Kurzum

aus SPW 114

Es war einmal ein Schäfer, der in einer einsamen Gegend seine Schafe hütete. Plötzlich tauchte ein nagelneuer Cherokee Jeep auf und hielt direkt neben ihm. Der Fahrer des Jeeps, ein junger Mann in "Brioni"-Anzug, "Cerutti"-Schuhen, "Ray Ban"-Sonnenbrille und einer "YSL"-Krawatte steigt aus und fragt ihn: "Wenn ich errate, wieviele Schafe sie haben, bekomme ich dann eins?

Der Schäfer schaut den jungen Mann an, dann seine grasenden Schafe und sagt ruhig: "In Ordnung."

Der junge Mann parkt den Jeep, verbindet sein Notebook mit dem Handy, geht im Internet auf eine NASA Seite, scannt die Gegend mit Hilfe seines GPS Satellitennavigationssystems, öffnet eine Datenbank und 60 Excel Tabellen mit einer Unmenge Formeln. Schließlich druckt er einen 150seitigen Bericht auf seinem Hi-Tech-Minidrucker, dreht sich zu dem Schäfer um und sagt: "Sie haben exakt 1586 Schafe." Der Schäfer sagt, "dass ist richtig, suchen sie sich ein Schaf aus."

Der junge Mann nimmt ein Tier und lädt es in den Jeep ein. Der Schäfer schaut ihm zu und sagt: "Wenn ich ihren Beruf errate, geben Sie mir das Schaf dann zurück?" Der junge Mann antwortet: "Klar, warum nicht." Der Schäfer sagt:"Sie sind Unternehmens-berater." "Das ist richtig, woher wissen sie das?" will der junge Mann wissen.

"Sehr einfach", sagt der Schäfer, "Erstens kommen sie hierher obwohl sie niemand gerufen hat. Zweitens wollen sie ein Schaf als Bezahlung haben dafür, dass Sie mir etwas sagen, was ich ohnehin schon weiß, und drittens haben sie keine Ahnung von dem, was ich mache, denn Sie haben sich meinen Hund ausgesucht."

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So oder so ähnlich stellen sich viele die Situation vor, wenn es in der Wirtschaftspresse im englischen Neu-deutsch heißt: "new economy meets old economy".

Tatsächlich sind diese beiden Begriffe in den letzten fünfzehn Monaten zu den schillernden Begriffen der Umbruchanalysen von Unternehmensberatern und Börsenanalysten geworden.

Mit zunehmender Dauer der Debatte über die Strukturen und Konsequenzen der "new economy" verliert der Inhalt dieser Debatte immer weiter an Konturen. Viele Kommentare, Analysen und wirtschaftspolitische Ratschläge reduzieren die new economy auf die Strukturen und Regeln des Neuen Marktes für kleinere Börsenneulinge, dies führt selbstverständlich zu verzerrten Ergebnissen und zu einer verkürzten Wahrnehmung der Veränderungen in der Welt. Ein Beispiel: In den letzten Wochen ist das Unternehmen "letsbuyit.com" an die Börse des Neuen Marktes in Frankfurt gegangen. Letsbuyit.com verhilft seinen Kunden zu Preisnachlässen beim Einkauf im Internet. Der Börsengang dieses Unternehmens wurde mehrfach verschoben, weil die Anleger wenig Interesse an der Aktie zeigten. Genügend Nachfrage kam erst auf, als sich das Unternehmen entschloss die Preisspanne 3 bis 4 Euro pro Aktie zu senken. Dadurch reduzierte sich der Emissionserlös von erwarteten 120 Mill. Euro auf lediglich 60 Mill. Euro. Letsbuyit.com braucht das Geld dringend. Allein vom November 1999 bis April 2000 hat das Unternehmen rund 50 Mill. Euro in Marketing investiert (z. B. die Fernsehwerbung mit den Ameisen). Dabei erzielte die Gesellschaft 1999 einen Umsatz von lediglich 2,2 Mill. Euro bei einem Verlust von 24 Mill. Euro. Trotz dieser wenig euphorischen Grunddaten kletterte der Kurs der Aktie in den ersten Tagen auf 6,5 Euro. Anleger die sich trauten, die letsbuyit-Aktie zu ordern strichen einen Kursgewinn von 43% ein. Zahlreiche Anleger nutzen die Gelegenheit um "Kasse zu machen" und verkauften die Aktie zum höheren Kurs bereits nach wenigen Tagen.

Kurzum: Wer die Geschichte von letsbuyit.com als typisch für die new economy verallgemeinert muß zu dem Schluß kommen, dass sie nichts anderes ist als Betteln auf hohem Niveau, dass die schnelle Mark wichtiger ist als solide Unternehmens-strukturen und dass das Medium Internet zur Beschleunigung der Spekulationsökonomie des Casino Kapitalismus beiträgt. Aber wer dies tut, handelt wie der Unternehmensberater in der kleinen Anfangsgeschichte, er verwechselt den Hund mit dem Schaf.

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Sicherlich ist das Internet die eigentliche Treibertechnologie für die Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen, aber die Änderungen erschöpfen sich nicht in der Entstehung neuer Internet-Firmen in denen neue Formen des Arbeitsverhältnisses, neue Arbeitszeiten und Mitbestimmungsstrukturen heranwachsen. Die Veränderungsdimension der new economy besteht darin, dass durch den Einsatz neuer Informationstechnologien die traditionellen Wirtschaftsstrukturen, wie Wertschöpfungsketten, Lieferketten etc. auseinanderbrechen und sich in neuer Form zusammensetzen. Experten nennen diesen Vorgang des Abbaus und der Neuformulierung von traditionellen Wirtschaftsstrukturen, Dekonstruktion.

Die Dekonstruktion bisheriger Wertketten beschert uns eine völlig neue Wirtschaftsstruktur. Das integrierte Unternehmen das alles aus einer Hand anbietet, verliert an Bedeutung. Die Konzentration auf das Kerngeschäft geht einher mit einer vertikalen Vernetzung der Unternehmen und neuen Freiheiten und Verantwortungen für die Beschäftigten.

Kurzum: Die new economy ist keine neue Branche, die alte Branchen ,wie Stahlerzeugung und Maschinenbau verdrängt. New economy ist die Summe aus der Entwicklung neuer Produktivkräfte und Bewegungsgesetzen der Kapitalakkumulation. Es entstehen also neue Produktionsverhältnisse in der europäischen Kapitalverwertung, deren Gesetzmäßigkeiten mit dem klassischen Begriffsapparat der marxistischen Akkumulationstheorie nur noch ungenügend erfasst werden. Jede linke Strategie der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik muß sich dieser fundamentalen Veränderung stellen oder sie ist überflüssig.