Stammzellforschung: „Der Markt muss erst noch entstehen“

Der GID sprach mit der Stammzellforscherin Katrin Zeilinger über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu embryonalen Stammzellen, seine Auswirkungen auf das Forschungsgebiet, die Praxis der Nutzung von Zell-Linien und die Verwertung von Forschungsergebnissen.

Interview mit Katrin Zeilinger

Katrin Zeilinger arbeitet in der Bioreactor Group am Berlin-Brandenburg Center for Regenerative Therapies an der Charité Berlin. Dort werden seit 2005 embryonale Stammzellen mit dem Ziel kultiviert, daraus Leberzellen für regenerative Therapien zu entwickeln.

Frau Zeilinger, würden Sie Ihre Forschung eher als Grundlagen- oder eher als angewandte Forschung bezeichnen?

Wir machen klinische Forschung. Unser Ziel ist es ja, Methoden zu entwickeln, um Stammzellen so zu differenzieren, dass sie nachher zu funktionell aktiven Leberzellen werden, die man für klinische Therapien nutzen kann. Grundsätzlich sind embryonale Stammzellen aber immer auch für die Grundlagenforschung interessant. Man kann zum Beispiel aus ihnen lernen, wie Differenzierungsvorgänge funktionieren und dieses Wissen dann auf andere Stammzelltypen übertragen.

Ich frage danach, weil Oliver Brüstle nach dem Urteil des EuGH gesagt hat, die Grundlagenforschung werde durch die Entscheidung zwar nicht beeinträchtigt, wohl aber werde es nun „keine Umsetzung geben“, weil Investoren sich ohne die Absicherung mit Hilfe von Patenten nicht engagieren würden. Wie sehen Sie das aus der Perspektive Ihres Projektes?

Für mich persönlich und meine Forschungsprojekte ändert sich erst mal praktisch gesehen nicht viel. Patentierte Verfahren dürfen ja in der Forschung auch ohne Lizenz angewendet werden, und der offene wissenschaftliche Austausch wird eher durch bevorstehende Veröffentlichungen behindert als durch Patentschutz. Prinzipiell kann es sicherlich von Vorteil sein, wenn Technologien oder auch Zellpräparationen nicht mehr patentierbar sind, weil jeder die Forschungsergebnisse frei anwenden und auch für eine Verwertung nutzen kann. Da wir in Deutschland Forschungsergebnisse in der embryonalen Stammzellforschung aber grundsätzzlich nicht kommerziell verwerten dürfen, hat das Urteil aus meiner Sicht kaum Folgen - jedenfalls für die Arbei-ten, die wir hier machen. Problematisch ist, dass das Urteil sagt: Es verstößt gegen die guten Sitten, embryonale Stammzellen oder Produkte daraus zu patentieren. Damit wird indirekt gesagt, dass auch die Forscher, die damit arbeiten, gegen die guten Sitten verstoßen.

Sie meinen, das Urteil beschädigt das Image der Stammzellforschung?

Ja, das Urteil wirft ein schlechtes Licht auf die Forschung mit den Zellen, denn es impliziert, dass die Zerstörung der Embryonen moralisch verwerflich ist. Wenn man sich überlegt, was alles patentiert werden kann, ohne dass es gegen die guten Sitten verstößt, ist das kaum nachvollziehbar. Man muss jetzt sehen, wie Fördergeldgeber auf dieses Signal reagieren.

Von wem erhält Ihr Projekt denn Fördergelder? Sie sind ja der Berliner Charité angegliedert, also einem Universitätsklinikum.

Unsere Gruppe ist vorwiegend über Drittmittel finanziert. Wir müssen regelmäßig Forschungsgelder einwerben, zum Beispiel beim BMBF und über EU-Projekte.

Und bei Unternehmen?

Für unsere Stammzellprojekte nicht. Der Markt für embryonale Stammzellen und daraus differenzierte Zellen muss erst noch entstehen. Bei den Leberzellen beispielsweise ist die Differenzierung schwierig. Bisher gelingt es nicht, reine Zellpräparationen zu erzeugen. Es sind noch einige Jahre Arbeit erforderlich, bis man tatsächlich den gewünschten Zelltyp in reiner Form und in ausreichenden Zellmengen herstellen kann.

Woher beziehen Sie denn die embryonalen Stammzell-Linien, die Sie verwenden?

Zum einen aus Schweden, von der Firma Cellartis, und zum anderen vom WiCell Institute in den USA, in Wisconsin.

Müssen Sie für die Zell-Linien Lizenzgebühren zahlen?

Da das WiCell Institute gemeinnützig ist, zahlen wir für die Zell-Linien aus den USA nur Gebühren. Sie decken die Kosten für das Vorrätighalten der Zellen und für den Transport ab. Mit dem schwedischen Unternehmen haben wir einen

Kooperationsvertrag, ein so genanntes Material Transfer Agreement. Das bedeutet, dass Cellartis an den Ergebnissen beteiligt wird.

Ist Cellartis also auch an einer eventuellen wirtschaftlichen Verwertung beteiligt?

In diesem Fall bedeutet das sogar, dass ausschließlich Cellartis die Ergebnisse wirtschaftlich nutzen darf. In Deutschland dürfen wir ja wie gesagt die Zellen nicht kommerziell verwerten, sondern wirklich nur zu Forschungszwecken verwenden. Das heißt, dass man als deutscher Forscher letztendlich in einer Zwickmühle steckt, weil man vom Import abhängt. Ein Vertrag wie der mit Cellartis macht es jedenfalls nicht gerade einfach, den kommerziellen vom wissenschaftlichen Teil der Forschung zu trennen. Aber unabhängig von solchen Verträgen können natürlich Ergebnisse, die wir veröffentlichen, von Forschern oder Firmen im Ausland immer auch kommerziell genutzt werden. Das ist ein grundsätzliches Problem der gesetzlichen Regelung in Deutschland zu embryonalen Stammzellen: Die Vermarktung und wirtschaftliche Nutzung unserer Forschungsarbeiten überlassen wir letztlich Forschern im Ausland.

Wie wird sich das Urteil des EuGH denn auf europäische Firmen wie Cellartis auswirken? Die bisherigen Patente zu embryonalen Stammzellen sind ja damit ungültig.

Da muss man jetzt abwarten, was passiert. Sicherlich müssen Firmen, die auf embryonale Stammzellen spezialisiert sind, ihre Verwertungsstrategie überdenken. Es wird aber seine Zeit dauern, bis geklärt ist, welche Patente nach der EuGH-Entscheidung tatsächlich hinfällig sind und welche nicht.

Und in der Zwischenzeit arbeitet man wie bisher?

Davon gehe ich aus. Ich könnte mir vorstellen, dass europäische Unternehmen schon erteilte Patente auch für ethisch unproblematische Zellen anmelden, zum Beispiel für ipS-Zellen. So können sie zumindest die Verfahren zu ihrer Kultivierung schützen. Fraglich ist, was mit den Patenten auf Zell-Linien passiert. Vermutlich muss jedes einzeln geprüft werden - welche Zellen es genau waren, wo die herkamen und so weiter.

Hat das Urteil denn auch Folgen für den Handel mit Zell-Linien aus außereuropäischen Ländern wie etwa den USA und für die Verwertungsrechte, auf denen er basiert?

Beim WiCell Institute als gemeinnütziger Organisation zahlt man ja nur die Gebühren zur Deckung der Bereitstellungs- und Transportkosten, hier wird sich vermutlich nichts ändern. Generell werden Patente außereuropäischer Firmen mit dem EuGH-Urteil in Europa aber ungültig. Das kann das Interesse an einer Vermarktung in Europa schmälern. Andererseits haben dadurch europäische Forschergruppen und Firmen mehr Freiheit zur Verwertung - jedenfalls in den Ländern, wo das erlaubt ist.

Abschließend noch eine andere Frage: Was halten Sie davon, dass der EuGH auch unbefruchtete Eizellen als schützenswerte Embryonen ansieht, wenn sie durch Zellkerntransfer zur Teilung angeregt werden? Sie sind ausdrücklich in das Verwertungsverbot eingeschlossen.

Da kommt man natürlich in einen schwierigen Bereich, wo man sich zum Beispiel fragen kann: Haben diese Zellen bereits Menschenwürde? Ich glaube, es ist wirklich noch nicht ausgemacht, welche Zellen von dem Beschluss tatsächlich betroffen sind.

Und halten Sie Patente prinzipiell und perspektivisch für notwendig?

Es sollte schon möglich sein, Verfahren im Zusammenhang mit Stammzellen zu patentieren, ebenso wie es auch mit anderen Zellen gemacht wird. Nur dann werden Firmen auch in diese Forschung investieren. Anders sieht es bei den Zellen selbst aus. Wenn ich eine Zelle mit bestimmten Eigenschaften entdeckt habe, ist die nicht patentierbar. Sie ist ja schon da, ohne dass ich etwas dazu getan habe. Wenn man aber eine Zelle so verändert, dass es eine neue Zelle wird - dann ist sie hergestellt und kann theoretisch patentiert werden. Firmen sind natürlich eher an patentierbaren Produkten interessiert. Es hat aber auch einen Vorteil für die Forschung, wenn ein Produkt nicht patentierbar ist, weil man dann keine Rücksicht auf bestehende Patente nehmen muss.

 

Frau Zeilinger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Das Interview führte Uta Wagenmann