Die Große Koalition versteht sich als treue Verwalterin der rot-grünen Agenda- und Hartzgesetze: Sie setzt die realen Bezüge der Rentner und Arbeitslosen
weiter herab, verlangt mehr "Eigenverantwortung" und kürzt mit dieser Begründung die Leistungen der Pflege- und Krankenversicherungen, sie erhöht die Mehrwertsteuer und belastet damit vor allem die breite Masse, während sie den Reichen noch weniger Kapital-, Vermögens- und Erbschaftssteuer als bisher abfordert, sie intensiviert die Privatisierungspolitik und verschleudert öffentliches Eigentum. Regt sich Unmut in der Bevölkerung, versucht sie es mit Schönheitspflästerchen, wobei sich jede der beiden Regierungsparteien als die sozialere, mitfühlendere darzustellen versucht. Aber in schnell anberaumten Koalitionsrunden darf die Kanzlerin die große Moderatorin spielen, und alles bleibt beim gewohnten Kurs.
Zur Zeit ist die Koalition mit folgender Altlast aus der Schröder-Zeit beschäftigt: Damals war bei Einführung der Hartzgesetze, um die Älteren zu besänftigen, die 58er-Regelung zunächst beibehalten worden. Zuvor hatten die Arbeitsagenturen (früher Arbeitsämter) Arbeitslose über 58 gedrängt zu unterschreiben, daß sie auf weitere Vermittlung keinen Wert mehr legten. Mit den Hartzgesetzen strich man diese knapp 400 000 aus der Arbeitslosenstatistik, sie mußten auch nicht mehr an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen, erhielten jedoch weiterhin Arbeitslosengeld 1, bis sie ohne Abschläge in Rente gehen konnten. Die derart Ruhiggestellten und in der Versenkung Verschwundenen unterlagen bisher nicht der für Arbeitslose über 55 beschlossenen einschneidenden Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld 1 auf 18 Monate, ihnen drohte nicht der Abfall ins ALG 2 nach den Kriterien der Sozialhilfe. Doch jetzt soll die Schonzeit zum 1. 1. 2008 zu Ende sein.
Die von den Agenda-Verwaltern geplante Gesetzesänderung läuft auf einen sozialpolitischen Skandal hinaus: Wer über 60 ist, soll zwangsverrentet werden, und für jedes Jahr vor dem 65. Lebensjahr sollen von der Rente 3,6 Prozent abgezogen werden; maximal würde demnach die Rente um 18 Prozent geschmälert.
Wahrscheinlich würden einige Hunderttausend Zwangsrentner, hauptsächlich Frauen, weit unter den Sozialhilfesatz fallen. Die Sozialämter der Kommunen müßten dann die Minirenten auffüllen. Voraussetzung wäre aber, daß die Zwangsrentner zuvor alle Ersparnisse bis auf 1.600 EUR aufgebraucht haben werden; nicht einmal der Schutzbetrag von 250 EUR pro Lebensjahr, den Hartz IV noch gewährt, hätte hier Gültigkeit.
An diesem massenhaften Enteignungsprogramm können wir modellhaft studieren, was die "Neue Sozialdemokratie" meint, wenn sie von "Fördern und Fordern" spricht: Bei arbeitslosen Älteren lohnt das "Fördern" eh nicht mehr, aber für das "Fordern" wird sich noch so manches Sparbuch oder gar die Lebensversicherung finden lassen.
Doch halt! Seit einigen Wochen regt sich Widerstand. Die Sozialverbände schlagen Alarm, die Gewerkschaften drohen mit Sammelklagen. Darf jemand gegen seinen Willen vorzeitig in Rente gezwungen, also vom Arbeitsmarkt verwiesen werden, zumal doch die Regierung vor kurzem erst das Rentenalter auf 67 Lebensjahre hochgesetzt hat? Ist eine derartige Diskriminierung aus Altersgründen mit dem Grundgesetzt vereinbar? Sprechen nicht dagegen auch alle Menschenrechtsvereinbarungen auf europäischer und UN-Ebene?
Endlich melden sich auch Fraktionssprecher aus CDU/CSU und SPD zu Wort, die eine "sozial verträgliche Anschlußregelung" versprechen. Der "Arbeitsexperte" der realexistierenden SPD, Klaus Brandner, gab zu Protokoll: "Wir werden sicherstellen, dass jeder, der arbeiten will und kann, nicht zwangsweise in Rente geschickt wird." Bisher sagte er aber leider nicht, auf welche Weise er das sicherstellen will.
Ich hätte da einen Vorschlag: Herr Brandner und Herr Müntefering sollten sich noch einmal die Reichsverordnungen für die Aufstellung der Bataillone des Volkssturms aus dem Herbst 1944 heraussuchen lassen. Da gab es zum Beispiel für die Alten das "Aufgebot IV" für "Wach- und Sicherungsaufgaben". Zu diesem letzten Aufgebot des Führers wurden allerdings nur Männer bis zum 60. Lebensjahr einberufen. Doch dürfte es infolge der inzwischen ja so viel längeren Lebenserwartung keine Schwierigkeiten bereiten, die Verpflichtungsgrenze auf 67 oder auch 70 heraufzusetzen Â…