Die deutsche Politologin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan über Kinder, Karriere und die Krise der Sozialdemokratie.
an.schläge: Sie setzen sich im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Verschiebung der Karriere nach der Familienphase ein. Wie ist das aber realisierbar – in einer Arbeitswelt, die nach jungen Menschen verlangt?
Gesine Schwan: Ja, es ist wahr, dass viele Unternehmen in den Jungen flexible, formbare Arbeitskräfte sehen. Aber es müsste deutlich gemacht werden, dass die Familie ein öffentliches Gut ist. Der soziale Zusammenhang hat dort seine Quelle. Unser Wirtschaftssystem verlangt aber, dass man sich im Alter zwischen 25 und 45 Jahren total dem Beruf widmet. Daneben soll dann gleichzeitig auch die Familie reibungslos funktionieren und die Partnerschaft muss auch gepflegt werden. Der Job, die Kinder oder die Partnerschaft leiden. Ich plädiere dafür, Karrierehöhepunkte nach hinten zu verlegen. Die Unternehmen müssen sehen, dass es sinnvoll ist, wenn man mit Ende fünfzig oben ankommt. Denn ich glaube nicht, dass ein 35-Jähriger ein Unternehmen auch sozial kompetent führen kann. Ihm fehlt es einfach an Lebenserfahrung. Ich selbst habe zwei Kinder großgezogen, ich war zwar sehr privilegiert, aber es war trotzdem viel. Man unterschätzt das. Und oft sind dann auch noch Eltern zu versorgen. Wenn das alles weiterhin nicht mehr nur den Frauen aufgebürdet werden soll, geht es gar nicht anders, als umzudenken. Es gibt nun ja auch die Chance dafür, da wir alle länger leben. Natürlich müssten dann auch handfeste Regelungen für Gesundheits- und Rentensicherung gemacht werden, wenn man zugunsten der Familie weniger arbeitet.
Das ist ein frauenpolitisches Anliegen. Warum wollen Sie sich eigentlich nicht als Feministin bezeichnen?
Ich war keine Feministin, als die Frauenbewegung losging. Aber es ist klar, dass Frauen diskriminiert werden. Ich komme aus einem emanzipierten Haushalt und deshalb kannte ich Benachteiligungen nicht als Problem.
Sie hatten also als Frau keinen Leidensdruck erlebt?
Nein, ich hatte nicht viele Hindernisse und überhaupt keinen Leidensdruck. Ich habe das erst allmählich kennengelernt. Im Berufsleben wunderte ich mich zwar öfters, dass ich als Frau allein unter Männern war. Aber zuhause war es für mich immer selbstverständlich, dass ich mich bei Diskussionen beteilige. Meine Mutter war ständig unterwegs und gründete eine Friedens- und Frauenpartei nach der anderen. Ich habe auch nie einen Anlass gesehen, mich irgendwie Männern anzugleichen. Ich habe mich immer wohl in meiner Haut gefühlt und bin immer gern eine Frau gewesen. Nur manchmal habe ich mir gedacht, es wäre als Mann einfacher.
In welchem Zusammenhang?
Nach dem Tod meines Mannes habe ich lange alleine gelebt und meine Kinder alleine großgezogen. Da habe ich oft im Spaß gemeint: Schade, dass ich nicht lesbisch bin, denn es gibt mehr alleinstehende, interessante Frauen als Männer in meinem Alter. Ältere Männer haben es leichter, jemanden zu finden. Aber ich habe dann doch das große Glück gehabt, einen Mann zu treffen, mit dem ich harmoniere.
Fühlen Sie sich als Katholikin in der Kirche diskriminiert?
Ich habe mich erst als 20-Jährige taufen lassen. Ich wusste also, was ich tat. Es gibt Regelungen in der Kirche, die mich nicht interessieren. Dass Frauen nicht Priesterinnen werden dürfen, finde ich unsinnig. Ich würde auch den Zölibat abschaffen. Es ist spannend, dass das Interesse des Papstes an der anglikanischen Kirche dazu führen könnte, dass verheiratete Priester in die Kirche kommen. Das finde ich sehr amüsant. Der Grund, warum ich katholisch und nicht evangelisch wurde, liegt darin, dass mir bestimmte theologische Positionen in der katholischen Theologie mehr zugesagt haben. Insgesamt sehe ich dort eine positivere Einstellung zur Natur. Und es war mir vertrauter, weil mich meine katholische Mutter immer in die Messe mitgenommen hat. Ab dem 13. Lebensjahr ging ich auch alleine zur Messe, obwohl ich gar nicht getauft war.
Sie haben sich gefragt, wie es die deutsche Familienministerin schafft, ihren Job mit den Kindern zu vereinbaren. Warum ist das bei Männern kein Thema?
Weil die meisten PolitikerInnen vor allem im konservativen Bereich von der Rollenunterscheidung ausgehen. Dass die Frauen eben zuhause sind. Es ist natürlich unfair, die Kinderbetreuung immer als Sache der Frauen darzustellen. Auch als Mutter soll man Ministerin sein können. Ich kann mir nur nicht vorstellen, wie das bei ihr im Alltag klappt. Ich gestehe auch, dass ich diese Rollen ebenfalls zum Teil verinnerlicht habe, obwohl ich so selbstständig aufgewachsen bin. Mein Mann hat immer gesagt, du musst im Beruf bleiben. Das war ich auch immer, und heute bin ich darüber froh. Deshalb propagiere ich die reale Wahlmöglichkeit. Es darf nicht sein, dass man nur formal die Wahl hat, aber im Grunde alles wieder darauf hinausläuft, dass die Frau ihren Beruf aufgibt. Viele haben noch nicht verinnerlicht, dass Familie eine partnerschaftliche Sache ist. Das dauert wohl noch eine Weile.
Sie wenden sich auch gegen das Ranking- und Wettbewerbsdenken. Wie soll das überwunden werden, in unserer Leistungsgesellschaft?
Das ist natürlich sehr schwierig. Ich hoffe, dass sich in den Bildungsdebatten allmählich etwas verändert. Wir brauchen eine neue Art der Motivation. Bildung ist derzeit sehr stark ökonomisch ausgerichtet. Junge Leute müssen immer früher mit ihrer Ausbildung fertig sein. Dadurch sind aber viele gestresst. Die gesamte Ausrichtung, Leistung dadurch hervorzubringen, dass man nicht von der Sache her motiviert wird, sondern dadurch, dass man der Beste sein muss, sollte durchschaut werden. Denn das ist zerstörerisch.
Die SPD hat bei den Bundestagswahlen stark verloren, auch in Österreich taumeln die SozialdemokratInnen. Warum findet die Sozialdemokratie keine Antworten gerade jetzt in der Krise?
Die deutsche Sozialdemokratie hat programmatisch durchaus vernünftige Antworten. Aber sie stimmen nicht immer mit der Praxis überein. Es gibt aber auch eine andere Erwartung an die Sozialdemokratie. Von den Konservativen erwartet man nicht, dass sie die Welt verbessern oder einen moralischen Input liefern. Das erwartet man aber von der Sozialdemokratie, auch dass sie sich intern entsprechend verhält. Bei Konservativen wird vieles hingenommen, aber bei Sozialdemokraten wird kritisiert, dass sie nicht nach ihren eigenen Werten leben. Insofern ist hier mehr Enttäuschungspotenzial. Die SPD hat elf Millionen Stimmen verloren, seit sie in die Regierung gekommen ist. Das ist natürlich eine riesige Summe.
Was fehlt also der Sozialdemokratie?
Der SPD fehlt vor allem auch bei ihren Repräsentanten die durchdachte und begeisternde Idee, wie man die globalisierte Ökonomie gestaltet, damit es keine Spirale nach unten gibt. Die Sozialdemokratie ist angetreten im Dienste der Gleichheit aller Menschen. Das hat sie im 20. Jahrhundert mit dem Sozialstaat ganz gut geschafft. Seitdem der Sozialstaat in seiner Entscheidungsmöglichkeit durch die Globalisierung sehr stark eingeengt ist, muss sie international die Antwort geben. Es geht nicht mehr nur nationalstaatlich. Sie könnte ja auch an ihre Tradition der internationalen Solidarität anknüpfen, aber das ist schon lange nicht mehr das tragende Element. Die Sozialdemokraten haben sich überall auf ihre nationalen Staaten konzentriert. Die Ausweitung auf das Internationale fällt ihnen nun schwer. Die anderen tun es aber auch nicht. Schon gar nicht die Liberalen, die nur den Markt machen lassen wollen. Die Grünen sind am ehesten auf dem Weg der Internationalisierung. Ihr Erfolg bei den EU-Wahlen ist darauf zurückzuführen.
Die Linke hat aber gewonnen. Offenbar hat sie manches besser gemacht.
Nein. Sie musste bisher keine Regierungsverantwortung übernehmen. Sie sammelt derzeit auch viele ProtestwählerInnen ein. Dort, wo sie in der Regierung ist, bekommt ihr das auch nicht immer gut – wie in Berlin, wo sie bei den Landeswahlen auch verloren hat. Linke Parteien verlieren, wenn sie in einer Krisenzeit in der Regierung sind. Die SPD muss nun offensiver zeigen, wohin sie will. Sie muss sich entschieden öffnen und für internationale Politik werben, in dem Sinne, dass die soziale Absicherung auch auf internationaler und europäischer Stufe gewährt werden soll. Und die Wirtschaft muss natürlich auch international gestaltet werden.
Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at