Eine soziale Infrastruktur ist notwendig

in (24.06.2004)

Die Frankfurter Gruppe links-netz hat Überlegungen zu einer neuen Politik des Sozialen vorgestellt, die auf den Ausbau einer umfassenden sozialen Infrastruktur als Alternative

zum lohnarbeitsbezogenen Sozialstaat abzielen (www.links-netz.de).

Diese Diskussion ist nicht neu, sondern reicht bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. In Gang gesetzt wurde sie nicht zuletzt im Zusammenhang der Erwerbslosen- und Teilen der Frauenbewegung. Weder Zeitpunkt noch politisch-soziale Zusammenhang sind zufällig. Hintergrund ist die damals manifest gewordene Krise des Fordismus und der Beginn der neoliberalen Restrukturierungsoffensive, mit der das "goldene Zeitalter" des Fordismus zu Ende ging und der "Traum immerwährender Prosperität" ausgeträumt war.

Die Kritik am "Sozialstaatsabbau" greift nicht nur wegen der Übermacht neoliberaler Denkmuster so schlecht, sondern auch deshalb, weil das traditionelle Sozialsystem mit seinen disziplinierenden, kontrollierenden und ausgrenzenden Wirkungen nicht unbedingt verteidigenswert erscheint. Dazu kommt, dass die inzwischen durchgesetzten ökonomischen und sozialen Veränderungen die Grundlagen des herkömmlichen Sozialstaats - eben die fordistische Arbeitsgesellschaft - stark untergraben haben. Eine defensive Verteidigungshaltung steht daher von vornherein auf schwachen Füßen und ist kaum geeignet, die neoliberale ideologische Hegemonie in Frage zu stellen.

Wenig sinnvoll scheint es, dabei einem vordergründigen Realismus zu folgen, der die gerade bestehenden kapitalistischen Verhältnisse als unveränderlich erklärt und das Nachdenken über ganz andere Formen von Arbeit und Vergesellschaftung in den Bereich der Utopie verweist. Dies läuft auf die Alternative zwischen perspektivloser Reformhandwerkelei und abstrakter Revolutionsmetaphysik hinaus. Stattdessen sollte in Erinnerung gerufen werden, dass die kapitalistische Gesellschaft im Laufe der Geschichte höchst unterschiedliche Gestalten angenommen hat. In ihr wirken zwar ökonomische Gesetze und objektive Zwangsverhältnisse, die nicht einfach überspielt werden können, aber es hängt immer auch von sozialen Kräfteverhältnissen ab, wie und in welchem Grade diese zur Wirkung kommen.

Es kommt darauf an zu zeigen, dass die augenblicklich existierende gesellschaftliche Organisation in einem eklatanten Missverhältnis zu den vorhandenen gesellschaftlichen Potentialen steht. Dies erfordert eine andere und in diesem Sinne radikalere Form des Nachdenkens über Gesellschaft, über die in ihr liegenden Möglichkeiten und über denkbare Formen ihrer Realisierung. Dazu werden keine fertigen Blaupausen oder politische Strategieanweisungen gebraucht. Wirksame gesellschaftliche Alternativkonzepte werden nicht am Schreibtisch ersonnen, sondern entwickeln sich aus praktischen Auseinandersetzungen, in die die Erfahrungen und Bedürfnisse der Menschen eingehen. Dabei geht es nicht mehr allein um die Verbesserung der Bedingungen für die Lohnarbeit, sondern um neue Formen des gesellschaftlichen Arbeitens überhaupt. Eine Bewegung wird sich aber nur dann erfolgreich entwickeln, wenn es gelingt, die bestehende ideologische Hegemonie radikal in Frage zu stellen, d.h. sich der Logik des herrschenden "Einheitsdenkens" (Bourdieu) zu entziehen. Eine Verbindung von praktischen Initiativen und Kämpfen mit theoretischen Diskussionen ist dazu unerlässlich. Unsere These ist, dass die kapitalistische Arbeitsgesellschaft, wie sie sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Form des Fordismus entwickelt hatte, bereits sehr weitgehend ihre Grundlagen verloren hat. Der neoliberale, mit dem Begriff "Globalisierung" bezeichnete Angriff auf den fordistischen Klassenkompromiss hat eine ökonomisch-technische Entwicklung vorangetrieben, durch die die Arbeitsverhältnisse fundamental umgewälzt werden. Dabei zerbröselt das traditionelle und in langen sozialen Kämpfen durchgesetzte Normallohnarbeitsverhältnis, und die Möglichkeit einer dauerhaften Vollbeschäftigung erweist sich endgültig als Illusion. Deshalb ist es notwendig, den Begriff der gesellschaftlichen Arbeit neu zu definieren und völlig andere Formen des gesellschaftlichen Umgangs mit ihr ins Auge zu fassen.

Voraussetzungen des Konzepts

Erstens haben die Gesellschaften, zumindest in den kapitalistisch entwickelteren Teilen der Welt, ein Maß an Produktivität erreicht, das die zur Erzeugung der notwendigen Güter und Dienstleistungen erforderliche Arbeit erheblich vermindert hat. Ihr tatsächlicher und potenzieller Reichtum lässt es zu, auf den allgemeinen Arbeitszwang als Grundlage ihrer Reproduktion zu verzichten. Unter kapitalistischen Bedingungen äußert sich diese Entwicklung allerdings in der Form, dass sich Arbeitslosigkeit und marginalisierte Beschäftigungsverhältnisse immer weiter ausdehnen, während in den weltmarktintegrierten ökonomischen Kernsektoren tendenziell immer länger und intensiver gearbeitet werden muss. Die gesellschaftliche Arbeit ist also extrem ungleich verteilt. Dies führt dazu, dass mit wachsendem Reichtum der Gesellschaft zugleich die Armut zunimmt, noch dadurch verstärkt, dass der Anspruch auf sozialstaatliche Leistungen prinzipiell an das Normalarbeitsverhältnis gebunden bleibt. Deshalb vergrößern sich die materiellen Ungleichheiten, und ökonomisches Wachstum geht nicht mehr mit steigendem Massenwohlstand einher. Dass der Kapitalismus Armut durch Reichtum erzeugt, wird selbst in seinen Zentren immer deutlicher. Zugleich dient, um dem Kapital weitere profitable Anlagemöglichkeiten zu eröffnen, ein wachsendes Maß gesellschaftlicher Arbeit unnützen oder sogar schädlichen Zwecken.

Zweitens müssen wir realisieren, dass die gesellschaftliche Arbeitsteilung einen Grad von Komplexität erreicht hat, der es immer schwerer macht, das materielle Einkommen individuellen Arbeitsleistungen zuzurechnen. Die "Besserverdienenden" in den ökonomischen Kernsektoren können ihre "Leistung" nur erbringen, weil sie auf eine wachsende Menge von Produkten und Dienstleistungen zurück greifen können, die zum großen Teil schlecht oder gar nicht bezahlt werden, von der Hausarbeit über vielfältige persönliche Dienstleistungen bis hin zur Produktion von fast food. Praktisch werden die bestehenden und durch einen sachlichen Leistungsbegriff kaum zu rechtfertigenden Einkommensunterschiede durch ein komplexes System von Ausgrenzungen und Diskriminierungen aufrecht erhalten, gesteuert über das Bildungssystem, geschlechtliche und rassistische Diskriminierungen, die bestehenden sozialstaatlichen Mechanismen u.v.a.m. Auch die bestehenden Arbeitsteilungsverhältnisse verlangen daher zumindest eine relative Entkoppelung von Arbeit im Sinne des überkommenen Normallohnarbeitsverhältnisses und Einkommen.

Auf diese Voraussetzungen gründet sich das Konzept der sozialen Infrastruktur. In seinem Zentrum steht ein umfassender Ausbau öffentlicher Güter und Dienstleistungen, die allen Menschen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müssen. Dies reicht von Bildung und Ausbildung über Gesundheitsvorsorge bis hin zu Wohnen und Verkehr. Dass diese der Reproduktion der Arbeitskraft dienenden Vorkehrungen auch ein Teil der für das Kapital notwendigen Infrastruktur sind, sollte zur Kenntnis genommen werden. Es geht dabei um eine grundsätzliche "Dekommodifizierung" (d.h. Beseitigung der Warenförmigkeit von Gütern und Dienstleistungen), die in klarem Gegensatz zu der gegenwärtig auf einzelstaatlicher wie internationaler Ebene verstärkt durchgesetzten Privatisierungspolitik steht. Gleichzeitig wäre diese Infrastruktur so weit als möglich dezentral zu organisieren, so dass sie bedarfsnah und von den Beteiligten unmittelbar beeinfluss- und kontrollierbar gestaltet werden kann. Dies gilt nicht zuletzt für das Gesundheitswesen, wo nur auf diese Weise die Expertokratie des höchst ineffizienten sozial-medizinisch- industriellen Komplexes aufgebrochen werden kann. Die Menschen sollen nicht als abhängige Klienten des Sozialstaats und seiner Experten behandelt werden, sondern selber - z.B. im Rahmen von Verfügungsfonds - darüber entscheiden, welche Einrichtungen und Dienstleistungen sie brauchen. Dies zielt auf eine grundlegende Transformation der Institutionen und der herrschenden Form bürokratisch-etatistischer Vergesellschaftung. Das existierende System von Sozialhilfe und Sozialversicherung wäre durch eine allgemeine, für alle geltende und aus Steuern finanzierte Grundsicherung abzulösen, die sich nicht auf ein materielles Existenzminimum beschränkt, sondern ein würdiges Leben, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und umfassende gesellschaftliche Teilhabe garantiert. Darüber Hinausgehendes, z.B. höhere Altersrenten, wäre dann individuell und privat zu regeln. Die Grundsicherung hätte die Bedürfnisse abzudecken, die nur warenförmig, d.h. nicht über die ausgebaute soziale Infrastruktur befriedigt werden können. Insofern besteht zwischen "Infrastruktur" und "Grundsicherung" ein enger Zusammenhang.

Einwände

In vielen Diskussionen sind wir mit Einwänden konfrontiert worden, die wir ernst nehmen, die aber auch genauer überprüft werden müssen.

Einwand 1: Diese Überlegungen gehen zumindest teilweise in die gleiche Richtung wie der neoliberale Sozialstaats-"Umbau". In der Tat deutet sich bereits an, dass sich in der herrschenden Politik ähnliche Tendenzen durchsetzen werden. Dies gilt insbesondere für die Grundsicherung, die ursprünglich eine neoliberale Erfindung darstellt. Ein Grundeinkommen auf niedrigem Niveau, verbunden mit bürokratischen Kontrollen, erscheint einigen neoliberalen Strategen als ein geeignetes Mittel, die wachsende Zahl Prekarisierter und Marginalisierter ruhig zu stellen. Damit würden gesellschaftliche Spaltungsprozesse weiter vorangetrieben. Verbunden mit extensiven Bedürftigkeitsprüfungen und Kontrollen würde dies eine Verschärfung der Überwachungsund Disziplinierungswirkungen des Sozialstaats beinhalten. Nach unseren Überlegungen geht es aber um etwas völlig anderes. Im Zentrum steht die soziale Infrastruktur, die notwendige Güter und Dienstleistungen kostenlos für alle zur Verfügung stellt und die dezentral und demokratisch verwaltet werden muss. Nur im Kontext dieser materiellen Infrastruktur macht die Grundsicherung einen Sinn. Für sie sind drei Prinzipien maßgebend: Sie muss ausreichend hoch sein, also weit mehr abdecken als ein minimales materielles Existenzniveau; sie muss für alle zur Verfügung stehen und sie muss bedingungslos, d.h. ohne Nachweise und Kontrollen zur Verfügung gestellt werden. So etwas ist kaum neoliberal vereinnahmbar, bedeutet aber auch, dass man sich sehr genau mit den herrschenden "Umbau"-Strategien auseinandersetzen muss.

Einwand 2: Das Konzept ist nicht finanzierbar. Ein grundlegender Ausbau der öffentlich finanzierten sozialen Infrastruktur einschließlich eines ausreichenden Grundeinkommens wäre zweifellos mit erheblichen Kosten verbunden, was heißt, dass die Durchsetzung eines derartigen Konzepts nicht ohne erhebliche politischsoziale Kämpfe abgehen würde. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass auch der bestehende Sozialstaat immense Kosten verursacht, z.B. für ein ziemlich ineffizientes Gesundheitssystem und einen riesigen Komplex von verwaltenden und kontrollierenden Bürokratien, die zum großen Teil nicht mehr benötigt würden. Dazu kommt, dass nach unseren Vorstellungen die enormen Sozialversicherungsumlagen wegfallen würden. Notwendig wäre aber auf jeden Fall eine drastische Erhöhung der Steuern auf Einkommen und Vermögen, die in den letzten Jahren gegen jede ökonomische und soziale Vernunft immer weiter vermindert, wenn nicht überhaupt abgeschafft worden sind. Weiteres kommt hinzu, beispielsweise die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf nicht lebensnotwendige oder schädliche Produkte, Umschichtungen der öffentlichen Haushalte, etwa der Abbau von Subventionen, die nur dazu dienen, mit dem Argument der Arbeitsplatzerhaltung unwirtschaftliche Produktionen aufrecht zu erhalten oder oft zu Mitnahmeeffekten z.B. bei der Technologie- und Regionalförderung führen. Unser zentrales Argument ist, dass diese Gesellschaft reich genug ist, bei einer vernünftigen Gestaltung öffentlicher Einnahmen und Ausgaben eine solche Infrastruktur zu finanzieren. Allerdings bedeutet dies, dass - genau gegen den herrschenden Trend - erhebliche Umverteilungen erkämpft werden müssten, und zwar nicht nur vertikal zwischen "Kapital" und "Arbeit" "Reichen" und "Armen", sondern auch horizontal.

Einwand 3: Die Lohnarbeit wird abgeschafft bzw. niemand will mehr arbeiten. Es geht in der Tat darum, den Zwang zur Lohnarbeit zu vermindern. Abgeschafft werden soll sie allerdings nicht. Dies würde in der Tat das Ende des Kapitalismus bedeuten. So wünschenswert dies wäre, sind die Bedingungen dafür nicht gegeben und wir verfügen derzeit auch über kein überzeugendes Modell gesellschaftlicher Regulierung, das ohne Privateigentum und Marktwirtschaft auskommt. Deshalb bleibt Lohnarbeit - oder auch selbstständige Arbeit für den Markt - notwendig zur Befriedigung von Bedürfnissen, die über die Grundsicherung hinausgehen. Lockerung des Lohnarbeitszwangs heißt, dass die Menschen nicht mehr gezwungen sein sollen, jede Arbeit unter allen Bedingungen anzunehmen. Das ist ein Anspruch, der angesichts der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung realisierbar ist. Auch unangenehme und schwere Arbeiten werden getan werden, wenn sie ausreichend bezahlt werden. Die Annahme, dass die Menschen nicht mehr arbeiten werden, wenn sie nicht dazu gezwungen sind, bedeutet, dass ein historisch entstandenes Zwangsverhältnis zu einer anthropologischen Konstante erklärt wird. Dagegen lässt sich sagen, dass sich Menschen grundsätzlich durch Arbeit verwirklichen wollen, sei es durch Lohnarbeit, sofern sie befriedigend und sinnvoll ist, sei es durch andere Formen von Tätigkeit. Die Lockerung des Lohnarbeitszwangs könnte dazu führen, dass nicht auf die Herstellung von Waren gerichtete "Eigenarbeit" - Subsistenzproduktion im weitesten Sinne - wieder einen größeren Stellenwert erhält, was ein gutes Mittel gegen eine die Umwelt ruinierende Wegwerfgesellschaft wäre. Arbeitsverhältnisse zu schaffen, in denen die Menschen sich freier entfalten und ihre Qualifikationen entwickeln können, würde jedenfalls ein beachtliches gesellschaftliches Innovationspotential frei setzen. Das hätte sogar im kapitalistischen Sinne seine Rationalität.

Einwand 4: Das Konzept beschränkt sich auf die entwickelten kapitalistischen Metropolen und vertieft die globalen Ungleichheiten. Dieser Einwand ist ernst zu nehmen. Allerdings müssen wir davon ausgehen, dass die notwendige Veränderung der ökonomischen Weltordnung mit den sie kennzeichnenden Ungleichheits- und Abhängigkeitsverhältnissen auf jeden Fall tief greifende Umwälzungen der Produktions- und Lebensweise in den kapitalistischen Metropolen voraussetzt. Solange die Verhältnisse dort so bleiben, wie sie sind, insbesondere wenn die Kommodifizierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Warenförmigkeit der Bedürfnisbefriedigung immer weiter vorangetrieben werden, bleibt der Gedanke an eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung illusionär. Man kann andererseits davon ausgehen, dass eine Veränderung der ökonomisch-sozialen Verhältnisse in den Metropolen auf die Peripherie ausstrahlen wird, und zwar nicht nur als Beispiel, sondern weil dadurch sich auch die ökonomischen Beziehungen zwischen Zentren und Peripherien verändern würden. Nicht ganz stichhaltig ist auch der Einwand, die Standortkonkurrenz in einer globalisierten Wirtschaft würde einzelstaatliche Anstrengungen von vornherein zunichte machen. Einmal ist das Argument der Standortkonkurrenz zu einem wesentlichen Teil ein neoliberales Propagandaargument, und zum zweiten sind größere Wirtschaftsräume wie z.B. die Europäische Union durchaus in der Lage, eigene Wege zu gehen, wenn dies gewollt und politisch durchgesetzt wird. Eine Re-Regulierung der Weltwirtschaft steht angesichts ihrer immer deutlicher werdenden Krisenhaftigkeit ohnehin auf der Tagesordnung. Die Frage ist nur, in welchem Interesse sie geschieht. Dabei spielen die ökonomisch-sozialen Konstellationen und Kräfteverhältnisse in den Metropolen eine entscheidende Rolle. Eine andere Politik des Sozialen müsste eben in diese Richtung zielen.

Einwand 5: Ein solches Konzept ist unter kapitalistischen Bedingungen nicht realisierbar. Bei diesem Argument ist einige Vorsicht geboten. Sowohl theoretisch wie historisch lässt sich begründen, dass die kapitalistische Akkumulationsdynamik zwar grundlegende Gesetzmäßigkeiten beinhaltet. In welchem Ausmaß und in welcher Form sie wirken, hängt jedoch von einer Vielzahl von Faktoren ab, von kulturellen Normen und Wertvorstellungen sowie von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Solange die Gesellschaft nicht revolutionär umgewälzt wird, muss das Kapital weiter Profite machen können, wenn die ökonomische Reproduktion nicht zusammenbrechen soll. Dies kann aber unter gesellschaftlich kontrollierteren Bedingungen geschehen.

Was mit den Überlegungen zum Ausbau der sozialen Infrastruktur also angezielt wird, ist ein "radikaler Reformismus". Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass eine grundlegende Veränderung der Vergesellschaftungsverhältnisse, d.h. der Form der Arbeit und Arbeitsteilung, der Geschlechterverhältnisse, der Konsumweisen u.v.a.m. angestrebt wird. Dies ist nur als schrittweiser Prozess vorstellbar, weil es auch um die Veränderung von Wertvorstellungen und Verhaltensroutinen geht. Die Verwirklichung eines derartigen Konzepts würde deshalb scheitern, wenn versucht würde, es "von oben", über die Köpfe der Menschen hinweg durchzusetzen. Es bedarf also einer sozialen Bewegung, die nicht nur politische Kraft entfaltet, sondern alltagspraktisch wirksam wird. Es geht uns also nicht um Regierungsberatung, sondern darum, konkreter auszubuchstabieren, dass solche Veränderungen notwendig und möglich sind. Ob und wie sie Wirklichkeit werden, hängt davon ab, dass sich in der Gesellschaft selbst neue Denkhorizonte und neue Formen sozialer Praxis durchsetzen.