Die erste Präsidentin Afrikas hat in Liberia schwierige Aufgaben vor sich.
Als Ellen Johnson-Sirleaf im November 2005 die Stichwahl in Liberia gegen das Fußballidol George Weah gewann, zeigte sich die internationale Öffentlichkeit zunächst überrascht, dann erleichtert. Die Bevölkerung wählte zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin des westafrikanischen Landes und damit zugleich zur ersten Präsidentin in ganz Afrika. "Mama fix it!", hatte ihre Anhängerschaft während des Wahlkampfes erwartungsvoll gerufen, als "Leuchtfeuer der Hoffnung" bezeichnete sie nach dem Sieg die nigerianische Ökonomin Mojúbàolú Olúfúnké Okome.
Mit Johnson-Sirleaf regiert nun eine Frau jenes Land, das von der feministischen Afrika-Zeitschrift Jenda "als schlechtester Ort für eine Frau, auf die Welt zu kommen" bezeichnet wird. Liberia wurde bis 2003 von einem 14-jährigen Bürgerkrieg verheert, der nicht nur 150.000 Tote im eigenen Land zur Folge hatte, sondern auch weite Teile Westafrikas in den Strudel der Gewalt zog. Die krassen sozialen Ungleichheiten gelten als einer der zentralen Kriegsgründe in Liberia. Deren Beseitigung wird nun eine der größten Herausforderungen der Präsidentin sein. Eine ganze Generation ehemaliger, meist jugendlicher Bürgerkriegssoldaten ist beschäftigungs- und vor allem ziellos. Liberia steht weiterhin auf einem der letzten Plätze der UN-Rangliste der am wenigsten entwickelten Länder.
Die Karriere der aus der Mittelschicht stammenden geschiedenen Mutter von vier Söhnen begann mit einem Studium der Finanzwissenschaften an der Harvard-Universität. Danach war Johnson-Sirleaf bis 1985 Finanzministerin von Liberia. Ihre Gegnerschaft zu Ex-Diktator Samuel Doe brachte sie in den 1980er Jahren zweimal ins Gefängnis. Während dieser Zeit unterstützte sie kurzfristig den damaligen Warlord und späteren Präsidenten Charles Taylor, weshalb ihr bis heute von vielen Seiten Misstrauen entgegen gebracht wird. Nach ihrer Freilassung arbeitete sie unter anderem als Ökonomin bei der Weltbank. Aus dieser Zeit stammt ihr Namenszusatz "Eiserne Lady", der viele in Afrika aufhorchen lässt. Tajudeen Abdul-Raheem, Vizedirektor der Menschenrechtsorganisation Justice Africa, fragt sich: "Ich bin nicht sicher, ob die afrikanische Reinkarnation von Thatchers ‚Geiz ist gutÂ’-Politik von Vorteil wäre. Können wir einer ehemaligen Vertreterin dieser Institution trauen?" Die Präsidentin wird in jedem Fall einen Teil ihrer neoliberalen Weltbankphilosophie vergessen müssen, haben doch die weltwirtschaftlichen Konstellationen, die niedrigen Preise für natürliche Ressourcen sowie die IWF-Strukturanpassungsprogramme zum Niedergang vieler afrikanischer Länder beigetragen.
Wenige Wochen nach der Vereidigung von Johnson-Sirleaf ist eine profunde Analyse ihrer Politik noch nicht möglich. Umso wichtiger ist es, die historischen Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen, die zum Niedergang des Landes beitrugen. Die westafrikanischen Konfliktregionen waren und sind eng ineinander und mit ausländischen Interessen verwoben, was die auch in Liberia weit verbreitete Korruption erst ermöglicht hat. Schlüsselfigur war Charles Taylor, der die Rebellen der Revolutionary United Front in Sierra Leone mit Waffen im Tausch gegen Diamanten belieferte. 2003 wurde dem ehemaligen Staats- und Rebellenchef die Ausreise nach Nigeria erlaubt, nachdem seine Truppen die ganze Region jahrelang in Furcht und Schrecken versetzt hatten. Ausgerüstet wurde er von europäischen Waffenhändlern, was derzeit im Hollywood-Streifen "Lord of War" zum Thema gemacht wird.
Jahrelang konnten Taylors Truppen die westafrikanische Küste destabilisieren, ohne dass dies internationale Empörung hervorgerufen hätte und obwohl sich in Liberias Hauptstadt Monrovia das CIA-Hauptquartier für Afrika befand. Erst als 2002 herauskam, dass Taylor über liberianische Regierungsbeamte Diamanten an Al-Qaida zwecks Geldwäsche verkauft haben soll, wurde Liberia als zerfallener Staat gebrandmarkt, Taylor als Sicherheitsrisiko identifiziert und schließlich abgesetzt.
Westafrika soll sich künftig zum wichtigen Öl- und Erdgaslieferanten für die USA entwickeln. Der Kampf gegen den Terror und die Wahrung amerikanischer Sicherheits- und Rohstoffinteressen sind daher eng ineinander verwoben. US-Außenministerin Condoleezza Rice ließ es sich daher nicht nehmen, gemeinsam mit Laura Bush und Starmoderatorin Oprah Winfrey zur Amtseinführung der neuen Präsidentin anzureisen. Ob es der neuen Regierung gelingt, die ausländischen Begehrlichkeiten für die Entwicklung des Landes zu nutzen, muss die Zukunft zeigen. Von der UNO zumindest wird Liberia noch eine Weile abhängig bleiben. So kritisch die Praxis der UN-Missionen zu sehen ist - ein zu rascher Abzug der Friedenstruppe UNMIL hätte unabsehbare Folgen für die Bevölkerung.
Johnson-Sirleaf hat schnell erkannt, wie zentral die Reflexion der Vergangenheit für einen stabilen Frieden in Westafrika ist. Ende Februar ließ sie mitteilen, dass eine Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) errichtet werde. Die neunköpfige Kommission will die "beschämende und verachtenswerte Vergangenheit" Liberias beleuchten und nach südafrikanischem Vorbild arbeiten. Die TRC in Sierra Leone hätte in der Frage des Umgangs mit den TäterInnen kein gutes Vorbild abgegeben: Mit Ausnahme von neun Angeklagten (darunter der abwesende Taylor) wurde schon im Vorfeld der Anhörungen eine Generalamnestie für alle TäterInnen erlassen, was bei den Anhörungen teils zu Respektlosigkeit gegenüber der Kommission führte. Menschenrechtler John Caulker aus Sierra Leone hofft, dass Liberia aus den Erfahrungen in seinem Land lernt und als wichtigen Beitrag zur Versöhnung die Opfer angemessen entschädigt.
In Liberia erwartet man nun die "Offenlegung aller Vergehen und Reue" der TäterInnen. Wie mit zehntausenden Jugendlichen umzugehen ist, die als Kindersoldaten Täter und Opfer zugleich waren, muss dabei besonders gut überlegt sein. Die Kampagne gegen Straflosigkeit, ein Dachverband von über 300 zivilgesellschaftlichen Gruppen aus Afrika und Europa, fordert von Johnson-Sirleaf die Überführung von Taylor an den Special Court in Sierra Leone. Ihn für seine Verbrechen gegen die Menschheit verantwortlich zu machen, festige nach Ansicht der Kampagne die politische Stabilität des Landes und sei eine wichtige Botschaft für den Aufbau Westafrikas. Doch obwohl die Auslieferung Taylors aus Nigeria ein erstes Signal an die zahllosen Kriegsopfer wäre, hat die Präsidentin sie bislang nicht beantragt.
Anne Jung ist Mitarbeiterin von medico international.