Wahlkampfmanöver: Schuldenerlass für Indiens Bauern

Indische Bauern tragen schwer an den Folgen der Globalisierung: Sie sind einer globalen Billigkonkurrenz ausgesetzt und erzielen für Agrarprodukte kaum noch Preise, die ihre Produktionskosten decken.

Indische Bauern tragen schwer an den Folgen der Globalisierung: Sie sind einer globalen Billigkonkurrenz ausgesetzt und erzielen für Agrarprodukte wie Baumwolle, Bananen oder Gewürze kaum noch Preise, die ihre Produktionskosten decken. Die Hälfte der mehr als 90 Millionen Bauernhaushalte Indiens hat sich seit der Marktöffnung Anfang der 90er Jahre verschuldet. Rund die Hälfte der Inder - 500 Millionen - lebt in Bauernhaushalten. Vor allem die große Mehrheit der Kleinbauern, die weniger als 2 Hektar Land haben, sind verzweifelt. Laut Schätzungen der Regierung sind 150 Millionen Angehörige von Kleinbauernfamilien unterernährt. Etwa 10.000 Bauern bringen sich jedes Jahr um. Es sind diese Selbstmorde, die das auch hierzulande vielgelobte wirtschaftliche Erfolgsmodell Indien konterkarieren.

Nun hat der indische Finanzminister Palaniappan Chidambaram angekündigt, im neuen Haushaltsjahr 30 Millionen Bauern umgerechnet 10 Milliarden Euro Schulden zu erlassen. Damit, so heißt es, sollen die Bauern aus ihrer misslichen Lage befreit werden. Die Ankündigung ist im Ausland auf großes Echo gestoßen.

Der angekündigte Schuldenerlass greift jedoch viel zu kurz: Nur wenige Kleinbauern können Kredite bei Banken aufnehmen, mehrheitlich gelten sie in Indien als "kreditunwürdig" Sie müssen sich deshalb bei privaten Geldverleihern verschulden, oder bei NGOs und privaten Finanzinstitutionen, die sog. Mikrokredite vergeben - in der Regel zu einem Zinssatz von mehr als 20%. Diese privaten Kredite werden jedoch nicht erlassen. Dabei beträgt ihr Anteil in den besonders krisengeschüttelten Regionen Indiens mehr als zwei Drittel an den Gesamtschulden der Kleinbauern.

Agrar- und Entwicklungsexperten wie der indische Journalist P.Sainath kritisieren, dass die Regierung der zentralen Forderung von Bauernorganisationen nicht nachgekommen ist, künftig staatliche Kredite zu günstigeren Zinssätzen zur Verfügung zu stellen. Deshalb - und wegen des Preisverfalls für viele Agrarprodukte - kommen die Bauern aus der faktischen Schuldknechtschaft nicht heraus. "In zwei Jahren werden sie wieder auf demselben Schuldenniveau sein wie heute", befürchtet Sainath.

Agrarökonomen halten Zinssätze von maximal 4% für realistisch, wenn man die Kleinbauern vor dem finanziellen Ruin bewahren will. Da bleibt allerdings nichts mehr für die Rendite westlicher Anleger übrig. In Zusammenarbeit mit der Weltbank und regionalen Entwicklungsbanken bieten etwa die Fondsgesellschaft Axa und die Kölner Pax-Bank Mikrokreditzertifikate an, die den Anlegern mehr als 4% Zinsen versprechen. "Für Kleinanleger wäre das durchaus interessant, denn die Rendite übersteigt zumeist die von Geldmarktfonds", lobte die FAZ im Januar und fuhr fort: "Die Kredite für die Ärmsten der Armen haben zudem erstaunlich geringe Ausfallraten: 1 bis 2% beträgt die Quote und liegt damit unter denen vieler herkömmlicher Banken."

Der indische Finanzminister Chidambaram, ein Harvard-Absolvent, ist ein großer Freund der Business-Community. Auch er setzt - wie die Weltbank - bei den Mikrokrediten auf den Privatsektor und rechtfertigt Zinssätze von über 20%. "Das ist überall auf der Welt üblich", erklärte er auf einem Bankenkongress 2006 in Hyderabad. Die Finanzinstitutionen, so ließ er verlauten, müssten schließlich auch die Kosten für die Kreditvermittlung in entlegenen ländlichen Gebieten tragen, "das müssen wir den Leuten beibringen"

Der aktuelle Schuldenerlass für die indischen Kleinbauern ist vor allem Wahlkampfpropaganda. Im Mai 2009 sind Wahlen angesetzt, und die Stimmen der Bauern, die mehr als die Hälfte der insgesamt 1,1 Milliarden Inder ausmachen, sind entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg der regierenden Kongresspartei. Ob die Regierung ihre Stimmen mit dem Programm zum Schuldenerlass einkaufen kann, ist ungewiss. Denn ohne Schutz vor dem sog. "freien Weltmarkt" und ohne staatliche Kredite zu niedrigen Zinsen werden die Kleinbauern weiterhin millionenfach in die Hände privater Geldverleiher und Finanzinstitutionen getrieben - und damit in den Ruin.