Im Gleichschritt

Mediale Hetze gegen ein "feministisches Volkserziehungsprojekt". Ein Kommentar.

Wir sind Übles gewohnt. Dass im Standard ein "Experte" in neoliberaler Ungleichheitseuphorie dem Mittelstand "die Chance zum Abstieg" einräumen will beispielsweise (1). Und am folgenden Tag einen Kommentar schreiben darf, in dem er seine Expertise gegen die Abschaffung der Studiengebühr feilbietet. Wir sind Frank Schirrmachers Familienethik und Eva Hermans Küchenmoral gewohnt. Gewohnt, dass auch linke Wochenzeitungen wie der Falter und die Jungle World ums Verrecken kein "Innen" drucken. Wir wissen, dass der Spiegel nicht mehr das ist, was österreichische Nachrichtenmagazine ohnehin nie waren, und die Zeit kein linksliberales Blatt. Und wir haben erlebt, dass eine neue österreichische Tageszeitung die sagenhafte Dreistigkeit besitzt, mit der feministischen Version des Martin-Luther-Kingschen Traumes zu werben (" Â… Österreich gehört den Frauen"), um dann mit dem Titel "Kate Moss nackt in New York" zu erscheinen.

Trotz alledem macht ein Text mitunter immer noch genauso sauer wie er sollte. Mehrere Texte in diesem Fall, erschienen in größeren Abständen im letzen halben Jahr. Volker Zastrow hat die Reihe in der FAZ unter dem Titel "Politische Geschlechtsumwandlung" eröffnet. René Pfister folgte ihm im Spiegel mit "Der neue Mensch" und Alex Baur schloss sich den beiden mit "Gleichschaltung der Geschlechter. Feministische Nacherziehung" kürzlich in der Weltwoche an. Allen drei Autoren bereitet der Begriff "Gender Mainstreaming" große Probleme. Seine Unübersetzbarkeit zunächst. Zastrow folgert deshalb, dass seine "Unverständlichkeit gewollt ist", dass sich das dahinter vermutete, abscheuliche Treiben als "unerklärliche und letztlich anonyme Strömung des Zeitgeistes" wohl besser bemänteln ließe. Und der Zeitgeist ist brutal feministisch, glaubt man den Herren. Baur und Pfister überbieten sich mit der Aufzählung horrender Gelder, zahlloser, personell überbesetzter Institutionen und alberner Maßnahmen, die von deutscher bzw. schweizer Regierung klammheimlich in die schlechte Sache gepumpt werden. Neben hochsubventionierten Naturpark-Broschüren, die auf die Abbildung der Hirschbrunst verzichten und Motorsägekurse für Frauen anbieten, rechnet beispielsweise Baur auch das Vorgehen gegen sexistische Werbung zu den höchst kritisierbaren Kuriositäten. Ganz besonders deshalb, weil "die Gleichstellerinnen über den Ge- schlechterkampf" hinausgehen und sich über rassistische Plakate gleich mit aufregen. Da sollen "andere politische Anliegen" auch noch verwirklicht werden! Insgesamt handelt es sich um ein "feministisches Volkserziehungsprojekt" (Baur), "den neuen Menschen" will man schaffen (Zastrow), wenn nötig durch die "Zerstörung von Identitäten" (Pfister). Antisexistische Jungenarbeit des Vereins Dissens, das Elterngeld von Familienministerin von der Leyen, Machbarkeitsstudien zu Gender Budgeting und der "Girls Day" - allesamt Elemente dieses revolutionären Großprojekts, bei dem alle bis auf ein paar verdutzte CDUler an einem Strang ziehen.
Überdrehten GendertheoretikerInnen wie Judith Butler und Michel Foucault sind Pfister und Zastrow jeweils mit der aufrechten Empörung des Exklusivberichterstatters auf der Spur, ehrlich erschrocken über das Ausmaß der propagierten Geschlechtsverwirrung. Eingebrockt haben uns den ganzen Feminismus die Lesben, weiß Zastrow. Baur redet von "Filz" und "Selbstzweck" im Gender-Mainstreaming-Netz: "Wenn eine Institution immer wieder daran erinnern muss, wie wichtig sie sei, dann liegt der Verdacht nahe, dass sie im Grunde überflüssig ist."

So grundfalsch diese Einschätzung ist, so bewährt ist die Taktik. Ein Mainstreamdiskurs inszeniert sich als von politischer Korrektheit bedrohte Minderheit. Tatsächlich repräsentiert er unangefochten die Mehrheit und die "Gleichstellerinnen" sind es, die sich angesichts dieser Übermacht nur noch verteidigen können. Wie Alexander van der Bellen im Wahlkampf in einer Runde von Rassisten mit der Wirtschaftlichkeit von Einwanderung und nicht mit Menschenrechten argumentierte, verwehrt sich nun Heide Oestreich in der taz vor allem gegen die Vorstellung, Feministinnen hingen der Idee beliebig erzeugbarer Geschlechtlichkeit an. Die anderen Reaktionen auf die Artikel sind erwartungsgemäß durchaus dankbar für den "Tabubruch" und greifen auch den gern bemühten Nazi-Vergleich erfreut auf. Baur wird durch die "sprachlichen Verrenkungen" einer geschlechtergerechten Sprache nämlich "an die 1930er Jahre" erinnert "als zur Eindeutschung des völkischen Bewusstseins Bananen zu Schlauchäpfeln und Benzinmotoren zu Verpuffungsbeschleunigern wurden." "Ja! Im Gleichschritt marschieren sie heute wieder" wird er im LeserInnen-Forum bestätigt.
Nein. Es ist die Nachtigall, die trampelt.

1 "Richtig über Ungleichheit reden. Der Grazer Soziologe Christian Fleck hält die Diskussion über Armut in Österreich für weinerlich", in Der Standard, 17.01.07

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at