dünne Regeln für menschliche Quellen
»Hinsichtlich der als V-Mann anzuwerbenden Personen gibt es kaum rechtlich verbindliche (...) Kategorien.« So steht es in einem der lange Zeit führenden Kommentare zum »Nachrichtendienstrecht der Bundesrepublik Deutschland«. Der Verfasser, Helmut Roewer, war von 1994 bis zum Juni 2000 Präsident des Thüringer LfV. Unter seiner Ägide verpulverte das Amt bis zu 800.000 DM jährlich an Honoraren für die »menschlichen Quellen«.
Das Buch erschien 1986, als Roewer noch in der Verfassungsschutzabteilung des Bundesinnenministeriums arbeitete. Vier Jahre danach wurden neue Bundesverfassungsschutzgesetze verabschiedet. Aber auch dort wird man vergebens nach rechtlicher Verbindlichkeit suchen. Der Paragraph 8 Absatz 2 des Gesetzes ist vielmehr eine Ermächtigung für die Nutzung von »Methoden (...) der geheimen Informationsbeschaffung wie dem Einsatz von Vetrauenspersonen«. Was alles zu diesen Methoden gehört und wer sie anordnen darf, steht in einer »Dienstvorschrift Beschaffung« –»Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch« –, die vom Bundesinnenminister abgesegnet wird und über die nur das Parlamentarische Kontrollgremium »unterrichtet« wird, das wiederum selbst der Geheimhaltungspflicht unterliegt. Viel entscheidender als die dünnen rechtlichen Regeln sind die praktischen Bedingungen, über welche die offizielle und offiziöse Literatur zum Teil Märchen erzählt, die vor dem Hintergrund dessen, was über V-Leute im rechten Sumpf bekannt ist, geradezu lachhaft sind. Zum Beispiel das »Handbuch des Verfassungsschutzrechts« aus dem Jahre 2007. Für dessen Autorin Bernadette Droste ist zwar klar, dass V-Leute zu der Szene oder Organisation gehören müssen, über die sie – gegen Honorar – berichten sollen. Sie seien aber keine hundsgemeinen Spitzel oder gar Kriminelle, die sich Haftverkürzungen, Geld oder ähnliches erwarten. Vielmehr handele es sich »nicht selten (...) um Bürger, die ursprünglich aus idealistischen Motiven Mitglieder extremistischer Parteien geworden sind und allmählich erkennen, dass diese Parteien oder Organisationen letztlich genau den Terror oder die Willkürherrschaft anstreben, gegen die sie angeblich selber vorgehen.« Ein solcher freiheitlich-demokratischer Sinneswandel ist aber bei jenen rechten Spitzeln, die über die Jahrzehnte hinweg aufgeflogen sind, definitiv nicht zu erkennen. Sie blieben durchweg ihrem braunen Gedankengut treu (und trugen, wie es so schön heißt, auf zwei Schultern): Sie informierten zwar in der Tat den Dienst, halfen aber auch ihren Organisationen – indem sie sich umso mehr für diese ins Zeug legten, indem sie ihr Honorar (teilweise) abgaben, indem sie ihre Berichte zuvor mit den eigenen Leuten absprachen und ähnliches mehr. Derartige Geschichten sind reihenweise dokumentiert – von Andreas Szypa, FAP-Mitglied, V-Mann des LfV-NRW, 1988 aufgeflogen, über Michael Wobbe, »Sicherheitschef« der Nationalistischen Front, V-Mann des LfV-Niedersachsen, der sich 1996 damit brüstete, dass ohne ihn »so manche Kameradschaft erst gar nicht entstanden« wäre, oder Thomas Dienel, zwischenzeitlich NPD-Landesvorsitzender in Thüringen, jener V-Mann, der sein Honorar als »Spende« für seine Propaganda-Aktivitäten begriff und dessen Enttarnung Roewers Karriere im Amt beendete, bis hin zu Tino Brandt – siehe oben. Einige dieser Herrschaften wurden praktischerweise auch mit Informationen über linke politische GegnerInnen versorgt.
Der Verfassungsschutz, so Frau Droste weiter, arbeite langfristig und versuche seine V-Leute langsam in Positionen zu bringen, in denen sie an qualitativ wichtige Informationen herankommen. Spitzenleute dürften aber nicht rekrutiert werden, weil sie die Willensbildung der Organisation beeinflussen könnten. Umsonst sucht man in dem 2007 erschienenen Buch einen Hinweis auf offenkundige rechte Führungsfiguren wie Tino Brandt oder gar die V-Leute in den NPD-Vorständen, an denen 2003 das Verbotsverfahren scheiterte.
Unnütze Quellen
Vor dem Innenausschuss des Bundestags kam Sippel erneut mit der alten Leier: V-Leute seien notwendig, »um diese Szene überhaupt penetrieren zu können und Ermittlungsansätze zu finden.« Aber erstens sind diese Ansätze spätestens dann nichts mehr wert, wenn aus Gründen des »Quellenschutzes« der V-Mann vor den Ermittlungen der Polizei und vor den Verhandlungen der Gerichte abgeschirmt wird. Und zweitens dürfte die Qualität der Informationen, die aus diesen verseuchten Quellen sprudeln, sehr bedenklich sein. Da scheint es doch erheblich heilsamer auf journalistische Recherchen, die von Opferberatungsstellen gesammelten Aussagen und vor allem auf die politische Auseinandersetzung mit den Neonazis, aber auch mit dem Rassismus aus der »Mitte der Gesellschaft« zu setzen.
Das V-Leute-Unwesen gehört abgeschafft, der Verfassungsschutz am besten gleich mit.
Heiner Busch ist im Komitee für Grundrechte und Demokratie und Redakteur von Bürgerrechte & Polizei / CILIP