In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie kam es
bisher drei Mal zu signifikanten Linksabspaltungen. Am bekanntesten dürften die
größte - die der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) 1917
- und die jüngste - WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) -
sein. Weit weniger bekannt ist die vor 80 Jahren am 4. Oktober 1931 gegründete
Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), die es in kurzer Zeit auf 25 000 Mitglieder
brachte.
Ihre Wurzeln liegen im linken Flügel der Weimarer SPD. Um eine
Debatte unter den bisher zersplitterten Linken zu organisieren, begann eine
Gruppe um den Reichstagsabgeordneten Max Seydewitz 1927 mit der Herausgabe der
Zeitschrift »Klassenkampf«. Zu ihr stieß bald der unumstrittene theoretische
Kopf der SPD-Linken: der Reichstagsabgeordnete, ehemalige KPD-Vorsitzende und
Schüler Rosa Luxemburgs Paul Levi.
Im Zentrum der Kritik dieser
»Klassenkampf«-Gruppe stand die Regierungsbeteiligung der SPD in einer Großen
Koalition ab 1928. Sie sah in dieser einen Verrat an den sozialistischen Zielen
der Partei. So hatte die SPD den Wahlkampf 1928 unter der Parole »Kinderspeisung
statt Panzerkreuzer« geführt, um nach Regierungseintritt dem Bau jenes
Kriegsschiffes zuzustimmen.
Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929
radikalisierte sich die Kritik der linken Opposition. Vehement forderte sie
einen Austritt aus der Koalition und einen konsequenten Kampf gegen Sozial- und
Lohnabbau. Doch das Gegenteil geschah: Nachdem die Große Koalition scheiterte,
unterstütze die SPD die mit Hilfe von Notverordnungen am Parlament
vorbeiregierende autoritäre Rechtsregierung des Reichskanzlers Heinrich Brüning.
Dessen Antwort auf die Krise war ein verschärfter Sozialabbau, der die Notlage
der Proletarier weiter verschlechterte. Durch die Unterstützung dieser Politik
diskreditierte sich die SPD in den Augen vieler ihrer Anhänger. Immer mehr
Menschen wandten sich nun einer Kraft zu, die scheinbar radikale Antworten auf
die Krise zu bieten hatten: der NSDAP.
1931 schrieb Max Seydewitz, im
Angesicht der Krise dürfe sich die Sozialdemokratie nicht länger um die »Rettung
der gegenwärtigen Wirtschaft, um die Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft«
bemühen, sondern müsse die Massen mobilisieren »zum Kampf um den Sturz und die
Beseitigung dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung«. Dafür seien konkrete
Tagesforderungen »zur Milderung der Wirkung dieser Krise auf die Arbeiterklasse«
notwendig. Um diese durchzusetzen, bedürfe es »außerparlamentarischer Aktionen,
deren Notwendigkeiten den parlamentarischen Kampf diktieren müssen«. Weiter
schrieb Seydewitz: »Die Tagesforderungen, für die die Sozialdemokratie die
Massen auf dem Wege zum sozialistischen Endziel mobilisieren und revolutionieren
muss, müssen starken sozialistischen Einschlag haben, sie müssen den Massen als
Rettung aus der hoffnungslosen Situation erscheinen.«
Je radikaler die
Linke den Kurs des SPD-Parteivorstandes kritisierte, desto schärfer ging dieser
mit administrativen Maßnahmen gegen sie vor. Nachdem neun linke Abgeordnete im
Reichstag gegen die Bewilligung weiterer Gelder für den Bau von Panzerkreuzern
stimmten, begannen die Ausschlüsse der Linken. Da diese wohl zurecht davon
ausgingen, dass für ihre kritischen Stimmen in der stalinisierten KPD kein Raum
sein würde, nahmen sie die Gründung einer eigenen Partei, der SAP, in Angriff.
Diese wurde vor allem von jungen Sozialisten und linkssozialistischen
Intellektuellen wie Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Käthe Kollwitz, Albert
Einstein und Lion Feuchtwanger begeistert begrüßt. Eine Reihe
linkssozialistischer und oppositioneller kommunistischer Gruppen schloss sich
der neuen Partei an.
Ihre Hauptaufgabe erblickte die SAP darin, eine
Einheitsfront der verfeindeten Arbeiterorganisationen gegen die tödliche Gefahr
des Faschismus zu erreichen. Doch SPD und KPD weigerten sich. Und je stärker die
Nazis wurden, desto weniger waren Arbeiter bereit, mit ihren traditionellen
Organisationen zu brechen und eine neue Partei aufzubauen. Die SAP blieb zu
schwach, um die großen linken Parteien zu einer Kurskorrektur zu zwingen. Ihre
geringe Größe verdammte sie dazu, der Geschichte Weimars keine entscheidende
Wendung mehr geben zu können. So blieb die SAP dazu verurteilt, den Sieg des
Faschismus weitgehend ohnmächtig erleben zu müssen.
Sofort nach der
Machtergreifung durch die Nazis stellte sich die SAP auf illegale
Widerstandstätigkeit um. Gemessen an ihrer Größe war sie vermutlich die
Organisation, die den intensivsten Widerstand leistete. Noch im Januar 1934
hatte sie bis zu 14 000 illegal arbeitende Mitglieder. Mitte der 1930er wurden
die meisten ihrer Strukturen zerschlagen, aber noch 1937 dürfte die Partei etwa
1000 aktive Mitglieder in Deutschland gehabt haben. An einigen Orten arbeiteten
Organisationskerne der SAP bis Kriegsende weiter. Hunderte SAPler mussten ins
Exil gehen. Etliche schlossen sich im Spanienkrieg den Milizen der marxistischen
POUM an. Im Widerstand wie im Exil setzte sich die Partei weiter für eine
Einheitsfront ein.
Nach Kriegsende schlossen sich einige Mitglieder der
SED an, andere bildeten einen neuen linken Flügel in der SPD um die Zeitschrift
»Funken«. Einstige SAPler wie der spätere SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler
Willy Brandt oder der langjährige IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner spielten
nach 1945 eine wichtige Rolle im politischen Leben der Bundesrepublik. Max
Seydewitz hingegen, der antifaschistischen Widerstand im schwedischen Exil
leistete (während seine beiden Söhne in Stalins Straflagern in der Sowjetunion
interniert waren), geriet Anfang der 50er Jahre in der DDR in die Mühlen einer
Kampagne gegen ehemalige SAP-Mitglieder, musste »Selbstkritik« üben und wurde
als sächsischer Ministerpräsident (seit 1947) abgelöst.