Das umkämpfte Feld der Wirtschaftsexpertise

WirtschaftsexpertInnen und Wirtschaftspolitik im gesellschaftlichen Wandel

in (08.02.2006)

Seit den sechziger Jahren findet die These Verbreitung, gesellschaftliche Macht sei verstärkt auf WissensträgerInnen übergegangen (Bell 1975, Lindblom 1988), was die einen mit der Hoffnung auf eine rationale Gestaltung der Gesellschaft (Tinbergen 1967), die anderen mit einer entdemokratisierenden Machtübernahme einer technokratischen Elite assoziierten (Illich 1979, Touraine 1972).

Seit den 90er Jahren wird diese Debatte von einer anderen überlagert. Verstärkt ist nun von der so genannten Wissensgesellschaft die Rede (Resch 2005). Demnach ist Wissen, das früher eine Domäne einer kleinen ExpertInnenschicht war, mittlerweile zu einer Anforderung für alle Beteiligten am gesellschaftlichen Leben geworden. In der Arbeitswelt wird von der zentralen Bedeutung des lebenslangen Lernens quer durch alle Bereiche, in der Managementlehre von der Ablösung starrer Hierarchien zu flexiblen Teams mit flachen Hierarchien und stark dezentraler Wissenskomponente (Boltanski/Chiapello 2003), und in der Wissenschaftssoziologie von der Einbindung von ExpertInnen in "hybride Foren" auf einer Ebene mit LaiInnen gesprochen (Nowotny 2004). Obwohl viele dieser Debatten und Postulate Veränderungen in der Wirtschaft zum Gegenstand haben, ist der Bereich der Organisationsweise von Wirtschaftspolitik davon kaum berührt. In gesellschaftstheoretischen Überlegungen werden mit der Kompetenzverbreitung, die mit der behaupteten Dezentralisierung von Wissen einhergeht, zwar mitunter auch gesellschaftliche Emanzipationshoffnungen verbunden.
Aber diese konzentrieren sich entweder auf die betriebliche Ebene (Hodgson 1999) oder stellen sich gesellschaftliche Koordination ohne staatliche Institutionen vor (Negri/Hardt 1997). Was die Praxis betrifft, sind Fälle wie die Demokratisierung des Budgetprozesses in Porto Alegre eines der raren Beispiele, an denen in letzter Zeit Modi der breiteren Verteilung des Wissens in Verbindung mit Partizipation von Nicht-ExpertInnen an wirtschaftspolitischen Entscheidungen angesteuert wurden (Leubolt 2003). Ansonsten wird zumindest im populären Diskurs eher von einer neoliberalen "Expertenherrschaft" im Bereich der Wirtschaftspolitik ausgegangen. Entzieht sich die Wirtschaftspolitik dem herrschenden Trend? "Â…more and more people are ready to contest the monopoly of experts in the physical and life sciences. But in the social sciences, the role of experts remains very, very strong. Economists do not act as scientists or researchers, but as experts who give advice to political decision makers. [Â…] Only in the case of economic policy do you have a monopoly of this certain type of expert", so der Wissenschaftssoziologe Michel Callon (Slater 2002, 300).

Im Folgenden sollen Determinanten der gesellschaftlichen Stellung von WirtschaftsexpertInnen untersucht werden. Dabei wird möglichen Veränderungen des Verhältnisses von ExpertInnen und Gesellschaft im Zuge des Wandels ökonomischer Paradigmen nachgegangen, und versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. Welche Besonderheiten der wirtschaftlichen Expertendisziplin spielen diesbezüglich eine Rolle?

Kräfte und Interessen im Expertisefeld Wirtschaftspolitik

Zur Klärung von Stellung und Handlungsspielraum von ExpertInnen in der Wirtschaftspolitik verspricht eine Analyse der bestimmenden Kräfte und Interessen, die auf den wirtschaftswissenschaftlichen Prozess einwirken, von Nutzen zu sein. Im Folgenden werden drei zentrale Kräfte und Interessen identifiziert und nach einer einführenden Beschreibung als Grundlage für einen historischen Vergleich zwischen Keynesianismus und Marktliberalismus herangezogen:

a. Einfluss politischer AkteurInnen auf Ressourcen und Öffentlichkeit für Wissenschaft,

b. Determinanten und Bedeutung fachinternen Reputationserwerbs,

c. Gesellschaftlicher Status: Selbstverständnis und Verhältnis gegenüber LaiInnen und anderen Expertenfeldern.

a. Einfluss politischer AkteurInnen auf Ressourcen und Öffentlichkeit für Wissenschaft

Politische AkteurInnen üben über eine Reihe von Kanälen Einfluss auf die ökonomische Wissensproduktion aus (Lebaron 2000): Forschungsfinanzierung, Preise und Auszeichnungen, Beeinflussung von Bestellungsmodalitäten an den Universitäten, sowie Stellenangebote für AbsolventInnen sind wichtige Kanäle, über die politische Faktoren von außen auf die Wirtschaftswissenschaft einwirken. Über all diese Kanäle schlagen sich politische Auseinandersetzungen und Kräfteverhältnisse in den Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens nieder, was nicht ohne Wirkungen etwa im Wettbewerb verschiedener theoretischer Ansätze bleiben kann.

Politische Faktoren beeinflussen also Voraussetzungen des Forschungsprozesses. Das gleiche gilt für die Verwertung der wissenschaftlichen Ergebnisse. Um ihr Wissen geltend zu machen, sind ÖkonomInnen auf politische AkteurInnen oder Medien angewiesen, die ihnen Zugang zu Öffentlichkeit, Posten und Verantwortung einräumen bzw. ihre Expertise aufgrund ihrer eigenen Interessen nachfragen. Ohne diese Verbindung kann es keine Auswirkungen auf den politischen Prozess geben.

Zur Sicherung der materiellen Basis ihrer Forschungstätigkeit und von Einfluss ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind WirtschaftsexpertInnen also zu einem Gutteil von den Interessen politischer AkteurInnen abhängig, was ihre Autonomie beschränkt. Änderungen in den politischen Kräfteverhältnissen werden somit nicht ohne Effekt auf die Ausrichtung der Forschung bleiben bzw. darauf, was davon öffentlich bekannt wird.

ÖkonomInnen sind in der Politik als ExpertInnen vor allem in zwei eng miteinander verknüpften Eigenschaften interessant: Als TrägerInnen von Wissen und als TrägerInnen von Reputation (Lebaron 2000, Bourdieu 1996, Tietzel/Müller 2004). ExpertInnenwissen wird u.a. gebraucht, um Daten und Prognosen zu liefern, die für (wirtschafts)politisches Handeln relevant sind, für Erklärungen aktueller wirtschaftlicher Ereignisse, für Empfehlungen in Situationen der Unsicherheit und um wissenschaftliche Begründungen für politische Maßnahmen bereitzustellen.

Die zweite politisch interessante Eigenschaft ist Reputation. Die relative Autonomie von Wissenschaft (siehe nächster Abschnitt) verleiht ExpertInnen eine Reputation als TrägerInnen unparteiischen Wissens. Der Objektivitäts- und ExpertInnenglaube ist zwar in der Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten vielfach erschüttert worden, der Einsatz von ExpertInnen stellt aber nach wie vor, u.a. schlicht auch aufgrund eines Mangels an Alternativen, ein wichtiges Instrument zur Signalisierung bzw. Erzeugung von Legitimität dar (Weingart 2001). ExpertInnen werden in der Öffentlichkeit eingesetzt, um Themen auf die politische Agenda zu setzen, etwa um Alarmstimmung und Reformbedarf (z.B. betreffend Pensionen, Staatsverschuldung) zu verbreiten, andere Ansichten zu delegitimieren, kontroversielle politische Maßnahmen zu legitimieren (z.B. durch Verweis auf "ökonomische Sachzwänge"), und in anderen Fällen, in denen politische AkteurInnen auf externe Unterstützung zur Erhöhung ihrer Glaubwürdigkeit zurückgreifen. Die Reputation von ÖkonomInnen kann seitens politischer Kräfte in verschiedenen Rollen zur Geltung gebracht werden: Als externe Expertisegebende, als TechnokratInnen im Verwaltungsapparat, sowie direkt in politischen Ämtern ("Technopol") (Williamson/Haggard 1994).
Welche Expertise Ressourcen und Öffentlichkeit erhält, ist also von politischen Kräfteverhältnissen mitbestimmt.

Umgekehrt haben fachinterne Kämpfe wiederum Rückwirkungen auf die politische Durchsetzungsfähigkeit der jeweiligen Position. VertreterInnen von Theorien, die in der Theorienkonkurrenz in der Fachwelt die Überhand gewonnen haben, also als "Mainstream" gelten, können sich als herrschende Meinung ausgeben und somit als weitgehend unpolitisch; nur VertreterInnen marginalisierter Lehrmeinungen und politisch besonders exponierte VertreterInnen des Mainstream sind als "politisch" markiert. Der Staatsinterventionismus im Keynesianismus ebenso wie der Marktglaube des neuen marktliberalen Mainstream gelten zu ihrer Zeit jeweils als Selbstverständlichkeiten des state of the art der Wissenschaft, als technokratischer Konsens ohne politische Zuordnung, während Kritik daran oder dissidenten Theorieansätzen der Geruch des politischen Parteigängertums anhaftet.

Ökonomische Ideen, die nicht Bestandteil des Mainstream sind, bedürfen geringerer aktiver Bekämpfung - durch ihr Verstoßen gegen die herrschende Meinung im wissenschaftlichen Feld "diskreditieren sie sich selbst". Sie zu äußern wird zum persönlichen Risiko für die wissenschaftliche Laufbahn. Auf diese Weise begünstigt der Ausgang des Kampfes um Hegemonie in der Fachwelt das politische Engagement der Siegreichen.

b. Determinanten und Bedeutung fachinternen Reputationserwerbs

Die Voraussetzung für politische Nützlichkeit von WirtschaftsexpertInnen ist Reputation, die sie in Fachkreisen erworben haben. Erst eine gewisse Eigenständigkeit der Wissenschaft im Verteilen von Reputation an ihre Mitglieder ermöglicht das. Gelingt es, diese Autonomie öffentlich glaubwürdig zu machen, etwa in der Verankerung der Vorstellung der Freiheit und Unparteilichkeit der Wissenschaft im öffentlichen Bewusstsein, kann ein Reputationstransfer von der Wissenschaft in andere gesellschaftliche Bereiche, etwa die Politik, stattfinden. Wäre die Wissenschaft völlig von politischen Machtverhältnissen determiniert, könnte das nicht funktionieren. Sie muss dazu eine gewisse Eigenständigkeit, eine relative Autonomie aufweisen. Sie muss eigene Bewertungskriterien zur Geltung erheben, die über die Verteilung von Reputation im wissenschaftlichen Fach (mit)entscheiden (Lordon 2000). Die wissenschaftsimmanenten Bewertungskriterien können sich mitunter recht scharf von den Kriterien unterscheiden, die im politischen Feld gelten. Wissenschaftsimmanente Interessen können politische Interessen konterkarieren oder überlagern (z.B. das Interesse an Ausweitung oder Verteidigung der Grenzen des eigenen Fachs; Abgrenzung von LaiInnen durch Abstrahierung; fachimmanente Debatten, die eine eigene Dynamik entwickeln, und Forschung zu Fragen auslösen, die für Nicht-SpezialistInnen wenig Bedeutung haben).

Damit hängt auch zusammen, dass wirtschaftspolitische Beratung selbst nicht durchwegs gutes Ansehen in der Profession genießt, weil sie vielfach unter ExpertInnen als unwissenschaftliche Tätigkeit gilt (Franz 2000). Wer in die wirtschaftspolitische Beratung geht, weicht häufig vom in ExpertInnenkreisen mehrheitlich gehegten Selbstverständnis des neutralen Technokraten ab, und versteht sich bzw. gilt als Parteigänger - und sei es als Parteigänger einer theoretischen Überzeugung (Williamson/Haggard 1994).

Anforderungen von Politik und Fachwelt können also divergieren, was Ungleichzeitigkeiten und Spannungen nach sich ziehen kann.

c. Gesellschaftlicher Status: Selbstverständnis und Verhältnis gegenüber LaiInnen und anderen Expertenfeldern

Eine bedeutende Dimension wissenschaftlicher Tätigkeit zielt auf die Erlangung und Verteidigung von Definitionsmacht über das Expertisefeld und die Sicherung einer herausgehobenen Stellung gegenüber Nicht-Fachleuten. ÖkonomInnen klagen regelmäßig darüber, dass der wirtschaftspolitische Prozess zu wenig theoriegeleitet verlaufe und sie zu wenig Gehör fänden. Der Entwicklungsaktivist Shalmali Guttal hat diese unter ÖkonomInnen verbreitete Einschätzung einmal in ironischer Absicht so auf den Punkt gebracht: "Technik ist das, was wir Experten tun, Politik ist das, warum es nicht funktioniert." Hier kommt zum Ausdruck, dass sich WirtschaftsexpertInnen nicht nur für ihre Forschungsinhalte interessieren, sondern auch für ihre eigene Stellung - dass sie also für sich einen bestimmten Status in der Gesellschaft reklamieren. Etwa indem ÖkonomInnen die Wirtschaft als von anderen Gesellschaftsbereichen isoliert funktionierendes Feld definieren, für das sie Alleinzuständigkeit beanspruchen.

In der Mainstream-Ökonomie wird implizit von einem hierarchischen Modell des Wissensprozesses ausgegangen: ÖkonomInnen stehen demnach an der Spitze der Wissenspyramide und fördern im autonomen, von äußerlichen Bedingungen und Einflüssen unberührten Forschungsprozess Einsichten zutage, die dann an die Politik weitergereicht und dort umgesetzt werden sollten. Diese in den 50er Jahren dominierende Vorstellung des Forschungsablaufs wurde in der Innovationsforschung mittlerweise von einem Modell abgelöst, das Wissen als Resultat eines interaktiven, nicht hierarchischen Lernprozesses zwischen heterogenen AkteurInnen (WissenschafterInnen und anderen) konzipiert (Antonelli 2005). Wenn diese Beschreibung zutrifft, wäre die Folge, dass ÖkonomInnen nicht automatisch eine herausgehobene Position zukommt, sondern sie diese permanent erkämpfen müssen.

Die weithin anerkannte Hierarchisierung zwischen ExpertInnen und LaiInnen ist die Grundlage der Reputationsfunktion von ÖkonomInnen im politischen Prozess. Nur wenn ökonomisches Expertenwissen eine öffentlich anerkannte Autorität innehat, sind ÖkonomInnen als TrägerInnen von Reputation politisch von Interesse.

Die Aufrechterhaltung dieser Hierarchie ist eine Voraussetzung des Gelingens, deshalb besteht ein Interesse, sie zu festigen und Versuche zu bekämpfen, die diese Hierarchie auflösen wollen. Die Delegitimierung der Geltungsansprüche nicht akademisch zertifizierter SprecherInnen als Nicht-Fachleute und Nicht-Wissende, die Abwertung von Expertise-Konkurrenz mittels Hinweis auf deren inferiore akademische credentials (in letzter Zeit in Form von peer-review-Evaluierungen als Standard institutionalisiert) sowie politische Einschüchterung allfälliger Gegenexpertise kommen dafür regelmäßig zum Einsatz (Amariglio/Ruccio 1999).

Große Brüche - Voraussetzungen und Auswirkungen in der Fachwelt

Anhand der oben beschriebenen Dimensionen sollen die Veränderungen in den Wirtschaftswissenschaften im historischen Zeitablauf beschrieben werden. Daraus sollten sich Indizien ableiten lassen über das Ausmaß der Variabilität bestimmter Kräfte und Determinanten im Expertisefeld WIrtschaftspolitik. Was den historischen Ablauf betrifft, gehen wir davon aus, dass sich der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften in der unmittelbaren Nachkriegszeit als Keynesianismus charakterisieren lässt, und nach einem Umbruch in den siebziger Jahren nach und nach von einer als Marktliberalismus identifizierbaren Theoriebildung abgelöst wurde.

1. Keynesianismus

1.a Einfluss politischer AkteurInnen auf Ressourcen und Öffentlichkeit für Wissenschaft

Die Institutionalisierung der Ökonomie in Form von Universitätslehrstühlen an der Ökonomie begann in den Industriestaaten erst Ende des 19. Jahrhunderts, wobei die Nähe zum Staat unterschiedlich ausgeprägt war (z.B. in Deutschland stark, in den USA schwach), und die Bedeutung der Universitäten für den ökonomischen Diskurs schwankte. Z.B. war in Großbritannien die ökonomische Diskussion lange von Privatgelehrten, Clubs und populären Publikationsorganen dominiert, während in Deutschland die Universitäten das Zentrum bildeten (Fourcade-Gourinchas 2001).

Nach einer ersten Expansionsphase in der Zwischenkriegszeit erhielt die ökonomische Wissenschaft in den Industriestaaten einen deutlichen Schub und starke Anbindung an den Staat im Zuge und Gefolge des zweiten Weltkriegs. ÖkonomInnen und neue ökonomische Analysetechniken spielten im zweiten Weltkrieg in den USA bei der Mobilisierung, Ressourcenallokation und strategischen Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle, sowie anschließend bei der Konversion von Rüstungs- auf Zivilproduktion. Zahlreiche staatliche Lenkungsaufgaben und -instrumente, die die Kriegswirtschaft hervorgebracht hatte, überlebten das Kriegsende.

Die Beibehaltung der in Folge des Krieges ausgebauten Rolle des Staates im Wirtschaftsleben auch über die Phase des Wiederaufbaus in den kriegsbeteiligten Ländern hinaus, begleitet von einem Planungsoptimismus, der in die Sozialwissenschaften große Hoffnungen bezüglich der Beförderung des sozialen Fortschritts setzte, war auch Ausdruck der Integration der Arbeiterklasse und -bewegung in das Wirtschaftssystem, ein Zugeständnis an ihre politischen Forderungen, das im Angesicht der Erfahrungen der 30er Jahre und der aufflammenden Systemkonkurrenz zu verstehen ist (Hobsbawm 1995).

Der zugunsten gesamtwirtschaftlicher Ziele steuernde Staat (und in noch höherem Ausmaß die zentrale Planwirtschaft) stellten eine große Nachfrage nach Ökonomieexpertise. In Ländern des Südens, insbesondere Lateinamerika, wurde die Theorie der Importsubstitution entwickelt und damit der Versuch von Regierungen begleitet, ein nationales Entwicklungsmodell zu verfolgen, im Kontext der Unabhängigkeitswelle. In Europa waren die Modernisierung der Wirtschaft und in den Staaten des Südens das Versprechen "Entwicklung" die zentralen Leitbilder der Wirtschaftspolitik, die ÖkonomInnen zu wirtschaftspolitischer Beratungstätigkeit in Form von Anstellungen im Staatsdienst, Lehraufträgen und Beratungsverträgen verhalfen. ÖkonomInnen begannen (zunächst in den USA und Großbritannien, später auch in anderen Ländern), JuristInnen als generalistische BeamtInnen abzulösen (Coats 1993).

ÖkonomInnen erhielten Lehrstellen an Universitäten, Beratungsaufträge der Regierung und Stellen im Verwaltungsapparat. In den 60er Jahren wurde die wirtschaftspolitische Beratung in vielen Ländern institutionalisiert. In Deutschland mit dem Sachverständigenrat, in den USA mit dem Council of Economic Advisors und etwa in Österreich mit dem Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen (Tichy 2002).

Diese Staatsnähe fand in der wissenschaftlichen Entwicklung deutlichen Niederschlag: Die Studie "linearer Programmierungsprobleme" und Entwicklung entsprechender Techniken, die Analyse strategischen Verhaltens mittels der Spieltheorie, Operations Research und andere wirtschaftstheoretische Innovationen wurden im Rahmen von staatlichen (zumeist militärischen) Aufträgen entwickelt. Diese Projekte trugen zu einer Verlagerung der Ziele ökonomischer Forschung von der Studie der Natur und Ursachen des Wohlstands der Nationen, oder kritischer Analyse des Kapitalismus in Richtung formaler Studie der Anpassung knapper Mittel an gegebene Ziele bei (Bernstein 2001). Im Zentrum der Wirtschaftspolitik standen im Wesentlichen die Ziele Wachstum und Vollbeschäftigung. Die Wissenschaften nährten die Hoffnung, mittels staatlicher "Feinsteuerung" ein Zeitalter immerwährender Prosperität aufrechtzuerhalten.

Generell zeigt sich in der Periode des Keynesianismus also eine Expansion der Wirtschaftswissenschaft durch staatliche Nachfrage nach Expertise, und eine enge Verbindung der ökonomischen Forschung und ÖkonomInnen mit dem staatlichen Projekt der wirtschaftlichen Modernisierung.

1.b Determinanten und Bedeutung fachinternen Reputationserwerbs

Obwohl die von Keynes inspirierte "New economics" Mitte des 20. Jahrhunderts weltweiten Einfluss hatte, war die ökonomische Fachwelt in der Nachkriegszeit nur begrenzt internationalisiert, die Ausrichtung an nationalen peer groups war stärker, was zum Teil auch regional semi-autonome Theorieentwicklung (z.B. deutscher Ordoliberalismus, französische Regulationstheorie und ihre Vorläufer, sozialistische Planungstheorien, lateinamerikanische Importsubstitutionstheorie) mit sich brachte (Babb/Fourcade-Gourinchas 2002). Zu dieser Zeit wurde den Sozialwissenschaften vielfach zugetraut, Instrumente zu entwerfen, mit denen man Wirtschaft steuern könnte. Das wirkte als Attraktionsfaktor auf eine junge Generation von ÖkonomInnen, die sich der Erforschung praktischer Probleme der Wirtschaftspolitik widmete.
Lose internationale Integration der Wirtschaftswissenschaft und Harmonie des keynesianischen Forschungsprogramm mit den vorherrschenden politischen Visionen zogen wenig ausgeprägte Autonomisierungstendenzen der Wissenschaft gegenüber der Politik nach sich. Fachinterner Reputationserwerb und Attraktivität von WissenschafterInnen für politische AkteurInnen standen folglich im Allgemeinen in keinem besonderen Spannungsverhältnis.

1.c Gesellschaftlicher Status: Selbstverständnis und Verhältnis gegenüber LaiInnen und anderen Expertenfeldern

ÖkonomInnen wurde in der Öffentlichkeit und im eigenen Selbstverständnis eine herausragende Stellung zugesprochen. Im Keynesianismus bzw. der neoklassischen Synthese und der Wohlfahrtsökonomie, die den Mainstream der Ökonomie in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg darstellten, herrschte das Bild vom Staat als wohlwollendem Diktator vor, dem durch die ökonomische Theorie Konzepte für optimale Wirtschaftspolitik beigestellt würden. Dieses Denken fand sich im Einklang mit der vorherrschenden sozialtechnologischen Planungsutopie. Im Konzept zur optimalen Wirtschaftsplanung von Jan Tinbergen, dem exponiertesten Vertreter ökonomischer Sozialtechnologie, gilt die Entwicklung von technischen Lösungen, die über politischen Streit erhaben sind, als Ziel der Wirtschaftswissenschaften. Im Zentrum der Wirtschaftspolitik hat ein so genanntes "Planungsbüro" zu stehen, intern hierarchisch organisiert, dominiert von WirtschaftswissenschafterInnen, sowie IngenieurInnen und diversen BereichsexpertInnen, die auch starke Persönlichkeiten sein sollten. Sie sind das Steuerungszentrum, das den optimalen Plan ausarbeitet, den dann die staatlichen Stellen durchzusetzen haben (Tinbergen 1967). Regierung und Bevölkerung kommt die Rolle von DatenlieferantInnen und Assistenzleistenden zu.
Diese ExpertInnen haben ein hohes Vertrauen sowohl in ihre eigene Wissenschaft als auch in den Staat und seine Fähigkeit, die Gesellschaft zu steuern. Die Wirtschaft wird als abgeschlossenes System konzipiert, das beeinflussen kann, wer seine Gesetzmäßigkeiten kennt, und die Wirtschaftswissenschaft als zentrales Hilfsmittel für den gesellschaftlichen Fortschritt erachtet.
Was ist die Rolle von LaiInnen und ihrem Wissen in diesem Konzept? Zum Großteil kommen sie in den Überlegungen der ExpertInnen nicht vor (Middleton 1998), wenngleich sich ExpertInnen als im Dienste des Allgemeinwohls stehend verstehen, in der Rolle von wissenden FürsprecherInnen. Es gibt allerdings vereinzelt ÖkonomInnen, die der wirtschaftlichen Bildung der Bevölkerung eine wichtige Rolle zusprechen. Ein weltbekannter Vertreter dieser Vorstellung ist John K. Galbraith, der mit seinen populärwissenschaftlichen Werken der Bevölkerung zu größerer Einsicht in die gesamtgesellschaftlichen Vorgänge verhelfen wollte (Galbraith 1967). Auch in europäischen Staaten wie Frankreich wurde die Verbreitung von Wirtschaftswissen und -informationen als zentral erachtet, um gegenüber dem Modernisierungsideal rückständiges Verhalten der Wirtschaftsakteure zu ändern und in Kohärenz mit den sozialplanerischen Vorstellungen zu bringen, weshalb zahlreiche Volksbildungsinitiativen gesetzt wurden (Lebaron 2000). Generell ist die der Bevölkerung zugeschriebene Rolle aber eine passive, die Haltung der ExpertInnen tendenziell paternalistisch.

Gleichzeitig genossen ÖkonomInnen ein beträchtliches öffentliches Ansehen, da ihnen eine Schlüsselrolle in der staatlichen Planung des wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses zugesprochen wurde (Coats 1993, Middleton 1998). Da die Wirtschaftspolitik als ExpertInnenfeld galt und das Definitionsmonopol der ÖkonomInnen als relativ unumstritten, spielten Statuskämpfe mit Nicht-ÖkonomInnen keine sehr prominente Rolle.

2. Marktliberalismus

2.a Einfluss politischer AkteurInnen auf Ressourcen und Öffentlichkeit für Wissenschaft

Der Wandel zu einer marktliberalen Wirtschaftspolitik hat neben der Verunsicherung des herrschenden Leitbilds durch die Wirtschaftskrise u.a. mit einem Wandel in den politischen Kräfteverhältnissen zu tun. Die Form, wie sich dieser Wandel in für die Theoriebildung relevanten Institutionen durchschlug, ist für die Erklärung des theoretischen Umschwungs von Bedeutung: So weisen Untersuchungen auf die Bedeutung privat finanzierter Thinktanks und Denkzirkel für die Entwicklung neoliberaler Theoriebildung hin (Walpen 2004). Die steigende Bedeutung von alternativen Finanzierungsquellen und Beschäftigungsmöglichkeiten für ÖkonomInnen abseits des Staates ist ein wichtiger Baustein in der Genese und Pflege der marktliberalen Wende.

Think tanks sind in den letzten Dekaden vor allem in den USA enorm gewachsen. Sie sind immer stärker klar ideologisch ausgerichtet, betätigen sich immer prägnanter als Fürsprecher einer politischen Linie. Es gibt zur Zeit weit mehr konservative Think tanks als linke, und sie haben mehr Ressourcen (Rich 2001). Think tanks sind darauf spezialisiert, direkt politisch verwertbare Forschung zu produzieren, und längst kein US-spezifisches Phänomen mehr: So wird etwa der Tätigkeit der marktliberalen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" eine entscheidende Rolle bei der Prägung der jüngsten wirtschaftspolitischen Reformdebatte in Deutschland zugesprochen (Speth 2004).

Einfluss auf die Politik fand das erneuerte liberale Theoriemodell auf verschiedenen Wegen: Wurde es in seinen anfänglichen Kernländern Chile, USA und Großbritannien von stark ideologisch motivierten Kräften, unter denen auch prominente ÖkonomInnen waren, in sozialen Auseinandersetzungen durchgesetzt, waren es in anderen Staaten in darauf folgenden Perioden meist eher schleichende Veränderungen, die zum Teil aus den Reihen der Bürokratie initiiert wurden (Babb/Fourcade-Gourinchas 2002). Der Wandel des Mainstream der Ökonomie zu einem marktliberalen anti-interventionistischen Modell brachte in diesem Denken ausgebildete ÖkonomInnen hervor, die zunehmend die vorige Generation im Staatsdienst beerbte und dem neuen Denken in der Bürokratie zum Durchbruch verhalf.

In weltwirtschaftlich periphereren Ländern kommt die stärkste Bedeutung in der Auslösung der Umorientierung vielfach externen Kräften zu: Die Schuldenkrise brachte die Wirtschaftspolitik vieler Länder des Südens de facto unter Aufsicht internationaler Institutionen wie IWF und Weltbank. Diese waren von dem Unschwung in den industriellen Kernländern als eine der ersten erfasst worden und versuchten nun, die neue Orthodoxie global durchzusetzen, zum Teil in reinerer Form als in den Industriestaaten.

In einigen Staaten insbesondere Lateinamerikas wurden marktliberale ÖkonomInnen wiederum von autoritären Regierungen zur Beratung und mitunter auch in Staatsämter geholt. In Westeuropa spielte das marktliberale Denken als Triebfeder des EU-Integrationsprozesses ab den 80er Jahren eine entscheidende Rolle.

Ein vielleicht historischer Höhepunkt der Nachfrage nach marktliberaler wirtschaftswissenschaftlicher Beratung ergab sich nach 1989, als westliche ÖkonomInnen von heimischen Wendekräften und internationalen Organisationen in starkem Ausmaß zur Beratung bei der Systemtransformation in Osteuropa herangezogen wurden. Die Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft war ein Vorhaben, für das die ökonomische Theorie nicht vorbereitet war und zu dem Zeitpunkt wenig Antworten bieten konnte. Die in der Ökonomie einmalige Gelegenheit, einen Echtzeit-Laborversuch zu unternehmen, musste deshalb zwangsläufig auf Basis von normativen Grundhaltungen erfolgen, die oft nur sehr schwach theoretisch abgestützt waren (Sapir 2002).

In Folge der marktliberalen Transformation des Staates erwuchs eine Nachfrage nach ÖkonomInnen dieser Richtung zur Besetzung von Stellen - in der Verwaltung, in unabhängigen Behörden, Zentralbanken und internationalen Organisationen.

Auch die Medien spielten eine Rolle. Die fortschreitende Ausbreitung kommerzieller Interessen in der Medienlandschaft und die Ausweitung von Wirtschaftsberichterstattung begannen marktliberalen ExpertInnen und ihren Ideen eine enorme Öffentlichkeit zu bieten (Duval 2004).

Neue Finanzierungsquellen und politische AkteurInnen spielten also eine wichtige Rolle in der Etablierung der neuen Orthodoxie.

2.b Determinanten und Bedeutung fachinternen Reputationserwerbs

Neben politischen Faktoren trug die abnehmende Überzeugungsfähigkeit traditioneller Steuerungstheorien im Angesicht unerwarteter Probleme (v.a. Stagflation im Norden, Entwicklungsblockaden im Süden) in den siebziger Jahren zu einer Legitimationskrise des Mainstreams der Wirtschaftswissenschaften bei, auch fachintern. Bisherigen akademischen Randfiguren eröffnete sich dadurch eine Chance zur Profilierung, da sie neue Antworten auf aktuelle Probleme boten. Die Nobelpreisverleihung an Friedrich Hayek und Milton Friedman in den siebziger Jahren war ein deutliches Signal für die akademische und politische Anerkennung. In Folge setzte ein Generationenwechsel ein, in dem sich viele junge ÖkonomInnen am Neuen orientierten.

Drei für den fachinternen Reputationserwerbs bedeutsame Veränderungen begleiten das Vordringen marktliberaler Theoriebildung in der Wirtschaftswissenschaft, mit widersprüchlichen Konsequenzen: Internationalisierung und Mathematisierung der Wissenschaft, sowie Vermarktlichung der Hochschulen.

Seit den 80er Jahren kommt es verstärkt zu einer Internationalisierung der Wirtschaftswissenschaften, verbunden mit einer Vereinheitlichung der Standards für wissenschaftlichen Reputationserwerb, mit dem Ergebnis der Herausbildung einer internationalen Hierarchie von Universitäten und Publikationsorganen. Das führt zu einem Vordringen des aktuellen Mainstream der Ökonomie auch in Regionen, in denen die politischen Kräfteverhältnisse diesen nicht stützen.

Der wachsende Wettbewerb zwischen wissenschaftlichen Fachrichtungen an den Universitäten hat neben anderen Faktoren zu einer verstärkten Tendenz zur Formalisierung in wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen geführt. Trotz verbreiteter Uneinigkeit über viele Inhalte wird der Einsatz von Mathematik zunehmend zum entscheidenden Konsenspunkt für die Selbstdefinition von ÖkonomInnen (Colander et al. 2004). Das Vordringen des Mathematischen als universaler Darstellungsnorm bringt Theorien und Ideen unter Druck, die diesen Standards nicht genügen, und macht das Nichtbeherrschen der entsprechenden Technik zu einem Karrierenachteil. Es gibt Indizien, dass die Analysetechniken nicht inhaltlich neutral sind, somit fachliche Kriterien politische Barrieren bilden (Backhouse 2005, Krupp 2004).

Die dritte Tendenz ist der Druck auf die Autonomie der Hochschulen durch eine verstärkte Vermarktlichung von Bildung. Wettbewerbsdruck und Evaluation führen einerseits zu einer "Publish or Perish"-Kultur der Publikationsinflation. Gleichzeitig schränken sie aber (über den Zwang zur Drittmittelanwerbung und Attraktivitätsausstrahlung für Financiers und Studierende) für die Reichweite von wissenschaftsimmanenten Reputationskriterien ein, und zwingen teilweise zur Beachtung wissenschaftsfremder Überlegungen bei der Karriereplanung, erhöhen jedenfalls den Druck, "anwendungsrelevante" Wissenschaft zu produzieren.
Internationalisierung, Mathematisierung und Bedrohung von Hochschulautonomie stehen in einem Spannungsverhältnis, das auch für den marktliberalen Mainstream nicht problemfrei ist: Die Anforderungen für eine Fachkarriere üben Druck in Richtung verstärkter Formalisierung und Theoretisierung aus, während die Umstrukturierung der Hochschulen Druck in Richtung verstärkter Anwendungsorientierung ausüben. Heterodoxe Ansätze weisen dabei die größte Wahrscheinlichkeit auf, weder den formalen Standards zu genügen noch für die dominanten geldgebenden Instanzen interessant zu sein, und sind deshalb besonders gefährdet. Die Autonomie der Wirtschaftswissenschaft in der Verteilung von fachinterner Reputation gerät unter Druck, was den Binnenpluralismus tendenziell reduziert.

2.c Gesellschaftlicher Status: Selbstverständnis und Verhältnis gegenüber LaiInnen und anderen Expertenfeldern

In diesem etwas längeren Abschnitt wird der Frage nachgegangen, wie sich Statusinteressen der WirtschaftsexpertInnen in der marktliberalen Theorie niederschlagen und inwieweit Veränderungen, die die Durchsetzung dieser Theorie begleiten, auf den gesellschaftlichen Status von WirtschaftsexpertInnen einwirken.

Theorie und Statusinteresse:

Im marktliberalen Revival, das in den achtziger Jahren den Keynesianismus als dominantes Paradigma ablöst, weicht tendenziell das Vertrauen in die Allmacht des Staates dem Vertrauen in die Allmacht des Marktes. Staat, Demokratie und politischer Prozess werden zum Gegenstand der Kritik, aufgrund derer ihr Einfluss zu begrenzen sei. Der Staat mutiert in diesen Konzepten vom wohlwollenden Diktator, der im gesamtgesellschaftlichen Interesse steuert, zum Objekt von Interessengruppen, die ihn als Instrument missbrauchen, um sich Renten zu sichern bzw. zum Werkzeug von sozialistischen ÖkonomInnen, um sozialtechnologische Steuerungsutopien umzusetzen, und dabei gesellschaftlichen Schaden anrichten. Denn diese "Eingriffe" stören den Ablauf des Marktprozesses, der als selbstregulierender Mechanismus begriffen wird, in dem die Marktsubjekte ihr Wissen zum persönlichen Vorteil einsetzen können, und dadurch gesellschaftliche Optimalzustände herstellen.
Zur Abschaffung der ExpertInnen führt diese Diagnose aber nicht, denn bevor dieser Zustand erreicht ist, müssen Reformen am Status quo des laut marktliberaler Diagnose überdimensionierten Staates durchgeführt werden. Wissen und Einmischung der Bevölkerung in Fragen der Wirtschaftspolitik spielen in diesen Theorien keine größere Rolle als zuvor. Die Bevölkerung wird thematisiert, und zwar einerseits als potenzielle (passive) NutznießerInnen von Reformen in ihrer Eigenschaft als KonsumentInnen, andererseits als Bedrohung in Form von Interessengruppen, die parasitär den Staat für ihren persönlichen Vorteil auf Kosten anderer instrumentalisieren wollen. Den ExpertInnen wird von sich selbst dabei tendenziell die Rolle zugeschrieben, im Interesse des Allgemeinwohls diese Zugriffe vom Staat fernzuhalten - sei es durch öffentliche Denunziation auf Basis theoretischer Erkenntnisse, sei es durch die Forderung nach Übergabe von Staatsfunktionen in ExpertInnenhand. Prominentes Beispiel dafür ist die von marktliberalen Theorien befürwortete Übertragung der geldpolitischen Verantwortung an eine autonome, technokratisch besetzte Zentralbank. Ein jüngeres Beispiel ist die Forderung nach Einrichtung eines Expertengremiums zur Lenkung der europäischen Fiskalpolitik, die zuletzt im Zuge der Debatte um die Zukunft des Stabilitäts- und Wachstumspakts der EU erhoben wurde (Fatas et al 2003).

Die Rolle des über den Einzelinteressen stehenden wohlwollenden Diktators wird in dieser Vorstellung im Grunde vom Staat auf die ExpertInnen selbst übertragen.
Während der Monetarismus eines Milton Friedman sich darauf konzentrierte, den störenden Einfluss des Staates in der Wirtschaft nachzuweisen und zu kritisieren, verlagert sich in der Variante der Theorie rationaler Erwartungen der neuklassischen Makroökonomie eines Robert Lucas die Argumentation (vgl. Sargent o.J.), mit interessanten Implikationen für das Verhältnis LaiInnen-ExpertInnen. Hier wird argumentiert, dass staatliche Politik überhaupt weitgehend wirkungslos ist, und zwar weil ihre Wirkungen von den Wirtschaftssubjekten vorhergesehen und durch deren vorauseilende Verhaltensanpassungen kompensiert, und damit vereitelt, würden. In dieser Erzählung wird also angenommen, dass ökonomische LaiInnen ein Wissen über gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und Wirkungsweise von wirtschaftspolitischen Instrumenten wie Geldpolitik haben, das nicht nur gleich hoch wie jenes der WirtschaftspolitikerInnen, sondern auch zutreffend ist und von allen AkteurInnen geteilt wird (Screpanti/Zamagni 2005, 341ff.). Der Schluss, dass dadurch im Grunde Beteiligung der Bevölkerung an Wirtschaftspolitik möglich sei, da der Staatsapparat bzw. die ExpertInnen über keinen Expertisevorsprung verfügen, wird daraus jedoch nicht gezogen. Denn erstens ist Wirtschaftspolitik in diesem Konzept keine Verhandlungssache, sondern Sache der Optimierung. Zweitens wird den Subjekten nur der Markt als Aktionsfeld zugewiesen.

In marktliberalen Theorien wird also der herausgehobene Status von WirtschaftsexpertInnen mit adaptierter Rechtfertigung fortgeschrieben.

Veränderungen im Umfeld:

In der Periode des expandierenden Wohlfahrtsstaates und seiner sozialtechnologisch inspirierten wissenschaftlichen Begleitung entstanden zwei Haltungen im Verhältnis von LaiInnen und ExpertInnen, an deren Transformation sich die marktliberale Gegenrevolution bis heute abarbeitet:

Erstens der Aufbau einer Erwartungshaltung an den Staat und seine wirtschafts- und sozialpolitische Steuerungsfähigkeit, sowie zweitens der Wunsch nach Mitsprache. Der Appell an mehr Eigenverantwortung ist die marktliberale Antwort auf beide Haltungen.

Zum ersten Punkt: Die Verbreitung wachsender Erwartungen an den Staat wird von der marktliberalen Kritik als ein zentrales Problem betrachtet. Sie führe zu Überforderung des Staates, zu Unregierbarkeit angesichts konfligierender Ansprüche und letztlich zu diktatorischen Tendenzen (Bell 1975, Crozier et al 1975, Hayek 1975). Die Senkung der Erwartungen, die Bekämpfung der "Anspruchsinflation", wird zu einem wichtigen Projekt der theoretischen und politischen Arbeit der marktliberalen Schule (Middleton 1998). Im Gegenzug soll das Vertrauen in Marktlösungen, vor allem in eigenverantwortliches Handeln jedes Individuums auf dem Markt, gestärkt werden.

Zum zweiten Punkt: Mit der Bildungsexpansion der 60er Jahre kommt es auch zu einer Verbreiterung der Schicht jener, die mit dem vormals einer kleinen Schicht von ExpertInnen vorbehaltenen Wissen in Berührung kommen. Das Phänomen 1968 und seine Nachwirkungen sind von der Kritik der neuen Wissensschichten an den herrschenden Autoritäten getragen (Habermas 1968). Da in der Analyse der "programmierten Gesellschaft" (Touraine 1972) ExpertInnen eine zentrale Rolle in der autoritären Führung von Wirtschaft und Gesellschaft zugesprochen wird, entzündet sich an dieser Stellung eine verbreitete Kritik.

Die Vorstellung von Mitsprache, Selbstverwaltung und Demokratisierung der "Expertenherrschaft" wird ein zentrales Leitmotiv in neuen sozialen Bewegungen, die von den neuen Bildungsschichten dominiert sind. Auch Vorstellungen von Arbeiterselbstverwaltung aus der Tradition der Arbeiterbewegung erfahren eine Renaissance.

Auf die Herausforderung dieser Kritik wurde auf verschiedene Weise geantwortet. Auf die Kritik an autoritären Verhältnissen in der Wirtschaft reagierte die Unternehmerschaft unter anderem mit Umstrukturierungen, die zum Ziel hatten, die Forderungen der Arbeitenden nicht nur zum Schweigen zu bringen, sondern für den Unternehmenssektor sogar noch produktiv zu machen (Boltanski/Chiapello 2004). Die Flexibilisierung von Hierarchien und Arbeitsabläufen, die Übertragung von Teilkompetenzen und Elementen von Entscheidungsautonomie an die Belegschaft, Teamarbeit, neue Selbständigkeit, "Intrapreneure" und flache Hierarchien haben alle den Effekt, die Arbeitenden von maschinengleichen stummen BefehlsempfängerInnen zu aktiven KollaborateurInnen im Unternehmen zu machen. Die neueren Managementkonzepte haben weniger den bürokratischen, penibel seine von oben zugewiesene Aufgabe erfüllenden "organizational man" vor Augen, sondern MitarbeiterInnen, die sich aktiv ins Unternehmen einbringen (vgl. Kurswechsel 2/2000).

Auf die "Anspruchsinflation" wird von marktliberaler Seite mit Aufklärung über die behaupteten Grenzen der Staatstätigkeit und Vermittlung von Wissen über bzw. für eigenverantwortliches Handeln reagiert. In der Wirtschaftspolitik setzen sich im Zuge dessen zunehmend solche marktliberalen Ansätze durch, die den Markt nicht als Ausdruck der Natur des Menschen sehen (wie noch der klassische Liberalismus), sondern als eine künstliche Institution, die bewusst hergestellt und aufrechterhalten werden muss (Williams 1999), ein Übergang von einem "naturalistischen" zu einem "konstruktivistischen" Marktverständnis (Vestergaard 2004). Über die Sicherung der Rahmenbedingungen und Schaffung der richtigen Anreize hinaus reicht das Erfordernis in den institutionalistischen Ansätzen jetzt bis zu dem, was Foucault Subjektivierungstechniken genannt hat. Der Markt kann versagen, aber im Gegensatz zur keynesianischen Vorstellung bedeutet das nicht, dass der Staat in diesen Fällen Marktaufgaben übernehmen soll, sondern er muss AkteurInnen und Rahmenbedingungen so konstruieren, dass Marktlösungen in Gang kommen und funktionieren. Subjektführung wird zu einer zentralen wirtschaftspolitischen Steuerungsaufgabe. Das ist der Hintergrund dafür, dass manche AutorInnen eine Zunahme moralisierenden Jargons in der aktuellen wirtschaftspolitischen Literatur und Debatte verorten (Best 2003).

Der Transfer von Wissen an die beteiligten Subjekte spielt dabei eine wesentliche Rolle. Mehr Eigenverantwortung erfordert mehr Wissen. Im Fachbereich der Wirtschaft kommt es zu einer Diffusion von Wissensdiskursen, die früher auf eine kleine Bevölkerungsgruppe beschränkt war. Der Transfer ist aber eindimensional: ExpertInnen entscheiden über Art und Umfang des erforderlichen Wissens, auf Basis von Annahmen darüber, was zu erwünschtem Verhalten führen wird (Resch 2005).

In beiden Fällen steht der Begriff der Eigenverantwortung im Vordergrund: Sowohl für jene Bereiche, die eine Zeitlang als staatliche Aufgaben erachtet wurden wie etwa soziale Absicherung, als auch das persönliche wirtschaftliche Fortkommen.

Die enorme Expansion der Wirtschaftspresse seit den 80er Jahren ist das deutlichste Zeichen dieser Entwicklung (BEIGEWUM 1999). Früher ein schmales Spezialsegment für Personen mit Eigentum oder Führungsverantwortung in Wirtschaft und Verwaltung, erfuhr die Wirtschaftsberichterstattung eine Ausbreitung auf neue Formate. Bestehende Massenmedien weiteten Ausmaß und Form ihrer Wirtschaftsberichterstattung aus, neue Spezialmedien für ein breites Publikum wurden gegründet, und neue, populäre Darstellungsformen angewendet. Das ist eine Begleiterscheinung einer fortschreitenden Kommerzialisierung der Medienlandschaft, die Medien aus dem Einflussbereich von Staat und Parteien entzog und marktorientierten sowie wirtschaftlich starken Kräften unterstellt. Im Gegensatz zu früher sind Unternehmen auch weniger geheimniskrämerisch, sondern betreiben aktive Öffentlichkeitsarbeit, auch jenseits der klassischen Werbung, was zu einer Erweiterung des potenziellen Stoffs für Berichterstattung beiträgt. Mit der Verbreitung von Wirtschaftsinformationen in neuer Form und bislang ungekanntem Ausmaß ist Propaganda für das erstarkende marktliberale Gedankengut untrennbar verbunden (Duval 2004).

Auch die Beratungsliteratur boomt. Ratgeber für das Management persönlicher Finanzen begleiten sowohl wachsende Vermögen als auch wachsende Notwendigkeit, diese zur Vorsorge für persönliche Risiken zu veranlagen (Martin 2002). In der in den letzten Jahren verstärkt thematisierten Bestrebung privater und öffentlicher Initiativen, die "Finanzielle Allgemeinbildung" zu erhöhen, kommt das zum Ausdruck (Schürz/Weber 2005).

Die Hierarchie zwischen ExpertInnen und LaiInnen verschwindet dadurch ebenso wenig wie Autoritäten in Staat und Unternehmen. WirtschaftsexpertInnen erhalten in Medien und als AutorInnen von populärwissenschaftlicher Literatur in den Bereichen Karriere, Börse und Staatskritik in bislang ungekanntem Ausmaß Öffentlichkeit. Ihre Ratschläge werden von Individuen aufgenommen, um ihre Eigenverantwortung im Markt besser wahrnehmen zu können. Dieser rasant expandierende Markt für ökonomisches Wissen hat für WirtschaftswissenschafterInnen zwiespältige Folgen: Denn die erhöhte Nachfrage ist nicht nur ihrem eigenen Status zugute gekommen, sondern hat auch neue AnbieterInnen ökonomischer Expertise angezogen.

In den letzten Jahren ist viel von der Krise der Wirtschaftswissenschaften die Rede. Der Tenor dieser Kritik ist, dass das Fach sich vor allem aufgrund fortschreitender Formalisierung der Analysetechniken und Konzentration auf theoretische Fragen und Modelle mit zweifelhafter Anwendungsrelevanz immer weniger für wirtschaftspolitische Beratungsleistung eigne (Krupp 2004). Die Autonomisierung des Felds geht anscheinend mit einer Gefährdung des sozialen Status einher. Dabei ist aber unklar, ob es sich hierbei um die Ursache oder nicht vielmehr eine Folge von wachsender Konkurrenz in der Wirtschaftsberatung handelt. Denn längst sind es nicht mehr die UniversitätsprofessorInnen, die diese Domäne allein beherrschen.

Die expandierende Tätigkeit von Think tanks (siehe oben) zählt sicher zum zentralen Phänomen in dieser Hinsicht. Was diesen Institutionen gegenüber WirtschaftswissenschafterInnen zum Vorteil verhilft, sind ihre tendenziell anwendungsfreundlichere Aufbereitung von Information, ihre Expertise im politischen Feld (das Wissen, wie, wo und zu welchem Zeitpunkt Informationen lanciert werden müssen) und ihre überlegenen materiellen Ressourcen. Auch der Sektor der höheren Ausbildung hat sich differenziert - wirtschaftswissenschaftliche akademische Ausbildung erhält Konkurrenz von Business schools, die auch Forschung betreiben und wirtschaftspolitische Empfehlungen abgeben.

Zuletzt sind noch private Beratungs- und Consultingunternehmen zu nennen, die in Domänen vordringen, die früher WirtschaftswissenschafterInnen vorbehalten waren. In Deutschland und Österreich sind die hohen Summen, mit denen zahlreiche Ministerien zuletzt private Beratungsunternehmen für ihre Unterstützung bei der Formulierung wirtschaftspolitischer und organisatorischer Reformmaßnahmen entlohnen, skandalisiert worden (Bittner/Niejahr 2004). Die Tatsache, dass der Automobilkonzern-Manager Peter Hartz in Deutschland mit der Konzeption einer Arbeitsmarktreform beauftragt wurde, die als Systemumbruch gewertet wird, ist der prominenteste Fall wirtschaftspolitischer Beratung aus nicht-akademischer Quelle in jüngerer Zeit. Die Vorschläge wurden von WirtschaftswissenschafterInnen stark kritisiert (Tietzel/Müller 2004), wurden aber dennoch zu einem Gutteil umgesetzt.

Schlussfolgerungen und weiterführende Überlegungen

Die Dominanz von ExpertInnen in der Wirtschaftspolitik wird aus demokratiepolitischer Sicht häufig kritisiert. In diesem Artikel wurden sozialstrukturelle Bedingungen dieser Stellung untersucht.

Eine der Schlussfolgerungen ist, dass die Interessen politischer Kräfte und die Statusinteressen von ExpertInnen gegenüber Forderungen nach einem Aufbrechen des Expertenmonopols ein historisch weitgehend stabiles Hindernis darstellen.

Die im Zuge von Demokratisierungsforderungen geübte Kritik, dass Expertenansprüche auf eindeutig fundiertes und überlegenes Wissen überzogen seien, bleibt für politische AkteurInnen folgenlos, sie ist in der Politik bereits bekannt. Die Folgenlosigkeit ist darauf zurückzuführen, dass politische AkteurInnen nur zum Teil an Wissen, hingegen in hohem Ausmaß an der Reputation von ExpertInnen interessiert sind. Die Beharrlichkeit, in der durch bestimmende AkteurInnen in der Wirtschaftspolitik Expertenwissen nachgefragt wird, unterstreicht, dass es in der wirtschaftspolitischen Beratung in hohem Ausmaß um die Bereitstellung von Leistungen für die Politik geht, die wenig mit der Überzeugungsfähigkeit spezifischer Inhalte der Beratung zu tun haben. Aspekte wie Imagetransfer und Legitimation, beruhend auf öffentlicher Glaubwürdigkeit der Beratungsleistenden, spielen im politischen Prozess eine wichtige Rolle. Weil ein bestimmter Modus der Wissensproduktion, der akademische nämlich, mit Legitimität assoziiert wird, und Legitimität für die Durchsetzung politökonomischer Interessen ebenso wie für wirtschaftspolitisches Handeln des Staates gebraucht wird, der auf Erwartungsstabilisierung und reibungsloses Regieren auf Basis von Konsens zielt, nehmen ExpertInnen eine wichtige Funktion ein.

ExpertInnen können auch über diverse Einflussmöglichkeiten besser kontrolliert werden als Diskussionen mit breiter TeilnehmerInnenschaft. Das Wissen der Bevölkerung steht nämlich nur sehr eingeschränkt unter Kontrolle von Wissenschaft und Politik. Das hat mit einer Vielzahl von Gründen zu tun, unter anderem sind da die Grenzen der Vermittelbarkeit wissenschaftlicher Denkmodelle, die Vernachlässigung von Überlegungen zur Vermittlung, Widerstände der nach wie vor von humanistischen Traditionen geprägten Lehrpläne allgemeinbildender Schulen gegen Wirtschaftsunterricht, sowie das Problem, zwischen konkurrierenden Wirtschaftstheorien entscheiden zu müssen, zu nennen.

ExpertInnen werden von politischen Kräften "gemacht", weil die Finanzierung ihrer Tätigkeit und der Zugang zu Öffentlichkeit weitgehend von politökonomischen Kräfteverhältnissen abhängig sind.

In der Kritik am Expertenwesen sind deshalb nur zum Teil die ExpertInnen selbst Gegenstand. Vielmehr geht es darum, dass ExpertInnen von politischen Kräften als Schutzschild gegen Mitsprache aufgebaut werden.

Das funktioniert nur, solange es einen öffentlichen Glauben an die über LaiInnenwissen erhabene Position der Beratungsleistenden, an ihre überlegene Expertise gibt. Das ist es, was sie für politische AkteurInnen interessant macht. Diesbezüglich kann jedoch durchaus von abnehmendem Glauben ausgegangen werden. In den letzten Jahrzehnten hat die Wissenschaft einen gewissen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten. Dass der Objektivitätsmythos verblasst ist, ExpertInnen sich zunehmend als fehlbar, untereinander uneins und parteiisch erwiesen haben, ließ wirtschaftspolitische AkteurInnen aber nicht etwa auf ExpertInnen verzichten, sondern mit verschiedenen Strategien reagieren, um die Legitimationsfunktion trotz aller Widrigkeiten zu erhalten (Weingart 2001).

Eine Strategie besteht darin, den Mythos neutraler Expertise mittels politischer Techniken zur Signalisierung von Unabhängigkeit zu retten zu versuchen. Etwa dadurch, dass ExpertInnen institutionell aus Regierungsnähe entfernt und in formal unabhängige Institutionen ausgelagert werden, an die dann bestimmte Funktionen delegiert werden. Das kann von der Beratungsleistung (etwa in der gängigen Form der "Expertenkommission") bis zur Übernahme wirtschaftspolitischer Aufgaben (diesem Ansatz ist das Modell unabhängiger Zentralbanken und unabhängiger Regulierungsbehörden nahe) reichen.
Eine andere Strategie ist die Rekrutierung von ExpertInnen aus anderen, nicht-akademischen Feldern. Während die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten einen gewissen Vertrauensverlust erlitten hat, verhalf die marktliberale Rehabilitierung des Marktwettbewerbs anderen AkteurInnen zu Reputation. So werden etwa Consultingunternehmen und Führungspersönlichkeiten aus privaten Unternehmen für die Politik als wirtschaftspolitische BeraterInnen interessant - sie haben sich am Markt bewährt, der als untrüglicher Erfolgsmaßstab gilt, und kennen sich folglich am besten mit Wirtschaft aus, so die Imagewirkung. Die akademische Ökonomie hat ihr Monopol eingebüsst, während die Politik die herausgehobene Stellung von WirtschaftsexpertInnen weiter stützt.

Paradoxerweise kann gerade die Pluralisierung des ExpertInnenfeldes im Sinne des Auftauchens konkurrierender ExpertInnen-Subfelder zu Stärkung der Bedeutung des Reputationsmechanismus führen, wenn die sonstigen (vor allem politisch-institutionellen) Rahmenbedingungen gleich bleiben: Je größer die Gruppe der ExpertInnen und das dadurch entstehende Auswahlproblem, und je größer die wahrgenommene Asymmetrie in der Wissensausstattung und Beeinflussungsmöglichkeit auf die Wirtschaftspolitik zwischen ExpertInnen und LaiInnen, desto größer die Bedeutung des Reputationsmechanismus als Signal zur Unterscheidung für außenstehende RezipientInnen, die sich auf externe Wissensquellen verlassen wollen, wer ein/e glaubwürdige/r SprecherIn ist und wer nicht.

Für Bestrebungen zur Demokratisierung von Expertise bzw. von Wirtschaftspolitik würde das bedeuten, dass die wissenschaftsinterne Kritik an demokratisierungsfeindlichen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Stellung von ExpertInnen in der Wirtschaftspolitik haben kann. Hegemonie im wissenschaftlichen Feld untermauert natürlich die Legitimität bestimmter Richtungen in der Politikberatung. Sich darauf berufen zu können, die "herrschende Lehrmeinung" zu repräsentieren, hat politische Vorteile. Darin liegt ein wichtiger Grund für die Intensität der Kämpfe zwischen konkurrierenden volkswirtschaftlichen Theorien, für den Einsatz des Arguments mangelnder Wissenschaftlichkeit zur Diskreditierung konkurrierender Theorien und für die derzeit verstärkt zu beobachtenden Versuche, Wirtschaftswissenschaften auf ein Paradigma zu reduzieren.
Aber sobald die Autorität des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams unterminiert würde, würden politische AkteurInnen gewünschte wirtschaftliche Expertise einfach aus anderen Berufsfeldern suchen, wie es ja derzeit auch geschieht.
Erst dort, wo die Rolle von ExpertInnen generell und grundsätzlich in Frage gestellt wird bzw. politisch scheitert, haben Demokratisierungsforderungen Aussicht auf Gehör. So taucht etwa erst nach den Erfahrungen in Argentinien in technokratischen Diskursen von Experteninstitutionen wie dem IWF das Konzept der "ownership" auf (Drazen/Isard 2004), also der Anforderung, dass internationale Organisationen für die von ihnen verlangten Strukturanpassungsprogramme in den betroffenen Ländern gesellschaftliche Akzeptanz herstellen müssen, um sie erfolgreich durchführen zu können.
An der Dominanz von ExpertInnen ändert sich somit durch Delegitimierung der Volkswirtschaftslehre allein wenig: Während Expertise heute zunehmend auf einem Markt angeboten wird, was zu einer Ausweitung der Arten professioneller AnbieterInnen geführt hat, bleibt der Zugang zu Wirtschaftspolitik weiterhin auf ExpertInnen beschränkt. Transfer von Wissen und Aufforderung von "oben" an die breite Bevölkerung zur Partizipation blieben auf die Domäne marktwirtschaftlicher Aktivität beschränkt. Der Bereich der Wirtschaftspolitik ist von einer Dezentralisierung von Wissen und Entscheidungskompetenzen weitgehend ausgespart geblieben. Weit davon entfernt, zugunsten von Marktlösungen suspendiert worden zu sein, wie das in marktliberalen Theorien angedacht wurde, ist wirtschaftspolitische Lenkungsaktivität des Staates ungebrochen. Was sich in den letzten Jahrzehnten sehr wohl geändert hat, sind Ziele und Instrumente wirtschaftspolitischen Handelns. Wirtschaftspolitik erhält zunehmend die Dimension expertengeleiteter Subjektführung.

Der Anteil an Wissen, der der LaiInnenbevölkerung zugestanden bzw. verordnet wird, ist historisch variabel und vom ökonomischen Entwicklungsmodell abhängig. Eine Erhöhung der Wissensnorm für LaiInnen ist jedenfalls nicht gleichbedeutend mit einer erhöhten Beteiligung an Wirtschaftspolitik oder einer Verflachung der Hierarchie gegenüber ExpertInnen. Dies zeigt sich etwa in den in jüngster Zeit verstärkt zu beobachtenden Kampagnen zur Erhöhung der Finanziellen Allgemeinbildung: Gerade in der Vermittlung von Wirtschaftswissen entstehen neue ExpertInnenpositionen. Und die Dezentralisierung von Wissen kann sogar der Ablenkung von Energien von demokratischer Partizipation dienen, wenn damit auch eine Individualisierung von Verantwortung verbunden ist, wie etwa bei der Vermittlung von Wissen für die Optimierung privater Altersvorsorge.

Gibt es Hoffnung auf demokratisierende Impulse aus dem ExpertInnen-Feld selbst, etwa durch die Arbeit an demokratisierenden Modellen der Wirtschaftspolitik? Die dominanten wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmen der Nachkriegszeit boten für eine solche Perspektive keinen Platz. Unzulänglichkeiten und Erklärungsprobleme des herrschenden Paradigmas sowie das karrierebedingte Interesse junger Wissenschafter-Generationen an der Eröffnung neuer Paradigmen und Forschungsfelder können zwar in Zukunft zu Änderungen der Forschungsschwerpunkte und theoretischen Orientierungen beitragen, die vom politischen Mainstream abweichen. Dass diese sich aber irgendwann der Demokratisierung der Wirtschaftspolitik widmen, stößt auf zwei Hindernisse.

Zum einen die Statusinteressen der ExpertInnen selbst. Über inhaltliche Paradigmenwechsel hinweg hat sich unter ÖkonomInnen ein Selbstverständnis gehalten, das für sie selbst eine herausgehobene Stellung in Fragen der Wirtschaftspolitik beansprucht, und es gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich das ändert, trotz vereinzelter Aufrufe zur Bescheidenheit (vgl. Orléan 2001). Statusmotive von ExpertInnen sind mit den Interessen politökonomischer AkteurInnen sehr kompatibel.

Zum anderen die Abhängigkeit der Wirtschaftswissenschaften von politischen Kräften im Hinblick auf Ressourcen und Öffentlichkeit. Dass der wissenschaftliche Mainstream sich von den politischen Kräfteverhältnissen entkoppelt, kann zwar vorkommen, aber dauerhaft wohl vorwiegend in Fällen, wo er als Ausdruck und Verlängerung andersgelagerter Kräfteverhältnisse in anderen Regionen wirkt, von denen er gestützt wird. Ohne politische Unterstützung bleibt Heterodoxie ohne Folgen. Der wissenschaftliche Reputationsmechanismus kann zwar zu Divergenzen zwischen Wissenschaft und den Kräfteverhältnissen in der Politik führen, für politischen Einfluss sind aber politische AkteurInnen entscheidend.

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