Der Sinn des Rauschens.

Martin Hohmanns volksnahe Rede und ihr verkannter Gehalt

Martin Hohmann hat anläßlich des Nationalfeiertages am 3. Oktober 2003 in Neuhof bei Fulda eine Rede gehalten, für die er heftig gescholten wurde. ...

... Man hatte ihn aber auch nicht richtig verstanden, was dem Redner das Gefühl gab, ins Unrecht gesetzt worden zu sein. Er sieht sich mittlerweile durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Fulda entlastet, was nicht nur die Polemik, sondern auch die öffentliche Verwirrung steigert. Die Fuldaer Staatsanwälte hatten auf ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung mit der Begründung verzichtet, Hohmann habe den Begriff "Tätervolk" im Konjunktiv benutzt. Die Jury der Aktion "Unwort des Jahres" wiederum quittierte diese Entscheidung mit der Bemerkung, die Staatsanwälte seien Hohmann "auf den Leim gegangen". Allerdings hatte Hohmann nicht nur die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Fulda begrüßt, sondern auch schon die der Jury, den fraglichen Terminus zum "Unwort des Jahres 2003" zu küren. Könnte es sein, daß auch die Jury auf Hohman hereingefallen ist? Die Dechiffrierung der Rede bereitet also offensichtlich Schwierigkeiten. Das macht sie aber auch interessant. Die Probleme mit ihr rühren nämlich einerseits daher, daß der Redner ein traditionelles politisches Vorverständnis der alten Bundesrepublik nicht nur als Interpretationsfolie nutzt, sondern geradezu in den öffentlichen Raum stellt. Das ist offensichtlich nicht erwünscht. Andererseits ist die Rede ein kleines, intrikates Beispiel rhetorischer Doppelbödigkeit, deren Aufschlüsselung zugegebenermaßen auch noch dadurch erschwert ist, daß ihr an manchen Stellen die logische Konsistenz fehlt. Man kommt ihr am besten bei, wenn man sie unter rhetorisch-persuasivem Aspekt beleuchtet. Als performative Gestalt offenbart sie nämlich jene Aussagen und Winkelzüge, die der Textkörper nicht zeigt, aber impliziert.

Adressaten

An wen ist die Rede gerichtet? Einmal wendet sich Hohmann an sein heimisches südosthessisches, vom Geiste Alfred Dreggers geprägtes Parteipublikum, andererseits an die Öffentlichkeit (die ja auch per Internet davon Kenntnis nahm). Hohmann versucht dabei, verschiedene Adressatenkreise in einem asymmetrischen Kommunikationsverhältnis zu halten, das er genauer besehen über eine esoterisch-exoterische Doppelkodierung stabilisiert. Die parteiintern-esoterische Kodierung dominiert freilich die exoterisch-allgemeine, denn das Exoterische sichert das im Vertrauen Gesagte vor falschem Zugriff. Dieser kryptologische Trick ist nichts Neues, sondern typisch für Geheimbotschaften, die den öffentlichen Raum nutzen müssen oder wollen. Wer den öffentlichen Raum nutzen will, sucht nach den im Geiste Vertrauten, die er noch nicht kennt. Nun läßt sich fragen, was Hohmann auf beiden Kommunikationskanälen, beim Hörer und Leser, bewirken möchte. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich schon, daß er nach außen beschwichtigen, desinteressieren und normalisieren will. Er sucht aber zweifellos auch nach Gesinnungsgenossen und deshalb den öffentlichen Raum, dem er sich allerdings heutzutage massenmedial auch nicht mehr entziehen kann. Klar ist damit ebenfalls, daß der Doppelkodierung nicht die Unterteilung in Hörer- und Leserschaft entspricht. Es gibt auch esoterische Leser. Was nun will Hohmann "seinen" Hörern und Lesern vermitteln, bei ihnen an Einstellungen hervorrufen oder ändern? Eigentlich gar nichts. Es sei denn, man versteht als mentale Bewirkung nicht nur die Veränderung von volitiven, emotiven oder normativen Einstellungen (gewissermaßen die Veränderung von Tatbeständen), sondern auch die Änderung des Verhältnisses, das man zu ihnen unterhält. In Frage steht in etwa das, was Harry Frankfurt "second order desires" genannt hat: Will ich jetzt wirklich das und das tun? Soll ich das wirklich wollen? Hohmann sagt: Ja, und bestreitet (sollte er sich da auskennen) den Vorwurf, der hier erhoben werden soll: den Regreß auf first oder desire. Was ist der rhetorische Sinn der ganzen Rede? Exoterisch verfolgt Hohmann eine Beschwichtigungsstrategie, esoterisch eine der Ermutigung - nicht ganz unähnlich der Doppelbedeutung von überreden und überzeugen, die "persuasiv" schon im lateinischen Wortgebrauch hat. Dabei muß er über die Außenverdrahtung natürlich eine Überzeugungsleistung kommunizieren, um den Verdacht der Doppelbödigkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen. Interessant ist, daß die argumentativen Parts der Rede nicht der Transparenz, der Aufklärung durch Beibringung von Gründen, sondern der Obskuranz dienen. Der öffentlich diskursive Auftritt hat den Charakter der Verschleierung. Die esoterischen Parts hingegen kommen mit Anspielungen aus. Hier genügen kleinste Andeutungen, wenn diese semiotisch einem tradierten Verweisungszusammenhang bedeuten, daß der immer noch Sinn macht. Was der Exoteriker als beiläufiges Rauschen ignoriert, sind kryptologisch überlegt gesetzte Marken, die dem Esoteriker - Hohmann wird ihn den "Kundigen und Denkenden" nennen - verständlich sind, weil sie punktgenau zu seiner Topographie passen. Wichtig ist das rhetorische Arrangement, der plot, das setting seiner Rede, der Verweisungszusammenhang von Ungesagtem und Gesagtem, Angedeutetem und Prononciertem, indirekter und direkter Rede, wichtig auch die Dramaturgie - Exposition und Finale -, ohne welche der Spannungsbogen des Stücks nicht wäre. Am Text der Rede kann man nun sehen, wie das szenische Kunststück über die Bühne geht.

Exposition

Der außenstehende (exoterische) Rezipient ist zunächst über den Beginn der Inszenierung erstaunt. Unter der plakativen Bühnendrapierung ("Gerechtigkeit für Deutschland") erscheint zunächst und unvermittelt, quasi als deus ex machina, der Kalif von Köln, unmittelbar gefolgt von Miami-Rolf und dem ebenfalls durch den Blätterwald geisternden 54jährigen Viagra-Applikanten beim Sozialamt. Hinzu gesellt sich der Prototyp des Managers, dem Erfolglosigkeit mit einem zweistelligen Millionenbetrag vergoldet wurde. Hohmann erklärt uns diesen Aufzug als Demonstration der allgegenwärtigen Krankheit "individuellen Anspruchsdenkens". In jäher Wendung betritt der Autor selbst die Bühne, und zwar in der Rolle des verantwortungsvollen Politikers. Zum Ausweis derartiger Exzellenz verweist er auf drei seiner von der Bundesregierung abschlägig beurteilten Vorschläge: a) die Zahlungen an die EU zu verringern; b) ehemaligen deutschen Zwangsarbeitern analog den "ausländischen und jüdischen" Recht zu verschaffen; und c) die Entschädigungszahlungen an "vor allem jüdische" Opfer des Nationalsozialismus zu reduzieren. Welchen Sinn macht diese Ouvertüre? Natürlich den, zum nächsten Bühnenbild überzugehen. Das nun ist keineswegs eine Formalie, wenn wir sehen, daß das nächste Bild eine "Schieflage" dramatisiert, die darin bestehe, daß die Bevorzugung von Deutschen im eigenen Staat als nicht mehr möglich "oder nicht mehr opportun erscheint". Wie verhält sich aber die Klage über die Herrschaft des Auslands über Deutschland zu der voraufgehenden über das individuelle Anspruchsdenken? Hohmann schweigt, weil er den letzteren Faden schon verloren hat; aber wir merken, daß er ihn mit dem Auftritt des Kalifen eingefädelt hatte - diese Figur ist eine der mit Bedacht gesetzten Marken. Am Anfang und am Ende der Ouvertüre steht, so zeigt sich, die Bedrohung durch das Ausland, durch Fremde: türkische Kalifen, Juden und die EU. Esoteriker haben das schon längst bemerkt. Sie dürfen auch vermuten, daß Hohmann für die Wiedereinführung der Todesstrafe ist, die dem Kalifen droht, wenn er, wie der Redner fordert, in die Türkei ausgewiesen wird. Szenenwechsel: Im Rampenlicht steht Adolf Hitler, nicht in persona, sondern als Symbol, und zwar als "Negativsymbol". Denn die "Schieflage" habe etwas mit deutscher Geschichte zu tun, vor allen Dingen mit zwölf Jahren NS-Vergangenheit. Hier kann der Exoteriker konstatieren, daß sich der Redner um political correctness redlich müht: Hohmann spricht von den "verheerenden und einzigartigen Untaten", die "auf Hitlers Geheiß" begangen worden sind. Hitler, der "Vollstrecker des Bösen", habe das "Verbrechen der industrialisierten Vernichtung von Menschen" veranlaßt. So gelte es auch, "das Unangenehme, Unglaubliche, das Beschämende an der Wahrheit" auszuhalten. Auch die zeitgenössischen "Adepten am rechtsextremen Rand" bringt Hohmann auf die Bühne, die "braunen Horden", den "Narrensaum", der seiner "abstoßenden Aggressivität wegen" nur begrenzte Anhängerschaft finde und deshalb politisch bedeutungslos sei. Auch sie werden scheinbar politisch korrekt plaziert. Man fragt sich bloß, warum Hohmann den "Dumpfbacken" ganze zwei Absätze seiner Rede widmet, wenn sie doch so bedeutungslos sind. Will er seinen verschreckten Hörern die Angst nehmen? Oder haben wir es hier mit einer exoterischen Beschwichtigungsgeste zu tun? Daß er sich hier nach außen wendet, zeigt der Rückgriff auf gemeinsam genutztes Vokabular, indem er nämlich mit dem Terminus "totalitär" die "braunen Horden" mit dem "blutigen RAF-Terrorismus" für alle verständlich rubriziert. Aber die Passage ist vertrackter, als sie scheint: Schließt sie doch damit, daß sie (die "Dumpfbacken") "unter den Symbolen des Guten sich sammeln". Welches Gute hat der Redner da im Sinn? Man darf vermuten, daß es etwas ist, das er mit ihnen, dem Narrensaum, teilt. Hat dann vielleicht auch die RAF ihr Gutes, die er doch im Banne des Totalitarismusbegriffs mit ihnen identifiziert? Teilt Hohmann auch mit der Roten Armee-Fraktion die Vorstellung von einem, das des Schätzens wert ist: Vielleicht die Wertschätzung für die Rote Armee? Das ist absurd, aber gut genug, um sich ins hermetisierte Gedankenreich Hohmanns und seiner Freunde Eintritt zu verschaffen. Wir erinnern uns nämlich, daß gerade von Soldaten die Rede war. Hohmann hatte einige Absätze zuvor, sicherlich noch in Erinnerungsweite der Zuhörer, vom schlechten deutschen Image gesprochen, insbesondere von "tausenden", "eher minderwertigen Filmen", die "vor allem im angelsächsischen Raum" dafür sorgen, das Klischee "vom dümmlichen, brutalen und verbrecherischen deutschen Soldaten wachzuhalten und zu erneuern". Man geht kaum fehl in der Annahme, daß es sich dabei um Wehrmachtssoldaten handelt, und darf vielleicht auch die Kameraden von der Waffen-SS mitbedenken. Der Esoteriker wiederum darf glauben, daß Herr Hohmann ein Freund der Wehrmachtsausstellung - wie auch die Dumpfbacken - nicht ist. Wie das? Verweist er nicht schon im folgenden Absatz auf die "Verursachung des Zweiten Weltkrieges durch das Hitlerregime"? Obwohl Hohmann diese Worte wählt, enttäuscht der Kontext der Passage diese Erwartung und legt nahe, daß Hohmann das Gegenteil denkt: Er beklagt zunächst, der Hinweis darauf, daß Deutsche im letzten Jahrhundert im großen Stile Opfer fremder Gewalt geworden seien, gelte schon als Tabubruch. Dies belege eindrucksvoll die Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen. "Da wird dann gleich", so fährt Hohmann fort, "die Gefahr des Aufrechnens beschworen. Auf die Verursachung des Zweiten Weltkrieges durch das Hitlerregime wird verwiesen." Nicht Hohmann verweist, es "wird verwiesen". Man sieht, der Redner spricht nicht selbst, sondern hält sich bedeckt, indem er - nota bene im Kontext einer Unmutsäußerung - zitiert. Hier haben wir einen prägnanten Fall von esoterisch-exoterischer Doppelkodierung. Der Trick, mit dem sie hier funktioniert, ist die klandestine Vertauschung direkter mit indirekter Rede.

Befunderhebung

Die vorausgehende Auslassung über das schlechte Soldaten-Image dechiffriert noch einen anderen Aspekt rhetorischen Gestaltungswillens. Ihr voran steht eine der politisch korrekten Sequenzen, die genutzt werden, um Unbedenklichkeit zu übertragen. Der Redner beginnt mit einem Spruch ins Gewissen: "Meine Damen und Herren, kein Kundiger und Denkender kann ernsthaft den Versuch unternehmen, deutsche Geschichte weißzuwaschen oder vergessen zu machen." Er schafft mit diesem Einstieg die Suggestion allgemeiner Teilhabe, allseitiger Bindung und Verbindlichkeit - natürlich "unter den Symbolen des Guten". Dem folgt ein diesen normativen Gehalt unterstreichendes "Nein" sowie die rhetorische Verstärkung durch sinngemäße Wiederholung in der ersten Person Plural: "Wir alle kennen die verheerenden und einzigartigen Untaten, die auf Hitlers Geheiß begangen wurden." Der nächste Satz beginnt wiederum exoterisch sauber, um dann aber unvermittelt die Richtung zu ändern: "Hitler, als Vollstrecker des Bösen, und mit ihm die Deutschen schlechthin, sind gleichsam zum Negativsymbol des letzten Jahrhunderts geworden." Rhetorisch ist das gar nicht so schlecht. Hohmann ist der Advokat des Wir, er spricht für "uns", "wir" durch ihn. Der wirklich interessante Punkt ist aber: Die Proklamation des Abstands zu Hitler wird mit der Anmahnung eines Wir-Gefühls plausibilisiert, das dann ungerechterweise jeden von "uns" "schlechthin" dem Vorwurf der Mittäterschaft aussetzt, d.h. ohne Ansehung der Person und biographischen Möglichkeit der Verstrickung in die Nazizeit. Hitler, als "Negativsymbol" inszeniert, ist das metaphorische Scharnier, das "uns" die Tür als Täter öffnet und als Opfer schließen läßt. (Ist jemals schon der Vorwurf erhoben worden, Hitler werde instrumentalisiert?) Allerdings läßt sich fragen, ob sich Hohmann nicht selbst dem Einspruch generalisierender Vereinnahmung aussetzt. Denn mit der unmittelbar daran sich anschließenden Verteidigung der deutschen Soldatenehre gilt ihm die Unschuldsvermutung für "die Deutschen schlechthin", also auch für jene Zeit, aus der die Schuldfrage erwuchs. Das ist eigenartig. In der Tat nutzt Hohmann nämlich dieselbe Verfahrensweise, die er anprangert: Alle "Deutschen" von den dreißiger Jahren bis heute sind moralisch gleichwertig zu behandeln. Worin ist diese methodische Inkonsistenz begründet, warum ist die Verallgemeinerung das eine Mal schlichtweg unzulässig, das andere Mal geboten? Die Antwort findet sich in der Doppelbödigkeit der Rede. Die Kritik an der These vom deutschen Tätervolk ist exoterisch, die These vom deutschen Opfervolk esoterisch. Dazu kommt, daß in der Kritik des Tätervorwurfs die moralische Verallgemeinerung ausdrücklich zum Thema, in der Opferthese aber nur unter der Hand in Anspruch genommen wird. Hohmann hat kein Problem mit der moralischen Gleichwertigkeit der "Deutschen schlechthin", sondern nur mit einer bestimmten Verwendung der Gleichwertigkeitsthese - die auch in der Außenwirkung Befremdung verspricht. Der Gebrauch von Argumenten verdunkelt. Wer außer Hitler ist schuld an den "verheerenden und einzigartigen Untaten", wer ist schuld daran, daß "wir" Opfer sind? Auf der Suche nach der Antwort müssen wir weiter schauen. Zuvor sollte jedoch in dieser Szene noch deutlich werden, woran "wir" - in der Schieflage befindlich - nun eigentlich leiden. Welcher Therapievorschlag wird erteilt? "Unsere Erbsünde lähmt das Land", läßt Hohmann Hans-Olaf Henkel sagen und gibt damit seinem eigenen Befund den Ausweis der Unbedenklichkeit - oder sollten Herrn Henkels Äußerungen etwa bedenklich stimmen? Die Paralyse erwachse also aus der Erbsünde. Die kann aber für Hohmann kein factum brutum sein. Und so begreift er sie denn auch als Verinnerlichung einer "negativen Vergangenheitsbezogenheit", woran dann, so läßt sich die Rede verstehen, die Volksseele Schaden nimmt. Zwecks Differentialdiagnose kommt Herr Gauck ins Spiel, gleichfalls ein Experte, der eine durch die Schuldfrage verursachte Neurotisierung vermutet. Der Wirkzusammenhang ist nun nahezu vollständig rekonstruiert: Das Ausland beherrscht Deutschland mittels mentaler Manipulation, die darin bestehe, die Gesellschaft, ihre politischen Entscheidungsträger und Denker durch Dramatisierung negativer Bezogenheit auf die (12jährige NS-)Vergangenheit zu neurotisieren. Hohmanns Argumentation ist allerdings nicht konsistent. Um an bereits Zitiertes anzuschließen: "Ja, das Unangenehme, das Unglaubliche, das Beschämende an der Wahrheit, das gilt es auszuhalten. Wir Deutschen haben es ausgehalten, wir halten es seit Jahrzehnten aus." Das ist als Zuspruch gedacht; "aushalten" heißt hier doch wohl, die Bürde zu tragen, statt unter ihr zusammenzubrechen. Wie paßt das zur obigen Diagnose? Kann Herr Hohmann davon sprechen, daß "wir Deutschen" "es" ausgehalten haben, da "wir" doch der Obsession eines kollektiven Waschzwangs erlegen sind? Hier paßt also einiges nicht recht zusammen.

Wahrheitsrhetorische Steigerung

Wenn es um die Diagnose nicht sonderlich gut bestellt ist, sollte man vom Therapievorschlag nicht allzuviel erwarten. Auch hier ist in der Tat einiges verwirrt. Die Rede ist von einem "Übermaß der Wahrheiten", das gebiete, die "dunklen Seiten" der Geschichte "in ein günstigeres Licht zu rücken". Hohmann spricht zwar im Indikativ (vor "beschämenden Ereignissen werden Sichtschutzblenden aufgestellt"), aber er fordert. Denn was das Ausland darf, dürfen "wir" nicht. Eine "gnädige Neubetrachtung oder Umdeutung wird den Deutschen nicht gestattet" - anders als z.B. den Franzosen. Die liefern mit der "Darstellung der Französischen Revolution" geradezu das "Paradebeispiel für Umdeutung". Die "Mehrheit französischer und außerfranzösischer Stimmen" beschreibe die "Revolution mit ihrem Terror" als "emanzipatorischen Akt und Napoleon als milden, aufgeklärten Vater des modernen Europa". Auch das ist verwunderlich. Meint Hohmann, erstens, daß mit den 12 Jahren der NS-Vergangenheit ähnlich zu verfahren sei wie mit der Französischen Revolution? Die Machtergreifung der Nazis als "emanzipatorischer Akt" und Hitler als "milder, aufgeklärter Vater des modernen Europa"? Oder ist ihm die Illumination der Französischen Revolution gar zu grell und eine Abschattung erforderlich, die sich aus der vorteilhafteren Beleuchtung der Nazizeit ergäbe, als Schatten nämlich, der von da aus auf die Jakobiner fiele? Der Redner bleibt hier zweideutig. Wir wollen ihm die moderatere These zugestehen, stoßen dann aber doch auf einen instruktiven Widerspruch: Wie steht es, so ließe sich nämlich weiter fragen, um die von Hohmann beharrlich eingeforderte Wahrheit. Soll die, die "nicht beschönigt" werden dürfe, dann doch "beschönigt" werden können? Wie geht das zusammen? Das Wort "Wahrheit" fällt fünfmal, viermal in einem Absatz, das letzte Mal einige Zeilen weiter. Zuerst ist Hohmann mit denen, an die er sich wendet, "für Klarheit und Wahrheit", um unmittelbar danach das "Hehle nimmer mit der Wahrheit, bringt sie Leid, nicht bringt sie Reue" "des Dichters" zu zitieren. Dem folgt ein insistierendes "Ja", denn es gelte die Wahrheit auszuhalten, auch "das Unangenehme, das Unglaubliche, das Beschämende" an ihr. Im Anschluß daran findet sich die Rede vom "Übermaß der Wahrheiten" (Plural), das Fragen aufwerfe, weil es - einige Zeilen später - "immer die gleiche schlimme Wahrheit" sei. In der Tat, Hohmann hat ein Recht darauf, verständlich gemacht zu werden. Hier findet die Doppelkodierung nicht einfach Anwendung, sondern wird selbst Thema: Es gibt eben zwei Arten von Wahrheit, eine abgemilderte, beschönigte, eine solche, welche die Dinge in ein günstigeres Licht stellt, und eine solche, die nicht weißwäscht, die nicht vergißt, sondern das Unangenehme, Unglaubliche, das Beschämende mitbedenkt. Letztere ist die Wahrheit der "Kundigen und Denkenden", die andere diejenige, in deren Köpfen die ganze Wahrheit verdirbt und mit ihr das, worüber sie die Wahrheit ist. Daß Hohmann in der Tat auf zwei Kanälen sendet, zeigt die bisherige Rekonstruktion; daß er dies bewußt tut, offenbart diese Stelle - und zwar wiederum durch dasjenige, was sie nicht sagt: Hohmann zitiert die ersten beiden Zeilen aus Theodor Storms "Für meine Söhne"; die daran anschließenden Zeilen der Strophe weiß er und stellt sie ungesagt in den Raum: "Doch, weil Wahrheit eine Perle, wirf sie auch nicht vor die Säue." Wir kommen zum letzten Szenenbild, der Kulmination der ganzen Aufführung. Wir sollten uns dessen vergewissern, was uns Hohmann an Stichworten an die Hand gegeben hat. Die Rede war von der Revolution, von der Macht des Auslands und von "uns", auch davon, daß es zwei Wahrheiten gibt. Zugleich ist das in unserem Themenkatalog bisher Unbearbeitete zu berücksichtigen: Nach der Diagnose und der Therapie steht noch die Anamnese aus. Wir steigen also mit Hohmann zurück in die neuere Geschichte.

Verdächtige

In einem hochdramatischen Auftritt begegnet uns "das jüdische Volk", neben dem "deutschen": Vor dem Hintergrund des Holocaust, dessen "Leid und Tod in unermeßlichem Maß nicht ungeschehen gemacht werden kann", ergeht nämlich die Frage, ob es nicht auch beim "jüdischen Volk" (also nicht nur bei "uns") eine "dunkle Seite in der jüngeren Geschichte" gebe. Hochdramatisch ist diese Inszenierung in der Tat, weil mit der Erwägung einer "dunklen Seite" die Schuldfrage (als Bühnenhintergrund) die davor befindlichen Juden in sich aufnimmt: Juden sind, so läßt uns der Redner vermuten, möglicherweise moralisch von der Art wie die, die sie vernichteten. Auch das "deutsche Volk" hat seinen schwarzen Fleck. Aber das "deutsche Volk" (denn es hat "um Vergebung gebeten") weiß darum, einschließlich des Redners - darüber hinaus um die Einzigartigkeit der Taten. Die "Einzigartigkeit" des Holocaust findet ja ihre Spiegelung in der "einzigartigen, schonungslosen Weise", mit der "das deutsche Volk" sich nach den Verbrechen der Hitlerzeit mit diesen beschäftigt habe. Was hingegen weiß "das Judentum" von seiner dunklen Seite? Was "es" wissen müßte, darüber sucht Hohmann in den folgenden Absätzen seiner Rede zu belehren - vornehmlich wohl die Exoteriker, die "wir" (Hohmann schließt sich ein) das "jüdische Volk" "ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen". Die folgende Passage seiner Rede ist bekannt, aber sie ist, wie die Rede im ganzen, nicht hinlänglich hinterfragt. Bekanntermaßen schildert Hohmann "die Juden" als kommunistische Revolutionsmacher des 20. Jahrhunderts. In der kommunistischen Bewegung hätten sie, statt nur Mitläufer gewesen zu sein, Leitungsfunktionen innegehabt, seien deshalb verantwortlich für den "kriegerischen Atheismus", den er, wen überrascht das, gerade im Bolschewismus am Werke sieht. Hohmann sucht seiner Schilderung des Greuels den Eindruck der Akribie zu verleihen, indem er aufzählt und berichtet, wo welcher jüdischstämmige Revolutionär aktiv war, was er sagte, beabsichtigte oder tat; er listet auf, nennt nicht nur Namen sondern auch Zahlen, obendrein solche, die den überproportionalen Anteil von Juden an der kommunistischen Bewegung belegen sollen. Alles, was ihm empirisch gesichert zu sein scheint, trägt er im Indikativ vor, die Schlußfolgerungen aber hält er im Konjunktiv. Das soll schlau sein, denn Hohmann möchte das Finale durch eine überraschende Wendung gestalten, die Hohmann den "erschreckenden" Vorwurf der Judenfeindschaft nimmt und "uns" das Leiden an der "negativen Vergangenheitsbezogenheit". Seine empirischen Erhebungen resümierend sagt er, man könnte mit einer "gewissen Berechtigung ... im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase" - gemeint ist Oktoberrevolution und Konsolidierung der sowjetischen Herrschaft - "nach der ‚Täterschaft‘ der Juden fragen, denn", und jetzt wieder im Indikativ: "Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv". Erneut in den Konjunktiv wechselnd wird die Schlußfolgerung wiederholt: "Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk‘ bezeichnen." Worin besteht aber die "gewisse Berechtigung", die Hohmann das "erschreckend" Klingende sagen läßt? Natürlich darin, daß der "gleichen Logik" gefolgt werde, mit "der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet". Hier vollzieht sich die als überraschend gedachte Wendung, eingeleitet mit einem Appell - wiederum an den Leser/Hörer und die Wahrheit ("Meine Damen und Herren, wir müssen genauer hinschauen"). Dem geschärften, vorurteilslosen Blick soll sich nämlich ein "verbindendes Element" von Bolschewismus und Nationalsozialismus offenbaren: "die religionsfeindliche Ausrichtung und die Gottlosigkeit". Fazit: "Daher sind weder ‚die Deutschen‘, noch ‚die Juden‘ ein Tätervolk", sondern "die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts". Wie präzise ist der Blick, den Hohmann freigibt? Sollte er hier, zum Ende seiner Rede, den esoterischen Redegehalt freigeben? Er enttäuscht und bleibt obskur. Obskur sind seine Bemerkungen über die "starke und nachhaltige" jüdische Prägung der revolutionären Bewegungen in Rußland und Mitteleuropa. Hohmann behauptet ausführlich die überproportionale Präsenz von Juden in kommunistischen Leitungsfunktionen. Er meint sicherlich auch, daß sie überproportional im kommunistischen Fußvolk vertreten waren, was er mit den Tschekisten-Passagen nahelegt. Meint er, daß Juden eine größere Affinität zu revolutionären Gedanken und Taten hatten als andere "Völker"? Darüber sagt er nichts. Obwohl diese Schlußfolgerung nicht selbstredend ist, scheint er sie im Bild des omnipräsenten jüdischen Tschekisten zu suggerieren. Man muß sich vor Augen halten, daß Hohmann zwar den Vorwurf, das "Volk der Juden" sei ein Tätervolk, zurücknimmt, in keiner Weise jedoch die Anklage, Juden seien in der revolutionären Bewegung außerordentlich einflußreich, besonders eifrig und brutal entschlossen gewesen. Wie geht beides zusammen? Obskur ist auch das Szenario, das zwei "Völker" gegenüberstellt: hier das "deutsche Volk", dort das "Volk der Juden". Hohmann weiß, aber hat nicht begriffen, daß Juden über so lange Zeiträume unter "Deutschen" gelebt haben, daß man sie schon "unvordenklich" nennen könnte. Gleiches mag für sein Verständnis der Beiträge von Juden zur deutschen Kultur gelten. Entscheidend ist aber: Er spricht in verdinglichenden Vorstellungen vom "Volk": Wo das eine ist, kann das andere nicht sein; jedes ist ja raumgreifend und verdrängend. Hohmanns an der politische Festkörpermechanik geschulter Blick auf die Juden hat mit den NS-Vorstellungen an dieser Stelle eines gemeinsam: In Deutschland ist kein Platz für das "Judentum". Denkt man beide Thesen zusammen - die "Zwei-Völker-These" und jene, die die jüdische Prägung der kommunistischen Bewegung behauptet - so sieht man: Die mitteleuropäischen und russischen Juden waren deshalb so revolutionär und gottlos, weil sie Volksfremde waren, die Sitten und Traditionen der Völker, unter denen sie lebten, nicht teilten. Sie waren Sand im Getriebe einer durch wechselseitigen Schutz und Gehorsam geschmierten Staatsmaschine, die folglich stockte. Obskur wird damit auch der Gleichheitsgehalt, den der Totalitarismusvorwurf impliziert. Mit dem hantiert er beschwichtigungsstrategisch nur nach außen. Die "Kundigen" wußten schon von vornherein um den geschichtlichen Kausalzusammenhang, in dem beide "Totalitarismen" stehen, und denken dabei natürlich an Ernst Nolte. Die Gottlosigkeit des Nationalsozialismus hat eine Vorgeschichte, denn sie ist bolschewistisch induziert. Die Gottlosigkeit des Bolschewismus und der mittel- und osteuropäischen revolutionären Bewegungen allgemein ist auch fremdinduziert, volksfremd nämlich, wie nun klar ist. Hohmann selbst verweist auf Marx und Lassalle als die jüdischen Erzväter des Bolschewismus: An der "Wiege des Kommunismus und Sozialismus [standen] jüdische Denker". Hohmanns Ausführungen bedienen ein, allerdings spezifisches, judenfeindliches Klischee: das vom kosmopolitischen Freigeist, der mit seinem unausrottbar individualistischen Vorbehalt Traditionen zersetzt und kritikasterhaft umtriebig Autoritäten zerstört - der Jude als Atheist, Ursozialist und Politganove. Er ist das Klischee des Intellektuellen, den er haßt. Obskur ist Hohmanns Distanzierung vom Nationalsozialismus. Seinen Abstand zu ihm sucht er durch die zweifellos hochproblematische These zu sichern, der sei atheistisch gewesen und deswegen, ebenfalls sehr gewagt, unweigerlich kriegerisch. Er unterstreicht damit dessen Nähe zum Kommunismus, verdunkelt aber den Punkt seiner eigenen Übereinstimmung mit ihm. Der wiederum ist für ihn durchaus von zentraler Bedeutung: gemeint ist die völkische Auffassung des Politischen. Das ist das gemeinsam geteilte "Gute", von dem Hohmann sprach.

Täter

Wir müssen zu der Stelle zurückkommen, die Hohmann später als den "Kernsatz" seiner Rede bezeichnen sollte. Denn er ist hier - und das ist interessant - nicht wirklich verstanden worden. Hohmann kann durchaus in seiner Behauptung ernstgenommen werden, daß weder die "Deutschen" noch die "Juden" ein Tätervolk seien. Er meint das tatsächlich, während die offizielle Kritik ihm vorgeworfen hat, insgeheim doch die Juden als Tätervolk zu verstehen. Der hier entscheidende Punkt ist nämlich, daß er die Juden in Ost- und Mitteleuropa, denen er verwerfliches Tun anlastet, gerade nicht als Volk betrachtet. Denn sie konnten, so seine Annahme, ihrer Diasporaexistenz wegen kein Volk sein. Um Hohmann hier exegetisch unter die Arme zu greifen: Erst im Staat formiert sich das Volk, das, um staatsfähig zu sein, über die kulturelle Mitgift von gemeinsam geteilter Konfession, Muttersprache und geschichtlicher Herkunft verfügen muß. Allein dann vermag der Staat die dem Menschen eigene Religiosität zu sichern - und er tut dies, indem er das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz im staatlich normativen Verhältnis von Schutz und Gehorsam innerweltlich reproduziert und auf Dauer stellt. Das bewahrt vor der Verweltlichung der Heilsversprechen, als die Hohmann revolutionäre Bewegungen offensichtlich versteht. Die europäischen Juden hatten, so glaubt er, daran keinen Anteil. Sie waren - als das das Ausland im Innern - gefährlich per se. Daß Hohmann so denkt, läßt sich an zwei Stellen seiner Rede zeigen: Nicht ohne Grund verweist er mehrfach auf die weltanschaulichen Hintergrundannahmen und konfessionellen Herkunftslinien der "jüdischen" Revolutionäre. Die erscheinen ihm nämlich als Beleg einer religiösen Disposition, die aufgrund der (wenn man so sagen darf) staatsneutralen und volksfremden Haltung der Diasporajuden Gefahr läuft, in einen innerweltlichen Messianismus umzuschlagen - welcher der bestehenden Ordnung ein Feind ist. Geschieht dies, wird die Wahrheit der Religion, um den Dichter zu zitieren, vor die Säue geworfen. Zweitens ist hier die Stelle bemerkenswert, an welcher er in der Frage der Wiedergutmachung "nach den Verbrechen der Hitlerzeit", und zwar "gegenüber den Juden", umstandslos, unvermittelt auf Israel verweist. Thematisch relevant ist dabei nicht seine explizite Klage über die Bürde ausländischer Verbindlichkeiten, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der er Israel wahrnimmt und die Diaspora, den Ort der Verbrechen, als Adresse ignoriert. Die Selbstverständlichkeit, die Hohmann zur Schau stellt, ist äußerst instruktiv. Mit ihr teilt der Redner eine westdeutsche Überzeugung, die durch Adenauer staatstragend und über Springers Medienmacht generationenübergreifend gemeinverbindlich geworden ist: Die Lehre aus dem Holocaust ist die Solidarität mit Israel. Für Hohmanns Rede ist diese kanonische Geschichtslehre insofern interessant, als sie sich auf die bündige Gleichung Judentum = Zionismus bringen läßt. Das muß nicht judenfeindlich gedeutet werden, ist aber judenfeindlich deutbar: Juden gehören nach Israel und nicht zu "uns" in die Diaspora, denn, so läßt sich mit Hohmann erklären, nur dort und nicht hier sind sie ein Volk. Auch an dieser Stelle, im Finale, arbeitet der Redner mit doppeltem Boden. Nach außen suggeriert er, das "Volk der Juden" allein vor dem Hintergrund einer rein fiktiven Straftat freizusprechen. Alles reine Inszenierung, mag man denken, und ist erleichtert. Denn einen Straftäter ohne strafbare Handlung gibt es so wenig wie einen Herrn Henkel ohne sozialpolitische Kompetenz. Schauen wir also genauer hin und bemerken, daß es für Hohmann die Tat wohl gab, damit auch Täter - allein das "Volk" trägt keine Schuld. Kurz gesagt: Hohmann spricht das "Volk der Juden" frei, die Juden der Diaspora aber sind ihm die Erzschurken "des letzten, blutigen Jahrhunderts"; mit seiner Rehabilitation ratifiziert er den bundesrepublikanischen Generalkonsens über die Nationalstaatsbedürftigkeit des Judentums, mit der Beschuldigung der Diaspora gibt er seinem Zionismus eine antijüdische Wendung. Hohmann zieht die Lehre aus dem Holocaust mit völkisch-nationalistischer Konsequenz. Warum ist der Redner mißverstanden worden? Hohmann wollte seine judenfeindlichen Ausfälle an den oben genannten Generalkonsens knüpfen. Das war klug gedacht, aber auch kühn, denn mit seiner Rede wurde der veröffentlichten Öffentlichkeit ein allzu merklicher Antisemitismus zugemutet. Darüber hinaus konnte Hohmann provokant demonstrieren, daß es problemlos möglich ist, antijüdische Ressentiments über den Adenauerkonsens zu vermitteln. Damit ist das Implizite explizit, die Vorannahme selber zum Problem geworden - allerdings nur ein Stück weit. Denn Hohmann ging es nicht um Aufklärung, sondern um Verdunkelung, nicht um die Hinterfragung von Vorannahmen, sondern um deren maßlose Inanspruchnahme. Die Veröffentlichkeit hat es deshalb vorgezogen, die "Subtilität" der Argumentation zu ignorieren und Hohmann zu verkennen. Hätte die Kritik seinen Freispruch des "jüdischen Volkes" registriert, so wäre der bundesrepublikanische Generalkonsens in Frage zu ziehen gewesen. Man hätte dann auch darüber sprechen müssen, in welchem Ausmaß das proisraelische Dogma von antijüdischen Motiven getragen wurde und immer noch getragen wird. Das aber ist offenkundig nicht opportun. Man hat Hohmann nicht richtig verstehen wollen und ihm ermöglicht, daraus politischen Profit zu ziehen. Opportun ist offensichtlich auch nicht die Kritik der nationalistischen Volksrhetorik, der zufolge ein Volk im Volk den Frieden stört und Volk nur Volk ist, wenn es Staatsvolk ist. Zu kritisieren wäre sie in der Tat: Beinhaltet sie doch - mit ihrer "wir"-Emphase des nationalistischen Kollektivsubjekts - raumpolitisch die Idee der Verdrängung, staatsrechtlich den Alarmismus des Ausnahmezustands und völkerrechtlich die Praxis ethnischer Diskriminierung. Sie begreift Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Das ist politisch hochaktuell, nicht zuletzt des Anachronismus wegen, sei er nun Hohmannscher oder zionistischer Prägung. Dr. Veit Friemert, Philosoph und Übersetzer, freier Verlagsmitarbeiter aus: Berliner Debatte INITIAL 15 (2004) 1 S. 99-106