isw-Konjunkturbericht 02/2004
Zu den Ergebnissen des Arbeitskreises SteuerschätzungDiese Bundesregierung ist im wahrsten Sinne des Wortes bankrott: Gegenüber der letzten Steuerschätzung vor einem halben Jahr klafft bei den ...
... erwarteten Steuereinnahmen eine Lücke von fast 10 Milliarden (9,6 Mrd. Euro), davon 8,3 Milliarden allein beim Bund. Im Jahr 2005 sind es bereits 15,2 Milliarden Euro und bis zum Jahr 2007 addieren sich die Steuerausfälle gegenüber der Schätzung vom Mai 2003 auf 61 Milliarden Euro (davon 40,2 Mrd. beim Bund); dabei wurden bereits damals die Zahlen in der mittelfristigen Finanzplanung um zig-Milliarden nach unten korrigiert. Die Steuermindereinnahmen, weitere Fehlkalkulationen (Toll-Collect) und Mehrausgaben führen zu neuen Milliardenlöchern im Bundeshaushalt. Für 2004 ist mit einer Rekordverschuldung von weit über 40 Milliarden Euro beim Bundeshaushalt zu rechnen. Die Haushaltslöcher werden gestopft durch neue Schulden, Verscherbelung des letzten Tafelsilbers (Privatisierungen), Abbau von Steuervergünstigungen bei Arbeitnehmern und - spätestens nach den Landtagswahlen - durch zusätzlichen Sozialabbau. Finanzminister Eichel stellt sich hin und tut so, als hätte es die Miesen vom Himmel geregnet. Die schlechte Konjunktur sei schuld, so der Minister. Dabei hat die Bundesregierung mit ihren Sparpaketen und unsozialen Gegenreformen erheblich dazu beigetragen, dass die wirtschaftliche Stagnation bereits im vierten Jahr andauert. Tiefe Einschnitte bei Renten, Gesundheitsleistungen und Arbeitslosenunterstützung führten zu Kaufkraftausfällen von Dutzenden Milliarden, mit der Folge, dass der "private Konsum lahmt" (Wirtschaftsforschungs- institute), die Inlandsnachfrage nicht in Gang kommt (siehe isw-Konjunkturbericht 2/04).Wegbrechende Gewinnsteuern
Die schwache Konjunktur ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit in Bezug auf das Steuer- und Finanzdesaster. Auf die eigentliche Ursache stößt man, wenn man die Steuereinnahmen des Jahres 2000 mit denen der folgenden Jahre vergleicht. Sie liegen in jedem der Folgejahre und auch bei der Schätzung für 2004 zwischen 20 und 25 Milliarden niedriger als 2000. Untersucht man die einzelnen Steuerarten, dann stellt man fest, dass für den Steuerausfall in jedem Jahr fast ausschließlich das Wegbrechen der Gewinn- und Unternehmenssteuern verantwortlich ist. Die Mindereinnahmen bei den Gewinn- und Unternehmenssteuern addieren sich in den vier Jahren auf einen Gesamtsteuerausfall von über 100 Milliarden Euro (101,5 Mrd. Euro). Auch für diese Steuerlücke macht der Finanzminister die schwache Konjunktur verbunden mit einer verschlechterten Gewinnsituation verantwortlich. Und hier beginnen die dicken Lügen. Eichel spekuliert hier auf die Lücken im Gedächtnis seiner Mitbürger. Die Steuerexperten Lorenz Jarass/Gustav Obermair (Jarass ist Mitglied der vom Finanzministerium eingesetzten Kommission zur Unternehmensbesteuerung) stellen darob verwundert die Frage: "Warum gehen eigentlich seit 2000 in Deutschland die Ertragssteuern zurück, obwohl die Erträge insgesamt ("Volkseinkommen") nicht sinken, sondern nur weniger stark wachsen? Selbst bei einem realen Wachstum des Volkseinkommens von 0 Prozent müsste doch das Steueraufkommen (wie bei der Lohnsteuer) aufgrund des nominalen Zuwachses proportional wachsen, bei der Einkommensteuer aufgrund der Progression sogar überproportional." (Jarass/Obermair, Geheimnisse der Unternehmenssteuern, Marburg 2004, S. 44). Und was die Gewinne anbelangt, so sind sie trotz konjunktureller Flaute gestiegen, wie die Steuerprofessoren Jarass/Obermair an anderer Stelle nachweisen, und zwar sowohl die Unternehmensgewinne der Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) als auch die Gewinne der Personengesellschaften und Selbständigen; sie lagen in jedem Jahr nach 2000 deutlich über dem Niveau von 2000. Die Unternehmens- und Ertragssteuern hätten also deutlich steigen müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Grund liegt in der "Unternehmens-Steuerreform 2000", die eine beispiellose Steuerentlastung für Konzerne und Spitzenverdiener brachte und zu den aufgezeigten Steuerausfällen führte (im einzelnen siehe dazu isw-report 55 "Staat-Steuern-Daseinsvorsorge", S. 4ff; L. Jarass/G.Obermair, Sinkende Belastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen, in: HWWA-Wirtschaftsdienst, 3/04, S. 156ff). Der Steuerausfall bei Unternehmens- und Gewinnsteuern ist die Folge einer politischen Entscheidung, ist gewollt; vorgeblich sollten damit Konjunktur und Wachstum stimuliert werden. Rot-Grün hat damit auf die Spitze getrieben, was seit einem Vierteljahrhundert in Gang ist: Der schleichende Ausstieg von Konzernen und Spitzenverdienern aus der Finanzierung des Gemeinwesens. Wie das isw in seinem wirtschaftsinfo 36 "Bilanz 2003 - Ausblick 2004" (S. 26, S. 31) nachweist, betrug das Aufkommen der Gewinnsteuern am gesamten Steueraufkommen 1980 noch ein Viertel (24,9 %). Bis zum Jahr 2003 hat sich dieser Anteil mehr als halbiert: 11,6 %. Würden die Gewinn- und Ertragssteuern heute den gleichen Anteil am Steueraufkommen erbringen wie 1980, dann hätte das Steuermehreinnahmen von 62 Milliarden Euro pro Jahr zur Folge. Umgekehrt ist die Belastung durch Steuern auf Arbeit und Verbrauch drastisch gestiegen, von 62 % (1980) auf 80 % (2003). Die märchenhafte Entlastung bei den Gewinnsteuern feiert die Bundesregierung auch noch als politische Großtat. Bundeskanzler Schröder: "Wir haben unmittelbar nach Amtsübernahme eine Steuerreform gemacht, die sich sehen lassen kann. Sie brachte die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen eher ins untere Drittel des europäischen Geleitzuges." Der Kanzler untertrieb: Die Europäische Kommission legte Mitte vergangenen Jahres eine vergleichende Untersuchung der Belastung des "Produktionsfaktors Kapital" vor ("Struktur der Steuersysteme in der EU: 1995 - 2001). Hierbei wurden die Grund- und Vermögenssteuern in vollem Umfang den Gewinn- und Ertragssteuern zugerechnet. Die Daten machen Schluss mit der Mär von der hohen Besteuerung von Unternehmen und Kapital in Europa. Mit 22,6 % Gesamtbelastung ist Deutschland - mit Ausnahme des Sonderfalls Griechenland - das EU-Mitgliedsland mit der niedrigsten Steuerbelastung des Faktors Kapital unter den fünfzehn bisherigen Mitgliedsländern der EU. Es liegt gewaltig unter dem EU-Durchschnitt von 29,8 %.Konzerne zahlen keine Steuern mehr
Im folgenden soll die Steuerbelastung von Gewinneinkommen noch genauer untersucht werden. "Kapitalgesellschaften leisten in ihrer Gesamtheit überhaupt keinen Beitrag mehr zur Staatsfinanzierung", stellte im Jahr 2001 der Chefkommentator des unternehmerfreundlichen 'Handelsblatts' fest, als die Finanzämter erstmals in der Geschichte der BRD mehr an Körperschaftsteuer auszahlten als sie einnahmen. Inzwischen zahlen die Konzerne wieder ein paar Milliarden Euro an Körperschaftsteuer, doch selbst wenn sich die Prognose für 2004 realisiert, was hier bezweifelt wird, ist es nur halb soviel wie im Jahr 2000. Ab 2006 dürfte das Körperschaftsteueraufkommen erneut sinken, da ab diesem Jahr Aktiengesellschaften ihre Gewinnrück- lagen wiederum wie 2001 und 2002 steuermindernd auskehren dürfen. Auch die Schwindsucht bei der Gewerbesteuer geht zum größten Teil auf das Konto der Kapitalgesellschaften (AG, GmbH), was erheblich zur Finanznot der Städte und Gemeinden beitrug. In München zahlten die sieben Dax-Konzerne - Siemens, BMW, Allianz, HypoVereinsbank, MAN und Infineon - jahrelang keinen Cent Gewerbesteuer. Neuerdings hat sich VW in die Gang der Gewerbesteuerverweigerer eingereiht. Die VW-Stadt Wolfsburg muss sogar über 30 Millionen Euro Gewerbesteuervorauszahlung zurückerstatten. Es bestätigt sich, was das 'Handelsblatt' 2001 (28.8.01) feststellte: "Die Steuerlast, über die die deutsche Wirtschaft immer noch klagt, ist eher ein Phantomschmerz". Die gesamte Ertrags-Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften liegt bei etwa zehn Prozent und hat sich gegenüber 2000 glatt halbiert. Ein Teil des Steuerausfalls sei durch höhere Steuern auf die Dividenden wettgemacht worden, argumentierten Eichel & Co. vor zwei Jahren. Im Jahr 2001 ist wegen des Dividendenregens, der auf die Aktionäre niederging, tatsächlich das Aufkommen aus der Kapitalertragsteuer um 7,5 Milliarden Euro höher gewesen als 2000. Im Jahr 2003 lag es jedoch um ein Drittel niedriger, obwohl die Dividenden in der Summe um knapp drei Prozent über den Ausschüttungen von 2000 lagen. Die Steuerbelastung der Aktionäre lag damit erstmals unter zehn Prozent.Steuergeschenke an Spitzenverdiener
Jahrzehntelang war der Spitzensteuersatz konstant bei 53 Prozent geblieben. Rot-Grün senkte ihn in anderthalb Legislaturperioden viermal auf 42 Prozent zum 1. Januar 2005. Der Top-Manager der Nation und Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, muss ab 1. Januar 2004 für seine 11 Millionen Euro Vorstandsbezüge um 404.000 Euro weniger Steuern zahlen und wird ab 1. Januar 2005 um weitere 347.000 Euro "entlastet". Seine Gesamt-Steuersparnis gegenüber dem ursprünglichen Spitzensteuersatz (bis 1999) beträgt dann 1,2 Millionen Euro, da dieser bereits 2000 und 2001 gesenkt wurde. Dafür muss ein Durchschnittsverdiener 40 Jahre arbeiten. Die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent bedeutet pro Jahr einen Steuerausfall von rund 12 bis 14 Milliarden Euro gegenüber dem früheren Höchstsatz. Kein einziger Arbeitsplatz wurde dafür geschaffen, durch die staatlichen Mindereinnahmen aber viele vernichtet. Die Senkung schlägt sich nieder in den Mindereinnahmen der veranlagten Einkommensteuer, ist aber auch eine Ursache für den Ausfall beim Lohnsteueraufkommen, da Topmanager ja meist auf den Gehaltslisten der Konzerne stehen. Auch bei Personengesellschaften/Selbständigen ist die Steuerbelastung zurückgegangen, um etwa 30 Prozent, also weniger krass als bei den Kapitalgesellschaften. Sie liegt jedoch mit 13 Prozent deutlich unter der steuerlichen Belastung eines Durchschnittsverdieners, dessen 30.000 Euro Jahresgehalt mit ca. 21 % besteuert werden. Es bleibt festzuhalten: Der eigentliche steuer- und verteilungspolitische Skandal liegt in der niedrigen Besteuerung der Gewinne der Konzerne. Wobei hier nochmals zu differenzieren ist zwischen "normalen" Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) und den großen transnationalen Konzernen, die in der Regel ihre Gewinne so verschieben, dass ihr Steueraufkommen im Inland gegen Null geht. So schimpfte der Präsident des Bayerischen Städtetages, der CSU-Mann Josef Deimer: "Unser selbst für Spezialisten undurchschaubares Steuersystem eröffnet für die so genannten Global Players ungeahnte legale - ich betone ausdrücklich legale - Steuervermeidungsmöglichkeiten". Siemens z.B. zahlte im vergangenen Geschäftsjahr für den AG-Bereich (im wesentlichen Konzern-Inland) bei einem Gewinn von 1.062 Mio. Euro ganze 44 Millionen Euro (= 4,1 %) Ertragsteuern. Für das Jahr davor weist die AG-Bilanz aus: Gewinn vor Steuern: 680 Mio. Euro; Jahresüberschuss ( = Gewinn nach Steuern): 1.009 Mio. Euro. 329 Mio. Euro hatte Eichel draufgelegt.Konzernbesteuerung und Globalisierung
In der kapitalistischen Globalisierung liegt die Wurzel der Probleme: "Die großen Transformationen der letzten Jahrzehnte, die zunehmende Globalisierung von Produktion, Märkten und insbesondere Finanzierung wurden von der Steuerpolitik kaum berücksichtigt", schreiben Jarass/Obermair (Wirtschaftsdienst, a.a.O., S. 159). Hier ist allerdings Widerspruch anzumelden: Die neoliberalen Steuerpolitiker und Standortstrategen haben sie sehr wohl berücksichtigt und in ihrer Angebotsorientierung unter dem Schlachtruf "internationale Wettbewerbsfähigkeit" für Konzerne eine Steuererleichterung nach der anderen durchgesetzt. "Race to the bottom", "Wettlauf der Besessenen" nennt Paul Krugman diese Konkurrenz der Nationalstaaten um möglichst niedrige Steuersätze, um transnationales Kapital anzulocken. Die internationale Ausweichmöglichkeit der Konzerne dient dabei als Vorwand für immer neue Steuervergünstigungen. Denn eine effektive Besteuerung international tätiger Unternehmen ist durchaus möglich, wie Jarass/Obermair aufzeigen. Es dürften beim Unternehmen nicht nur wie derzeit Löhne und die Restgröße "zu versteuernder Gewinn" als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, "sondern die gesamte im Inland erwirtschaftete Wertschöpfung" (a.a.O., S. 160). Dies wäre auch ohne EU-weite Steuerharmonisierung von jedem Nationalstaat dadurch möglich, indem er die Wertschöpfung jeweils am Sitz der Betriebsstätte besteuert. Diese Wertschöpfung umfasst neben Löhnen und Gehältern, die weiterhin der Lohnsteuer unterliegen sollen, alle mit Eigen- oder Fremdkapital erwirtschafteten Erträge: Schuldzinsen abzüglich Zinserträge, Finanzierungsanteile von Miet- und Pachtzahlungen, Leasingraten, Lizenzgebühren plus der gesamte verbleibende Gewinn. Steuermindernde Gewinnverschiebungen zwischen einzelnen Konzernteilen oder zwischen Holding und Tochtergesellschaften wären damit weitgehend unterbunden. Eine solche Art Wertschöpfungssteuer fordert auch der Deutsche Städtetag in seinem Modell einer modernisierten Gewerbesteuer. Eine Kombination beider Modelle ist durchaus realisierbar. Der Steuersatz müsste so bemessen sein, dass ein Ertragsteueraufkommen bei den Kapitalgesellschaften erbracht würde, das mindestens in der Größenordnung der Körperschaft- plus anteiligen Gewerbesteuer vom Jahr 2000 liegt, also etwa 45 Milliarden Euro ausmacht. Zu ergänzen wäre eine solch neugefasste Unternehmensbesteuerung durch die Rücknahme der Senkungen des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung einer wirksamen Vermögensteuer. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnete, brächte eine Vermögensteuer bei einem Freibetrag von 500.000 Euro pro Familie und einem Steuersatz von einem Prozent 15,9 Milliarden Euro jährlich an Steueraufkommen. Schließlich müsste die Kapitalverkehrssteuer in Form der Tobin-Steuer wiedereingeführt werden. Entscheidend sind jedoch nicht möglichst ausgeklügelte Alternativvorschläge, sondern ob es gelingt, eine gesellschaftliche Gegenmacht zu formieren, die der herrschenden neoliberalen Diktatur wirksam entgegen tritt. Fred Schmid (isw e.V.)