Gute Aussichten für die Annahme der neuen Verfassung
Für Ecuadors jungen Präsidenten Rafael Correa geht es am 28.September um ein zentrales Wahlversprechen: eine neue Verfassung. Bisher lief der Prozess zum abschließenden Referendum sehr viel ruhiger und zügiger als in Bolivien. Vieles spricht dafür, dass auch die Volksabstimmung über die neue Verfassung ein Erfolg für Correas „Bürgerrevolution“ wird. Die rechten Parteien scheinen fast pulverisiert, nachdem sie über ein Vierteljahrhundert den Andenstaat kontrolliert und politisch wie ökonomisch an den Rand des Ruins gebracht hatten. Die linken und indigenen Bewegungen unterstützen den Verfassungsentwurf, aber nicht notwendigerweise die gesamte Politik Correas.
Der Fortschritt ist offenkundig: Ecuadors
Verfassungsentwurf, den ein 130-köpfiger Konvent zwischen November 2007
und Juli 2008 erarbeitet hat, ist deutlich progressiver als die
geltende Verfassung aus dem Jahr 1998. Diese ist in weiten Teilen von
der Ideologie des Neoliberalismus dominiert. Es ginge darum, „die lange
Nacht des Neoliberalismus zu überwinden“, hat Correa beständig
propagiert. Die von ihm gegründete Bewegung Acuerdo País (AP) verfügte
über eine deutliche Mehrheit in der Verfassunggebenden Versammlung und
einen interessanten Mix von Abgeordneten, von denen viele aus sozialen
Bewegungen, dem Kulturbereich oder dem kritischen Journalismus stammen.
So wurden die Grundüberzeugungen Correas, die auf einem langjährigen
sozialen Widerstand gegen die neoliberale Politik in Ecuador basieren,
in weiten Teilen in den vorgelegten Verfassungstext integriert.
Zunächst einmal wird darin die Rolle des Staates in Wirtschaft und
Sozialem deutlich gestärkt. Der Text betont die Souveränität Ecuadors
sowohl als „plurinationaler“ Staat als auch in den Bereichen
Wirtschaft, Energie und Nahrungssicherheit. „Ecuador ist ein
Friedensterritorium“, formuliert in diesem Zusammenhang der neue
Artikel 5, „es werden keine ausländischen Militärbasen erlaubt werden“.
Ein klarer Bezug zur US-Basis am ecuadorianischen Pazifikhafen Manta,
dessen Vertrag im Jahr 2009 ausläuft. Breiten Raum erhalten die Rechte
der Bürgerinnen und Bürger – im individuellen wie im kollektiven Rahmen
–, aber auch der Natur sowie die entsprechenden Verpflichtungen des
Staates. Die Rechte der Indígenas – die während der Mobilisierungen in
den 1990er Jahren erstritten wurden – sind weiterhin prominent
vertreten. Quichua und Ashuar wurden zwar nicht als Staats-, aber doch
als „offizielle Sprachen der interkulturellen Beziehungen“ in der neuen
Verfassung festgeschrieben. Auch die solidarische Wirtschaft, die
soziale Verpflichtung des Eigentums, die Partizipation der BürgerInnen
und das „sumak kawsay“ (gutes Leben), ein der indigenen Tradition
verpflichtetes, holistisches Entwicklungskonzept, sind wichtige
Leitbilder der – vermutlich – zukünftigen ecuadorianischen Verfassung.
Viele Passagen des Verfassungstextes lesen sich progressiv, wie immer
wird es auf ihre Umsetzung in der Praxis ankommen.
Correa hat verschiedentlich bei relevanten Themen innerhalb der
Verfassunggebenden Versammlung interveniert, wobei er viele Themen
durchgehen ließ, die er gerne weniger prononciert gesehen hätte. Zum
Schluss ging es ihm um eine zügige Abwicklung des Projekts der neuen
Verfassung, deshalb brach er mit einem der führenden ideologischen
Köpfe von Acuerdo País und Vorsitzenden der Verfassunggebenden
Versammlung, dem in Köln ausgebildeten Ökonomen Alberto Acosta. Zwar
liefen Correa manche Ausführungen Acostas über den hohen Wert der
Partizipation und die Rechte der Natur zuwider (siehe LN 409/410), doch
das Fass zum Überlaufen brachte das Risiko, die maximale Dauer der
Versammlung von acht Monaten zu überschreiten. Die überwiegend
konservativen Medien hätten dies als Schwäche der Regierung ausgelegt.
Der ecuadorianische Präsident ist ein wenig erfahrener Politiker, der
allerdings in kürzester Zeit gelernt hat, dass es in der
ecuadorianischen Realpolitik mehr um das Image des starken Mannes als
um den großen Zukunftsentwurf für die Gesellschaft, wie sie Acosta im
Auge hatte.
Dies machte Correa explizit in seiner Rede zur Präsentation des neuen
Verfassungsentwurfs deutlich. Er habe zu Beginn des Konvents auf die
Gefahr der „Kinderkrankeiten“ der Linken und der Umweltbewegung
verwiesen, nun müsse er noch die „Kindereien des Indigenismus“
hinzuzählen. Er machte damit alternative Vorstellungen nicht nur
lächerlich, sondern drohte auch offen gegen kritische Geister innerhalb
der AP. Es gebe mindestens 20 „Infiltrierte“ unter den Abgeordneten in
der Verfassunggebenden Versammlung, die eine eigene Agenda und nicht
die seiner Bewegung verfolgten, er kenne sie genau, die Namen wolle er
allerdings erst nach dem Referendum öffentlich machen.
„Mich befremdet die Verwendung des Begriffs der Infiltierten,“
kommentierte postwendend Mónica Chuji, eine Indigene aus der
Amazonasregion von Sarayaku und Abgeordnete von AP. „Wenn die
Infiltrierten doch jene sind, die seit langer Zeit historische
Positionen der Völker vertreten, die an den sozialen Prozess jenseits
des politischen Kalküls glauben und die auf Grundlage von Überzeugung
arbeiten. Unsere Verbindungen mit den Kämpfen der Völker waren seit
jeher bekannt, und es schien, als sei dies unser Potenzial, warum wir
aufgefordert wurden, Teil der Verfassunggebenden Versammlung zu sein.“
Doch längst nicht alle haben den Mut, offen ihre Meinung zu vertreten.
Viele Abgeordnete hoffen auf eine Karriere im zukünftigen Parlament
oder auf Regierungsposten. Correa ist bekannt dafür, dass er Kritik an
seiner Politik nicht schätzt und nachtragend ist. Seine Haltung
spiegelt sich auch strukturell in der AP wider: Das einzige
exisitierende „demokratische“ Gremium dieser neuen Bewegung ist das
„Politische Büro“, eine handverlesene Gruppe von Correa nahestehenden
Männern und einer Frau, das zusammentritt, wenn der Präsident es möchte
und die Themen diskutiert, die Correa vorschlägt. Ganz ähnlich brachte
Fernando Cordereo, der Nachfolger Acostas, in der letzten Sitzungswoche
etwa die Hälfte aller Verfassungsartikel und eine ganze Reihe von
Gesetzen ohne relevante Diskussion durch den Verfassungskonvent.
Acosta hatte demgegenüber einen breiten partizipatorischen Prozess in
der „Asamblea Constituyente“ organisiert, wo zahllose Organisationen
aus dem ganzen Land ihre spezifischen Vorschläge für die neue
Verfassung präsentieren konnten. Dies war jenseits der Beiträge für
einen neuen Gesellschaftsvertrag auch ein wichtiger Prozess in der
Debatte um gesellschaftliche Alternativen und Zukunftsvisionen für
Ecuador, nachdem über Jahrzehnte die Verteidigung erkämpfter Rechte
gegen die neoliberale Dampfwalze im Mittelpunkt gestanden hatte. Es
bleibt zu hoffen, dass sich diese Debatten in der Suche nach einem
humaneren und demokratischeren Ecuador auch im zukünftigen Prozess der
„Bürgerrevolution“ wiederfinden.
Hier gibt es jedoch deutliche Fragezeichen zu setzen. Denn das Konzept
der „Bürgerrevolution“ wird von Correa rein individualistisch
verstanden. Einzelne Personen aus sozialen Bewegungen, wie Mónica Chuji
von der CONAIE oder Pedro de la Cruz vom sozialistischen Bauern- und
Indigenenverband FENOCIN, durften innerhalb von AP Posten einnehmen,
dies bedeutete aber explizit keine Übereinkunft mit den von ihnen
repräsentierten Bewegungen. Stattdessen führten der Autoritarismus von
Correa – und die Angst seiner Alliierten – zu einem Verlust an
Autonomie der mit dem Präsidenten verbundenen sozialen Bewegungen. So
haben beispielsweise eine ganze Reihe an Bauernorganisationen von
Anfang an Rafael Correa unterstützt, aber es unterlassen, die
herkömmliche, auf das Agrobusiness und Agrartreibstoffe orientierte
Landwirtschaftspolitik seiner Regierung in der Öffentlichkeit zu
kritisieren oder auch nur zu diskutieren.
Insgesamt fällt die Bilanz der „Bürgerrevolution“ von Correa gemischt
aus. Letztlich gilt es für die sozialen Bewegungen des Landes, deren
Erfolge zu sichern, ohne sich vollständig aufsaugen zu lassen. In
diesem Sinne argumentiert das neue Bündnis „Vereint für das Ja und für
den Wandel“. Einer der wichtigsten Bündnisteilnehmer ist die stärkste
Indígena-Bewegung Ecuarunari, die sich von manch überzogener Kritik
Correas nicht in eine Fundamentalopposition hat abdrängen lassen,
sondern das Referendum in seinen historischen Kontext stellt: „Die neue
Verfassung ist Ergebnis des jahrzehntelangen Widerstands und des
Kampfes der sozialen Bewegungen, der Indígena-Bewegung und
verschiedener Sektoren des ecuadorianischen Volkes. Die neue Verfassung
beinhaltet wichtige Erfolge im Bereich des Sozialen, der Kultur,
Politik, Wirtschaft und Umwelt, was sich danach in der öffentlichen
Politik und neuen Gesetzen konkretisieren muss. Um die Erfolge dieser
Verfassung behaupten und ausbauen zu können, ist es notwendig, den
wirtschaftlich Mächtigen und ihren politischen Repräsentanten, die
heute mit einem Nein zur Verfassung an die Führung des Landes
zurückwollen, eine deutliche Niederlage an den Urnen beizubringen.“ So
resümiert Ecuaruanri und eine Reihe anderer Organisationen ihre
Entscheidung, aktiv in den Wahlkampf einzugreifen.
Die rechten Parteien bleiben demgegenüber blass. Die traditionell
dominante Christsoziale Partei PSC versteckt sich hinter dem
wortstarken Bürgermeister von Guyaquil, Jaime Nebot, der wiederum aber
nicht für die Partei in Erscheinung treten will. Die familieneigene
Partei PRIAN des „Bananenkönigs“ Álvaro Noboa, der in der Stichwahl um
das Präsidentenamt gegen Correa unterlegen war, tritt kaum mehr in
Erscheinung, nachdem er wegen der Weigerung, seine
Vermögensverhältnisse offenzulegen, aus der Verfassunggebenden
Versammlung ausgeschlossen worden war. Eine breitere Kampagne für das
Nein hat in verschiedenen Landesteilen lediglich die Partei des
ehemaligen Oberst und Präsidenten Lucio Gutiérrez initiiert. Diese und
die polemisch vorgetragene Kritik der katholischen Kirche an der
Legalisierung homosexueller Beziehungen in der neuen Verfassung,
dürften aber kaum reichen, das Projekt Correas ins Wanken zu bringen.
Der Präsident hat nach wie vor eine hohe Glaubwürdigkeit, den lang
ersehnten Wandel herbeizuführen, und beflügelt dies mit einer Reihe von
konkreten sozialpolitischen Maßnahmen. Eine zu erwartende deutliche
Mehrheit für das „Ja“ am 28. September würde Correa zudem den Weg
ebnen, bei den dann anstehenden Neuwahlen im kommenden Jahr seine
Position zu festigen. Die Weichen sind gestellt.
Text: Frank Braßel
Ausgabe: Nummer 411/412 - September/Oktober 2008