Der Iran, die USA, Deutschland und der "vierte Weltkrieg"

Worum geht es bei dem Streit zwischen Iran und USA / EU? Man verlangt vom Iran den Verzicht auf Urananreicherung. Dazu ist er noch gar nicht in der Lage.

Nur noch wenige Tage bleiben bis zur nächsten Vorstandssitzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am 6.März, auf der im Streit um das zivile Atomprogramm des Iran eine weitreichende Entscheidung fallen soll. Beschließt das Gremium dann, wie von den USA und der EU angestrebt, die Einschaltung des UNO-Sicherheitsrats, würde eine schwer kontrollierbare Eskalation der Ereignisse eingeleitet.

Worum geht es bei dem Streit? USA und EU verlangen vom Iran den Verzicht auf Urananreicherung im eigenen Land. Der Iran ist zwar bisher noch gar nicht in der Lage, Uran in größeren Mengen anzureichern. Die Anlage in Natanz ist noch im Bau. Laut Planung sollen dort einmal 50000 Zentrifugen arbeiten, aber nach Erkenntnissen der IAEA besitzt der Iran bisher noch nicht einmal 200 solcher Maschinen. Zunächst geht es bei dem Streit also gar nicht um eine praktische Frage, sondern um das grundsätzliche Recht des Iran, an der Entwicklung der Urananreicherung weiterzuarbeiten.

Die Politik des Iran

Dafür gibt es aus iranischer Sicht zunächst wirtschaftliche Gründe. Schwach angereichertes Uran wird zur Produktion von Brennstoff für Atomkraftwerke benötigt. Würde der Iran darauf verzichten, wäre es für sein ziviles Atomprogramm auf lange Zeit völlig von Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Für ein Land, das seit dem Sturz des Schahregimes 1979 unter US-amerikanischen Sanktionen leidet, ist das eine nicht akzeptable Horrorvorstellung. Der Iran hat in der Vergangenheit immer wieder erleben müssen, dass auch europäische und sogar russische und chinesische Unternehmen sich dem Druck der US-Regierung unterwarfen. Gerade das zivile Atomprogramm des Iran hat dadurch besonders gelitten und entwickelt sich, verglichen mit anderen Ländern, die offen auf dem Weltmarkt einkaufen können, im Schneckentempo.

Neben dem Aspekt der energiewirtschaftlichen Unabhängigkeit hat der Iran aber auch schwerwiegende politische Gründe, sich der europäisch-amerikanischen Forderung auf gar keinen Fall zu unterwerfen: Der Atomwaffensperrvertrag (NPT), den der Iran 1970 unterzeichnet hat, erlaubt zweifelsfrei und unumstritten in vollem Umfang die zivile Nutzung der Atomenergie, einschließlich der Urananreicherung. Einzige Voraussetzung: die Produktion muss unter Kontrolle der IAEA stattfinden, um zu verhindern, dass hochangereichertes, waffenfähiges Uran hergestellt wird. Zu solchen Kontrollen ist der Iran bereit, sogar weit über die Regeln des NPT hinaus.

Die Forderung, der Iran solle für alle Zeiten - oder wenigstens für zehn Jahre, wie IAEA-Generalsekretär Mohammed el-Baradei meint - auf die Urananreicherung verzichten, stellt eine weltweit einmalige Diskriminierung dar. Für die hinter der Forderung stehende Anschuldigung, der Iran arbeite an der Entwicklung von Atomwaffen, sind keine stichhaltigen Anhaltspunkte gefunden worden, seit die IAEA im Februar 2003 eine sehr intensive Untersuchung gestartet und sämtliche Anlagen des iranischen Atomprogramms überprüft hat.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Iran der amerikanisch-europäischen Verzichtsforderung nicht unterwerfen, ohne implizit auch die zugrunde liegende Anschuldigung geheimer Atomwaffenpläne zu bestätigen. Mit einem solchen Verzicht müsste Teheran selbst anerkennen, ein "Schurkenstaat" zu sein, der nur durch weltweit einzigartige und beispiellose diskriminierende Maßnahmen zu bändigen ist. Der Iran würde sich dadurch nicht nur in den Status eines unter unbefristeter Bewährungsaufsicht stehenden Pariahstaats fügen, sondern einer Kette weiterer Erpressungen seitens der USA und des EU-Trios Tür und Tor öffnen. Die nächste logische Forderung wäre bspw. die Verschrottung der iranischen Mittelstreckenraketen, die Israel erreichen könnten. Aber zumindest der Wunschzettel der USA ist sehr viel länger. Dazu gehört auch die Aufgabe der iranischen Unterstützung für schiitische Organisationen in der gesamten Region.

Die Politik der USA

Der US-Regierung geht es, wie bei der propagandistischen Vorbereitung des Überfalls auf den Irak im März 2003, nicht um Massenvernichtungswaffen, sondern um das Konstruieren von Kriegsgründen. Selbst eine vollständige Unterwerfung Teherans unter die amerikanisch-europäischen Forderungen würde daran nichts ändern.

Grundsätzlich hatte George W. Bush dem Iran schon in seiner Rede zur Lage der Nation am 29.Januar 2002 den Krieg erklärt. Damals benannte er erstmals Nordkorea, den Iran und den Irak als Teile einer "Achse des Bösen", wobei er mit der Formulierung "und Staaten wie diese" die Option für weitere Kandidaten offen ließ. Der US-Präsident kündigte damals an, Amerika werde "tun, was notwendig ist, um die Sicherheit unserer Nation zu gewährleisten", und zwar schon sehr bald: "Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Ich werde nicht auf Ereignisse warten, während sich die Gefahren zusammenballen. Ich werde nicht daneben stehen, während das Unheil näher und näher kommt. Die USA werden es den gefährlichsten Regimen der Welt nicht gestatten, uns mit den vernichtendsten Waffen der Welt zu bedrohen."

Diese als Bush-Doktrin bekannt gewordene Drohung impliziert die Absicht zu völkerrechtswidrigen "Präventivkriegen" gegen eine Reihe von Staaten. Vor allem gegen die als "Achse des Bösen" bezeichneten Staaten Irak, Iran und Nordkorea - aber keineswegs nur gegen sie. Offen gehalten wurde von der US-Regierung lediglich die Reihenfolge, in der diese Staaten angegriffen werden sollen, und die in jedem Einzelfall zu verfolgende politische Taktik.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld spricht jetzt immer öfter davon, dass der sog. Kampf gegen den Terrorismus ein "langer Krieg" werde - viel länger, als man anfangs angenommen habe. Das Thema ist jedoch keineswegs neu. US-Vizepräsident Dick Cheney prognostizierte schon im Oktober 2001, kurz nach Beginn der Luftangriffe gegen Afghanistan, der von Bush ausgerufene Krieg "endet vielleicht niemals. Jedenfalls nicht zu unseren Lebzeiten." Ihm schloss sich sogleich Generalstabschef Richard B. Myers an: Cheneys Einschätzung über die Dauer des Krieges "könnte richtig sein". "Dass er mehrere Jahre oder viele Jahre oder vielleicht unser Leben lang dauern könnte, würde mich nicht überraschen."

Ebenso argumentiert der frühere CIA- Chef James Woolsey, einer der prominentesten Neokonservativen: Der "vierte Weltkrieg" werde erheblich länger dauern als der erste und der zweite, nämlich mehrere Jahrzehnte. "Vierter Weltkrieg" sagen viele Neocons, weil sie den kalten Krieg gegen die sozialistischen Staaten als dritten mitzählen.

Den Begriff "Vierter Weltkrieg" hatte als erster nach dem 11.September Eliot Cohen im Wall Street Journal vom 20.November 2001 verwendet. Neocon Cohen, unter Bush senior Mitarbeiter im politischen Planungsstab des Pentagon, leitete 1991-1993 die Ausarbeitung der offiziellen Studie über den ersten Irakkrieg. Eine ausführliche Theorie des "vierten Weltkriegs" stellte Norman Podhoretz in der Februar- Ausgabe 2002 des Commentary, der Theoriezeitschrift des rechtszionistischen American Jewish Commitee, vor.

Podhoretz, konvertierter 60er-Jahre-Linker und eine Zentralfigur im neokonservativen Netzwerk, arbeitete als erster die Analogie zum Zweiten Weltkrieg heraus: So wie die USA damals Deutschland und Japan erst einmal militärisch besiegen und besetzen mussten, um einer demokratischen Entwicklung den Weg zu bereiten, gelte es heute, die islamische Welt zunächst militärisch zu unterwerfen, um sie dann zu befreien.

Diese Analogie, die sich seither im neokonservativen Lager großer Beliebtheit erfreut, enthält eine ganze Reihe von sachlichen und methodischen Fehlern. Der wohl wichtigste ist: Die islamischen Länder befinden sich keineswegs in einem Krieg mit den USA und sie zeigen angesichts des klaren Kräfteverhältnisses auch nicht die allergeringste Neigung, sich auf einen solchen Krieg einzulassen. Sie stellen noch nicht einmal potenziell einen halbwegs einheitlichen Kriegsgegner dar. Das bedeutet, dass der Feind, der im "vierten Weltkrieg" besiegt werden soll, überhaupt erst durch provokative politische und militärische Handlungen der USA und ihrer Verbündeten geschaffen, künstlich konstruiert werden muss.

Im Zentrum der neokonservativen Strategie stehen daher nicht unmittelbare wirtschaftliche Ziele, auch wenn diese, vor allem die Beherrschung der Ölvorkommen des Nahen und Mittleren Ostens, selbstverständlich eine wesentliche Rolle spielen. Zunächst einmal aber geht es vor allem um die Auslösung einer Kettenreaktion von Konfrontation und militärischer Gewalt. Die Entfachung eines jahre- oder gar jahrzehntelangen Flächenbrands soll die Voraussetzungen für eine totale Neuordnung des gesamten Großraums unter amerikanisch- europäischer Militärbesatzung und Kolonialverwaltung schaffen. Diese Strategie schließt neben dem Nahen und Mittleren Osten auch Nordafrika sowie Afghanistan, Pakistan und das früher sowjetische Zentralasien ein.

Der zunehmende Widerstand, den das aggressive neokoloniale Projekt in der islamischen Welt hervorruft, wird wiederum zu einem zentralen Argument der konfrontativen Propaganda und verhärtet die breite Koalition der westlichen Staaten. Samuel P. Huntingtons 1996 erschienener Clash of Civilizations, im Deutschen ungenau mit "Kampf der Kulturen" übersetzt, wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Viereinhalb Jahre nach dem 11.September 2001 hat der mit den Überfällen auf Afghanistan und Irak begonnene "World War IV" bereits eine Eigendynamik entwickelt, die eine grundsätzliche Umkehr sehr schwierig machen würde - selbst wenn ganz plötzlich Einsicht und guter Wille in Washington und den europäischen Hauptstädten vorhanden wären. Aber dafür gibt es ohnehin keine Anzeichen.

Die Politik Deutschlands

Die Bundesregierung scheint fest entschlossen, diesmal bis zur letzten Konsequenz dabei zu sein. Also "notfalls", wenn der Iran sich nicht "freiwillig" unterwirft, auch mit eigenem militärischen Beitrag. Die Aussage, man ziehe eine diplomatische Lösung einer militärischen vor, ist wertlose Dekoration. Das formulieren Bush, Rumsfeld und Außenministerin Condoleezza Rice auch nicht anders. Solange man sich aber unter "diplomatischer Lösung" nichts anderes vorstellen kann und will als die vollständige Kapitulation des Iran im Aromstreit, kann daraus mit Sicherheit nichts werden.

Ebenso wenig wird der Iran sich durch Wirtschaftssanktionen in die Knie zwingen lassen. Solche Strafmaßnahmen können, wie schon im Fall des Irak, nur dazu dienen, die Konfrontation weiter zu verschärfen. Am Ende würden früher oder später doch Militärschläge stehen. Mit oder ohne Absegnung durch den UNO- Sicherheitsrat.

Wenn einzelne Sozialdemokraten jetzt erklären, sie seien im Streit mit dem Iran gegen eine "militärische Option", muss leider bezweifelt werden, ob diese Aussagen nicht viel zu spät kommen. Die rot-grüne Bundesregierung hat seit Beginn der Verhandlungen im Herbst 2003 maßgeblich dazu beigetragen, durch absolute Kompromisslosigkeit die Chancen für eine diplomatische Lösung gegen die Wand zu fahren. Angela Merkel als neue Bundeskanzlerin hat mit aggressiver Rhetorik - bis hin zum Vergleich des Iran mit dem deutschen NS-Regime - für zusätzliche Zuspitzung gesorgt.

Deutschland hat sich bereits in einer Weise festgelegt, die es nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch äußerst schwierig erscheinen lassen würde, sich erneut aus der "militärischen Mitverantwortung" herauszuwinden und herauszuschwindeln, wenn die Mittel der politischen und wirtschaftlichen Erpressung des Iran erst einmal ausgereizt sind. Ohnehin wird Westeuropa, einschließlich Deutschlands, in der islamischen Welt zunehmend als Bestandteil der aggressiven feindlichen Allianz wahrgenommen - und bekämpft.

Die Demonstrationen, die sich vordergründig an den dänischen Mohammed-Karikaturen festmachen, haben davon einen ersten Eindruck vermittelt. Wenn die europäischen NATO-Staaten demnächst in Afghanistan direkte Aufgaben der Aufstandsbekämpfung übernehmen, um US-Truppen für andere Schauplätze frei zu machen, werden sie verstärkte Feindseligkeit provozieren.

Die Folgen eines Krieges

Es ist absehbar, dass ein Krieg gegen den Iran noch weitaus katastrophalere Folgen haben wird als der im März 2003 begonnene Irakkrieg: Die USA, mit der bei weitem stärksten Armee der Welt, können dem Iran zwar einen endlos langen Luftkrieg aufzwingen. Sie können das Land aber wahrscheinlich auf absehbare Zeit nicht im Bodenkrieg erobern - und ganz sicher können sie es nicht dauerhaft besetzt halten. Die Möglichkeiten des Iran, der NATO durch Unterstützung und Förderung bewaffneter Widerstandsaktionen im Irak, im Libanon, in Afghanistan und auf der arabischen Halbinsel Schwierigkeiten zu machen, sind dagegen nahezu unbegrenzt.

In der Zusammenarbeit Teherans mit der palästinensischen Hamas und mit Syrien deutet sich schon an, dass angesichts der manifesten Bedrohung durch USA und EU der traditionelle Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten überbrückbar wird. Militärische Angriffe auf den Iran könnten die Ausbreitung des "World War IV" definitiv unumkehrbar machen.