"Heil Hotler" grüßt der Plutokrat

Swing im Faschismus.

Ob gerade der Plutokrat im "Dritten Reich" "Heil Hotler" grüßte, konnte in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden. Als sicher kann aber auf jeden Fall angenommen werden, dass der Plutokrat - in welcher "undeutschen" Gestalt auch immer - nicht "Heil Hitler" grüßte. Das gilt zumindest während der Kriegsjahre für den von den Nazis als solcher bezeichneten Angehörigen der herrschenden Klasse der USA, vor allem aber für die Mitglieder einer - wie man heute sagen würde - Szene in Deutschland selbst, die im Amtsdeutsch als "Swing-Jugend" bezeichnet wurde und die sich je nach Örtlichkeit selbst alle möglichen Namen zulegte, Namen, die von der faschistischen Staatsmacht allemal als provokativ betrachtet wurden.

Die ansonsten z.B. als "Swing-Heinis", "Tango-Bubis" und "Hotter" Beschimpften fanden sich z.B. im "Churchill Club" , als "Anthony Swingers" oder eben - bspw. in Kiel - im "Club der Plutokraten" zusammen. Sie legten sich englische Pseudonyme wie "Eton Jackie" oder "Fiddling Joe" zu, begrüßten sich mit Worten wie "Swing high - Swing low" oder gar mit "Swing Heil" und eben der erwähnten Verballhornung des "deutschen Grußes" - "Heil Hotler".
Die Haare trugen die Jungen und Männer lang bis zum Kragen und mit Brillantine oder Zuckerwasser nach hinten gekämmt und die Mädchen und jungen Frauen ebenfalls lang, offen und oft dauergewellt, auf keinen Fall aber bezopft wie das mustergültige BDM-Mädchen. Die Männer trugen weite Hosen, lange Sackos und Schuhe mit dicker heller Kreppsohle und wenn möglich bei jedem Wetter einen zusammengerollten Schirm.
Während Kleidung und Frisur dem Stil der angloamerikanischen und auch deutschen Unterhaltungsfilme zumindest in der Zeit vor ‘33 entsprach, war der zusammengerollte Schirm das Markenzeichen des britischen Außenministers Anthony Eden. Auch die Kleidung war aber von Ort zu Ort unterschiedlich - in Hannover bevorzugte man helle Staubmäntel, Nadelstreifenanzüge und breitrandige Hüte, in Hamburg hingegen dunkle Mäntel mit weißem Seidenhalstuch, Anzüge im Glencheckmuster und Homburger.
Ob diese äußeren Attribute in der kulturellen Szene das Primäre waren, oder nicht doch der Swing, der Jazzstil der 30er und frühen 40er Jahre, ist in Hinblick auf die Motivation der "Swings" ebenso unklar wie letztlich unwichtig. Beides ergänzte sich als Ausdruck eines Lebensgefühls, das dem des von den Nazis propagierten deutlich entgegenstand. Einer der beliebten Begriffe der "Swings" war der des "Lotterns". Herumzulottern vertrug sich aber nicht mit dem Bild des Deutschen, der "hart wie Kruppstahl, flink wie Windhunde und zäh wie Leder" sein sollte.
Was Nazis an der Swing-Jugend neben der "Negermusik" des Jazz und schon vor irgendwelchen der im Zusammenhang mit den Grußformen der "Swings" erwähnten politischen Provokationen störte, wird beispielhaft im Protokoll eines HJ-Streifendienstes vom Februar 1940 deutlich, in dem eine Tanzveranstaltung der "Hamburger Swing-Jugend" erwähnt wird. Es heißt da:
"Der Anblick von etwa 300 tanzenden Personen war verheerend. Kein Paar tanzte so, dass man das Tanzen noch als einigermaßen normal bezeichnen konnte. Es wurde in übelster und vollendetster Form geswingt Â… Viele Paare hüpften so, indem sie sich an den Händen anfassten und dann in gebückter Stellung, den Oberkörper schlaff nach unten hängend, die langen Haare wild im Gesicht, halb in den Knien mit den Beinen herum schleuderten Â… In Hysterie geratene Neger bei Kriegstänzen sind mit dem zu vergleichen, was sich dort abspielte."
Mit anderen Worten: die Tänzer suchten die Ekstase und damit etwas, was allen Diktaturen zuwider ist. Die Ekstase ist darauf gerichtet, die innere Spaltung des Menschen aufzuheben, ihn ganz, ihn "heil" zu machen. Als solcher verweigert er sich der Kontrolle von außen; sein Heil muss er nicht mehr dort suchen - also auch kein "Heil Hitler". Auch wenn es nur um Spaß, um ein lustbetontes Leben ging, war das schon zuviel, denn die Verwirklichung der imperialistischen Pläne der Nazis setzten Triebunterdrückung und Selbstverleugnung voraus.
Die Swing-Jugend war im Wesentlichen eine bürgerliche Angelegenheit. Die Ausstattung - nicht nur die Kleidung, sondern auch Plattenspieler und Schallplatten - war relativ teuer. Das wie auch immer verballhornte Englische/Amerikanische als "Verkehrssprache" der Szene schloss weitaus mehr als proletarische Jugendliche tendenziell aus. Das jedoch hielt die Nazis nicht davon ab, schließlich zunehmend massiv gegen die Mitglieder der Szene vorzugehen. Wie alle Diktatoren hatten sie keinen Sinn für Humor, zumal dann nicht, wenn er nicht auf Kosten ihrer Gegner ging.
Obwohl der "Widerstand" der Swings im Allgemeinen kaum über eine praktische Kritik an der Deutschtümelei und der Freudlosigkeit der von der Staatsmacht propagierten militärischer Tugenden hinausging, wurden zunächst öffentliche Tanzveranstaltungen verboten und schließlich eine Reihe der Szene-Mitglieder ins KZ gesteckt. So berichtet der inzwischen 80-jährige Günter Discher, ehemaliges Mitglied der "Swing-Jugend" in Hamburg und heute der wohl älteste aktive DJ Deutschlands im Magazin SlamBam (Nr.6, 2005), dessen Erfahrungen auch 1992 im Hollywood-Film Swing Kids verarbeitet wurden, dass 18-20 Mitglieder der Hamburger Szene - darunter er selbst - ins Konzentrationslager Moringen gekommen seien.
Dass eine hedonistische Einstellung auch in nichtfaschistischen Diktaturen wohl aus den gleichen Gründen gefährlich sein kann, mussten die Mitglieder des Fanclubs des deutschen Rock ‘n‘ Rollers Ted Herold in der DDR erfahren, wo einige Mitglieder in Bautzen landeten und so schließlich zu militanten Staatsfeinden gemacht wurden.