Industrie- und Strukturpolitik am Beispiel NRW

Wachstum ist möglich!

Wachstum ist möglich!

Industrie- und Strukturpolitik am Beispiel NRW

Von Wolfram Kuschke

Rede von Wolfram Kusche, Staatsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, auf der gemeinsamen

Tagung von Jusos NRW und spw am 13.11.2004 in Dortmund

Für die Veranstaltung wurde ein Thema gewählt, das - hier wird wohl kaum jemand widersprechen - zu den Schlüsselfragen unserer Gesellschaft zählt. Innovationen, ob technischer oder auch sozialer Natur, sind nach meinem Dafürhalten der entscheidende Ansatzpunkt für die Zukunft unserer Volkswirtschaft. Ich will das kurz begründen.

Zwei langfristige Trends setzen die Wirtschaft in unserem Land zunehmend unter Wettbewerbsdruck: Die Globalisierung der Weltwirtschaft führt zu mehr Kosten- und Qualitätskonkurrenz. Dazu kommt, dass der demografische Wandel die Lohnnebenkosten steigen lässt.

Prinzipiell stehen uns zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um unsere bis heute hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern oder besser noch auszubauen: Die erste Möglichkeit läuft darauf hinaus, die Kosten - in der Diskussion sind insbesondere die Arbeitskosten - zu senken.

Die zweite Möglichkeit sind Investitionen in neue, qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen und in Bildung und Qualifikation der Arbeitnehmer.

Machen wir uns nichts vor, den Wettbewerb um die niedrigsten Arbeitskosten können wir nicht gewinnen. Löhne wie in Osteuropa oder gar in manchen asiatischen Staaten passen mit unseren Lebenshaltungskosten nicht zusammen. Ich halte zudem wenig von einer generellen Senkung der Löhne oder Anhebung der Arbeitszeiten. Hier bedarf es flexibler Regelungen. Dazu müssen die Möglichkeiten innerhalb der Tarifverträge konsequent genutzt und ausgebaut werden.

Natürlich können wir die Arbeitskosten angesichts der demografischen Entwicklung und der Globalisierung nicht einfach laufen lassen, aber mit den Reformen der Sozialen Sicherungssysteme haben wir wichtige Schritte eingeleitet, um die Lohnnebenkosten zu senken. In einem Hochlohnland wie Deutschland sind Innovation, technischer Fortschritt und hohe Produktivität von überragender Bedeutung für mehr Arbeitsplätze und mehr Wirtschaftswachstum.

Es lohnt sich deshalb, dieses Thema in den Mittelpunkt einer Veranstaltung wie heute zu stellen.

Ich finde zudem, dass Dortmund als Veranstaltungsort sehr gut zu dieser Thematik passt. Hier wird deutlich, welche Bedeutung Innovationen für den Strukturwandel haben und auch was Strukturpolitik leisten kann.

Dortmund zählt nach einer Standortstudie der Prognos AG zu den heimlichen Wachstumsstars in Nordrhein-Westfalen. Die Stadt war früher bekannt für Kohle und Stahl, ein wenig Handel und Versicherungswirtschaft, allenfalls noch für Bier. Davon und damit konnten die Dortmunder auch gut leben.

Der Stadt ist es in den letzten Jahren gelungen, trotz der enormen Herausforderungen, die der Strukturwandel mit sich gebracht hat, neue Industrien und Dienstleistungszweige mit exzellenten Zukunftsaussichten anzusiedeln. Heute sind Branchen wie die Informations- und Kommunikationstechnologie, die Mikrosystemtechnik oder die Logistik die Wachstumsmotoren der Stadt und im Umland.

Die Region Dortmund hat mit ihren Wirtschaftsförderungskonzepten auch deshalb großen Erfolg gehabt, weil die Menschen sie gewollt haben, weil die Verantwortlichen nicht gezaudert haben und gemeinsam wichtige Zukunftsbranchen angesiedelt haben.

Die Initiativen im Rahmen des Dortmund- Projects, z. B. die Plattform für Gründerinnen und Gründer Start 2 Grow, die MST.Factory und die Locate IT im Bereich der IT-Technologie, sind gute Beispiele dafür, dass eine gezielte Wirtschaftsförderung erfolgreich sein kann, auch wenn die Herausforderungen des Strukturwandels hier besonders groß waren.

Erfahrungen der Strukturpolitik in Nordrhein- Westfalen Nicht nur in Dortmund, sondern auch in vielen anderen Städten und Regionen Nordrhein- Westfalens hatte der Strukturwandel in den vergangenen Jahrzehnten eine Dimension, wie in keinem anderen der westlichen Bundesländer.

Der Anteil der Dienstleistungsbeschäftigten in Nordrhein-Westfalen stieg zwischen 1964 und 2001 von 38,6 auf 66,0 Prozent. Im Ruhrgebiet sogar von 38,3 Prozent auf 67,3 Prozent.

Im gleichen Zeitraum ging die Beschäftigung in der Montanwirtschaft des Ruhrgebiets stark zurück. 1964 waren im Ruhrgebiet über sechsmal mehr Beschäftigte in der Montanwirtschaft tätig als heute. Allein hier gingen 480.000 Arbeitsplätze verloren. Betrachtet man die gesamte Wertschöpfungskette, so gehen Experten von einem Verlust von rund 1 Million Arbeitsplätze im Ruhrgebiet aus. Diese Zahlen machen deutlich, vor welchen Herausforderungen die Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen stand und immer noch steht.

Über Jahrzehnte hinweg war die Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Ruhrgebiet, darauf ausgerichtet, Engpässe vor allem im Bereich der Infrastruktur zu beseitigen.

• Die Verkehrsinfrastruktur wurde ausgebaut, • ein dichtes Netz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen wurde aufgebaut, • Gewerbeflächen wurden erschlossen.

In den 80er Jahren rückte dann verstärkt der Technologietransfer in den Vordergrund. Bis heute gibt es verschiedene Initiativen, die darauf zielen, das Wissen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen gezielter in die Unternehmen zu transferieren, insbesondere in mittelständische Unternehmen. Mit der Zukunftsinitiative Montanregionen (ZIM), dem Landesinvestitionsprogramm (LIP) und schließlich der Zukunftsinitiative Nordrhein- Westfalen (ZIN) wurde Ende der 80er Jahre das Modell der regionalisierten Strukturpolitik eingeführt. Die Regionen erhielten ein größeres Mitspracherecht bei der Ausgestaltung der regionalen Strukturpolitik.

Zusammenfassend können die letzten 40 Jahre auch als "Phase der Neuorientierung" verstanden werden, in der breit gefördert wurde, um möglichst viele Wirtschaftszweige entstehen zu lassen, die die Beschäftigungsverluste in der Schwerindustrie kompensieren konnten.

Mittlerweile haben sich in den Regionen neue wettbewerbsfähige Kompetenzfelder herausgebildet. Im Ruhrgebiet sind das z. B.

die Chemiewirtschaft im Kreis Recklinghausen, insbesondere in Marl, die Energiewirtschaft in Mülheim, Essen, Gelsenkirchen und Oberhausen, die Gesundheitswirtschaft in Bochum, Dortmund oder Witten, die Logistik in Duisburg und Dortmund oder die I+KTechnologien in Dortmund.

Auch in den anderen Landesteilen ist diese Entwicklung zu beobachten, etwa bei der Medienwirtschaft im Kölner Raum oder der Telekommunikation in Bonn und Düsseldorf.

Zudem haben sich alte Kompetenzen weiterentwickelt, wie in der Textilindustrie oder der Stahlindustrie in Duisburg, die auch heute noch (oder wieder) zu den modernsten Stahlindustrien weltweit gehört. Ein weiteres Beispiel ist der Bereich Automotive in Aachen und Köln.

Diese Phase der Neuorientierung ist - so sehen es die Experten - nun abgeschlossen.

Statt dessen gilt es jetzt mit der Ausrichtung der regionalen Strukturpolitik auf Kompetenzfelder die neuen Stärken zu stärken und nicht mehr wie in der Vergangenheit Engpässe und Schwächen zu beseitigen.

Kompetenzfeldansatz/ positives Beispiel Mikrosystemtechnologie in Dortmund Kompetenzfelder, das sind im Wesentlichen Netzwerke, in deren Kern Unternehmen meist einer Branche agieren. Dazu gehören aber auch - und das ist neu - Zulieferer und Weiterverarbeiter. Um diese herum gibt es eine Vielzahl von Einrichtungen, die diese Unternehmen unterstützen können, z. B.

Technologiezentren, die Arbeitsverwaltung, Wirtschaftsförderungs- und Forschungseinrichtungen.

Im Idealfall fügen sich diese zu einem Netzwerk zusammen und bilden das Kompetenzfeld.

Ziel des Kompetenzfeldansatzes ist es, die regionalen Akteure aus Unternehmen, Politik und Verwaltung, Gewerkschaften und Verbänden so miteinander zu vernetzen, dass ihnen eine gemeinsame Orientierung zugrunde liegt. Der Vorteil besteht darin, dass durch das Zusammenwirken verschiedener Ressourcen die Innovationsdynamik in einer Region steigt. Auch werden vielfältige informelle Prozesse, z. B. Wissensaustausch, ablaufen, die vergleichsweise einmalig sind und nur schwer zu imitieren sind. Es geht also - anders als in der Vergangenheit - nicht in erster Linie darum, Gelder zu verteilen.

Angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte wären derzeit auch die finanziellen Mittel für große Infrastrukturprogramme nicht mehr darstellbar.

Die Landesregierung kann jedoch auch in anderer Form tätig werden. Wir können moderieren, informieren, Kooperationspartner suchen und vermitteln. Die Orientierung der Politik an Kompetenzfeldern erfordert eine starke Zusammenarbeit der einzelnen Politikfelder.

Qualifizierungspolitik, Forschungsund Entwicklungspolitik, Förderung von Dienstleistungen oder die Außenwirtschaftspolitik, all diese Bereiche müssen besser aufeinander abgestimmt werden.

Für das Ruhrgebiet haben wir insgesamt zwölf solcher Kompetenzfelder identifiziert: 1. Informationstechnologien 2. Logistik 3. Mikrostrukturtechnik und -elektronik 4. neue Werkstoffe 5. Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft 6. Design 7. Wasser- und Abwassertechnik 8. Maschinenbau 9. Tourismus und Freizeit 10. Energie und neue Energietechniken 11. Bergbautechnik und 12. neue Chemie Bei der Auswahl haben wir uns sowohl an den regionalen Stärken als auch an den Zukunftschancen orientiert.

Um sicherzustellen, dass alle Beteiligten insbesondere vor Ort diesen Ansatz mittragen, haben wir im Jahr 2000 den Wachstums- und Beschäftigungspakt Ruhr ins Leben gerufen, den inzwischen 140 Vertreter von Kommunen, Verbänden, Gewerkschaften, Kirchenvereinen und Unternehmen unterzeichnet haben. Wichtig ist mir, dass wir nicht den Betroffenen vorschreiben wollen, was zu tun ist. Das sollen die Akteure vor Ort schon selbst machen.

Das Land will jedoch mit seinem Instrumentarium dort helfen, wo es benötigt wird, also bei der Exportförderung, der Erschließung von Gewerbeflächen, der Aus- und Weiterbildung und bei Forschung und Entwicklung.

Ein erfolgreiches Beispiel, auf das ich hier kurz eingehen will, ist die Mikrostrukturtechnik im östlichen Ruhrgebiet, speziell hier in Dortmund.

In Dortmund ist eine Bündelung von Wissen im Bereich von Mikrostrukturtechnik entstanden, die diese Technologie zu einem wesentlichen ökonomischen Standbein der Stadt und der Region gemacht hat. Rund 10 Prozent aller mittelständischen deutschen Mikrotechnikunternehmen sind hier angesiedelt. Es gibt hier mehr als 1.600 Mitarbeiter in diesem Bereich, dass sind etwa 8 Prozent aller Mikrotechnologiebeschäftigten in Europa.

Die Experten gehen davon aus, dass in diesem Technologiezweig mit einem jährlichen Wachstum von bis zu 20 Prozent gerechnet werden kann. Das zeigt, welches beschäftigungspolitische Potenzial für die Stadt und die Region hier liegt. Mit Fug und Recht kann Dortmund als Hauptstadt der Mikrosystemtechnik in Deutschland ja sogar in Europa bezeichnet werden. Am Beispiel Mikrosystemtechnologie in Dortmund zeigt sich auch, warum das Zusammenwirken sehr vieler Kräfte einer Region so wichtig für ein funktionierendes Kompetenzfeld ist.

Die beiden Hochschulen in Dortmund waren ein erfolgreicher Katalysator für eine Reihe von Technologieentwicklungen. Die Stadt und das Land haben zudem erhebliche Investitionen in die Infrastruktur getätigt.

Das beste Beispiel hierfür ist die MSTFactory.

Für dieses neue Gebäude auf Phönix- West stehen 18,5 Mio. Euro an Fördermitteln vom Land und der EU bereit.

Ein weiterer Mosaikstein ist die international tätige Interessengemeinschaft zur Verbreitung von Anwendungen der Mikrostrukturtechnik, die in Dortmund ihren Sitz hat.

Auch das Zentrum für Aufbau- und Verbindungstechnik (AVT-Zentrum) ist hier in Dortmund angesiedelt. Es bietet Dienstleistungen an, die Unternehmen bei der Integration von mikrosystemtechnischen Komponenten unterstützen.

Hinzu kommt, dass viele eingesessene Unternehmen sich für die neuen Entwicklungen an ihrem Standort engagiert haben. Das gilt auch für die Wirtschaftsförderung, die Kammern und die Arbeitnehmerorganisationen.

Die Mikrosystemtechnologie hat in Dortmund eine rasante Entwicklung genommen, auch weil hier alle an einem Strang gezogen haben.

Neuausrichtung der Arbeitspolitik Auch in der Neuausrichtung der Arbeitspolitik der Landesregierung findet der Kompetenzfeldansatz seine Berücksichtigung. Im Fokus stehen dabei die Regionen. Wir wissen, in den Regionen wird ein Großteil der Landespolitik umgesetzt. Die Regionen haben die Möglichkeit, mit eigenen Strategien und eigenen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Projekten die strukturpolitischen Schwerpunktsetzungen des Landes auszufüllen.

Aufgabe der Regionen ist es, ihre Stärken und wichtigsten Kompetenzen zu definieren.

Mit den Instrumenten der Arbeits-, Qualifizierungs-, Mittelstands- und Gründungspolitik wollen wir dann die Regionen unterstützen.

Im Gegensatz zu den bisherigen Einrichtungen der Regionalförderung wollen wir jedoch nicht mit festen Förderbudgets arbeiten, sondern einen Qualitätswettbewerb eröffnen. Die Regionen, die gute Strategien erarbeiten und in denen die Akteure vor Ort bei der Umsetzung der Vorhaben am intensivsten zusammenarbeiten, werden von der Unterstützung des Landes am stärksten profitieren.

Durch das Zusammengehen von Wirtschafts- und Arbeitsressort sind jetzt die verschiedenen regionalen Umsetzungsstrukturen im Zuständigkeitsbereich eines einzigen Ministeriums. Wir nutzen die Chancen, Parallelstrukturen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, zusammen zu fügen und die Kräfte in den Regionen zu bündeln. Die 30 arbeitsmarktpolitischen und 14 strukturpolitischen Regionen mit ihrem unterschiedlichen Zuschnitt werden durch eine neue Struktur ersetzt, die auf den 16 IHK-Bezirken basiert.

Nur zu Klarstellung: Damit ist nicht automatisch die Trägerschaft durch die IHK gemeint, sondern nur die regionale Gliederung. Als neue regionale Struktur, die an die Stelle der Regionalsekretariate und der regionalen Arbeitsmarktkonferenzen tritt, haben wir einen dreigliedrigen Aufbau vorgesehen: • Lenkungskreis: Eine wesentliche Aufgabe des Lenkungskreises wird es sein, die Entwicklungsstrategien für die Region zu erarbeiten, die auf einer Analyse der Stärken und Kompetenzen aufbauen und die Wirtschafts-, Arbeits- und Technologiepolitik integrieren.

• Regionalagenturen: Die Regionalagenturen haben den Auftrag, dass Wirtschaftsund Arbeitsministerium mit den Regionen und ihren Akteuren zu verbinden. Sie haben zudem die Aufgabe, die Bildung von Netzwerken vor Ort, zwischen Politik, Verwaltung, Verbänden, Trägern der Aus- und Weiterbildung und vor allem auch der Unternehmen zu knüpfen.

• Facharbeitskreise: Über sie soll das Fachwissen der Institutionen und Regionen in der Regionalpolitik einbezogen werden.

Die Regionen haben es also in Zukunft selbst in der Hand, durch gute Formen der regionalen Kooperation die Chancen auf Fördermittel erheblich zu verbessern. Ich weiß, dass Städte und Kreise zum Teil weiterhin eine feste Quotierung der Budgets für die einzelnen Regionen fordern. Ich glaube aber, dass dies ordnungspolitisch nicht zielführend ist.

Wir müssen die geringeren Mittel, die uns noch zur Verfügung stehen, möglichst optimal einsetzen. Dies ist übrigens ein Kriterium, das nicht nur für die Regionalpolitik in Nordrhein-Westfalen gelten muss.

Bedeutung der Industriepolitik Bei der Neuausrichtung der Wirtschafts- und Arbeitspolitik auf Kompetenzfelder denken viele zunächst an die sogenannten Zukunftsbranchen, wie die Medienwirtschaft, die Gesundheitswirtschaft oder die Softwarebranche, die schwerpunktmäßig im Dienstleistungssektor liegen. Es wäre allerdings ein Irrtum zu glauben, die Zukunft unserer Wirtschaft und des Arbeitsmarktes würde ausschließlich im tertiären Sektor liegen.

Die Grundlagen für Wohlstand in Nordrhein- Westfalen werden auch in der Zukunft entscheidend durch die Entwicklung der industriellen Wertschöpfung mitgeprägt. Ihr wisst, Industrie und Industriearbeit haben bei uns einen besonders hohen Stellenwert. Über viele Jahrzehnte haben Kohle und Stahl an Rhein und Ruhr eine ganze Landschaft geprägt und natürlich auch die Menschen und die Kultur unseres Landes. Diese Branchen haben auch heute noch eine große Bedeutung.

Aber sie sind grundlegend modernisiert, sie haben im internationalen Vergleich höchstes technisches Niveau und sie sind längst starke Branchen unter vielen anderen.

Wir sind heute eine industrielle Dienstleistungsgesellschaft mit einer zukunftsorientierten Wirtschaftsstruktur: • Chemieindustrie, • Maschinenbau, • Energietechnik und Mikroelektronik, • Fahrzeugbau und Umwelttechnik, das sind sowohl von der Wertschöpfung als auch von der Arbeitsplatzzahl her Schwergewichte unter den Wirtschaftszweigen.

Und sie sind eng verflochten und verwoben mit vielen Dienstleistungsbranchen. Wer sich die Entwicklung des Dienstleistungssektors näher ansieht, wird feststellen, dass es gerade die produktions- und unternehmensbezogenen Dienstleistungen sind, die in den letzten Jahren am stärksten zugelegt haben.

Also: Wir sind das Industrieland Nr. 1 in Deutschland und wollen das auch in Zukunft bleiben. Auch in Zukunft werden wir nicht allein von Software, Blaupausen oder Haareschneiden leben können. Deshalb setzt die Landesregierung sich auch für eine innovative und zukunftsfähige Industrie in unserem Land ein.

Vor einigen Monaten habe ich an einem industriepolitischen Kongress im DaimlerChrysler- Werk in Düsseldorf teilgenommen, wo sich viele Betriebsräte aus den Branchen Chemie, Energie, Fahrzeugbau und Bauwirtschaft zu Problemen und Herausforderungen der Industrie in Nordrhein-Westfalen ausgetauscht haben. Das war eine außerordentlich fruchtbare Diskussion. Das Ergebnis dieser Veranstaltung ist eine gemeinsame industriepolitische Erklärung des Ministerpräsidenten mit den Betriebsräten gewesen, in welcher wir die Voraussetzungen auf europäischer, Bundes- und Landesebene für einen wettbewerbsfähigen Industriestandort Nordrhein-Westfalen formuliert haben.

Es geht insbesondere darum, • faire Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Europäischen Union zu gestalten, • die Investitionen in Forschung und Entwicklung zu erhöhen. (In Nordrhein-Westfalen wollen wir diese von derzeit 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 3,0 Prozent im Jahr 2010 zu steigern. Gefordert sind hier insbesondere die privaten Unternehmen, die sich in Nordrhein-Westfalen im nationalen Vergleich deutlich weniger engagieren), • die Arbeitseinkommen stärker von der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben zu entlasten, • schulische Bildung, Erstausbildung und Weiterbildung zu verbessern und • Innovation und Qualifizierung durch tarifvertragliche Vereinbarungen zu fördern.

Angesichts der Bedeutung einer innovativen und wettbewerbsfähigen Industrie für unser Land werden wir dieses Thema zusammen mit den Betriebsräten und Gewerkschaften verstärkt thematisieren. Geplant ist u.a. ein Gespräch zu dieser Thematik mit dem neuen EU-Industriekommissar Günter Verheugen und eine Behandlung in unserem Bündnis für Arbeit.

Europäische Strukturpolitik Bei der flächendeckenden Orientierung an Kompetenzfeldern bzw. Clustern hat das Ruhrgebiet eine Vorreiterrolle in Deutschland eingenommen. Das betrifft auch die Verwendung der strukturpolitischen Fördermittel der EU. Die Ziel 2-Fördermaßnahmen sind bis heute noch die am besten ausgestatteten strukturpolitischen Programme. Im Zeitraum 2000 bis 2006 erhalten wir insgesamt 970 Mio. Euro aus Ziel 2-Mitteln für die regionale Strukturpolitik. Dazu kommen 777 Mio. Euro aus Ziel 3-Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Das Land legt jeweils noch einmal die selbe Summe drauf.

Mit den europäischen Strukturfonds haben wir seit ihrer grundlegenden Reform im Jahr 1988/1989 wichtige strukturpolitische Erfolge in Nordrhein-Westfalen erzielt: • Die Infrastruktur der Fördergebiete wurde modernisiert, • die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien unterstützt, • die Gründung und das Wachstum von Unternehmen beschleunigt, • die Qualifikation der Menschen wurde angepasst und erhöht und • ein Beitrag zur Integration von arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen, Migranten, Jugendliche, Frauen und Behinderte, wurde geleistet.

Die Rahmenbedingungen für die europäische Strukturpolitik haben sich mit dem Beitritt von 10 ost- und mitteleuropäischen Ländern im Mai allerdings gravierend verändert.

Das wird daran deutlich, dass das Pro- Kopf-Einkommen in den Beitrittsländern bei nur 35 Prozent des EU-Durchschnitts liegt.

Wir müssen den Vorrang dieser Länder in der europäischen Strukturpolitik akzeptieren.

Das heißt jedoch nicht, dass wir auf die europäische Unterstützung in der regionalen Strukturpolitik - das gilt insbesondere für das Ruhrgebiet - und in der aktiven Arbeitspolitik verzichten können. Das Pro-Kopf-Einkommen in der Emscher-Lippe-Region liegt z. B. nur knapp über der Einkommensgrenze für Ziel 1-Regionen.

Der Blick vom Turm "Der Blick vom Turm", so lautet die Überschrift des Schlusskapitels unserer Studie, in der wir die industriepolitischen Aktivitäten in den Stadtregionen Dortmund, Nürnberg und Chemnitz vergleichend untersucht haben. Was - natürlich neben dem Westfalenstadion - ins Auge sticht, sind die riesigen Brachflächen, einige davon um ein mehrfaches größer als die Dortmunder Innenstadt.

Denkmälern gleich, erheben sich auf manchen Brachen noch die gigantischen Überreste der einstigen Dortmunder Stahlindustrie.

Doch das eindrucksvolle Bild wandelt sich täglich. Auf einem Gelände demontieren chinesische Arbeiter die einstmals modernste Kokerei Europas, um die Einzelteile in der asiatischen Heimat wieder zusammen zu setzen. Eine der Flächen ist bereits kahl.

Der Blick auf die Innerstadt von Hörde, viele Jahre von der Kulisse eines Stahlwerks verstellt, ist wieder frei. Bald wird das Wasser eines Sees das einstige Stahlgelände überfluten.

Die Geschichte der Stahlproduktion ist hier zu Ende. Fährt man mit dem Bus von besagter Brache Richtung Innenstadt, gelangt man, am Universitätsgelände vorbei, zum neuen Technologiepark. Hier weht bereits der Geist einer neuen Zeit. Nicht Schlote und Hochöfen, sondern Glas und Steine der Funktionsgebäude ansässiger IT- und Mikrosystemtechnik- Firmen prägen das Bild. Binnen weniger Jahre wurde dieses Zentrum des "neuen Dortmund" aus dem Erdboden gestampft. Längst haben die ersten Firmen den Technologiepark wieder verlassen. Und Wir haben unsere Position zur zukünftigen Gestaltung der Strukturpolitik in Brüssel, Berlin und anderswo nachdrücklich und bei unterschiedlichen Anlässen mit gutem Erfolg vorgebracht. Viele unserer Vorschläge und Konzepte finden sich im dritten Koalitionsbericht und den Verordnungsentwürfen wieder. Für uns besonders wichtig ist das neue Ziel "Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung", das die Fortentwicklung der bisherigen Ziel 2- und Ziel 3-Förderung bedeutet. Die Kommission schlägt vor, auf dieses Kriterium 18 Prozent der Strukturpolitikmittel zu verteilen. Das begrüßen wir, denn damit ist ein hinreichend großes Mittelvolumen für dieses Förderung vorgezeichnet.

Das gilt auch dann, wenn die von der Bundesregierung geforderte Begrenzung der EU-Eigenmittel auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung zugrunde gelegt wird.

Hier unterstützen wir den Bund, denn die schwierige Lage der öffentlichen Haushalte kann nicht ignoriert werden.

Um unseren Positionen Nachdruck zu verleihen, haben wir zudem ein Netzwerk europäischer Industrieregionen initiiert. Die darin vertretenen Regionen repräsentieren mittlerweile 50 Millionen Menschen. Gemeinsam setzen wir uns dafür ein, dass die Strukturförderung auch außerhalb der bedürftigsten Regionen beibehalten wird.

Schlussbemerkungen Abschließend will ich noch einmal die Frage stellen, ob die Struktur- und Regionalpolitik in Nordrhein-Westfalen erfolgreich war. Neoliberale Vertreter in Politik und Wissenschaft werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der Staat sich aus der Struktur-, Technologie- und Industriepolitik zurückziehen müsse und sich stattdessen ausschließlich auf die Herstellung wirtschaftsfreundlicher Rahmenbedingungen konzentrieren solle.

Wenngleich es schwierig ist, die Wirkungen unserer Strukturprogramme und Initiativen quantitativ zu messen, gibt es nach meiner Auffassung doch viele Hinweise dafür, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten einiges erreicht haben. Das soll allerdings nicht heißen, dass wir damit zufrieden sein können, wie uns die hohe Arbeitslosigkeit in manchen Teilen des Ruhrgebiets immer noch deutlich vor Augen führt. Aber wenn man sich die Dimension des Wandels vor allem im Ruhrgebiet vor Augen hält - in den letzten 40 Jahren sind rund 1 Million Arbeitsplätze im Montansektor und den mit ihm verbundenen Branchen verloren gegangen dann kann man sicher mit Recht behaupten, dass die Strukturpolitik angesichts einer Erhöhung der Zahl der Beschäftigten insgesamt im Ruhrgebiet um rund 200.000 zumindest nicht erfolglos war. Hinzu kommt, dass der Prozess ohne soziale Brüche für die Betroffenen gestaltet wurde. Solidarität, das ist ein Merkmal, das gerade den Wandel im Ruhrgebiet zutreffend charakterisiert. Mittlerweile existiert hier eine Vielzahl von hoffnungsvollen Entwicklungsschwerpunkten, die wir mit einer integrierten Wirtschafts- und Arbeitspolitik nach besten Kräften weiter fördern wollen.