Telekom-Proteste: Nur ein Strohfeuer?

Nachdem Vorstandschef Kai-Uwe Ricke Anfang November 2005 seine Personalabbaupläne bekannt gegeben hatte, zog in den Telekom-Konzern ungewohnte Unruhe ein.

Die Belegschaft machte sich natürlich Sorgen um ihre Zukunft. Aber, und das ist das Ungewöhnliche an der Situation, sie fressen ihre Ängste nicht nur in sich hinein. Erstmals seit vielen Jahren hatte Ver.di keine Probleme, die Leute zu mobilisieren. Wann immer aktive betriebliche Funktionäre die Initiative ergriffen, fanden sie überraschend starken Anklang bei der Belegschaft.

Auf zahllosen Betriebsversammlungen brachten die Beschäftigten im November und Dezember ihrem Unmut zum Ausdruck. Erstmals seit vielen Jahren waren von Gewerkschaftsvertretern nicht nur die seichten Co-Manager-Phrasen zu hören, sondern es wurde endlich wieder einmal Klartext gesprochen. Häufig werden die Betriebsversammlungen als Straßendemonstrationen oder zumindest als öffentliche Protestkundgebungen fortgeführt.

Zur Konfrontation bereit!

Darüber hinaus kam es immer wieder - auch an kleinen Standorten - zu Protestkundgebungen während der Arbeitszeit. Selbst in Rechenzentrumsstandorten, die vorher als Inbegriff betrieblicher Ruhe galten, fand sich schon mal die Hälfte der Belegschaft zu einer Protestkundgebung in Form einer verlängerten Mittagspause ein. Manchmal machten auch Vorstandmitglieder mit dem neuen Geist in der Belegschaft Bekanntschaft: T-Com-Vorstand Walter Raizner ließ sich bei seinem Besuch der T-Com-Filiale im bayrischen Ingolstadt von einer mehrköpfigen Bodyguard-Truppe abschirmen und ging jeglichem Kontakt mit der Belegschaft aus dem Weg. Dafür bekam er von wütenden Kollegen Sprechchöre wie "Raizner raus" oder "Raizner - vor Angst in die Hosen scheißt er" zu hören.

Am 12.Dezember, dem Tag, an dem Ricke seine Personalabbaupläne dem Aufsichtsrat zur Absegnung vorlegte, demonstrierten ca. 30000 Telekombeschäftigte in zahlreichen Städten der Republik. Der Aufsichtsrat wurde aufgefordert, Rickes Plänen für Massenentlassungen eine Absage zu erteilen. Schwerpunkte des Protests waren Bonn, der Sitz der Telekomzentrale, und Berlin.

Während der Kundgebung vor der Bonner Konzernzentrale appellierte Franz Treml vom Fachbereich 9 von Ver.di noch einmal ausdrücklich an die "soziale Verantwortung" der Aufsichtsratmitglieder. Er hatte dabei vor allem Volker Halsch (SPD), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, im Auge, der im Telekom-Aufsichtsrat den Bund vertritt. Wie nicht anders zu erwarten, enttäuschte der "Hoffnungsträger" die in ihn gesetzten Erwartungen: Zwar stimmten die Gewerkschaftsvertreter gegen Rickes Beschlussvorlage, Unterstützung bekam Ricke jedoch von den Vertretern der Anteilseigner, darunter auch Dieter Hundt vom BDA sowie ranghohen Vertretern von Linde, Continental, Münchner Rück, Dresdner Bank und Lufthansa und eben von Volker Halsch als Vertreter der Bundesregierung.
Wegen Stimmengleichheit nahm nun der Aufsichtsratvorsitzende Klaus Zumwinkel - im Hauptberuf Chef der Deutschen Post - sein doppeltes Stimmrecht wahr und verhalf somit den Abbauplänen zur erforderlichen Mehrheit. Wieder einmal funktionierte die Mitbestimmung, wie ihre Erfinder es sich vorgestellt haben.

Die Unterstützung der Kapitalseite im Aufsichtsrat für den Konfrontationskurs des Vorstands gegen Belegschaft und Gewerkschaft kommt nicht überraschend. Denn die "Kapitalmärkte" fordern seit geraumer Zeit schon ein Durchgreifen des Vorstands. In der bürgerlichen Presse wird die Telekomaktie als "Verlierer des Jahres" tituliert und Telekom Chef Ricke als "Zauderer" bezeichnet. Analyst Theo Kitz vom Bankhaus Merck Finck ließ wissen, wo er die Probleme sieht: "Im Vergleich zu anderen Ex- Monopolisten hat die Telekom einen gravierenden Nachteil, weil sie noch nicht über schlankere Strukturen verfügt." Tatsächlich reagierte die T-Aktie auf Rickes Ankündigung von Personalabbau wie zu erwarten: Sie stieg kurzfristig um 3,2% - Motto: Damit die Aktien steigen, müssen Arbeitsplätze fallen.

Zur Konfrontation bereit?

Offenbar ist die Kapitalseite zur Konfrontation bereit. Bislang lehnt der Telekom-Vorstand jegliche Verhandlungen über den Personalabbau ab. Und Ver.di? Auf der Protestkundgebung in Berlin am 12.Dezember verkündete die Gewerkschaft: "Bleibt der Vorstand bei seiner Linie, werden wir Mittel und Wege finden, Verhandlungen zu erzwingen." In Bonn tönte Franz Treml: "Wir können erheblich zulegen, wenn es sein muss Â… Auch in den Wintermonaten kann es verdammt heiß werden." Die Ver.di-Spitze verwies darauf, dass man vorsorglich schon vorher den Tarifvertrag über Arbeitszeitkonten gekündigt und damit die Voraussetzungen für Arbeitskampffähigkeit geschaffen habe.

Festzuhalten bleibt allerdings, dass nur im Bereich T-Com Tarifverträge gekündigt wurden. Im Bereich T-Systems, wo immerhin 5500 der über 40000 Beschäftigten auf der Abschussliste stehen und die Ratiotarifverträge betriebsbedingte Kündigungen zulassen, hat Ver.di nichts dergleichen unternommen. Einen Monat nach der Aufsichtsratssitzung wartet man (vergeblich) darauf, dass den starken Worten die entsprechenden Taten folgen.
Es ist nicht zu erkennen, dass Ver.di irgendwo damit beginnen würde, Vertrauensleutekonferenzen zu organisieren, in denen die Leute auf die Organisierung von Streikmaßnahmen vorbereitet werden. Auch die Informationspolitik für die Belegschaft wurde wieder auf "Normalmaß" zurück gefahren. Gab es im November und Dezember fast wöchentlich Gewerkschaftsinfos für die Belegschaft, so herrscht jetzt weitgehend Funkstille. Mit jedem Tag des gewerkschaftlichen Nichtstuns sinken aber die Chancen, die Belegschaft erneut zu mobilisieren.

Das sollte eigentlich auch den Funktionären des Fachbereichs 9 von Ver.di bewusst sein. Klar sollte auch sein, dass das altbekannte Spielchen, wonach ein kurzes gewerkschaftliches Protestschauspiel das Management zum bewährten "Dialog" mit dem "Sozialpartner" bringt, nicht mehr greift.

Die bisherigen Proteste, die für Telekom-Verhältnisse durchaus bemerkenswert sind, beeindruckten die Kapitalseite wenig. Das Handelsblatt kommentierte am 13.Dezember: "Der Aufsichtsrat hat das einzig Richtige getan, indem er den Plan zum Abbau von 32000 Mitarbeitern abgesegnet hat. Die Proteste der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di sind vor allem ein Schaulaufen vor der eigenen Klientel."

Im Klartext: Will Ver.di von der Gegenseite überhaupt ernst genommen werde, muss sie schleunigst ein paar Schippen drauflegen. Falls sie, wie so oft in der Vergangenheit, die von der Kapitalseite aufgezwungene Konfrontation nicht annimmt, werden die Konsequenzen nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch für die Gewerkschaft schmerzhaft sein.