Menschenrechte auch in Afrika!

WT-Interview mit dem ugandischen Richter George W. Kanyeihamba

Im Rahmen der alljährlichen Potsdamer Frühjahrsgespräche, die die Stiftung Entwicklung und Frieden in Kooperation mit WeltTrends durchführt, hatten wir Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem ehemaligen Richter am Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker, George W. Kanyeihamba aus Uganda.

WeltTrends: Herr Kanyeihamba, Sie waren von 2006 bis 2008 einer von vier Richtern am Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker. Ihre Bilanz der Arbeit dieses Gerichts ist sehr negativ. Was kritisieren Sie an diesem Gericht?

George Kanyeihamba: Der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker, der 2006 gegründet wurde, ist eine Totgeburt. So, wie er im Moment besteht, ist er vollkommen unfähig, den Anforderungen gerecht zu werden, die an ihn gerichtet werden.

WeltTrends: Das sind harte Worte. Wie ist der Gerichtshof entstanden ist und welche Funktion hat er?

George Kanyeihamba: Die Aufgabe des Gerichtshofs besteht darin, die Afrikanische Charta für Menschenrechte und Rechte der Völker juristisch durchzusetzen. Diese Charta ging aus der Organisation für Afrikanische Einheit – nun ersetzt durch die Afrikanische Union (AU) – hervor und trat 1987 in Kraft. Sie sah den Aufbau einer Menschenrechtskommission und eines Gerichtshofs für Menschenrechte vor, ähnlich dem schon bestehenden Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Sie sollen die in der Charta festgeschriebenen Rechte juristisch wirksam schützen. Jedem, der diese Rechte verletzt, soll der Prozess gemacht werden. Die Kommission  für Menschenrechte und Rechte der Völker entstand vor dem Gerichtshof. Sie hatte allerdings nur beratende Funktion. Und eben weil ihre Funktion nicht rechtsverbindlich war, wurden fast alle ihre Empfehlungen einfach ignoriert. Im Juni 2004 trat dann schließlich das Protokoll in Kraft, das den Aufbau des Menschenrechtsgerichtshofs vorsah. Zusätzlich entschied die Menschenrechtsgerichtshof mit dem Afrikanischen Gerichtshof, der sich seit 2003 im Aufbau befindet, zusammengelegt werden soll. Das war die Geburtsstunde unseres Gerichtshofs.

WeltTrends: Wie würden Sie Ihre Amtszeit an diesem Gerichtshof im Nachhinein beurteilen?

George Kanyeihamba: Es war ein Trauerspiel. Können Sie sich das vorstellen? In meiner gesamten Amtszeit habe ich nicht einen einzigen Fall bearbeitet! Ende 2005 wurden ich und meine drei Kollegen zu Richtern gewählt. Aber als wir dann anfangen wollten zu praktizieren, zeigte sich, dass der Gerichtshof lediglich formal existierte. Wir haben einfach nichts vorgefunden. Es gab keine Fälle, kein Gerichtsgebäude, keinen Beamtenstab – nichts. Als wir Richter eintrafen, mussten wir – anstatt Prozesse zu halten – Regelungen und Vorschriften ausarbeiten. Es gab noch nicht einmal ein Host Agreement (Sitzstaatabkommen) zwischen Tansania, wo der Gerichtshof liegt, und der Afrikanischen Union (AU). Wir mussten das Abkommen selbst zeichnen. In den zwei Jahren, die es den Gerichtshof schon gab, befand er sich also lediglich im Aufbau. So konnten natürlich keine Prozesse abgehalten und Anhörungen durchgeführt werden.

WeltTrends: Ist wenigstens die Lage in der Menschenrechtskommission besser?

George Kanyeihamba: Keineswegs. Die Menschenrechtskommission hat zwar Fälle, zahlreiche Fälle. Sie existiert ja schon seit über 20 Jahren. Aber nur bei ein oder zwei Fällen hat sich die AU tatsächlich dazu bequemt, diese zu bearbeiten. Um die anderen hat sich nie jemand gekümmert.

WeltTrends: Wo liegen die Gründe? Hintertreiben Korruption und Angst um Machtverlust in der AU die Bestrebungen des Gerichtshofs?

George Kanyeihamba: Ja, darin liegt das Problem. Einige afrikanische Länder wollen keine supranationalen Institutionen. Alle Regierungen – in Europa ist das übrigens nicht anders – fürchten, dass diese Urteile über sie sprechen können und sie so in ihrer Macht beschneiden. Die meisten dieser Länder verstoßen in ihrer politischen Praxis gegen Menschenrechte. Sie möchten nicht, dass der Gerichtshof sie unter Druck setzen kann. So treiben sie Obstruktionspolitik. Sie wollen einfach nicht, dass der Gerichtshof funktioniert. Und das ist ihnen bisher erfolgreich gelungen.

WeltTrends: Die hierarchische Struktur der Organe innerhalb der AU haben Sie auch an anderer Stelle kritisiert.

George Kanyeihamba: Genau. Die Hauptorgane der AU sind die Versammlung der Staats- und Regierungschefs, der Exekutivrat, die AU-Kommission und der ständige Vertretungsausschuss (PRC), der eigentlich nur beratende Funktion besitzt. De facto ist es jedoch so, dass sich die anderen Gremien, die die höchsten politischen und exekutiven Autoritäten innerhalb der AU darstellen, voll und ganz nach dem PRC richten. Der PRC ist somit die treibende Kraft in der AU; sie ist ihm vollkommen ausgeliefert. Ein weiteres Problem besteht darin, dass kein transparentes System für die Wahl der Richter existiert, die natürlich das entscheidende Organ für einen funktionierenden Gerichtshof darstellen. Das Protokoll für die Einsetzung des Gerichtshofs besagt, dass die Länder, die das Protokoll unterschrieben haben, bis zu drei Kandidaten nominieren können. Daraus sollen dann die qualifiziertesten von der Versammlung der Staats- und Regierungschefs zu Richtern gewählt werden. In Wirklichkeit ist das ein abgekartetes Spiel. Wer gewählt wird, entscheidet sich nicht nach Kompetenz, sondern nach Kontakten und geschickten Verhandlungen. Das fängt schon bei der Nominierung der Richter an. Ein Minister, dem diese Aufgabe zufällt, kann einfach sagen: „Ach, mein Freund, der ist Anwalt, den schick ich da hin.“ Die Wahl der Richter ist dann das nächste Problem. Auch hier gibt wieder der PRC den Ton an; seine Empfehlungen haben de facto bindenden Charakter. Das ist fatal, da der PRC kein kompetentes, unabhängiges Gremium für eine solche Wahl ist. Als ich gewählt wurde, bestand der PRC nicht aus Juristen, das waren ganz normale Diplomaten. Sie können gar nicht beurteilen,wer ein guter Richter oder Anwalt wäre. Hinzu kommt, dass es für die Richter drei Stufen von Amtszeiten gibt, zwei, vier oder sechs Jahre. Wer welche bekommt, ist ganz willkürlich.

WeltTrends: Welche Stellung hat der Gerichtshof denn innerhalb der AU?

George Kanyeihamba: Bedauerlicherweise nimmt der Gerichtshof gegenüber den Hauptorganen der AU lediglich eine untergeordnete Position ein. Da die AU nie genügend Geld für all ihre Institutionen aufbringen kann, leidet als Erstes der Gerichtshof darunter. Die Richter verlangen zwar, dass der Gerichtshof den anderen Gremien ebenbürtig sein soll. Wenn der Gerichtshof und seine Richter den anderen Kommissionen gleichgestellt wären, würden sie mehr Macht und Geld erhalten. Die Mitglieder der anderen Kommissionen befürchten allerdings, an Einfluss und finanziellen Mitteln zu verlieren.

WeltTrends: Ist das nicht zu einseitig? Schließlich gibt es doch auch zahlreiche Mitgliedsländer der AU, die sich für den Menschenrechtsgerichtshof einsetzen. Wie reagieren sie auf die Missstände?

George Kanyeihamba: Es ist tatsächlich so, dass viele afrikanische Länder sich ein gut funktionierendes Instrument, das Menschenrechte wirksam durchsetzen kann, wünschen. Nur die einflussreichen Länder nicht. Es gibt überall Akteure, die einflussreicher sind als andere. Von  der EU ist das ja auch bekannt: Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben mehr Durchsetzungskraft als kleinere EU-Länder. Sie können Dinge leichter in Bewegung setzen. Das Gleiche passiert in Afrika. Die mächtigsten Mitglieder wollen sich von Institutionen wie dem Gerichtshof nicht reinreden lassen.

WeltTrends: Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um den Gerichtshof funktionstüchtig zu machen?

George Kanyeihamba: Zunächst einmal braucht es ein Expertenteam  – nicht nur Diplomaten, sondern Personen mit juristischem Fachwissen – das eine Strategie entwirft, wie man den Gerichtshof so aufbauen kann, dass er arbeitet. Dieses Expertenteam sollte aus europäischen, US-amerikanischen und afrikanischen Richtern und Juristen bestehen. Es sollte unbedingt die Kompetenz erhalten, die Richter zu wählen, da nur solche Leute in der Lage sind, die qualifiziertesten und vertrauenswürdigsten Richter zu wählen. Es ist wichtig, dass die Richter nicht von Diplomaten gewählt werden. Die sind für eine solche Aufgabe nicht kompetent und wählen einfach ihre eigenen Landsleute, gar nicht unbedingt aus Böswilligkeit sondern schlicht aus Unwissenheit.  Wichtig ist auch die öffentliche Meinung. Die afrikanischen Bürger müssen davon überzeugt werden, dass wir den Gerichtshof in Afrika dringend brauchen, um unsere Menschenrechtssituation zu verbessern. Was Politiker am meisten fürchten, sind Wahlen. Die Mehrheit der Länder, die gegen den Gerichtshof arbeiten, ist demokratisch verfasst. Wenn deren Bürger vom Gerichtshof überzeugt sind und die Politiker fürchten müssen, nicht wiedergewählt zu werden, könnte das ein entscheidender Anstoß sein, den Gerichtshof zu unterstützen.

WeltTrends: Herr Kanyeihamba, Sie weisen in der Öffentlichkeit immer wieder darauf hin, dass Nichtregierungsorganisationen dabei eine wichtige Rolle spielen können.

George Kanyeihamba: Nun, sie sind meinungsbildend. Gute und vertrauenswürdige NGOs könnten eine zentrale Rolle dabei spielen, die Menschen von der Bedeutung des Gerichtshofs zu überzeugen. Aber auch unter den derzeitigen Vorgaben, nach denen der PRC die Wahl der Richter entscheidend beeinflusst, könnten NGOs etwas bewirken, indem sie den PRC unter Druck setzen, nur die besten Kandidaten zu wählen oder die Kandidaten noch einmal vor einem unabhängigen Komitee überprüfen zu lassen.

WeltTrends: Die Schritte, die Sie eben skizziert haben, stellen sicher das Ideal dar. Was wird die Zukunft tatsächlich bringen?

George Kanyeihamba: Die geplante Zusammenlegung des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit dem Afrikanischen Gerichtshof ist endgültig abgeschlossen. Dafür sind schon exzellente Vorschriften und Satzungen ausgearbeitet worden, allerdings hat man noch keine Mitarbeiter eingestellt. Also wird der Gerichtshof dieses Jahr leider noch nicht in der Lage sein, Fälle zu bearbeiten. Ich hoffe, dass man diese Aufgaben in diesem Jahr bewältigt, sodass der Gerichtshof spätestens nächstes Jahr mit seiner Arbeit beginnen kann.

WeltTrends: Das klingt dann doch wieder optimistisch!

George Kanyeihamba: Man muss immer ein wenig optimistisch bleiben. Aber eigentlich bin ich es nicht wirklich. Wenn man mich fragt, ob der Gerichtshof mit seiner Arbeit beginnen wird, bejahe ich das. Aber es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen formalem Arbeiten und effektivem Funktionieren. Der Gerichtshof wird Fälle bearbeiten. Aber nach den Anhörungen dauert es dann eine kleine Ewigkeit, bis Urteile gesprochen werden, wenn es überhaupt dazu kommt. Oder Richter werden bedroht. Ich vermute, dass so der Gerichtshof wieder von seinen Aufgaben abgehalten wird.

WeltTrends: Der Gerichtshof wird auch von ausländischen Geldern finanziert. Wieso werden diese Zahlungen nicht gestoppt, wenn der Gerichtshof im Grunde nur formal existiert?

George Kanyeihamba: Geldgeber haben großen Einfluss. Die AU wird zu 90 Prozent aus Spenden finanziert. Viele afrikanische Regierungen sind ebenfalls abhängig von ausländischen Geldern. Wenn das Ausland damit drohen würde, seine Unterstützung zu verweigern, falls sich die Menschenrechtssituation in Afrika nicht verbessert und der Gerichtshof funktionstüchtig wird, hätte das nachhaltige Auswirkungen. Die Regierungen müssten von allen Seiten unter Druck gesetzt werden. Genau dies geschieht jedoch nicht. Viele schlechte Regierungen werden von der EU unterstützt. Das liegt daran, dass die Geberländer an Einfluss gewinnen wollen. China möchte sich gegen die USA die Unterstützung der afrikanischen Länder sichern. Also greift es Regierungen finanziell unter die Arme – egal, ob sie eine gute oder schlechte Staatsführung haben. Es sind am Ende die Afrikaner und nicht die Chinesen, die sterben müssen, wie sich bei Chinas fragwürdiger Zusammenarbeit mit dem Sudan zeigte. Es riet der UNO, im Darfurkonflikt nichts zu unternehmen, weil es sich dabei um ein innenpolitisches Problem handele. Tatsächlich ging es Peking darum, die wirtschaftlichen Beziehungen zum Sudan aufrechtzuerhalten und ihn als wichtigen Rohstofflieferanten nicht zu verlieren.

WeltTrends: Sind Sie nicht zu ungeduldig? Braucht Afrika nicht einfach noch Zeit, um den Menschenrechten überall und dauerhaft Geltung zu verschaffen? In Europa verging dazu ja auch sehr viel Zeit.

George Kanyeihamba: Zeit wofür? Regierungen in Afrika bestehen nicht aus Analphabeten, die gerade aus dem Busch gekommen sind, sondern aus gebildeten, kultivierten Bürgern, die in Europa lebten und wissen, wie die Dinge zu laufen haben. Sie sind diejenigen, die ihren Leuten wider besseres Wissen die Menschenrechte verweigern. Deswegen muss ich all jenen Leuten scharf widersprechen, die sagen: „Nein, in Afrika ist das alles anders, da müssen wir andere Maßstäbe anlegen.“ In Deutschland gab es unter dem Naziregime auch eine grauenvolle Diskriminierung und schrecklichste Menschenrechtsverletzungen bis hin zum fabrikmäßigen Massenmord. Hätte damals irgendjemand gesagt, dass man Deutschland entschuldigen solle, weil es eben einfach länger gebraucht habe, um allgemeine Toleranzstandards gegenüber anderen Ethnien zu entwickeln?

WeltTrends: Herr Kanyeihamba, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sophia Sabrow.