Feministische Initiative zurückgewinnen – eine Diskussion mit Nancy Fraser

Das Argument 281 (3/2009), S. 393-408

in (01.08.2009)
Die Vier-in-einem Perspektive

Vor einem Jahr veröffentlichte ich die Vier-in-einem-Perspektive (2. Aufl . 2009), eine politische Einmischung in linke Politik vom feministischen Standpunkt. Der Entwurf verfährt zunächst historisch-kritisch. Fäden aus mehreren Jahrhunderten Befreiungstheorie werden aufgenommen und neu verknüpft, eine Politik wird empfohlen, die zugleich Arbeiterbewegungserfahrungen aufnimmt wie solche aus den Frauenbewegungen; die der alten Hoffnung nach Entwicklung schlummernder menschlicher Potenzen eine Stimme gibt und die endlich ernst macht mit der Einbeziehung aller in politische Prozesse. Diese Vision ist zugleich überschreitend und realpolitisch. Sie lässt sich herunterbrechen auf die konkrete Forderung nach rigoroser Arbeitszeitverkürzung, auf die Notwendigkeit, der Bedrängnis der »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« zu entkommen, ebenfalls durch Ausdehnung des Verlangens über die Grenzen der gegebenen Formen hinaus. Die Forderung nach Zeit und Muße zur Selbstentwicklung als Menschenrecht scheint ebenso utopisch wie sie den illusionären Diskurs um Menschenrechte konkret auf das Hier und Heute bezieht. Der Vorschlag, Politik als Verknüpfungskunst zu betreiben und die Beschränkung auf nur jeweils einen oder zwei Punkte mit Rosa Luxemburg als reaktionär zu verwerfen, ist leichter gesagt als getan. Gleichwohl funktioniert er als eine Art Aktivierungsdispositiv.[1] Er gibt zahlreiche Anknüpfungspunkte, er setzt eigene Erinnerung in Bewegung; längst Vergessenes meldet sich:

»In meinem ersten Leben war mitunter die Rede davon, dass die Arbeitszeit später zwei Stunden betragen wird. Wenn alle Vergeudungen von Produktivkraft wie Krieg, Arbeitslosigkeit, Bürokratie usw. überwunden sind – wie für die kommunistische Gesellschaft unterstellt – dann reichen zwei Stunden täglich aus, um die für die Gesellschaft notwendige Arbeit zu verrichten. Die restlichen 22 Stunden pro Tag sollten für Liebe und Familie, für Politik und Kultur, für Bildung, Sport und Erholung usw. und natürlich für ausreichend Schlaf zur freien Verfügung stehen. – An diese verlockende Zukunft wurde ich erinnert, als ich mich in Frigga Haugs Vier-in-einem- Perspektive hineinlas. Um es vorweg zu nehmen, ich habe dieses Buch mit großem Gewinn gelesen.« So schreibt Ursula Schröter (ND, Mai 2009), kommend aus der ehemaligen DDR und zeigt im Weiteren, grade, wo sie kritisch anhebt, dass wechselseitiges Sprechen beginnen kann in solcher Vier-in-einem Perspektive zwischen den immer noch getrennten Kulturen von Ost und West, besonders, was die Frauen betrifft.

Der Vorschlag, ausgehend vom Entwurf der Vier-in-einem Perspektive eigene Vorschläge für ein linkes feministisches Projekt zu machen, ging an Frauen in aller Welt. Viele antworteten und begannen, ihr Land, ihre Politik neu zu besichtigen und an einem feministischen Weltprojekt Maß zu nehmen.[2] Können wir also die Vier-in-einem Perspektive auch als Lehrstück denken, die Selbstreflexion als Ausgangspunkt politischen Handelns postulieren?

Eine erste Widerrede drängt sich geradezu auf: Leben wir nicht in einer Weltwirtschaftskrise? Wo bleibt die feministische Einmischung in die Krise? Wieso gerade heute diese Rückbesinnung, welche schon im Wort Beschaulichkeit und Innehalten signalisiert. Müssten wir stattdessen nicht vorwärts stürmen und Lösungen anbieten oder wenigstens Beschwerden formulieren, dass auch diese Krise auf dem Rücken von so vielen Frauen ausgetragen wird, da sie auf jeden Fall die Lebensweise, die Gesundheit, die Bildung, die Infrastruktur und all die Bereiche, kurz das Soziale genannt, in dem Frauen sich vermehrt aufhalten, trifft? Und doch scheint gerade dieser Moment der richtige Zeitpunkt zu sein, an dem noch einmal zurückgeschritten werden muss auf der Suche danach, wo wir Feministinnen uns als politisches Subjekt verloren, von wo wir noch einmal neu anfangen müssen, um nach vorne gehen zu können. Denn genau jetzt erreichen uns aus den verschiedenen Gegenden der Welt ähnliche Rückblicke wie derjenige, den die Vier-in-einem Perspektive voraussetzt. Es ist, als gäbe es ein allgemeines Atemholen. Die Krise, die 2007 als Immobilien- und Finanzkrise begann, hat auch eine neue Seite in der Geschichte der Frauenbewegung aufgeschlagen.

Als Virginia Woolf von einem »gebildeten Mann« gefragt wurde, wie sie als Frau helfen könne, den bevorstehenden Weltkrieg zu verhindern, schrieb sie den noch immer aktuellen Essay Drei Guineen. Hier rückt sie die Frage nach der unmittelbaren Einmischung historisch zurecht, fragt nach der Stellung und den Möglichkeiten von Frauen in der Gesellschaft, liefert eine Studie über weibliche Berufstätigkeit und Bildung, um am Ende zu dem Ergebnis zu kommen: »dass wir Ihnen am besten helfen können, den Krieg zu verhindern, indem wir nicht Eure Worte wiederholen und Euren Methoden folgen, sondern indem wir neue Worte finden und neue Methoden ersinnen. Wir könnten Ihnen am besten helfen, den Krieg zu verhindern, nicht indem wir Ihrer Gesellschaft beitreten, sondern indem wir außerhalb bleiben und trotzdem an deren Zielen mitarbeiten. Diese Ziele sind die gleichen für uns beide. Wir stehen ein für ›die Rechte aller – aller Männer und Frauen – auf Respektierung der großen Prinzipien Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit in ihrer Person‹« (200).

Besonders in den 1970er Jahren, zu Zeiten der zweiten Frauenbewegung, wurde an vielen Orten versucht, diese »eigenen Worte, die eigene Methode« zur Gestaltung einer Gesellschaft zu finden, in der auch Frauen ein aufrechter Gang möglich wäre. Da aber die herrschende Gesellschaft eben nicht allein patriarchalisch strukturiert ist, sondern – wiewohl verwoben damit – in erster Linie kapitalistisch, zerrissen diese Anforderungen, realwidersprüchlich zu denken, die aufgebrochenen Frauen in miteinander zerstrittene Lager. Die Frage, ob Frauen überhaupt ein kollektives Subjekt der Betroffenheit sein könnten, wie Woolf es in ihrer Antwort umstandslos voraussetzt, wurde schnell entsorgt. An ihre Stelle traten – geschniegelt im Englischen verharrend, das macht sie weniger angreifbar und zugleich geschäftiger – difference, diversity, gender. Mit dem Verlust des kollektiven Subjekts entledigten wir uns auch der mühsamen Frage nach der kollektiven gesellschaftlichen Verantwortung. Aber wie können wir als Frauen politisch eingreifend tätig sein, wenn wir keinen Frauenstandpunkt gelten lassen? Wie von einem Standpunkt in Geschlechterverhältnissen denken und handeln, wenn mehrheitlich antikapitalistisches Denken die Frauenfrage nicht grundlegend einschließt, und wir kaum noch erinnern, dass einmal diese Frage ihrer besonderen Unterdrückung, nur 40 Jahre her, Frauen aus allen Klassen fast global bewegt hat?

Die Rückgewinnung begann ›von oben‹. Nach 20 Jahren einer allgemeinen Lähmung hoben im Jahre 2006 in Deutschland die Attacken auf den abwesenden Feminismus[3] an; eine wiederholte Beerdigung, an deren Ende auf dem leergefegten Platz neue Feminismen entstehen konnten: der liberale in der CDU, der sich selbst »konservativ« nennt[4] und mit dem Ziel der »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« das Erbe der Feministinnen in den Gewerkschaften und der SPD anzutreten beansprucht; der Mütterfeminismus, der – von einer ins Esoterische abgewanderten Mütterverehrung zehrend –, die Forderung nach Anerkennung und Bezahlung der Haus- und Erziehungsarbeit verabsolutiert; und schließlich der Elitefeminismus, der – ganz eingefügt ins neoliberale Projekt – auf die Leistungsfähigkeit der Gewinnerinnen setzt. Diese umfunktionierte Erfüllung von Forderungen aus den 1970ern nahm den einzelnen Bewegungspunkten den Wind aus den Segeln, ein Vorgang, den wir mit Antonio Gramsci eine passive Revolution nennen. Diese Enteignung des linken Feminismus ist Anlass genug, in der Perspektive einer Wiederaneignung zurückzublicken.


Nancy Frasers Rückblick[5]


Frasers sorgfältige und systematisierende Rückschau lohnt akribisches Nachvollziehen. Sie situiert 40 Jahre Feminismus zwischen ökonomischer Krise, sozialer Unsicherheit, politischer Umordnung, besichtigt also feministische Geschichte explizit als Moment der Geschichte des Kapitalismus. Man müsste das nicht extra erwähnen, doch ist diese Tugend, auch den Feminismus als Teil eines historischen Gesamtprozesses zu sehen, in der postmodernen Ausfaltung feministischer Theorie ungewöhnlich geworden. Fraser braucht diese Situierung, um in ordentlicher Denkweise Stadien und Wellen in den vergangenen Feminismen auszumachen: das Auftauchen von Feminismus als Protest gegen den Androzentrismus staatsgeführter Kapitalismen der Nachkriegsperiode, als im Kern gerechtigkeitsorientiert, als Maßnehmen an der strukturellen Ungleichheit in der Gesellschaft mit den Hauptpunkten: Umverteilung, Anerkennung, und Repräsentation vor dem Hintergrund von Wohlfahrtsstaat und Keynesianismus – also einem Staatsdirigismus. Das Auftauchen der Frauenbewegung wird von ihr in dieser Periode aus der politischen Kultur erklärt: aus dem Krisenmanagement zugunsten der Kapitale begleitet von einem Gleichheitsdiskurs. Die soziale Frage wurde ökonomistisch als Verteilungs- und als Klassenfrage gesprochen, wobei andere Achsen der Ungleichheit marginalisiert wurden.

Fraser legt den historischen Prozess weiter wie folgt vor: Die politische Kultur hatte den männlichen weißen Arbeiter als idealtypischen Bürger, den Ernährer und Familienmann, die Frau wurde Zuverdienerin. Der Familienlohn war das Konstrukt von Modernität, Mobilität nach oben, und Grundlage für staatliche Beschäftigungspolitik, Wohlfahrt und Entwicklung. Kulturell bestimmte dieses Konstrukt in den 1950er und 60er Jahren dominant die Geschlechtsnormen, auch wenn die fordistische Industrie schrumpfte. Unbezahlte Sorgearbeit galt wenig, Ungerechtigkeit in dieser Hinsicht wurde naturalisiert, kein Feld für Kämpfe. Die etatistische Kultur beförderte den passiven Bürger und das bürokratische Expertentum auf der anderen Seite. – Es ging um die nationale Ökonomie, entsprechend wurden grenzüberschreitende Ungerechtigkeiten ausgeblendet. Für den aufkommenden Feminismus der zweiten Frauenbewegung bedeutete dies, dass er antiökonomistisch war (gegen die Zentrierung auf die Klassenfrage) und das Persönliche politisierte, soziale Ungleichheiten als ungerecht herausstellte und sowohl die Zentrierung auf die politische Ökonomie wie die liberale aufs Gesetz zurückwies. Ungleichheit wurde in der Familie und in kulturellen Traditionen entdeckt, in der Zivilgesellschaft und im Alltag. Die sozialistischen unter den Feministinnen plädierten für eine kategoriale Intersektionalität von Rasse, Klasse, Geschlecht, die bis heute akzeptiert ist. Die Sicht auf die privaten Bereiche Sexualität, Hausarbeit, Reproduktion und häusliche Gewalt öffnete den Blick auf Hierarchien und Machtungleichgewichte. Auch Gerechtigkeit wurde zugleich ökonomisch, politisch und kulturell verstanden. Damit wurde Frauenunterdrückung als systemisch begriffen, deren Überwindung notwendig eine andere Gesellschaft braucht. Was den feministischen Protest vom Protest der übrigen Linken zu jener Zeit unterschied, war der Kampf gegen den Androzentrismus und Sexismus auch in dieser. Die sozialistischen Feministinnen blieben gleichwohl Teil der Linken, die liberaleren spalteten sich ab.

Zusammenfassend konzentriert Fraser die Ergebnisse des sozialistischen Feminismus dieser Etappe auf die umfassende Kritik am Ernährerlohn, die zugleich eine Kritik an einer Arbeitsteilung zwischen bezahlter Arbeit und unbezahlter sozial notwendiger Reproduktionsarbeit war, und die die Ausstrahlung dieses Zusammenhangs auf die gesamte Kultur und deren Werte vorantrieb. Dies ging über den Gedanken, Frauen in die Erwerbsarbeit einzubeziehen, weit hinaus. – Im antietatistischen Impuls verortet Fraser zudem die Verteidigung horizontaler Formen, schwesterlicher Beziehungen und der Bewusstwerdung (»consciousnessraising «). Dabei ist die Bewegung weniger antistaatlich gewesen, als sie vielmehr eine demokratisch-emanzipatorische Perspektive verfolgte, in der sie »die passiven Objekte von Wohlfahrt und Entwicklungspolitik in aktive Subjekte transformierte, die politisch handlungsfähig wären. Staatsinstitutionen sollten nicht abgebaut werden, sondern transformiert, um Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen« (105). Vietnam krieg und Dritte Welt hatten die nationale Einengung in Frage gestellt, jedoch nicht verhindert, dass der eigene Staat Ansprechpartner für Forderungen wurde. So agierte die Bewegung praktisch national, während theoretisch »Schwesternschaft « global gedacht war.

Fraser schließt, dass die Feministinnen in dieser Epoche weder für den Zwei- Personen-Ernährerlohn stritten, noch die Bedeutung von Gerechtigkeit und der Kritik der politischen Ökonomie für das Projekt der Frauenemanzipation unterschätzten. Sie wollten die systematische Abwertung von Sorgearbeit mit allen kulturellen und politischen Konsequenzen überwinden. Sie wollten nicht die Märkte befreien, sondern eher den Staat demokratisieren und eine Art partizipativer Zivilgesellschaft durchsetzen. »Feminismus erschien als Teil eines größeren emanzipatorischen Projekts, in dem die Kämpfe gegen Geschlechterungerechtigkeit notwendig verbunden waren mit dem Kampf gegen Rassismus, Imperialismus, Homophobie und Klassenherrschaft, die allesamt eine Transformation der inneren Strukturen kapitalistischer Gesellschaft erforderten.« (107)

Frasers nächste Etappe ist die Entwicklung des Feminismus im dramatisch veränderten gesellschaftlichen Kontext des aufkommenden Neoliberalismus. Die außergewöhnlichen Erfolge der Bewegung hatten hier ihre Grundlage ebenso wie die erstaunliche Konvergenz mit dem postfordistischen, desorganisierten, transnationalen »neuen Geist des Kapitalismus« (Boltanski/Chiapello). Im Ganzen erwies sich das bisherige feministische Projekt als Totgeburt. Was man damals nicht verstand, war, dass der Aufschwung des Feminismus mit der historischen Verschiebung vom Staatskapitalismus zum neoliberalen Projekt zusammenfiel. Politik sollte nicht mehr den Markt zähmen, sondern umgekehrt; an die Stelle von staatlichem Dirigismus trat Privatisierung und Deregulierung, gesellschaftliche Vorsorge musste persönlicher Verantwortung Platz machen, der Wohlfahrtsstaat dem schlanken bösen Wettbewerbsstaat weichen. Jetzt wurde Feminismus von einer gegenkulturellen Bewegung zu einem breiten Massenphänomen und drang in jede Pore des gesellschaftlichen Lebens ein. Mit der Erweiterung der Zahl der Aktivistinnen veränderte sich so das Bild von Familie, Arbeit und Menschenwürde.

Fraser hält fest: Feministische Ziele wurden umgedeutet, »resignifiziert«, wie Judith Butler dies ausdrückt. So konnte sich Staatskritik mit Marktbefürwortung unheilvoll verbinden. Auch die Kritiken am Ökonomismus, am Androzentrismus, an der Nation erhielten eine andere Valenz. Konkret: aus der Kritik am fehlenden Kulturellen wurde ein antiökonomischer Kulturalismus. In einem Moment, da sich die politische Ökonomie radikal veränderte, gingen Feministinnen mit ihrer Kulturkritik »eine gefährliche Liaison mit dem Neoliberalismus« ein, wie Hester Eisenstein (zit.n. Fraser, 109) gesagt hat. In ähnlicher Weise wurde der Anti-Androzentrismus zum Schmieröl für die Ziele des veränderten Kapitalismus.[6] In dieser Weise vermischte sich auch die Kritik am Androzentrismus, an Bürokratie und Langeweile mit der »Romantik« von Teamwork, flacher Hierarchie, flexiblen Netzwerken, Kreativität. So wurden die Nachwachsenden mit der Akkumulation um ihrer selbst willen versöhnt. Der neue Geist des Kapitalismus betrat im Gewand der Kapitalismuskritik die Bühne mit den neuen Unternehmen vom Silicon Valley-Typ und dem Ethos von Google.

Fraser kritisiert die Geschlechtsblindheit im Konzept von Boltanksi und Chiapello und hält dagegen: Der neue Geist des Kapitalismus setzt auf das männlich freie Individuum, aber zum Neoliberalismus gehören auch Walmart, die Maquiladoras und der Kleinkredit, die weiblichen Bereiche. Der Einzug der Frauen in alle diese unteren Bereiche der Erwerbsarbeit hat den Familienlohn ein für allemal zersetzt und an seine Stelle die Doppel-Verdiener-Familie gesetzt. Die Folgen: Lohnsenkung, unsichere Arbeitsplätze, sinkendes Lebensniveau, verlängerte Arbeitszeiten, Zwei- bis Mehrschichten und weibliche Haushaltsvorstände werden als weiblicher Aufstieg und Geschlechtergerechtigkeit verkauft.

Zum neoliberalen Erfolg hat die feministische Kritik am Familienlohn beigetragen. Sie war attraktiv für beide: die Gewinnerinnen, die die gläserne Decke durchstoßen wollten und für die vielen Niedriglohn- und prekär Beschäftigten, die Teilzeitarbeitenden, Hausangestellten, Prostituierten – sie alle sahen ihre Vorstellungen von Verbesserung und Befreiung von traditionalen Autoritäten darin aufgehoben. »An beiden Enden ist der Traum von Frauenemanzipation an die Maschine kapitalistischer Akkumulation geschmiedet.« (110f) Ähnlich begleitete auch der feministische Anti-Etatismus den Abbau des Wohlfahrtstaates wie auch die NGOs den Abbau von öffentlichen Diensten. Deren Bauweise verbindet geschickt individuelle Selbsthilfe mit Netzwerkarbeit. Zusammen mit den Marktmechanismen trugen sie nicht zum Abbau weiblicher Armut und Unterwerfung bei, sondern zum sprunghaften Anstieg weiblicher Verschuldung durch Kleinkredite. Aus der Selbstermächtigung wurde eine Legitimierung allseitiger Vermarktung. Eine allgemeine Depolitisierung war die Folge.

Die Indienstnahme neuer Kommunikationstechnologie wurde Grundlage für einen transnationalen Protest. Aber in dieser Weise richtete er sich eher auf Skandale um sexuelle Gewalt weltweit und verließ die Schauplätze lokaler weiblicher Armut. Anerkennung ging vor Umverteilung. Englischsprachige Eliten übernahmen das feministische Ruder. Ähnliches galt für die EU in Abwesenheit lokaler Frauenbewegung. Der »neue Kapitalismus« errichtete sein Regime auf weiblicher Erwerbsarbeit und löste zugleich die Märkte aus der gesellschaftlichen Regulation, um global desto freier zu agieren.

Die dritte Phase beginnt für Fraser mit der kapitalistischen Krise von 2007, die mit einer Reorientierung der USA und einer Verschiebung vom Neoliberalismus zu einer neuen gesellschaftlichen Organisation zusammenfällt. Dies ist der Moment, in dem eine Wiederaufnahme der feministischen emanzipatorischen Versprechen fällig ist – nun zwischen Weltkrise, Krise der Hegemonie des US-Regimes und dem Beginn von Obamas Präsidentschaft. Frasers Rückschau will das Beste aus sozialistisch-feministischer Theorie mit kritischer Kapitalismustheorie verknüpfen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist, dass die offenbare Diskrepanz zwischen der willfährigen Aufnahme von vielen feministischen Forderungen zur Gleichstellung in den gesellschaftlichen Mainstream bei gleichzeitiger Verharrung in alten Ungerechtigkeiten in den meisten praktischen Belangen die verbreitete These gestützt hat, dass die Institutionen hinter dem Kulturellen herhinken. Ihre Gegenthese lautet: »Die kulturellen Veränderungen, die die zweite Frauenbewegung lostrat, haben eine strukturelle Transformation kapitalistischer Gesellschaft legitimiert, die selbst wiederum feministischen Vorstellungen einer gerechten Gesellschaft diametral entgegenläuft.« (99) Das Neue an der Frauenbewegung in der Kritik am androzentrischen Staat war die Zusammenführung der ökonomischen mit der kulturellen und politischen Dimension, was eine systematische Rahmentheorie ermöglichte. In den folgenden Dekaden wären die Dimensionen voneinander und von der Staatskritik getrennt worden. Solche Fragmentierung habe als eine Art Hinterlist der Geschichte der Vereinnahmung ins neoliberale Projekt Vorschub geleistet.

Wie kann man an zweideutig gewordenen Zielen anknüpfen? Wir brauchen ein geschärftes kritisch-historisches Bewusstsein, weil das Terrain, auf dem wir agieren, schon von unserem Double eingenommen ist. Gibt es eine innere Nähe von Feminismus zum Neoliberalismus? Wenn ja, liege sie im Verhältnis zu traditionaler Autorität, die Frauen zunächst aus personaler Unterwerfung unter Männer befreien sollte. Aber traditionale Autorität ist auch ein Bollwerk gegen kapitalistische Ausdehnung, Teil der sozialen Einbettung. In der Kritik treffen sich Neoliberalismus und Feminismus. Sie gehen auseinander, wenn es um strukturelle Unterwerfung geht. So etwa, wie Susan Okin hervorhob, wenn Frauen als Verantwortliche für das Kinderaufziehen auf dem Arbeitsmarkt dadurch Nachteile haben, die wiederum zur ungleichen Macht in der Familie führen. »Diese marktvermittelten Prozesse der Unterordnung sind das Lebensblut des Neoliberalismus.« (115) Es gehe jetzt nicht darum, die Kritik an männlicher Autorität fallen zu lassen, sondern zu verhindern, dass mit ihr Kapitalismuskritik aufgegeben wird.

Zusammenfassend schlägt Fraser vor, Ungerechtigkeit dreidimensional zu fassen, als Umverteilungs-, Anerkennungs- und Repräsentationsproblem. Feministische Kritik muss antikapitalistisch sein und also links. Die Kritik am Ernährerlohn, die so willig vom Neoliberalismus aufgenommen wurde, muss verschoben werden in eine Dezentrierung von Erwerbsarbeit und Aufwertung der Tätigkeiten, die nicht warenförmig erledigt werden, einschließlich der Sorgearbeit. Die Kritik am Staat muss von der Zustimmung zum Markt getrennt werden in Richtung auf eine partizipative Demokratie. An die Stelle bürokratischen Managertums muss Selbstermächtigung treten. Öffentliche Macht muss allerdings nicht verstreut, sondern gestärkt werden. Es geht um eine Politik, die den Markt zähmt und Gesellschaft gerecht lenkt. Die Krise des Neoliberalismus kann auch genutzt werden, die Ambivalenz in der Haltung zum Nationalstaat neu zu fassen.

Fraser beendet ihren Essay mit dem Aufruf an alle Feministinnen, »groß zu denken« (117). Nachdem der Neoliberalismus die besten feministischen Ideen geschluckt hat, eröffnet seine Krise die Chance, sie zurückzugewinnen, indem wir die Transformation in Richtung Gerechtigkeit für alle ansteuern.


Blinde Flecke: Produktivkräfte, Subjekte, Kräfteverhältnisse


Die Analyse ist wohltuend, die klare Sprache und die kräftigen Urteile machen die Lektüre zu einem Genuss. Man erkennt die einzelnen Momente wieder und freut sich an der sorgfältigen Einordnung und auch den gut sitzenden Hieben. Diese Freude an geteilter Diagnose und gemeinsamem Vorgehen stößt sich an zunächst klein scheinenden, dann doch zu einer fundamentalen Frage sich aufbauenden Differenzen. In klarer marxistischer Sprache: Wo bleiben eigentlich in dieser historischen Folge die Produktivkräfte und ihre rasante Entwicklung im Widerspruch zu den kapitalistischen Verhältnissen? Oder haben etwa Feminismus und Frauenbewegung nichts mit den Triebkräften, wie sie in der Kritik der politischen Ökonomie herausgestellt sind, zu tun? Die Frage scheint besserwisserisch. Geht man jedoch näher heran, werden Ungereimtheiten sichtbar, die dem Vorschlag, rein politisch, also ohne störende Dazwischenkunft von Produktivkraftentwicklung vorzugehen, Rätsel aufgeben. So das Offensichtlichste, dass die »postfordistische« neue Phase des Kapitalismus, in der die Forderungen der Frauenbewegung dem Neoliberalismus so eingängig eine weiche Grundlage bereiten konnten, gar nicht erst spät nach der androzentrischen »Staatsphase« einsetzte, sondern zeitgleich mit dem Beginn der Frauenbewegung anfi ng. Vom Stand der Produktivkräfte war Fordismus die Zeit, in der auf der Grundlage von Fließband und Massenproduktion auch die Arbeiter am Massenkonsum beteiligt wurden, zumindest so weit, dass ein Familienmodell ermöglicht wurde, in dem ein »männlicher Ernährer« sich eine Frau leisten konnte, die ihn für die Kraftverausgabung am Fließband wieder fi t zu machen und deren Lebensmittelpunkt die Überwachung und Erziehung der Kinder zu sein hatte. Der männliche Ernährer und die weibliche Hausfrau und Mutter mit Nebenverdienst, kurz die Kernfamilie, war auch Kern der fordistischen Produktionsweise[7], die mit dem Einbruch von High-Tech ihr Ende fand. Also kein lebenslänglicher Arbeitsplatz mehr für den einen, keine halbwegs geglückte Versorgung für die andere. So begann die Frauenbewegung, als das Modell, gegen das sie stritt, bereits in Krise kam. Ihre spektakulären Erfolge wurden möglich, weil die Forderungen (nach Anerkennung von Hausarbeit als Arbeit, von Recht auf eigene Erwerbsarbeit, eigene Ausbildung, Recht auf den eigenen Körper usw.) gewissermaßen im Zeitgeist waren, der im Zuge der Änderung der Produktionsweise im Umbruch war.

Frasers Blick zeigt die Ungereimtheiten, die merkwürdigen Allianzen, die Hoffnungen als eigenartige Konjunkturen, die dazu führen, dass man unversehens im falschen Boot sitzt, Komplizin einer Ordnung wird, gegen die man stritt. Es ist wohltuend, dies so ungeschminkt vorgeführt zu bekommen, hat jedoch auch den Effekt, dass die sozialistisch- feministische Politik verschwindet. Eigenartig auch verhallt das starke Konzert am Ende. Wenn wir das Beste aus dem vergangenen Feminismus nehmen, fordern wir »Gerechtigkeit für alle«. Sie soll sich beziehen auf »Umverteilung, Anerkennung und Repräsentation«. Das sind exakt die Forderungen, die Fraser als charakteristisch für die erste Etappe des Feminismus bezeichnete. Sie fordert, sie gut zu balancieren – als hätte sich seither wenig geändert. Man solle Erwerbsarbeit aus dem Mittelpunkt nehmen und Sorge- oder Reproduktionsarbeit aufwerten, für partizipative Demokratie streiten und global handeln. Frasers Perspektive geht in die gleiche Richtung wie die Vier-in-einem Perspektive und doch klingt sie dem gegenüber eigenartig zurückgenommen. Wie kann man Erwerbsarbeit aus dem Zentrum nehmen, wenn sie nicht gleichzeitig radikal verkürzt wird? Wie kann man sie verkürzen, ohne dabei die Entwicklung der Produktivkräfte zur Kenntnis zu nehmen, die diese Reduzierung lange schon möglich macht?

Gehen wir an diesem Punkt noch einmal zurück in ihre Analyse und stellen fest: nicht nur die Entwicklung der Produktivkräfte spielt keine Rolle, auch die Akteurinnen, die Subjekte des Handelns kommen nicht wirklich als Subjekte vor. Es treten die Losungen von Feministinnen auf, die sich etatistisch, kapitalismuskritisch, antiautoritär, antiökonomistisch gebärden, ohne darauf zu achten, in welche Nähe sie geraten, welche Bündnisse sie schließen.

Fraser stellt die wichtige Frage, wie die feministischen Emanzipationsforderungen in die Arme des Neoliberalismus geraten konnten und führt sehr klar die unheimlichen Verbindungen vor. Aber so einverständig man die Diagnosen liest, so rätselhaft bleibt, wie es jeweils dazu kommen konnte.

Das führt zur dritten, nur schwach besetzten Stelle: zur Frage der Kräfteverhältnisse. In Frasers Beschreibung stehen die einzelnen Losungen, Forderungen usw. ziemlich fest, geraten dann in schlechte Gesellschaft und werden selbst schlecht. Daher gilt es, das nicht Verdorbene herauszulösen, dasjenige, was nicht ambivalent geworden ist. Der Prozess der Veränderung wird so, mangels Produktivkräften, Subjekten und Kräfteverhältnissen zu einer unerklärlichen Folge von Verwandlungen, in denen, was heute noch gültig war, morgen nicht mehr gilt. Man weiß nicht, wie es dazu kam, ob man immer schon falsch gedacht hat und wie dem Treiben ein Ende gesetzt werden könnte.

Ich schreite etwas beunruhigt noch einmal die Stationen in Frasers wohlgeordneter Geschichte feministischer Bewegung ab, auch um zu prüfen, wie groß der Unterschied wäre, wenn ich die Produktionsweise, also die Produktivkräfte in den Produktionsverhältnissen, die handelnden Subjekte und die Kräfteverhältnisse eintragen würde an den strategischen Stellen der Übergänge von einer Phase zur nächsten. Dafür benutze ich eine eigene knappe Erzählung der Geschichte[8], von der Fraser berichtet, als eine Art Spiegel, der die Unterschiede deutlich werden lässt.

Die zweite Frauenbewegung begann aus der Studierendenbewegung weltweit (mit Ausnahme der sozialistischen Länder) und der Menschenrechts- und Schwarzenbewegung in den USA. Ihre erste Losung war: Wir wollen eine andere Gesellschaft, in der Frauen gut leben können, schon hier und heute (vgl. dazu die sogenannte Tomaten-Rede von Helke Sanders auf der Delegiertenkonferenz des SDS 1968). In der BRD war die Lage mehrfach schwierig. Es gab weniger sozialistische Hoffnung, dafür sorgte der Antikommunismus, der wegen der Nähe zum anderen Deutschland besonders stark war. Die Frauen der Studentengeneration waren noch in der stickigen prüden und engen Adenauerzeit aufgewachsen, sodass der Ruck, der durch die westlichen Länder ging, in der BRD zugleich mehr umstürzen musste. Das vorherrschende Gefühl der Frauen, die in Bewegung kamen, war, nicht zu wissen, wer man ist, wozu man in der Welt ist, und wohin man gehen könnte. Die für jede einzelne erfahrbare große Unsicherheit, ob sie vielleicht nicht normal sei und dies verbergen müsse, wich der plötzlichen Entdeckung, dass alle Frauen ›nicht normal‹ waren.

Der Protest richtete sich also gegen die Normalität, da in ihr Unterdrückung fortdauert. Der Slogan: das Persönliche ist politisch bedeutete, dass im Alltag die Kämpfe zu führen waren. Es begann eine kulturelle Revolution in der Sprache, in Symbolen, aber auch in Strukturen: Alternatives wurde aufgebaut in Frauenhäusern, Frauen-Wohngemeinschaften, Gesundheitswesen, in Medien, Cafés, Buchläden, Kinos, Krimireihen usw. Überall gab es Frauenzusammenschlüsse. Schon in der französischen Revolution hatte Olympe de Gouges erkannt, dass Unterdrückung auch Subalternität hervorbringt, also zunächst eigene Frauenorte geschaffen werden müssen, in denen Frauen – ganz wie Virginia Woolf dies schreibt – ihre Sprache, ihre Einsichten, ihre Fähigkeiten entwickeln können. Dieser Feminismus brachte: Selbstvertrauen, Bildungsschübe, Wertschätzung untereinander, Frauensolidarität, Freude, Genuss – und bedeutete umgekehrt auch, dass die Frauen sich losreißen mussten aus alten Haltungen und Gewohnheiten. Frauen mussten das Heraustreten aus dem Haus und das Politische als ihre tägliche Praxis begreifen.

Halten wir als erste Erkenntnisse fest: Frauen wollten im Alltag die Unterdrückung sprengen, die wie ein dichter Ring unbegriffen um sie lag. Sie wollten aus ihren Erfahrungen lernen, sich zu Schülerinnen der eigenen Erfahrungen machen. Dafür mussten sie eine Sprache und Orte für sich finden. Dies geschah etwa in Gruppen, die mit Erinnerungsarbeit ihre Biographien erforschten und durcharbeiteten und auf diese Weise ernst machten mit der Einsicht, dass Gesellschaftsveränderung Selbstveränderung einschließt[9]. Insofern war die zweite Frauenbewegung auch kulturrevolutionär. Ihr Antikapitalismus hieß auch die Suche nach einer anderen Gesellschaft, in der Frauen aus Subalternität befreit, aufrecht und mit Glück leben können. Es lohnt sich, die Geschichte dieser Frauenbewegung zu studieren.[10]

Diese sogenannte zweite, in der Arbeiterbewegung als ›kleinbürgerlich‹ bezeichnete Frauenbewegung von 1968 bis in die späten 1970er Jahre stritt also kulturrevolutionär für eine andere Lebensweise. Gleichstellung und Quote waren Kampfmittel, Stationen, nicht selber das Ziel. Immer ging es gegen Gewalt und um eine alternative Gesellschaft, die nicht nach Profitgesichtspunkten organisiert war. Das führte zur Erkenntnis, Geschlechterverhältnisse nicht als bloße Mann-Frau- Beziehungen zu sehen, sondern als Verhältnisse der »Produktion des Lebens« selbst. Sofern in den herrschenden Produktionsverhältnissen alle Kraft auf das Ziel, Geld und mehr Geld zu bringen, gerichtet ist, fallen alle jene Bereiche unter den Tisch, in denen es um Sorge und die Entfaltung der einzelnen geht, darum, dass Menschen ihre Möglichkeiten verwirklichen und dabei zugleich den anderen nützen. Folglich schlug die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit gegen die Entwicklung der Menschen aus. Dieser Reichtum machte viele arm. Frauen rückten an die Stelle, wo durch Umsonstarbeit noch Menschlichkeit und Fürsorge gedeihen sollten, in die Familie, ins Ehrenamt. Die Produktion der Lebensmittel hatte sich über die Produktion des Lebens gestellt, weil in der ersten der meiste Profi t gemacht wird.

Die Feministinnen der zweiten Frauenbewegung rebellierten folgerichtig gegen Familie, gegen den männlichen Ernährer mit entsprechender häuslicher Herrschaft sowie gegen die gesellschaftliche Blindheit in Bezug auf die Arbeit der Frauen im Haus, ihre Unsichtbarkeit in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen, gegen entsprechend »geschlechterblinde« Geschichtsschreibung, Wissenschaft, Sprache, wo immer Frauenunterdrückung dingfest gemacht werden konnte.[11]

Drei Hauptwellen verschlangen diese zweite Frauenbewegung. Die erste war die Verstaatlichung von Frauenfragen. Auf Druck der Bewegung finanzierte der Staat, wenn auch auf bescheidenem Niveau, Frauenstellen in Frauenhäusern, in der Sozialarbeit überhaupt, an den Universitäten und setzte dadurch im Effekt die feministischen Initiativen in Konkurrenz zueinander. Dabei kam etwas auf, was ›Professionalität‹ genannt wurde. Andere Maßstäbe mussten zur Bewertung eigner Arbeit angeeignet und nach Innen genommen werden. Konkurrenz wurde so auch als Selbstveränderung etabliert.

Ein zweiter Faktor waren die Medien. In Deutschland vor allem Alice Schwarzer als medien- und bankgestützte Inkarnation des Hauptgedankens, dass Feminismus im Wesentlichen männerhassend sei. Diese Schöpfung machte Feminismus ebenso bekannt, wie sie ihn in Verruf brachte. Mit bloßem Männerhass lässt sich keine alternative Gesellschaft denken. Es ist hier nicht der Ort, dem im Einzelnen nachzugehen. Jedoch notieren wir die Hauptsache: Der Schwarzer-Feminismus war von Anbeginn explizit antisozialistisch und im Bündnis mit allem, was dem entsprach und überdies weiblich war – Leni Riefenstahl z.B. oder andere reaktionäre Frauen. Die Grenze wurde scharf nur gegen sozialistische Feministinnen gezogen. Sie galten nicht als Schwestern (vgl. u.a. Emma 5/1990). In dieser Weise hat Schwarzers Zeitschrift Emma dafür gesorgt, dass das Befreiungsverlangen, das sich auf eine andere Gesellschaft richtet, aus dem verbreiteten Feminismus gelöscht wurde.

Die dritte und den Untergang besiegelnde Welle war die Krise des Fordismus, die paradoxerweise dazu führte, den emanzipatorischen, den linken Feminismus zu Grabe zu tragen. Das Schwinden der fordistischen Produktionsweise mit Fließband und Massenproduktion ging einher mit dem Abbau des Wohlfahrtsstaats und der Verringerung der Möglichkeit, eine Familie mit eigener Hausfrau auch für Arbeiter zu haben. Es war das Ende der kulturellen Dominanz der heterosexuellen Kleinfamilie, wonach ›jeder Mann eine eigene Hausfrau‹ hat, die für Moral, Disziplin, Ordnung, ein gemütliches Zuhause sorgt, in dem die Kräfte für die Erwerbsarbeit wieder hergestellt werden konnten. Dies aber war genau die Enge, gegen welche die Frauenbewegung protestiert hatte. Die ersten Siege, die erreicht wurden, fielen zusammen mit dem Ende dieses Produktionsweisemodells. Das neue Modell, der globale, neoliberal geprägte High-Tech-Kapitalismus hat den ›Ernährer‹ weitgehend abgeschafft; es gibt kaum mehr den lebenslangen Arbeitsplatz, der es erlauben würde, in der alten Form ›eine Familie zu gründen‹. Es gibt neue Frauenrechte. Auch Frau kann, ja, sollte Unternehmerin werden. Die moralischen Zwangsgesetze wurden gelockert. Heteronormativität war kein großer Kampfpunkt mehr, und vor allem die Kämpfe um Anerkennung der Hausarbeit als Arbeit wurden aufgenommen ins neoliberale Projekt. Solch ein Vorgang, in dem Forderungen von ›unten‹ von ›oben‹ ins Herrschaftsprojekt aufgenommen werden, lässt sich mit Antonio Gramsci als ›passive Revolution‹ begreifen (vgl. Anm. 7).

Wir wurden Zeuginnen des Versickerns, Erlöschens und Verschwindens der Frauenbewegung durch Brüche und Beweggründe von Außen und Innen. Feminismus war einst ein Projekt, die Gesellschaft so zu gestalten, dass auch Frauen aufrecht und sinnvoll darin leben könnten. Der daraus folgende Anspruch, dass es mit Gleichstellung nicht getan ist, sondern eine andere Gesellschaft braucht, rutscht zunehmend ins Abseits.

Die Differenz zwischen Frasers Bericht und meinem ist verblüffend. Mit Hochachtung lese ich Frasers strategischen Überblick über die erste Phase der Frauenbewegung – erkenne Vieles wieder und sehe doch mit Verwunderung, wie die Frauen selbst, ihr Hoffen und Wollen, ihre Kämpfe, aber auch ihre Gegner, also die Kräfteverhältnisse insgesamt weitgehend aus dem Blick geraten, während bei meinem Bericht die Ordnung zurücktritt hinter die Aktionen. Die Hoffnung, die beiden Analysen könnten durch Aneinanderfügen gewinnen, zerbricht an dem entscheidenden Punkt der Einbeziehung der Entwicklung der Produktionsweise und damit auch der Periodisierung.

Fraser verortet eine zweite Phase des Feminismus in einem veränderten Kapitalismus, der nicht länger »state-organized« (107) sei. »Interessanterweise gedieh die zweite Frauenbewegung unter diesen neuen Bedingungen. Was als radikale gegenkulturelle Bewegung begonnen hatte, machte sich auf den Weg, eine breite gesellschaftliche Massenerscheinung zu werden. Sie lockte Anhängerinnen aus jeder Klasse, Ethnie, Nationalität und politischen Ideologie an; feministische Vorstellungen fanden ihren Weg in jeden versteckten Winkel des gesellschaftlichen Lebens und verwandelten das Selbstverständnis von allen, die sie berührten. Das Ergebnis war, nicht nur die Reihen der Aktivistinnen erheblich auszuweiten, sondern auch die allgemeinen Auffassungen von Familie, Arbeit und Menschenwürde umzuformen.« (107f)

Diese Differenz ist verblüffend. Wo ich das Schwinden der Bewegung konstatiere, sieht Fraser die Vermassung von Feminismus, einen kulturellen Erdrutsch in der gesamten Gesellschaft, der wiederum zur Aufnahme und Einbettung des Neoliberalismus beitrug. Diese Nähe von Feminismus und Neoliberalismus entziffert sie als Vorgang der Umdeutung feministischer Ziele. Die von uns beiden gesehene Aufnahme feministischer Forderungen ins neoliberale Projekt geschieht bei Fraser als eine Art feministischer Schuld. Durch einseitige Zuspitzung seien die Kämpfe gegen Staatlichkeit, gegen Autorität, gegen Ökonomismus und gegen Androzentrismus zum Steigbügelhalter für den Neoliberalismus geworden.

In meiner Aufarbeitung von Geschichte gibt es dagegen einen Bruch. Es ist dies die Ablösung der Massenproduktion am Fließband von der High-Tech-Produktionsweise seit den 1970er Jahren mit anderen Organisationsformen der Arbeit und der Möglichkeit der Verkürzung der Arbeitszeit. Die Entwicklung ging in einem rasanten Tempo voran. Ende der 1980er Jahre war die neue Produktionsweise die herrschende Form geworden, und der Kampf drehte sich nun um die neuen Subjektformen der Vereinzelung, der Selbstverantwortung und Selbstbestimmung bei gleichbleibendem Rahmen von Fremdbestimmung und wachsender gesellschaftlicher Verantwortungslosigkeit. Freigesetzt wurden auch die Frauen, deren frühere Forderungen nach Sprengung der Kleinfamilie, Abschaffung des Ernährers usw. sich in geradezu höhnischer Weise als Karikatur erfüllten und sie in nicht gekanntem Ausmaß in die prekären Arbeitsverhältnisse zwangen. Seither gilt: Frauenproteste werden dringlich gebraucht, aber es gibt keine starke Frauenbewegung mehr.

Was folgt für politisches Denken und Handeln aus den im entscheidenden Punkt auseinandergehenden Analysen? Fraser nimmt an, dass die Vereinnahmung ins neoliberale Projekt von der Vereinseitigung der feministischen Ansprüche kam, gewissermaßen von ihrer Verschlankung auf einzelne Punkte; sie empfiehlt stattdessen eine Rückkehr zu den umfassenden Forderungen nach Umverteilung, Anerkennung, Gerechtigkeit, die sie im krisenbedingten us-amerikanischen Umbau für durchsetzbar hält.

Da ich die zweite Frauenbewegung sowohl in ihren Erfolgen wie in ihrem Niedergang mit der fordistischen Produktionsweise zusammendenke – genauer, sogar so weit gehe, die vielfältigen Siege darauf zurückzuführen, dass sie im gesellschaftlichen Umbruch die Seite der Veränderung stützten, muss ich mich bei der Frage nach den Strategien einer erneuerten Frauenbewegung auf die Lage der Frauen im High-Tech- Kapitalismus beziehen, kann also nicht umstandslos an frühere Positionen anknüpfen. Das heißt nicht, dass etwa Gerechtigkeit als Leitziel veraltet wäre. Nur ist es als solches nicht nur sehr abstrakt, es ist auch den gleichen Möglichkeiten der Besetzung und Umdeutung in veränderten Kontexten unterworfen, wie andere Ziele auch. Es gilt also, eine konkretisierende Verknüpfung herzustellen, die der Vereinnahmung für Unterwerfungszwecke widerstehen könnte. Dafür habe ich die Vier-in-einem Perspektive entworfen. Da sie anknüpft an Erfahrungen aus unterschiedlichen Befreiungsbewegungen, soll sie zugleich das bereits einmal Gedachte in sich aufheben und es für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zusammenfügen.

Unsere Rückschau auf die Frauenbewegung, in der wir selbst agierten, ist auch selbstkritisch. Aber anders als Fraser sehe ich die Hauptfehler nicht in den Zuspitzungen, derer sich das neoliberale Projekt bedienen konnte. Vielmehr denke ich, dass die Aufgabe des »Wir« als eines kollektiven Subjekts und seiner Ersetzung durch Differenz genauso verhängnisvoll war wie die Übersetzung der »Frauen« als Trägerinnen von Veränderung und Beharrung in »gender« (vgl. Soiland in diesem Heft). Dabei lässt sich auch aus dieser langen Diskussion und Auseinandersetzung lernen. Es war sicher falsch, davon auszugehen, dass das »Wir« schon vorhanden war und die bloße Anrufung ausreiche. Dies führte notwendig zu der zu Recht kritisierten Verallgemeinerung von Standpunkten einzelner Gruppen (weiße privilegierte Frauen z.B.), als sprächen sie für alle. Wir lernen daraus, dass das Wir weder gegeben noch aufzugeben, sondern erst zu erringen ist (vgl. Seddon in diesem Heft). Das kollektive Subjekt bleibt Perspektive, in die – und auch dies lässt sich aus der langwährenden Diskussion um Vielfältigkeit, Differenz, diversity usw. lernen – die konkreten, je verschiedenen Interessen und Ziele erst einzutragen sind. Die Kunst besteht darin, die Verschiedenheiten nicht als Gegensätze oder Ausschließungen zu leben, sondern nach Möglichkeit füreinander produktiv zu machen. Das heißt auch, eine eigene aufmerksame Strategie zu entwickeln, die auf Prozesse der Ausschließung und Marginalisierung achtet – gewissermaßen ein Frühwarnsystem entwickelt gegen alle Spaltungen, die die Herausbildung eines kollektiven Subjekts zu verhindern suchen (vgl. dazu Butler in diesem Heft).

Betrachten wir noch einmal, was etwa in Deutschland aus der Frauenbewegung bzw. aus ihrem Erbe wurde. Es gibt die liberale Aufnahme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die konservative der Mütterlinie sowie den neoliberalen Elitefeminismus für die Gewinnerinnen des Neoliberalismus. Alle drei setzen sich explizit von der Frauenbewegung ab – übrigens immer mit falschen Behauptungen über deren Impulse. Niemals wird von der Sehnsucht nach alternativer Gesellschaft gesprochen, stattdessen immer behauptet, die Frauen der Bewegung hätten sich allesamt als Opfer bejammert. Neu sei, selbst als Individuum eingreifen zu wollen. So entledigen sich die drei in ihrer Verstückelung des Erbes auch jeglicher sozialistischen Perspektive. Solange sie sich das Erbe teilen, entsteht keine zusammenfassende Befreiungshoffnung. Das Vergessen legt sich über den Aufbruch. Nur Spuren bleiben in der Gleichstellungskomponente, in derjenigen, die Frauen sichtbar machte und ihre Verdienste in der Geschichte als einzelne hervorholte und vor allem in derjenigen, die darauf bestand, dass Geborgenheit, Glück im menschlichen Miteinander und Zusammenleben aus den Praxen von Frauen zu bergen sei. Das Problem, wie Rosa Luxemburg schon einschärfte, besteht in der Vereinseitigung, im Auseinanderreißen, in der Vereinzelung – jedes für sich wird auf lange Sicht reaktionär.

Es gilt, das Erbe zurückzugewinnen, es wieder anzueignen und zusammenzufügen zu dem, was wir feministisch nennen und bejahen könnten und was mit radikaldemokratischer Politik, also Gesellschaftsgestaltung von unten, einhergehen muss.

Wie also weiter mit der offenkundigen gesellschaftlichen Notwendigkeit eines feministischen Standpunktes, der sich der Sache der Frauen gesondert annimmt, wenn auch mit allgemeiner Befreiungsperspektive und der ebenso offenkundigen Besetzung des feministischen Feldes mit neoliberalen, mit konservativen und mit Herrschaftsinteressen? Was an solchen Stellen, wo die Dinge festgefahren scheinen, unbedingt Not tut, ist dialektisches Denken. Wo alles in Bewegung ist, sich stets ändert, hilft das gewohnte metaphysische Denken nicht, das sich am ›Wesen‹ einer Sache oder auch eines Verhältnisses festhält, statt auf Veränderung und Veränderbarkeit zu setzen. Was gestern gut und richtig war, wendet sich heute schon gegen uns. Oder was schlecht schien, hat zugleich gute Seiten usw. Dies im Fall des Feminismus zu studieren, erweist sich auch in unserem Fall als lehrreich. Die einzelnen Teile des ›neuen Feminismus‹ sind nicht einfach abzulehnen, sondern vielmehr anders zusammenzubauen. Der Wunsch nach Geborgenheit, nach Heimat ist nicht an sich, ›seinem Wesen‹ nach, reaktionär[12]; er kann verknüpft werden mit dem politischen Einsatz für eine andere Gesellschaft, mit dem Anspruch und der Verwirklichung eigener Entwicklung, mit dem Recht auf einen Erwerbsarbeitsplatz, der den Zugang zur Gesellschaft im Großen bedeutet und von persönlicher Abhängigkeit befreit.

Um auf eine eingreifende, dialektische, feministische Politik zu orientieren, erinnere ich noch einmal an die Vier-in-einem Perspektive. Sie zielt auf ein anderes Zeitregime, indem sie alle Tätigkeiten in Gesellschaft zusammenfügt in einen Lebensplan. Ihr liegt ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit zugrunde, in der die Produktion von Leben und von Lebensmitteln enthalten ist, also die gesellschaftliche Gesamtarbeit auf alle zu verteilen. Sie fasst als Menschenrecht, ebenso die eigenen Fähigkeiten, das eigene Vermögen zu entwickeln, wie die Politik mitzugestalten. Damit schlägt sie auch ein anderes Verständnis von Demokratie vor, als Gesellschaftsgestaltung von unten. Dabei besteht die Kunst in der Verknüpfung der vier Bereiche menschlichen tätigen In-der-Welt-Seins. Lange Zeit wurden politische Projekte in diesen vier Bereichen getrennt verfolgt. Funktion der Vier-in-einem Perspektive ist es, einen Kompass zu liefern, der für die unterschiedlichen Projekte auf einen Zusammenhang orientiert und erst in dieser Bündelung nachhaltig kritisch macht, während jedes für sich genommen früher oder später zu versanden oder schlimmer, reaktionär zu werden pflegt. Dies betrifft das Zeitregime, die Stellvertreterpolitik, die Menschenrechte, das Verständnis von Demokratie und von Gerechtigkeit.

Hier ist die Wirtschaftskrise eine große Herausforderung. Führt sie doch vor, dass die Konzentration auf den Profit, die auch eine Konzentration auf die Erwerbsarbeit im kulturellen Selbstverständnis der Gesellschaft bedeutet, an ein Ende gekommen ist. Die Klimakatastrophe verlangt nach einem schnellen Zurückfahren industrieller Produktion, die Hungerkrise nach Umverteilung. Beides ist ohne das Mitwirken der Bevölkerung nicht zu machen. Diktatur oder radikale Demokratie – in dieser Zuspitzung besetzen Frauen einen Schlüsselposten, für dessen Einnahme auch sie sich verändern müssen. Teilzeitarbeit für alle, Ausbau des sozialen Sektors sind kulturelle und politische Veränderungen, die jetzt an der Zeit sind. Der erste Schritt wird sein, sich zusammenzufügen. Dabei müssen wir damit rechnen, dass die in den 40 Jahren seit Beginn der Frauenbewegung erreichten Ziele der Selbstverständlichkeit von Frauen in der Öffentlichkeit, in der Erwerbsarbeit, kurz eine relative Gleichstellung nicht unbedingt nachhaltig und unwiderruflich im Fundament der Gesellschaft angekommen sind. Schon regt sich die Bereitschaft, das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen. Für die Gegenwehr ist Rückbesinnung auf Stärken der Frauenbewegung eine wichtige Ressource, die uns aber nicht aus der Pflicht entlässt, die unabdingbare kritische Analyse der Produktionsverhältnisse konsequent voranzutreiben.

Literatur

Boltanski, Luc, u. Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2006

Fraser, Nancy, »Feminism, Capitalism and the Cunning of History«, in: New Left Review 56, März/April 2009, 97-117

Gramsci, Antonio, Gefängnishefte, Bd. 9, hgg. v. P.Jehle, K.Bochmann u. W.F.Haug, Hamburg 1999

Haug, Frigga, Die Vier-in-einem-Perspektive. Eine Politik von Frauen für eine neue Linke, Hamburg 2008, 2. Aufl . 2009; www.vier-in-einem.de

dies., »Attacken auf den abwesenden Feminismus. Ein Lehrstück in Dialektik«, in: Das Argument 274, 50. Jg., 2008, H. 1, 9-20

dies., »Geschlechterverhältnisse«, in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus HKWM, Bd. 5, Hamburg 2001, 493-530

dies., Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit, Hamburg 1999

dies, »Terrainverschiebungen für eine Politik um die Zukunft der Arbeit oder Entwendungen aus der Kommune?«, in: Das Argument 230, 41. Jg, 1999, H. 2/3, 434-43

dies., »Die Neue Mitte – Bewegungsmöglichkeiten im Neoliberalismus«, in: Das Argument 233, 41. Jg, 1999, H. 6, 795-809

dies., »Gramsci und die Produktion des Begehrens«, in: Psychologie & Gesellschaftskritik 86/87, 22. Jg., 1998, H. 2/3, 75-91

dies., u. Eva Nikell, »Frauenbewegung«, in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Feminismus HKWF, hgg. v. dies., Hamburg 2003, 243-67

Türcke, Christoph, Heimat. Eine Rehabilitierung, Lüneburg 2006

Woolf, Virginia, Drei Guineen, London 1938, dt. München 1977; 1987



[1] Natürlich trifft er auch auf die Effekte neoliberaler Subjektivierung: Ein Vorschlag muss rings herum »neu« sein wie ein neues Waschpulver, um vermarktungsfähig zu sein. Erinnerung an Gewesenes zeugt dann davon, dass man gut daran tut, sich nicht damit einzulassen, will man nicht als altmodisch erkannt werden. Solche Einwände sind glücklicherweise selten zugunsten des Nachdenkens darüber, wohin eigentlich die eigenen Sehnsüchte gingen , die sich wieder aufgerufen fühlen.

[2] Die Antworten auf die Frage nach der Möglichkeit eines linken feministischen Projekts heute, auf die 50 Frauen aus 18 verschiedenen Ländern und 5 Kontinenten reagierten, erscheinen in Kürze als Buch.

[3] Vgl. meinen gleichnamigen Aufsatz in Das Argument 274, 2008.

[4] Vgl. FAZ 19.3.07; wenig später protestieren die Bischöfe Huber und Lehmann, letzterer, weil »mit Konservatismus und Feminismus zwei Dinge zusammengebracht werden, die nicht zusammengehören« (FAZ, 31.3.07).

[5] Nancy Fraser ist eine der (auch in Deutschland) bekanntesten us-amerikanischen Feministinnen. Eine Reihe ihrer Bücher wurden ins Deutsche übersetzt. In meinem Artikel Geschlechterverhältnisse, in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM), Bd 5, 522f, setze ich mich mit ihrer Kritik an Habermas als Paradigma androzentrischer Sozialtheorie von 1994 auseinander. An dieser Stelle geht es um ihre jüngste Veröffentlichung: »Feminism, Capitalism and the Cunning of History«, New Left Review 56, 2009.

[6] Was Gramsci als »passive Revolution« bezeichnet, wird von Fraser als Entdeckung von Boltanski und Chiapello vorgestellt, dass nämlich der Kapitalismus die Kritik an sich zur eignen Stärkung und Erneuerung einbaut. Das Buch dieser beiden Autoren kam, wiewohl 1999 in Paris erschienen, erst 2005 nach England. Die Entwicklungen in der Realökonomie waren lange sichtbar. Vgl. etwa den Bericht an den Club of Rome 1998 – siehe auch meine Beiträge »Terrainverschiebungen für eine Politik um die Zukunft der Arbeit oder Entwendungen aus der Kommune?«, in: Das Argument 230, 1999 und »Die Neue Mitte – Bewegungsmöglichkeiten im Neoliberalismus«, in: Das Argument 233, 1999.

[7] Vgl. Gramsci, Antonio, Gefängnishefte, Bd. 9, 1999, §§ 1-16. Ich habe die vorzügliche Analyse der fordistischen Produktionsweise wieder aufgenommen in dem Stichwort »Geschlechterverhältnisse«, HKWM, Bd. 5, und zugespitzt in: »Gramsci und die Produktion des Begehrens«, in: Psychologie & Gesellschaftskritik 86/87, 1998.

[8] Vgl. meinen Vortrag auf dem Kongress der Frauen der Linken »Ohne Frauen ist kein Programm zu machen«, Erkner bei Berlin, 2008. Er hatte den gleichen Impuls wie der Essay von Fraser, nämlich Feminismus zu beerben, wo möglich.

[9] Vgl. zusammenfassend zu dieser Methode eingreifender Sozialforschung: Frigga Haug, Vorlesungen zur Einführung in die Erinnerungsarbeit, Hamburg 1999.

[10] Vgl. das Stichwort »Frauenbewegung« im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Feminismus HKWF.

[11] Frauenbewegung heißt nicht Frauenorganisation. Aber der Geist der Bewegung ging in die verschiedenen Organisationen ein. Er ergriff die Frauen in den Gewerkschaften, schärfte ihren weiblichen Blick; er ging in die Gründung der Partei die Grünen ein, die 1984 mit einer 100% Frauen-Quote ins Parlament zogen. Diese Initiative hatte Folgen für die Frauen der anderen Parteien und wäre nicht nur ohne Frauenbewegung undenkbar gewesen, es war ein Erbe aus der Bewegung selbst, das bei den Grünen noch einige Zeit zu neuem Leben erwacht war.

[12] »Heimat ist, wo man zu Hause, geborgen, mit allem vertraut ist«, erklärt Christoph Türcke in seinem sehr lesenswerten Buch Heimat. Eine Rehabilitierung (2006). Er streitet gegen den »Missbrauch« des Wortes gerade jetzt, »je mehr Heimatlosigkeit die mobile, flexible neoliberale Welt mit sich bringt«. Ohne Wiederaneignungsarbeit werde diese Entwicklung nach rechts gehen. Der Streit ist überlebensnotwendig.