Rekordverdächtig

Skispringerinnen wurde das Recht verweigert, an den Olympischen Winterspielen in Vancouver teilzunehmen. Das liegt eventuell auch daran, dass sie weiter springen könnten als die Männer.

Es wäre wohl ein Riesenskandal: Wenn nämlich eine Richterin des Obersten Gerichtshofes in Kanada entscheiden würde, das Skispringen für Männer ebenfalls zu verbieten, um der Diskriminierung der Skispringerinnen Einhalt zu gebieten. Die österreichischen Skispringer, ihre Trainer und der ÖSV würden zweifellos einen Schock erleiden.
120 Springerinnen aus 25 Nationen dürfen auch bei dieser Olympiade in Vancouver wieder nicht teilnehmen. Zuvor hatten weltweit 11.000 Unterstützer- Innen eine Petition unterzeichnet. Die im Mai 2008 eingereichte Klage der Springerinnen wurde Ende Dezember jedoch in letzter Instanz vom Obersten Gerichtshof in Kanada abgelehnt. Offizielle Begründung: Für die Zulassung eines olympischen Wettbewerbes müssen mindestens zwei Weltmeisterschaften stattgefunden haben. Im Februar 2009 gab es in Liberec die bislang einzige Weltmeisterschaft im Damenskispringen.
Nun versuchen die Springerinnen in Berufung zu gehen. Denn das Internationale Olympische Komitee (IOC) führt mit der Entscheidung, die Skispringerinnen nicht teilnehmen zu lassen, seine selbst immer betonten Bemühungen, den Frauensport zu fördern, ad absurdum.
„In diesem Fall geht es nicht nur um die Skispringerinnen. Das wahre Thema ist Gender-Diskriminierung und von nationaler Bedeutung. Es geht darum, ob das Olympische Organisationskomitee für Vancouver von einer ausländischen Organisation gezwungen werden kann, eine diskriminierende Entscheidung in Kanada umzusetzen“, erklärte der mit der Berufung befasste Rechtsanwalt Ross Clark in Vancouver. „Eigentlich tolerieren wir keinerlei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Kanada.“

„Du fliegst nicht mehr.“ Möglicherweise liegt der Grund für die andauernde Diskriminierung aber ohnehin woanders. Die US-amerikanische Skispringerin Lindsay Van stellte bei den Vorflügen einen neuen Rekord auf. Und darf nun nicht antreten. Seit der WM in Liberec ist sie die erste Weltmeisterin in der Geschichte des Damenskispringens. Eine Vorspringerin, Daniela Iraschko, erreichte in Österreich am Kulm 2003 eine Weite von zweihundert Metern, obwohl die Bedingungen in der Spur für Vorspringerinnen schlechter sind. Nur vier Männer gelangten damals in die Nähe ihrer Vorgabe. „Die verantwortlichen Entscheidungsträger sagten aber nicht, ‚Wow super‘, sondern, ‚Du fliegst nicht mehr …‘“, erzählt William Rush bei einem Kaffee in einem Einkaufszentrum in Wien Heiligenstadt. Er ist der Onkel der aufstrebenden Skifliegerin Jessica Jerome, die die US-Nationals in Lake Placid im Staate New York gewann und schon vor acht Jahren Vorspringern für die Olympiade in Salt Lake City war: „Ich glaube, es gibt eine große Chance, dass Frauen besser springen als Männer! Frauen sind aerodynamischer und haben leichtere Knochen. Männer müssen abmagern, sie müssen lang und leicht sein, um weit zu fliegen. Kein Wunder, dass die Männer dagegen sind, dass Frauen springen.“
„Skispringen ist eine der extremsten Sportarten“, sagte Jessica Jerome selbst in einem Interview. „Es besitzt dieses wagemutige, gefährliche Element, aber auch schöne, elegante Seiten. Springen ist ein sehr traditioneller, europäischer, alter Männer-Sport. Manche Männer befürchten, dass Frauen ihm das Extreme nehmen könnten.“ Die Tochter von William Rushs Schwester, die in Park City in Utah aufwuchs, leidet sehr darunter, dass sie nicht antreten darf und währenddessen immer älter wird. Die jungen Frauen müssen sich die Ausrüstung, die Flüge und den Unterhalt selber erarbeiten, denn sie erhalten keinerlei Gelder vom Olympischen Komitee oder von Sponsoren. Und so fehlen ihnen auch die finanziellen Mittel für professionelles Training. „Alle Gelder, die sie hereinbringen, werden verteilt, sie selbst bekommen nichts. Wenn Jessica einen Privatsponsor ergattern würde, verliert sie ihren Amateurstatus und darf erst recht nicht antreten“, schildert Rush die Schwierigkeiten. Die Japanerinnen konnten sogar einige Male nicht nach Europa kommen, weil es kein Geld für Flugtickets gab.

Marketing & Medien.
„Ich sagte meiner Schwester, das ist Marketing, das Olympiakomitee ist eine riesige Firma und für die einzelnen Länder ist es ebenfalls ökonomisch wichtig. Es ist auch eine Frage der Übertragung durch das Fernsehen, dem größten Sponsor des Skispringens“, sagt Rush. „Meine Nichte hätte schon bei drei Olympiaden springen können, aber sie wird niemals in einer springen – wegen Geld. Einmal war eine Amerikanerin als einzige ohne ihren Werbeträger, nämlich ihre Ski, auf dem Podest“, lacht er. Vor kurzem verlor eine Fluggesellschaft Jessica Jeromes gesamte Ausrüstung – ein Tiefschlag für Jerome und ihre Familie, der für eine Springerin das Ende ihrer Karriere bedeuten kann.
Bei einer Diskussion zum Thema „Sportjournalismus“ an der Universität Wien hält es Johann Skocek vom „Standard“ nicht einmal der Mühe wert, zu begründen, warum er nichts über die Skispringerinnen bringt. Er zieht es vor, darüber zu diskutieren, dass „man in der Sportberichterstattung überall bei Raiffeisen anstößt“. Sein Kollege Wolfgang Wiederstein von „Die Presse“ verweist darauf, dass sie die Vorgabe haben, in Richtung Mainstream zu berichten: „Denn niemand kauft ‚Die Presse’ wegen der Sportberichterstattung.“ Doch die konsequente Verhaberung zwischen Politik, Sportlern und Journalisten sehen beide durchaus als Problem.

Biologistische Argumente. Das IOC entschied 2006, dass es beim Skispringen nicht genug Frauen auf internationalem Level gäbe. „Es ist ein Fall von Diskriminierung wie aus dem Bilderbuch“, sagte Anita De Frantz, Vorsitzende der Kommission für „Frauen und Sport“ des Olympischen Komitees. „Einer Gruppe von Athletinnen wird gesagt, sie wären nicht gut genug. Dabei war das noch nie ein Kriterium.“
FIS-Präsident Gian Franco Kasper ließ 2005 im Radio verlauten, dass Skifliegen für Frauen zu gefährlich wäre, da „es für Frauen aus medizinischer Sicht nicht zu vertreten ist“. Die Rede war von möglichen Quetschungen des Geburtsbeckens und einer Verdrehung der Eierstöcke. Ein neueres Argument besagt, dass das Feld zu weit auseinander liege, tatsächlich liegen die Ergebnisse der Springerinnen jedoch relativ eng beieinander. „Anfangs gab es nur dreißig bis vierzig Rodlerinnen weltweit, Langlauf galt auch lange als obskur und im Snowboard gibt es inzwischen starke Frauen – für Österreich z.B. Marion Kreiner oder Dorosia Krings. Sie nehmen an Olympia teil. Es gibt fantastische Motorrad- und Autofahrerinnen, wenn sie aber eine Gefahr für den Erfolg der Männer sind, boxen sie sie raus“, meint Rush, der selbst Trainer einer Damen-Softball-Mannschaft war – inzwischen auch keine olympische Disziplin mehr.
Wenn es Männern durch eine Gerichtsentscheidung nun ebenfalls verboten werden würde, am Skifliegen bei der Olympiade teilzunehmen, käme vieles in Bewegung. „Es wäre viel billiger, Frauen hineinzulassen. Aber die werden die Frauen dann nur von geringerer Distanz aus springen lassen … so werden sie es machen“, schätzt William Rush, der an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schrieb und die Antwort erhielt, dass er kein Betroffener sei.
In „Sport am Sonntag“ gab es einmal eine Reportage über eine 12-Jährige muslimische Springerin in Innsbruck. Gefragt, warum sie kein Kopftuch trage, antwortete sie: „Ich habe ja eh meine Mütze!“. Vielleicht wird sie eines schönen Tages erfolgreich den Gerichtshof anrufen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at