Zehn Tage Sozialabbau

in (17.02.2006)

25. Januar Laut Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung wird für 2006 mit einem Plus von 7,25 Prozent für die Unternehmens- und Vermögenseinkommen gerechnet nach 6,1 Prozent im Vorjahr.

Der Bericht verzeichnet "eine erneute erhebliche Verschiebung der Einkommensverteilung zu Lasten der Lohneinkommen". Die Lohnquote (Anteil der Löhne am Volkseinkommen) liege auf dem niedrigsten Stand seit 1991.
Der WDR berichtet: In Bochum sind 1.400 Empfänger des Arbeitslosengeldes II aufgefordert worden, innerhalb eines halben Jahres die Wohnungskosten zu senken. Der örtliche Mieterverein fürchtet nun Hunderte Zwangsumzüge und die "Entstehung von Ghettos".

27. Januar
Das Statistische Bundesamt meldet, daß die tariflichen Löhne und Gehälter im Jahr 2005 um 1,3 Prozent gestiegen sind. Das sei die geringste Steigerung seit 1995, und die Verbraucherpreise seien 2005 um zwei Prozent gestiegen. Die Reallöhne sind also gesunken.

28. Januar
In Berlin wird es ab Mitte dieses Jahres die ersten Zwangsumzüge von Langzeitarbeitslosen geben, die in einer angeblich zu teuren Wohnung leben. Seit Jahresbeginn wird jeder Einzelfall durch die amtlichen "Jobcenter" geprüft. Das dauert laut Senatssozialverwaltung ein weiteres halbes Jahr. Zunächst erhalten diejenigen, deren Warmmieten über dem Maximum liegen - für einen Single-Haushalt zum Beispiel monatlich 360 Euro, für einen Drei-Personen-Haushalt 542 Euro -, einen Anhörungsbogen, der detaillierte Hinweise enthält. So dürfen Schwangere, Alleinerziehende oder über 60Jährige die Grenze um zehn Prozent überschreiten; Untermietverträge können die Mietkosten senken. Besonders Singles sind gefährdet. Wie vielen der rund 315.000 Berliner ALG-II-Haushalte Zwangsumzüge drohen, weiß bisher niemand.
Das Bremer Verwaltungsgericht hat die Klagen einer 47jährigen Sozialpädagogin und eines 40jährigen Ingenieurs abgewiesen. Die beiden Kläger vertraten die Meinung, daß mit Arbeitslosengeld II in Höhe von derzeit 345 Euro im Monat kein würdevolles Leben mehr zu führen sei. Das Gericht widersprach und sah die erforderlichen Mindeststandards gerade noch gewährleistet.

1. Februar
Offiziell sind 5,012 Millionen Menschen arbeitslos.
Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I (ALG I) beträgt seit diesem Tag nur noch zwölf Monate, für über 55jährige 18 Monate. Danach müssen die Betroffenen mit ALG II auskommen. Die Voraussetzungen für den Erhalt von Arbeitslosengeld wurden verschärft: Nur wer innerhalb der letzten zwei Jahre beschäftigt war und mindestens zwölf Monate Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt hat, darf ALG beziehen.
Die Bundesregierung beschließt, das gesetzliche Renteneintrittalter ab 2012 schrittweise bis 2029 auf 67 Jahre anzuheben. Damit bekommen alle nach 1963 Geborenen erst mit 67 eine Rente ohne Abschläge.

2. Februar
Nach einem Zeitungsbericht wurden in der Region Amberg-Sulzbach (Bayern) im vergangenen Jahr 9.250 Neuanträge auf Arbeitslosengeld II gestellt, 1.100 davon abgelehnt.
Die Schweriner Volkszeitung berichtet vom "Runden Tisch Soziales" in Güstrow: Der stellvertretende Geschäftsführer der dortigen Agentur für Arbeit, Lutz Freier, teilte mit, "daß die Zahl der 2005 gemeldeten Bedarfsgemeinschaften mit 10.110 um 36 Prozent über den Prognosen des Jahresanfanges lag. Bei den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen liegt die Zahl sogar bei 13.343 Menschen und damit 51 Prozent über der Schätzung." Die Vertreter der Hilfsverbände betonten, daß die Antragsteller sich beim Ausfüllen der Formulare häufig allein gelassen fühlenÂ… Ein weiterer Diskussionspunkt waren die entstehenden Kosten bei Wohnungswechsel von ALG-II-Empfängern wie die Umzugskosten, Ummeldegebühren oder Mietkautionen sowie die Erstattungsfähigkeit der Erstausstattung von Möbeln nach Paragraf 23 des SGB. Dies sei eine Kann-Leistung, da müsse der Einzelfall betrachtet werden, sagte Freier. Joachim Bielang (Caritas) gab zu bedenken: "In Güstrow ist es weiterhin schwer, angemessenen Wohnraum zu finden, der den Vorgaben des Sozialgesetzbuches II entspricht."
Viele Regelungen der sogenannten Hartz-Gesetze I bis III sind - nach einer im Auftrag der Bundesregierung entstandenen Studie - wirkungslos geblieben und haben oftmals den Arbeitslosen geschadet.

3. Februar
Die Tageszeitung Die Welt berichtet von einer Klageflut bei den Sozialgerichten wegen Hartz IV. Allein in Nordwestfalen waren mehr als 15.000 Klagen bei den Sozialgerichten eingegangen, dreimal soviel wie erwartet. Im größten Sozialgericht Deutschlands, in Berlin-Tiergarten, wurden im vergangenen Jahr mehr als 22.000 Fälle bearbeitet, "davon war jeder dritte eine Beschwerde zu Hartz IV", sagte Gerichtssprecher Michael Kanert der Welt. In Niedersachsen gab es 9.500 Klagen gegen Arbeitslosengeld-II-Bescheide. Bayern verzeichnete rund 4.300 Klagen, Sachsen 3.616, Bremen 625, Mecklenburg-Vorpommern 2.200 Klagen und Eilanträge, Sachsen-Anhalt 3.691 Verfahren.
Die Chronik des Sozialabbaus wird fortgesetzt.