EZLN: Würdige Wut und Widerstand

Die EZLN feiert ihr 15-jähriges Jubiläum mit einem Festival

Um den Jahreswechsel 2008/09 lud die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) in Mexiko zum Ersten Weltweiten Festival der Würdigen Wut. Gemeinsam mit TeilnehmerInnen aus der ganzen Welt feierten sie 15 Jahre des Aufstands und schufen eine neue Form des politischen, kulturellen und sozialen Austauschs zwischen der zapatistischen Bewegung und sich auf sie beziehenden Gruppen inner- und außerhalb Mexikos. Währenddessen ist die zivile Basis der EZLN weiterhin Feindseligkeiten ausgesetzt.

Der Schluss brachte die aktuelle Situation auf den Punkt: Comandante David hatte soeben im Namen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) das Festival offiziell für beendet erklärt, da bat eine junge Frau nochmal kurz um Aufmerksamkeit. In einem der zapatistischen Dörfer sei es gerade zu einem Zusammenstoß zwischen Zapatistas und Mitgliedern der indigenen Bauernorganisation ORCAO gekommen, bei dem es mehrere Verletzte gegeben habe. So zeigte sich einmal mehr, dass die EZLN zum einen immer noch in der Lage ist, mehrere tausend Menschen auf einem weiteren ihrer internationalen Treffen zusammenzubringen, während andererseits ihre Basis in den selbstverwalteten Gemeinden Anfeindungen und Angriffe nicht-zapatistischer Gruppen erdulden muss.
Das Erste Weltweite Festival der Würdigen Wut, das in der Tradition der Intergalaktischen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus von 1996 gesehen werden kann, begann am 26. Dezember in Mexiko-Stadt. Neben der mexikanischen Hauptstadt waren das caracol von Oventic, eines der fünf regionalen Verwaltungszentren der zapatistischen Autonomie, sowie San Cristóbal de Las Casas in Chiapas die Stationen des Festivals, wo es am 5. Januar dieses Jahres endete.
Das Programm war vielfältig: An den Podiumsdiskussionen beteiligten sich VertreterInnen von Basisorganisationen wie Via Campesina oder des Nationale Indigenen Kongresses (CNI) Mexikos, linke Intellektuelle wie John Holloway oder Michael Hardt, politische AktivistInnen wie die ehemalige Kommandantin der nicaraguanischen SandinistInnen, Mónica Baltodano, oder ehemalige Gefangene, die während der Zusammenstöße im zentralmexikanischen Atenco 2006 festgenommen worden waren. Thematisch drehten sich die Diskussionen um vier Aspekte des Kapitalismus: Ausbeutung, Enteignung, Repression und Abwertung. Diesen wurden Andere Wege gegenübergestellt: die Andere Stadt, Andere Soziale Bewegungen, die Andere Geschichte und die Andere Politik. Letztere wurde am ausführlichsten behandelt und nahm die komplette Zeit des Festivals in San Cristóbal ein.
In den Beiträgen spiegelte sich die Vielfältigkeit und Erfahrungen der verschiedenen lokalen Kämpfe wieder. So sprach Gustavo Esteva, Leiter der Universidad de la Tierra in Oaxaca-Stadt, von den Erfahrungen des Aufstands in Oaxaca 2006 und einer möglichen Radikalisierung des Widerstands. Er mahnte die Linke zur Selbstkritik und hob die Bedeutung einer anderen Form der Demokratie in einem antikapitalistischen System hervor: „In den letzten 20 Jahren haben wir Mexikaner die Grenzen der repräsentativen Demokratie kennengelernt“. Auch werde die Notwendigkeit einer neuen Verfassung deutlich. Oscar Olivera von der Koordination zur Verteidigung des Wassers und des Lebens aus Bolivien berichtete vom erfolgreichen Kampf gegen die Privatisierung des Wassers in Cochabamba, zeigte aber auch auf, dass die Regierung von Evo Morales sich mehr und mehr von ihrer Basis entferne. Zudem kamen Solidaritätsgruppen zu Wort, die von eigenen Problemen in ihren Ländern berichteten. Da erzählten VertreterInnen von Ya Basta aus Italien vom Widerstand gegen die Errichtung einer großen Müllhalde am Rande Neapels, gegen die sich die BewohnerInnen zur Wehr setzen oder der Opposition gegen einen US-amerikanischen Militärstützpunkt im norditalienischen Vicenza. Auch griechische AktivistInnen, die in den letzten Wochen mit ihrer Entrüstung über die politischen Verhältnisse in ihrem Land international Schlagzeilen gemacht hatten, waren mit einem Beitrag vertreten.
Im Vergleich zu anderen von den Zapatistas ausgerufenen Treffen ermöglichte das Festival eine neue, horizontalere Form des Austauschs. Im Vorfeld waren die mexikanischen und internationalen Gruppen und Organisationen, die sich der Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald der EZLN angeschlossen hatten, angeschrieben und eingeladen worden, am Festival mit einem Stand oder Redebeitrag teilzunehmen. Von ihnen folgten mehr als 250 aus Mexiko und 25 aus weiteren Ländern dieser Einladung und so gab es auf dem Festivalgelände in Mexiko-Stadt 136 Stände, an denen sich die BesucherInnen und TeilnehmerInnen über verschiedene lokale Kämpfe und Aktivitäten der AusstellerInnen informieren konnten. Dazu boten ein Kinozelt und zwei Bühnen kulturelle Abwechslung. Der Auftritt von Panteón Rococo am 29. Dezember stellte wohl den musikalischen Höhepunkt dieses Programms dar.
Zum Jahreswechsel zog das Festival dann nach Oventic, Verwaltungssitz der zivilen zapatistischen Struktur im Hochland von Chiapas. Dort wurde mit Musik und Theaterstücken der 15. Jahrestag des zapatistischen Aufstands vom 1. Januar 1994 begangen. Comandante David wies in der Hauptansprache des Abends auf die immer noch von Marginalisierung und Repression gekennzeichnete Situation der indigenen zapatistischen Gemeinden hin und rief dazu auf, die Solidarität zwischen den linken, antikapitalistischen Kräften im Kampf gegen den neoliberalen Kapitalismus in Mexiko und weltweit zu stärken.
Die Arbeit der Zapatisten ist momentan alles andere als leicht. Es vergeht kein Monat, in dem nicht einer der fünf Räte der Guten Regierung in einem Kommuniqué über Probleme mit den staatlichen Stellen oder anderen Organisationen berichtet. Die letzte Erklärung des Rates der Guten Regierung von Morelia ist dementsprechend auch beispielhaft für die Situation der indigenen Gemeinden: Zu Beginn des Jahres gab es einen Zusammenstoß zwischen Mitgliedern der Regionalen Organisation der Kaffeebauern von Ocosingo (ORCAO) und Zapatistas in einem Dorf nahe einer der Hauptverkehrsstraßen des Bundesstaates. Grund waren Streitigkeiten um die Nutzung von Land, das im Zuge des Aufstands von den Zapatistas besetzt worden war. Und auch der Öko-Tourismus, ein Hauptprojekt der aktuellen chiapanekischen Regierung, betrifft das Land, auf dem Zapatistas leben. Im gleichen Kommuniqué erklärt der Rat von Morelia, Anhänger der Revolutionären Institutionellen PRI aus Agua Clara hätten „unsere Compañeros mit Flaschen und Steinen angegriffen“.
Und dennoch: Die Aufständischen gehen weiter ihren Weg der Selbstverwaltung und machen dabei Fortschritte. Oberstleutnant Moises, Teil der militärischen Struktur der EZLN und zuständig für den internationalen Bereich der Anderen Kampagne, berichtete auf dem Festival der Würdigen Wut von den Entwicklungen in den autonomen Regionen. „Die Compañeros des caracols von La Realidad haben die Banpaz, die Zapatistische Volksbank, geschaffen“. Diese sei als Ergebnis einer Konsultation der zapatistischen Gemeinden ihrer Region entstanden und solle für kollektive Projekte genutzt werden. Ein weiteres Beispiel: Die Zapatistas des caracols von La Garrucha haben AgraringenieurInnen ausgebildet. „Früher wussten sie nicht, was das ist, aber jetzt wissen sie es, weil sie die Arbeit selbst praktizieren“. Der Kommandantin Hortensia blieb es vorbehalten, über die Beteiligung der Frauen innerhalb der zapatistischen Strukturen zu sprechen. Sie wies darauf hin, dass in den vergangenen 15 Jahren in diesem Bereich viel erreicht worden sei. Der Tatsache, dass die Frauen auf der militärischen und auf der zivilen Ebene Ämter innehätten, sei der Kampf um Gleichberechtigung innerhalb der Bewegung vorausgegangen. In einigen Regionen fehle es noch an Verständnis für die Wichtigkeit der Beteiligung der Frauen, so dass noch Arbeit vor ihnen liege. „Aber in den 25 Jahren des Bestehens der EZLN und den 15 Jahren des bewaffneten Aufstands haben wir wichtige Fortschritte erreicht“.
In San Cristóbal war Subcomandante Marcos, militärischer Chef und Sprecher der Zapatistas, nach einem Jahr medialer Abwesenheit wieder präsent. In seinen Wortbeiträgen kritisierte er erneut die politische Klasse Merxikos, sprach von der Verbindung des Präsidenten Calderón zu einem der Kartelle in dessen „Kampf gegen den Drogenhandel“ und von der „hysterischen“ Bewegung um den ehemaligen Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratischen Partei der Demokratischen Revolution (PRD), Andrés Manuel López Obrador. Die Intellektuellen um López Obrador kritisieren die EZLN wegen ihrer Distanzierung von allen Parteien und der Kritik des Subcomandante an López Obrador immer wieder scharf. Marcos, der in einem außerplanmäßigen Beitrag auch die Angriffe der israelischen Armee auf die Zivilbevölkerung in Gaza kritisierte, betonte zum Abschluss die Bedeutung der Vielschichtigkeit innerhalb der Anderen Kampagne in Mexiko und auf internationaler Ebene. „Deswegen wollen wir Euch bitten, dass wir aus unserer Stärke keine Schwäche machen sollten. So viele und so unterschiedlich zu sein, erlaubt uns, die Katastrophe zu überleben, die sich anbahnt, und etwas Neues zu schaffen. Wir möchten Euch bitten, dass dieses Neue auch anders sein möge.“
Die EZLN hat mit dem Festival der Würdigen Wut der Anderen Kampagne einen neuen Impuls geben können. Sie hat gezeigt, dass sie trotz der Zerstrittenheit der mexikanischen Linken weiterhin ein nationaler und internationaler Referenzpunkt ist. Sowohl auf dem Festival als auch aufgrund der aktuellen Situation in den indigenen zapatistischen Gemeinden ist deutlich geworden, dass der Weg der Autonomie mit meist äußeren Schwierigkeiten belastet ist, aber auch bedeutende Fortschritte gemacht hat.
// Thomas Zapf

 Ausgabe LN 416 // Februar 2009

 

Entwicklung der EZLN
Die EZLN hat in anderthalb Jahrzehnten einen langen und schwierigen Weg zurückgelegt. Nach zwölf Tagen Krieg zu Beginn des Jahres 1994 folgten zwei Jahre verschiedener Bemühungen, einen Dialog mit der mexikanischen Regierung zu etablieren. Mit der Unterzeichnung der Abkommen von San Andrés über indigene Rechte und Kultur am 16. Februar 1996 brachten sie einen vermeintlich ersten Erfolg. Doch wurden diese von der Regierung nicht in Gesetze umgewandelt, die den indigenen Völkern Mexikos auch rechtlich eine Anerkennung ihrer Kultur, sozialen und politischen Organisationsformen zugesichert hätten. Der endgültige Bruch mit dem mexikanischen politischen System kam 2002, als eine Klage vor dem Obersten Gerichtshof Mexikos scheiterte, die sich gegen eine verwässerte Verfassungsreform über indigene Rechte gerichtet hatte, welche mit den Abkommen von San Andrés fast nichts mehr gemein hatte.
Bereits ab 1996 hatten die Zapatistas indes mit dem Aufbau selbstverwalteter Strukturen begonnen, der die Situation der Dörfer langsam, aber stetig verbesserte, vor allem im Bereich der Bildung und Gesundheit. Nicht zu unterschätzen ist, dass all dies vor dem Hintergrund eines von der Regierung geführten Krieges niederer Intensität geschah und geschieht, dessen zentrales Element der Aufbau und die Unterstützung paramilitärischer Gruppen ist, die durch Feindseligkeiten und Angriffe die zivile Basis der EZLN zermürben sollen. Die Gründung der Räte der Guten Regierung, einer regionalen Instanz der Koordination und indigenen Rechtssprechung im August 2003 stellt den bisherigen Höhepunkt der zapatistischen Autonomie dar – auch wenn diese fünf Jahre nach ihrer Einführung immer noch mit verschiedenen Problemen zu kämpfen haben. Doch diese sind nicht unlösbar. Die Anwendung des Prinzips „Gehorchend regieren“, das die Rotation der Ämter und eine Absetzung bei Missbrauch derselben einschließt, hat allerdings diese Organe zu einer Schule der Selbstverwaltung der RebellInnen gemacht und sie davor bewahrt, dem Übel der übrigen mexikanischen Politik, der Korruption, zum Opfer zu fallen.
// Thomas Zapf