No First Use: Irrweg, Ausweg – oder …?

In memoriam Otfried Nassauer (1956–2020)

 

„Stärke in Form von nuklearer Abschreckung
ist extrem gefährlich. Ein Atomkrieg könnte
durch Bosheit, Irrtum, Fehlkalkulation
oder Wahnsinn beginnen.“

David Krieger[1]

„Ich bin ein Fan (sic!) einer
flexiblen Ersteinsatz-Politik.“

Tod D. Wolters
NATO-Oberbefehlshaber Europa (SACEUR)
auf die Frage nach möglichem Verzicht
auf den Ersteinsatz von Atomwaffen[2]

„Wenn keine Atomwaffen zuerst eingesetzt werden,
werden sie überhaupt nicht eingesetzt.“

Theodor H. Draper[3]

Gegen eine Doktrin oder Politik des Nichtersteinsatzes von Atomwaffen (No First Use / NFU) argumentierten Kritiker seit Jahrzehnten, eine solche Selbstverpflichtung bleibe „im Grunde wirkungslos […], ein leeres, nicht durchsetzbares Versprechen, das über eine Absichtserklärung nicht hinausgehe“, wie Ramesh Thakur, ein früherer stellvertretender UN-Generalsekretär und langjähriger Experte auf diesem Feld, entsprechende Anwürfe kürzlich zusammengefasst hat.[4] Andere meinen, No First Use gehöre zu jenen schlechten Ideen, die „trotz ihrer intellektuellen Konsistenz dazu neigen, mehr Probleme zu schaffen, als sie vorgeben zu lösen“[5]. Und dritte schieben den Schwarzen Peter nach Fernost: „China und Nordkorea würden jede US-Initiative [in Richtung No First Use – W.S.] als trügerisch abtun, eingedenk ihrer eigenen zweifelhaften No First Use-Erklärungen.“[6]

Lohnt es also überhaupt, sich mit dieser Problematik eingehender zu befassen?
Wir werden sehen.

*

Ein deklaratorisches Bekenntnis, eine Selbstverpflichtung zum Nichtersteinsatz von Atomwaffen bedeutet, dass ein Staat, der über atomare Kampfmittel verfügt, auf deren Ersteinsatz in einem militärischen Konflikt verzichtet und deren Rolle darauf beschränkt, ihre Anwendung durch einen Gegner abzuschrecken oder, falls dies nicht gelingt, nuklear zu kontern.[7] Ziel ist, einen Atomkrieg wegen dessen unkalkulierbarer Folgen (Stichwort: nuklearer Winter[8]) zu verhindern, und zugleich das Risiko eines unbeabsichtigten atomaren Austausches möglichst zu verringern sowie einen Einsatz von Kernwaffen für einen Erstschlag ebenso wie für einen Präventivschlag oder zum Zwecke nuklearer Erpressung[9] auszuschließen. Auch der Einsatz von Atomwaffen gegen Nichtnuklearstaaten stände damit prinzipiell unter Verdikt.

Eine vergleichbare Stoßrichtung verfolgt ein Ansatz, der in den USA seit längerem unter der Bezeichnung Sole Purpose in der Diskussion ist.[10] So hatte Joe Biden während seines Wahlkampfes bekräftigt: „Wie ich 2017 sagte, glaube ich, dass der einzige Zweck [sole purpose – W.S.] des US-Atomwaffenarsenals die Abschreckung – und, falls nötig, die Vergeltung – eines nuklearen Angriffs sein sollte. Als Präsident werde ich daran arbeiten, diese Überzeugung in die Praxis umzusetzen, in Absprache mit dem US-Militär und den US-Verbündeten.“[11]

Hintergründe

Vom späten Helmuth Schmidt ist die Bemerkung überliefert: „Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Angst vor Atomwaffen inzwischen auf null gesunken ist.“[12] Das sagte er im Jahre 2010. Seither sind die Atomwaffen und die von ihnen ausgehende existenzielle Bedrohung für die Existenz der Menschheit eher noch weiter aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Völlig unvorstellbar sind heute massenhafte Aktivitäten gegen Atomrüstung, wie sie die internationale Friedensbewegung in westlichen Ländern Anfang der 1980er Jahre organisierte – auf ihrem Höhepunkt mit Hunderttausenden von Teilnehmern wie etwa im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 und am 22. Oktober 1983.

Das heutige vorherrschende gesellschaftliche Desinteresse an Atomwaffen ist jedoch höchst fahrlässig:

Erstens – Solange Atomwaffen existieren, bleibt die Möglichkeit ihres Einsatzes grundsätzlich bestehen. Dabei hat sich der zentrale Aspekt im Hinblick auf einen atomaren Ersteinsatz, seit er 1982 von vier früheren hohen US-Verantwortungsträgern (darunter Ex-Verteidigungsminister Robert McNamara) in einem umfassenden Plädoyer für eine US-Politik des nuklearen No First Use formuliert wurde, nicht verändert, dass es nämlich „niemandem jemals gelungen ist, einen überzeugenden Grund für die Annahme vorzubringen, dass ein Einsatz von Atomwaffen, selbst im kleinsten Maßstab, zuverlässig begrenzt bleiben könnte. Jede seriöse Analyse und jede militärische Übung hat seit über 25 Jahren gezeigt, dass selbst der zurückhaltendste Einsatz auf dem Schlachtfeld enorme Zerstörungen für ziviles Leben und Eigentum mit sich bringen würde. Es gibt keine Möglichkeit für irgendjemanden, darauf zu vertrauen, dass eine solche nukleare Aktion nicht zu einem weiteren und noch verheerenderen Schlagabtausch führen wird. Jeder Einsatz von Atomwaffen […] birgt ein hohes und unausweichliches Risiko der Eskalation in einen allgemeinen Atomkrieg, der für alle den Ruin und für keinen den Sieg bringen würde. Die einzige klar definierbare Brandschneise gegen die weltweite Katastrophe eines allgemeinen Atomkrieges ist diejenige, die zwischen allen anderen Arten von Konflikten und jeglichem Einsatz von Atomwaffen steht. Diese Brandschneise breit und stark zu halten, liegt im ureigensten Interesse der gesamten Menschheit.“[13]

Zweitens – Seit Atomwaffen existieren, sind mindestens für die USA immer wieder Bestrebungen dokumentiert, durch militärstrategische Konstrukte (Stichworte zum Beispiel: counterforce, decapitation) und waffentechnische Entwicklungen Kernwaffen als Mittel der operativen und strategischen Kriegführung handhabbar, also tatsächlich einsetzbar, und Sieg im Kernwaffenkrieg möglich zu machen.[14] Ganze Denkschulen hingen der Vorstellung an, dass selbst das Konzept der atomaren Abschreckung, das von seinen westlichen Verfechtern bis heute als defensives Instrument der Friedenssicherung „verkauft“ wird, „die Fähigkeit erfordert, einen Nuklearkrieg tatsächlich zu führen und in ihm zu siegen“[15]. Auch heute noch sind gelegentlich besonders tumbe Äußerungen anzutreffen – wie vor einigen Jahren jene von Donald Trump: „Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?“[16] Und immer noch werden in den USA von einschlägigen Experten Bücher geschrieben zu Themen wie „On Limited Nuclear War In The 21st Century“[17] („Über begrenzten Nuklearkrieg im 21. Jahrhundert“).

Drittens – Die weltweiten Bestände an Atomwaffen erreichten ihr Maximum im Jahre 1986 – mit circa 73.000 Sprengköpfen, zu über 99 Prozent in den Arsenalen der USA und der UdSSR. Seither sind diese Volumina, wiederum ganz überwiegend durch Moskau und Washington, schrittweise reduziert worden – auf derzeit etwa 13.100 (Stand: Anfang 2021).[18] Zugleich besagt eine aktuelle Information des SIPRI (Stockholm International Peace Research Institut) für das Jahr 2020: „Trotz dieses Gesamtrückgangs stieg die geschätzte Zahl der derzeit bei den Einsatzkräften stationierten Atomwaffen von 3720 im Vorjahr auf 3825. Etwa 2000 davon – fast alle gehören Russland oder den USA – wurden in hoher Alarmbereitschaft gehalten.“[19]

Diese Quantitäten repräsentieren immer noch eine mehrfache Overkill-Kapazität, das heißt, sie würden ausreichen, die Existenzgrundlagen der menschlichen Zivilisation nicht nur einmal zu vernichten. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge könnte allein der Einsatz von um die 100 Atomwaffen gegen Großstädte in einem Krieg zwischen Indien und Pakistan das Phänomen des sogenannten nuklearen Winters auslösen und die natürlichen Lebensgrundlagen der menschlichen Zivilisation existenzbedrohend schädigen.[20]

Viertens – Vor über 50 Jahren, 1970, trat der zwei Jahre zuvor vereinbarte Atomwaffensperrvertrag (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons / NPT) im Kraft. Als Mitglieder dieses Vertrages sind die fünf alten, das heißt die ursprünglichen Atomwaffenmächte USA, Sowjetunion/Russland, Frankreich, Großbritannien und China seither nach Artikel VI verpflichtet, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“[21]. Das war, wie man heute sagen würde, der Deal – „die Gegenleistung der Kernwaffenstaaten für die Nichtverbreitung von Atomwaffen durch die Nichtkernwaffenstaaten“[22]. Oder anders ausgedrückt: „Artikel VI war das Mittel, mit dem das Spielfeld zur Erreichung einer atomwaffenfreien Welt geebnet werden sollte.“[23]

Zum Vertrag wird alle fünf Jahre eine internationale Überprüfungskonferenz anberaumt.[24]

Bei der fünften Überprüfungskonferenz im Mai 1995 beschlossen die Teilnehmer, die Laufzeit des Vertrages von ursprünglich 25 Jahren auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Obwohl man bereits damals berechtigten Zweifel daran haben konnte, dass die ursprünglichen Atommächte wirklich bereit waren, Artikel VI vollständig in die Tat umzusetzen, gelang die Entgrenzung der Vertragslaufzeit – offenbar eine Art Spätfolge der Beendigung des Kalten Krieges in einer Zeit, in der die erneute Zuspitzung internationaler Spannungen und Konflikte sowie die Rückkehr zu konfrontativen Verhaltensmustern zwischen dem Westen und Russland (und zunehmend China), wie sie im Kalten Krieg bestimmend waren, noch nicht am Horizont wetterleuchteten.

Eine Bereitschaft der Mehrheit der nichtnuklearen NPT-Mitglieder zu einer solchen Vertragsverlängerung wäre heute unvorstellbar, denn seither haben die (mittlerweile neun) Atommächte unmissverständlich erkennen lassen, dass sie trotz aller Gegensätzlichkeit und zum Teil Feindschaft zwischen ihnen eine tragende Gemeinsamkeit aufweisen – nämlich den entschiedenen Willen, an ihrem Atommachtstatus auf unabsehbare Zeit festzuhalten:

  • Nach über 50-jähriger Laufzeit des NPT ist im Hinblick auf die Verpflichtungen der alten Atommächte aus Artikel VI das Fazit unabweisbar, dass dieser Artikel „von den Kernwaffenstaaten nie ernsthaft und nachhaltig verfolgt wurde“[25]. Darin kein bloßes Versagen der alten Atommächte zu sehen, sondern eine zielgerichtete Strategie, um ihnen ihren weltpolitisch exklusiven Status zu erhalten und zugleich weiteren atomaren Konkurrenten den Zugang zum Club zu versperren, dürfte den Nagel ziemlich auf den Kopf treffen.
  • Einen weiteren gravierenden Schlag gegen Geist und Buchstaben des NPT sowie gegen die Festlegungen der Nuclear Suppliers Group (NSG)[26] stellt der Sachverhalt dar, dass die USA trotz der illegalen Atomrüstung Indiens eine zivile atomare Zusammenarbeit mit New Delhi entwickelt und schließlich ab 2008 unter aktiver Beteiligung der anderen alten Atommächte dafür gesorgt haben, das Indien vom Status eines nuklearen Parias in den Rang einer praktisch international anerkannten Atommacht gelangte – mit allen Rechten bis hin zu dem des Erwerbs von Kernbrennstoff für seine zivilen KKW auf dem internationalen Markt.[27] Seither kann Neu Delhi seine nationalen Uranvorkommen praktisch ausschließlich für militärische Zwecke nutzen. An den entsprechenden Weichenstellungen im Rahmen der NSG war auch Deutschland aktiv beteiligt.[28]
  • Bei allen Atommächten laufen mehr oder weniger offen[29] umfangreiche Programme zur Modernisierung von Atomwaffen und Trägersystemen (vor allem land-, luft- und seegestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper sowie Langstreckenbomber)[30] und zum Teil zur Aufstockung der Bestände[31] – mit Lebensdauerperioden, die bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts reichen.
  • Besonders deutlich wurde die destruktive Haltung der alten Atommächte zum Ziel einer von Kernwaffen freien Welt in jüngerer Zeit nicht zuletzt durch ihr konzertiertes Bestreben, den im Rahmen der UNO abgeschlossenen und am 22. Januar 2021 in Kraft getretenen internationalen Atomwaffenverbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons / TPNW[32]) bereits während der Vertragsverhandlungen zu torpedieren und anschließend Ratifizierungen durch Beitrittsstaaten zu blockieren.[33] In seltener Einmütigkeit gaben sie dazu eine gemeinsame Erklärung ab: „Wir werden diesen Vertrag nicht unterstützen, unterzeichnen oder ratifizieren. Der TPNW wird für unsere Länder nicht bindend sein […]. Wir rufen alle Staaten, die erwägen, die TPNW zu unterstützen, auf, ernsthaft über ihre Auswirkungen auf den internationalen Frieden und die Sicherheit nachzudenken.“[34]

Fünftens – Nichtnuklearen Mitgliedsstaaten erlegt der Atomwaffensperrvertrag in Artikel II die Verpflichtung auf, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“[35]. Permanent dagegen verstoßen seit ihrem Beitritt zum NPT die NATO-Staaten Belgien, Deutschland[36], Italien und die Niederlande, deren Streitkräfte im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe Trägersysteme für den Einsatz amerikanischer Atombomben bereitstellen, die auf den jeweiligen nationalen Territorien gelagert sind.[37]

Sechstens – Betrachtet man den aktuellen militärdoktrinären Sachstand zu einem möglichen Ersteinsatz von Atomwaffen (First Use) im Kriegsfall, so ergibt sich folgendes Bild:

  • Die offizielle Position der USA wurde 2018 erneut folgendermaßen formuliert: „Um die Abschreckung und die Sicherheit der Verbündeten und Partner zu wahren, haben die Vereinigten Staaten nie eine ‚No-First-Use‘-Politik verfolgt […]. Es bleibt die Politik der Vereinigten Staaten, eine gewisse Zweideutigkeit hinsichtlich der genauen Umstände beizubehalten, die zu einer nuklearen Antwort der USA führen könnten. Darüber hinaus halten die Vereinigten Staaten einen Teil ihrer Nuklearstreitkräfte Tag und Nacht in Alarmbereitschaft und sich die Option offen, diese Streitkräfte umgehend einzusetzen.“[38] Zwar hat Washington erstmals 1978 zumindest eine sogenannte negative Sicherheitsgarantie deklariert und seither mehrfach erneuert, zuletzt durch die Trump-Administration.[39] Zugleich jedoch wurde in den letzten Jahren das Spektrum der Szenarien, in denen es zum Ersteinsatz von US-Atomwaffen kommen könnte, um zwei Varianten erweitert – unter Obama: als Antwort auf einen Angriff mit biologischen Waffen[40], unter Trump: zur Vergeltung von Cyberattacken[41].
  • Frankreich, so die US-Experten Hans M. Kristensen und Matt Korda, „verfolgt […] keine No First Use-Politik und behält sich das Recht vor, einen begrenzten Nuklearschlag als ‚letzte Warnung‘ durchzuführen, um einem Gegner zu signalisieren, dass er eine Grenze überschritten hat – oder um die französische Entschlossenheit zu signalisieren, weitere Nuklearschläge durchzuführen, falls nötig […].“[42]
  • Großbritannien hat erst jüngst erneut offiziell erklärt, dass „wir bewusst unklar bleiben, wann, wie und in welchem Umfang wir den Einsatz von Atomwaffen in Erwägung ziehen würden“[43].
  • Die skizzierten Positionen der NATO-Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien spiegeln sich auch in der kollektiven Stellung des Bündnisses zum atomaren Ersteinsatz wider, zu der Research Fellows der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) jüngst konstatierten: „Die NATO behält sich das Recht vor, Nuklearwaffen in allen operativen Bereichen einzusetzen, ‚sollte die grundlegende Sicherheit eines NATO-Verbündeten bedroht sein‘.“[44] Eine korrekte Wiedergabe der offiziellen Position des Paktes.[45]
  • Russland verzichtet ebenfalls nicht auf die Option des Ersteinsatzes von Atomwaffen, beschränkt diese allerdings auf zwei extreme Fälle, die in der geltenden russischen Militärdoktrin vom Juni 2020 benannt sind: „Die Russische Föderation behält sich das Recht vor, Kernwaffen als Reaktion auf den Einsatz von […] anderen Arten von Massenvernichtungswaffen [chemische und/oder biologische – W.S.] gegen sie und/oder ihre Verbündeten sowie im Falle einer Aggression gegen die Russische Föderation unter Einsatz konventioneller Waffen[46] einzusetzen, wenn die Existenz des Staates selbst gefährdet ist.“[47]
  • Für Pakistan erklärte der damalige Verteidigungsminister Khawaja M. Asif im Jahre 2016 im Hinblick auf die taktischen Kernwaffen des Landes: „[…] wenn es eine Bedrohung für unsere Sicherheit gibt oder wenn jemand unseren Boden betritt und wenn jemandes Pläne eine Bedrohung für unsere Sicherheit sind, werden wir nicht zögern, diese Waffen für unsere Verteidigung einzusetzen“.[48]
  • Israel hat sich zwar nach wie vor nicht offiziell zu seinem Atommachtstatus bekannt, doch unter Experten ist dieser Status unstrittig.[49] Darüber hinaus verfügt Israel wahrscheinlich bereits seit 1966 über interne Festlegungen für den Einsatz, inklusive Ersteinsatz, von Atomwaffen.[50]
  • Die offizielle Position Nordkoreas zeugt von einer ganz eigenen Dialektik. Führer Kim Jong Un gelang es in einer Erklärung am 10. Oktober 2020, sowohl einen No First Use seines Landes zu verkünden, als auch einen präventiven Ersteinsatz des nordkoreanischen Atomwaffenpotentials im Falle einer äußeren Bedrohung auszusprechen: „„Unsere Kriegsabschreckung […] wird niemals [Hervorhebung – W.S.] missbraucht oder als Mittel für einen Präventivschlag [Hervorhebung – W.S.] eingesetzt werden. Aber, wenn und falls irgendwelche Kräfte die Sicherheit unseres Staates verletzen und versuchen, militärische Gewalt gegen uns anzuwenden, werde ich alle unsere stärksten Offensivkräfte im Voraus [Hervorhebung – W.S.] einsetzen, um sie zu bestrafen.“[51]
  • Indien, das sich 1998 zu einer Politik des nuklearen Nicht-Ersteinsatzes bekannt, hat diese Linie jedoch bereits seit 2003[52] wiederholt relativiert. So twitterte – im Kontext der Konfrontation mit Pakistan – Indiens derzeitiger Verteidigungsminister Rajnath Singh im August 2019: „Indien hat sich streng an diese Doktrin gehalten. Was in Zukunft passiert, hängt von den Umständen ab.“[53]
  • Lediglich China hat sich offiziell die Selbstverpflichtung auferlegt, Atomwaffen ausschließlich zur Vergeltung atomarer Angriffe einzusetzen. Bereits beim ersten Auftritt eines Vertreters der VR China vor der UNO-Vollversammlung im Jahre 1972 gab dieser die Erklärung ab, „dass China zu keinem Zeitpunkt und unter keinen Umständen als erstes Land Atomwaffen einsetzen wird“[54]. US-Experten bestätigen die Beibehaltung dieser Linie bis heute.[55] China hat diese deklaratorische Politik materiell dadurch untersetzt, dass es in Friedenszeiten praktisch keine permanent, also aus dem Stand einsetzbaren Kernwaffensysteme unterhält, sondern vielmehr Trägersysteme und Gefechtsköpfe räumlich getrennt unterhält.[56]

Das Risiko, dass es in einer kriegerischen Auseinandersetzung unter Beteiligung von Atommächten zu einem nuklearen Ersteinsatz kommen könnte, hat sich in den Jahrzehnten seit dem Ende des Kalten Krieges nicht zuletzt durch militärtechnische Entwicklungen erhöht. Dazu zählt etwa die Entwicklung taktischer Atomwaffen zum Gefechtsfeldeinsatz durch Pakistan, mit denen Indien gegebenenfalls daran gehindert werden soll, seine erhebliche konventionelle Überlegenheit auszuspielen. Und in jüngster Zeit hat auf amerikanischer Seite die Trump-Administration einen kleinkalibrigen taktischen Atomsprengkopf für den Gefechtsfeldeinsatz auf U-Boot-gestützten Interkontinentalraketen[57] eingeführt, der mit einer Sprengkraft von lediglich fünf Kilotonnen und demzufolge mit entsprechend „geringen“ Kollateralschäden nach Auffassung von Experten die nukleare Hemm- und Einsatzschwelle spürbar senken[58] könnte.

Zugleich ist an der Spitze des US-Militärs ein Denken manifest, für das nuklearer Ersteinsatz und Atomkrieg praktisch „gesetzt“ sind, wie das am Anfang dieses Beitrages zitierte Statement von US-Vier-Sterne-General Wolters[59] ebenso zum Ausdruck bringt wie das folgende des Kommandeurs des Strategischen Kommandos der US-Streitkräfte, Admiral Charles Richard: „Es besteht die reale Möglichkeit, dass eine regionale Krise mit Russland oder China schnell zu einem Konflikt mit Atomwaffen eskalieren könnte […]. Folglich muss das US-Militär seine grundsätzliche Annahme von ‚der Einsatz von Nuklearwaffen ist nicht möglich‘ zu ‚der Einsatz von Nuklearwaffen ist eine sehr reale Möglichkeit‘ ändern und handeln, um dieser Realität zu begegnen […].“[60] Das ist – etwa mit Blick auf die Spannungen zwischen Washington und Peking im Südchinesischen Meer, wo manche bereits „das höchste Risiko eines Atomkrieges seit der Kubakrise 1962“[61] sehen – alles andere als beruhigend.

Eine zusätzliche Verstärkung der Instabilität in einer zunehmend konfrontativeren und damit bereits per se unsichereren internationalen Lage und insbesondere in den Wechselbeziehungen der Atommächte droht nicht zuletzt auch;

  • durch die Entwicklung von Hyperschallträgersystemen für Nuklearsprengköpfe ab, die zu einer extremen Verkürzung der Vorwarnzeit führen werden und auf die Russland in starkem Maße setzt[62], um neue US-Raketenabwehrsysteme zu konterkarieren[63], sowie
  • durch die Umsetzung des Conventional Prompt Global Strike-Konzepts der USA, wodurch einerseits die Unterscheidbarkeit von konventionellen und atomaren Waffen für die Fernaufklärung des Gegners aufgehoben wird und zum anderen der Druck zum Einsatz von Kernwaffen bereits im Frühstadium eines militärischen Konflikts deutlich ansteigt.[64]

KONTRAs und PROs

Als der vorgebliche Welt-ohne-Atomwaffen-Visionär Obama sich 2016[65] der No First Use-Problematik nach 2010[66] ein zweites Mal annahm, wurde dieser Vorstoß nicht nur von Gegnern innerhalb der Administration selbst zu Fall gebracht, zu denen laut The Wallstreet Journal der damalige Außenminister John Kerry ebenso zählte wie Pentagon-Chef Ash Carter[67], sondern ebenfalls durch negative Stellungnahmen von Verbündeten der USA wie Großbritannien, Frankreich, Japan, Südkorea und – Deutschland[68].

Befürworter von Atomwaffen als Nonplusultra staatlicher Macht und Sicherheitspolitik bringen dabei gegen eine mögliche US-Politik des nuklearen Nichtersteinsatzes neben dem eingangs bereits erwähnten Glaubwürdigkeitsdefizit, auf das noch einzugehen sein wird, gern weiteres schweres Geschütz in Stellung: „[…] der beunruhigendste Aspekt einer No First Use-Verpflichtung der USA“ wäre, so Andrew O’Neil und Stephan Frühling, „dass sie ernsthafte Fragen zur Glaubwürdigkeit der US-Bündnisse aufwerfen würde“[69] Denn wenn die Biden-Administration eine NFU-Verpflichtung annähme, liefe dies darauf hinaus, „dass die Sicherheitsgarantien der USA die stärksten Waffen der USA nicht einschließen, es sei denn, Verbündete würden zuerst mit Atomwaffen angegriffen“[70]. Damit wird gegenüber Washington die Forderung erhoben, die atomare Ersteinsatzoption vornehmlich im Interesse von US-Verbündeten in jedem Falle aufrechtzuerhalten. Und zwar gegenüber Atommächten wie Russland und China, die bei einem wie auch immer gearteten Ersteinsatz durch die USA in der Lage wären, gegen diese adäquat oder auf einer höheren Eskalationsstufe zurückzuschlagen. Mit nicht kalkulierbaren Vernichtungsrisiken für die USA selbst. Für den früheren Chef des britischen Verteidigungsstabes, Feldmarschall Lord Carver, war solch ein Ansatz bereits vor Jahrzehnten „entweder ein Bluff oder ein Selbstmordpakt“[71]. Wie man darin noch heute eine glaubwürdige Sicherheitsgarantie sehen kann, bleibt das Geheimnis ihrer Parteigänger.

Die haben aber mindestens noch einen weiteren Trumpf gegen No First Use im Ärmel: „Wenn in der Vergangenheit Zweifel an den US-Verpflichtungen [zum atomaren Ersteinsatz – W.S.] aufkamen, haben Taiwan, Japan, Südkorea und sogar Australien mit dem Gedanken an eigene Atomwaffenprogramme gespielt. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie dies nicht wieder tun würden.“[72] Nun, die Gedanken sind natürlich frei, doch ob solchen wie den soeben erwähnten in einer Welt Schritte zur Realisierung folgen würden, in der die Ächtung von Atomwaffen inzwischen von 122[73] der 193 Mitgliedsstaaten der UNO in Gestalt des Atomwaffenverbotsvertrages zu einem quasi globalen Grundsatz erhoben worden ist, steht auf einem ganz anderen Blatt – zumal wenn zwischenzeitlich auch das NFU-Prinzip international verankert würde. (Dazu am Ende dieses Beitrages mehr.)

Fundamentalkritik an No First Use- oder Sole Purpose-Konzepten und -Vorschlägen kommt allerdings ebenso von erklärten Atomwaffengegnern und Befürwortern nuklearer Abrüstung: „Wenn Atomwaffen schon immer unmoralisch waren und seit der Annahme (Juli 2017) und dem Inkrafttreten (Januar 2021) des Vertrags zum Verbot von Atomwaffen […] auch illegal sind, dann stelle die Forderung nach dem Verzicht auf den Ersteinsatz einen Rückschritt dar. Denn damit werde gleich in drei entscheidenden Punkten gegen den Atomwaffenverbotsvertrag verstoßen: Man akzeptiere den fortgesetzten Besitz von Atomwaffen ebenso wie die Legitimität der nuklearen Abschreckung und den Einsatz solcher Waffen zur Vergeltung gegen einen Atomschlag.“[74]

Dieser Argumentation soll formal gar nicht widersprochen werden, pragmatisch und vor allem vom Standpunkt der übergeordneten Zielstellung her, die Menschheit vom Damoklesschwert der atomaren Bedrohung zu befreien, aber sehr wohl: „Wenn man echten Fortschritt will, sollte man niemals das Beste [Global Zero, die weltweite Abschaffung aller Atomwaffen – W.S.] zum Feind des Guten machen“[75], denn für das No First Use-Prinzip lässt sich einiges an Argumenten geltend machen:

  • Wenn kein Land Atomwaffen (vorsätzlich) zuerst einsetzt, dann gäbe es überhaupt keinen (vorsätzlichen) Einsatz dieser Waffen. Die globale Atomkriegsgefahr wäre im Vergleich zur derzeitigen Lage drastisch reduziert.[76]
  • Jede NFU-Selbstverpflichtung würde „die normative Kraft des Tabus stärken“[77] und die Illegitimität eines jeden Ersteinsatzes unterstreichen.
  • Gegenseitige bilaterale NFU-Regimes zwischen rivalisierenden Atommächten (USA – Russland, USA – China, Indien – Pakistan, USA – Nordkorea) würde die gegenseitige Vorhersehbarkeit stärken, die Gefahr von Fehlwahrnehmungen und -einschätzungen in Krisensituationen minimieren und damit das Risiko eines Nuklearkrieges zwischen diesen Staaten reduzieren.
  • Ein vertraglich vereinbartes internationales No First Use-Regime – beginnend im besten Falle mit den beiden Supermächten und mit sukzessiver Einbindung weiterer Kernwaffenstaaten – würde Spielräume eröffnen, die ständige Einsatzbereitschaft von strategischen Atomwaffensystemen zu beenden, nukleare Zielplanungen zu revidieren, Warnstufen abzusenken und die Dynamik des atomaren Wettrüstens in Gestalt von sich gegenseitig befeuernden Modernisierungsspiralen zu durchbrechen. Experten halten in diesem Kontext eine Reduzierung der globalen Kernwaffenbestände „auf etwa 2000, statt der mehr als 13.000, die heute existieren“[78], für möglich.
  • NFU-Selbstverpflichtungen von Atommächten würden die Anreize für Staaten „die keine Atomwaffen besitzen, verringern, sich diese zu beschaffen“[79].
  • Mittel- und längerfristig würde ein internationales NFU-Regime zur weiteren Delegitimierung der Atomwaffen beitragen und damit die Zielstellung des Atomwaffenverbotsvertrages unterstützen.

Bloße No First Use- oder Sole Purpose-Erklärungen, die – etwa im Falle USA – Russland – den derzeitigen Kernwaffenbeständen, deren Strukturen und Dislozierung samt aktuellen Einsatzplanungen nur „vorgeschaltet“ würden und somit allein aufgrund der unveränderten materiellen Praxis jederzeit revidierbar blieben, würden vermutlich keine dieser Wirkungen entfalten können. Doch es gibt Mittel und Wege, diesem bereits erwähnten Glaubwürdigkeitsdefizit beizukommen – durch entsprechende „Anpassungen in Doktrin, Stationierung und strategischer Planung“[80]. Mutual Detargeting (gegenseitige Aufhebung der Zielzuweisung) strategischer Trägersysteme zum Beispiel, wie von Washington und Moskau 1994 bereits einmal vereinbart[81] und umgesetzt[82] (Großbritannien schloss sich seinerzeit an[83]), wäre ein solcher Schritt. Ein anderer, besonders wirkungsvoller wäre die Reduzierung und letztliche Beseitigung der Einsetzbarkeit von Atomwaffen „aus dem Stand“ – etwa durch die, wie von China praktiziert, physische Trennung von Trägersystemen und Gefechtsköpfen in Friedenszeiten. Darüber hinaus wäre ein gegenseitiger Austausch permanenter Beobachter in den jeweiligen Kernwaffeneinsatzzentralen denkbar …

Eine Idee

Um auf die in der Überschrift dieses Beitrages gestellte Frage – No First Use: Irrweg, Ausweg – oder …? – zurückzukommen:

  • No First Use-Selbstverpflichtungen von Atommächten oder gar eine entsprechende internationale Übereinkunft zwischen solchen als Irrweg abzuqualifizieren, wird Gläubigen der atomaren Abschreckung, die nach wie vor dem Slogan „lieber tot als rot“ (heute natürlich in zeitgemäßer Adaption) anhängen, auch künftig nicht zu verwehren sein. Doch der Irrweg liegt in deren sicherheitspolitischer Philosophie und Praxis.[84]
  • Den Ausweg aus den Gegebenheiten der bestehenden Bedrohung der menschlichen Zivilisation durch die Gefahr eines Atomkrieges brächten No First Use (und Sole Purpose) allein jedoch ebenfalls nicht, wenn nicht die materielle Struktur dieser Bedrohung anschließend verändert würde.
  • Doch den Einstieg in erweiterte Zugänge zur letztlichen Beseitigung dieser Bedrohung erleichtern, wenn nicht gar eröffnen könnten solche Selbstverpflichtungen von Atommächten mit einiger Sicherheit schon.

Im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt muss allerdings zugleich im Auge behalten werden, dass es kurze, direkte Wege zu einem internationalen NFU-Regime nicht gibt, so lange, um nur einige Kernaspekte zu nennen:

  • Russland seine taktischen Kernwaffen als Rückversicherung gegen die konventionelle Bündnisüberlegenheit der NATO betrachtet;
  • Pakistan mit seinem taktischen Atomarsenal dem konventionellen Übergewicht Indiens Paroli bieten will;
  • Nordkorea in seinen Raketenkernwaffen den Garanten gegen einen Regime Change mittels militärischer Gewaltanwendung seitens der USA sieht und
  • Israel die Existenz seiner Nuklearwaffen nicht bestätigt, sie jedoch als Mittel letzter Wahl zur Gewährleistung seiner staatlichen Existenz (aktuell vor allem gegenüber Iran) bereithält.

Wer sich also dem Ziel eines internationalen No First Use-Regime verschriebe, hätte sich in einem sehr heterogenen und komplexen sicherheitspolitischen Umfeld zu bewegen, respektive diesem durch entsprechende flankierende Initiativen und Bemühungen Rechnung zu tragen.

Andererseits – da ist das Sole Purpose-Statement Bidens aus seinem Wahlkampf. Am 15. April 2021 haben Senatorin Elisabeth Warren und der Abgeordnete Adam Smith (Repräsentantenhaus) im US-Kongress einen Gesetzentwurf eingebracht, in dem es heißt: „Es ist die Politik der Vereinigten Staaten, nicht zuerst Atomwaffen einzusetzen.“[85] Und gerade haben die Führer der beiden atomaren Supermächte bei ihrem Gipfeltreffen in Genf das grundlegende Statement von Michail Gorbatschow und Ronald Reagan aus dem Jahre 1985 erneuert, „dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“[86].

Wie wäre es also, wenn eine erfahrene Organisation wie die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons/ICAN) – Initiatorin und eine der maßgeblichen treibenden Kräfte hinter dem Atomwaffenverbotsvertrag, 2017 für ihre Arbeit mit dem Friedensnobelpreis geehrt – sich als nächstes ein internationales No First Use-Regime auf die Fahnen schriebe und als Einlaufkurve eine Kampagne startete, die die alten Atommächte an ihre Verpflichtungen aus Artikel VI NPT erinnert und von diesen zunächst einmal die Abgabe einer negativen Sicherheitsgarantie gegenüber allen nicht nuklearen NPT-Mitgliedsstaaten in völkerrechtlich verbindlicher Form fordert …?!

Fazit – mit den Worten von Gareth Evans, unter anderem Chair of the Asia Pacific Leadership Network for Nuclear Non-Proliferation and Disarmament (APLN): „Es ist noch ein langer Weg zu einer sichereren und vernünftigeren atomwaffenfreien Welt, aber die Vereinigten Staaten und die anderen zögerlichen Nuklearmächte dazu zu bringen, den Verzicht auf den Ersteinsatz zu akzeptieren, wäre ein guter Anfang.“[87]

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[1] – Richard Falk / David Krieger: Biden’s Foreign Policy and Nuclear Weapons: a Dialogue, counterpunch.org, May 4, 2021; https://www.counterpunch.org/2021/05/04/bidens-foreign-policy-and-nuclear-weapons-a-dialogue/ aufgerufen am 09.06.2021.

[2] – Bei einer Anhörung im US-Kongress im Februar 2020. Wolters’ Auftritt ist bei Youtube dokumentiert; https://www.youtube.com/watch?v=KUMqQFZNvcY – aufgerufen am 29.05.2021.

[3] – Theodor H. Draper: How Not to Think About Nuclear War. The New York Review of Books, July 1982; https://www.nybooks.com/articles/1982/07/15/how-not-to-think-about-nuclear-war/ – aufgerufen am 24.11.2017.

[4] – Ramesh Thakur: Weniger ist mehr, ipg-journal.de, 12.05.2021; https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/verzicht-ersteinsatz-von-nuklearwaffen-5180/ – aufgerufen am 04.06.2021.

[5] – Michael Rühle: The Problem with Sole Purpose and No First Use, National Institute For Public Polcy, Information Series, Issue No. 493, June 23, 2021; https://nipp.org/wp-content/uploads/2021/06/IS-493.pdf – aufgerufen am 25.06.2021.

[6] – Andrew O’Neil / Stephan Frühling: A „No-First-Use“ doctrine would undermine American nuclear deterrence, lowyinstitute.org, 21 Jan 2021; https://www.lowyinstitute.org/the-interpreter/no-first-use-doctrine-would-undermine-american-nuclear-deterrence – aufgerufen am 27.05.2021.

[7] – In der journalistischen Publizistik und auch in anderen Kontexten ist bis in die Gegenwart eine begriffliche Konfusion anzutreffen, die darin besteht, dass Ersteinsatz von Atomwaffen mit nuklearem Erstschlag gleichgesetzt, respektive verwechselt wird. Das Problem ist nicht neu, wie folgende Passage aus dem Jahre 1982 zeigt: „Leider wird die aktuelle Diskussion […] durch eine Verwechslung zwischen der Option des ‚Ersteinsatzes‘ von Atomwaffen und der Fähigkeit zu einem ‚Erstschlag‘ mit Atomwaffen erschwert. […] ‚Ersteinsatz‘ bezieht sich auf den ersten Einsatz einer Nuklearwaffe unabhängig von ihrer Sprengkraft und ihrem Einsatzort; selbst die Sprengung einer Brücke mit einer Nuklearwaffe auf dem eigenen Territorium [seit den 1960er Jahren von der NATO auf westdeutschem Gebiet real vorbereitet; eingesetzt werden sollten stationäre Atomminen – W.S.] würde einen Ersteinsatz darstellen. ‚Erstschlag‘ bezieht sich auf einen präventiven entwaffnenden Nuklearschlag, der darauf abzielt, das gesamte strategische Potenzial des Gegners so vollständig wie möglich auszuschalten.“ (Karl Kaiser / Georg Leber / Alois Mertes / Franz-Josef Schulze: Nuclear Weapons and the Preservation of Peace: A German Response, Foreign Affairs, Summer 1982, S. 1158.)

[8] – Siehe ausführlich Paul R. Ehrlich / C. Sagan, Die nukleare Nacht, Köln 1985.

[9] – Siehe u.a. Ramesh Thakur, a.a.O.

[10] – Vgl. Gareth Evans: Revisiting the case for no first use of nuclear weapons, thebulletin.org, May 5, 2021; https://thebulletin.org/2021/05/revisiting-the-case-for-no-first-use-of-nuclear-weapons – aufgerufen am 31.05.2021.
Beide Ansätze – No First Use und Sole Purpose – sind jedoch nach Auffassung einschlägiger US-Experten vom Carnegie Endowment for International Peace und vom Massachusetts Institute for Technology nicht gleichzusetzen; siehe Ankit Panda / Vipin Narang: Sole purpose is not no first use: nuclear weapons and declaratory policy, warontherocks.com, February 22, 2021; https://warontherocks.com/2021/02/sole-purpose-is-not-no-first-use-nuclear-weapons-and-declaratory-policy/ – aufgerufen am 08.06.2021.

[11] – Zit. nach Sophia Becker / Elisabeth Suh: How Biden’s Plan to Limit the Role of Nuclear Weapons Challenges NATO, dgap.org, May 18, 2021; https://dgap.org/en/research/publications/how-bidens-plan-limit-role-nuclear-weapons-challenges-nato – aufgerufen am 04.06.2021.

[12] – Giovanni di Lorenzo: Verstehen Sie das, Herr Schmidt?, zeit.de, 04.03.2010; https://www.zeit.de/2010/10/Fragen-an-Helmut-Schmidt – aufgerufen am 12.10.2017.

[13] – McGeorge Bundy / George F. Kennan / Robert S. McNamara / Gerrard Smith: Nuclear Weapons and the Atlantic Alliance, Foreign Affairs, Spring 1982 Issue; https://www.foreignaffairs.com/articles/united-states/1982-03-01/nuclear-weapons-and-atlantic-alliance – aufgerufen am 13.12.2017.

[14] – Siehe dazu ausführlicher Wolfgang Schwarz: Frieden und Abschreckung, in: H. J. Gießmann / B. Rinke (Hrsg.): Handbuch Frieden, 2. Auflage, Wies baden 2019, S. 265 ff.

[15] – Theodor H. Draper, a.a.O.

[16] – Zit nach faz.net, 03.08.2016; https://www.faz.net/aktuell/politik/von-trump-zu-biden/donald-trump-zieht-angeblich-den-gebrauch-von-atomwaffen-in-betracht-14371030.html – aufgerufen am 23.06.2021.

[17] – Larsen, Jeffrey A:/Kartchner, Kerry M. (Ed.): On Limited Nuclear War In The 21st Century, Stanford 2014.

[18] – Zahlenangaben nach Hans M. Kristensen / Matt Korda: Status of World Nuclear Forces, fas.org, March 2021; https://fas.org/issues/nuclear-weapons/status-world-nuclear-forces – aufgerufen am 28.05.2021.

[19] – „Global nuclear arsenals grow as states continue to modernize“, sipri.org, 14.06.2021; https://www.sipri.org/media/press-release/2021/global-nuclear-arsenals-grow-states-continue-modernize-new-sipri-yearbook-out-now – aufgerufen am 20.06.2021.

[20] – Siehe dazu ausführlich A. Robock / O. B. Toon: Lokaler Krieg, globales Leid, Spektrum der Wissenschaft, November 2010, S. 88 ff.

[21] – Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV); https://www.auswaertiges-amt.de/blob/207392/b38bbdba4ef59ede2fec9e91f2a8179b/nvv-data.pdf – aufgerufen am 28.05. 2021 über die Homepage des Auswärtigen Amtes (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/abruestung-ruestungskontrolle/nukleare-abruestung-und-nichtverbreitung/nvv/207054).

[22] – Richard Falk / David Krieger, a.a.O.

[23] – Ebenda.

[24] – Die 2020 fällige Überprüfungskonferenz war wegen Corona auf dieses Jahr verschoben worden. Bis zum Abschluss dieses Beitrages lagen keine weiteren Informationen vor.

[25] – Richard Falk / David Krieger, a.a.O.
Bei anderen Kritikern fällt das Urteil deutlich harscher aus: „Eine Welt ohne Nuklearwaffen hat der Atomwaffensperrvertrag nie beabsichtigt. Vielmehr verband die Inhaber der überragenden Waffentechnik das Interesse, die übrigen Staaten von militärisch nutzbarer Nukleartechnik auszuschließen. Damit wurde der Besitz der ‚letzten Waffe‘ in den wenigen Händen dauerhaft gesichert. So ist zu erklären, warum mitten im Kalten Krieg zwischen West und Ost und angesichts einer aufstrebenden Nation im Fernen Osten sich bis auf die Zähne bewaffnete und verfeindete Staaten zusammentaten. An Neulingen in der atomaren Konkurrenz hatten auch die Sowjetunion und Maos China kein Interesse.“ (Björn Hendrig: USA gegen Iran: Keine Atomwaffen für den Störenfried / Teil 2, heise.de, 03. Juni 2021; https://www.heise.de/tp/features/Atommaechte-gegen-neue-Atombomben-aber-fuer-eigene-Massenvernichtungswaffen-6059276.html?seite=all – aufgerufen am 14.06.2021.

[26] – Die NSG, die heute 48 Mitgliedsstaaten zählt, war 1975 geschaffen worden, um zu verhindern, dass nicht dem NPT beigetretene Länder über den internationalen Markt Zugang zu ziviler Nukleartechnik und -peripherie sowie zu Kernbrennstoff erhalten und damit ihr Streben nach Atomwaffen vorantreiben; siehe ausführlich Nuclear Threat Initiative: Nuclear Suppliers Group (NSG) (Last Updated: July 14, 2020); https://www.nti.org/learn/treaties-and-regimes/nuclear-suppliers-group-nsg/ – aufgerufen am 01.06.2021.

[27] – So lieferte Australien 2017 Uran an Indien; siehe James Bennett: Australia quietly makes first uranium shipment to India three years after supply agreement, The World Today, 19.07.2017; https://www.abc.net.au/news/2017-07-19/australia-quietly-makes-first-uranium-shipment-to-india/8722108 – aufgerufen am 20.06.2021.

[28] – Siehe ausführlicher Wolfgang Schwarz: Über den Rubikon, Das Blättchen, 22/2008; https://das-blaettchen.de/2008/10/ueber-den-rubikon-13719.html – aufgerufen am 31.05.2021.

Als Folge blockiert Pakistan seit Jahren die Fortführung der internationalen Verhandlungen für ein Abkommen zur Beendigung der Produktion von spaltbaren Materialien – von Plutonium und hochangereichertem Uran – für Waffenzwecke (siehe Fissile Material Cut-off Treaty (FMCT) at a Glance, armscontrol.org, Last Reviewed: June 2018; https://www.armscontrol.org/factsheets/fmct – aufgerufen am 20.06.2021) und fordert als Vorbedingung für die Aufgabe der Blockade, dass dem Land international derselbe Status eingeräumt werde wie Indien.

[29] – Eine Ausnahme bildet Israel insofern, als über dessen Atomrüstung wegen strikter Geheimhaltung keine belastbaren Erkenntnisse vorliegen. Bekannt ist allerdings, dass Tel Aviv bereits seit 2016 mit der mit Stealth/Tarnkappen-Technik ausgerüsteten F-35 „Lightning II“ das derzeit modernste nuklearfähige US-Kampfflugzeug bei seinen Streitkräften einführt und 2018 erstmals eingesetzt hat; siehe DIE WELT, 22.05.2018; https://www.welt.de/politik/ausland/article176582639/Weltpremiere-Israel-setzt-als-erstes-Land-F-35-Jets-im-Kampf-ein.html – aufgerufen am 03.06.2021 und Flugrevue, 27.11.2020; https://www.flugrevue.de/tonopah-test-range-in-nevada-b61-12-atombombe-an-f-35-getestet/ – aufgerufen am 03.06.2021.

[30] – In den USA laufen bereits entsprechende Rüstungsprogramme, für die Ausgaben von 1,3 Billionen US-Dollar in den nächsten 30 Jahren veranschlagt sind; siehe Fred Kaplan: We Don’t Need a Better Nuclear Arsenal to Take on China, slate.com, April 23, 2021; https://slate.com/news-and-politics/2021/04/nuclear-triad-overhaul-china.html – aufgerufen am 31.05.2021. Zu Details dieser Programme siehe Aaron Mehta: Strategic Command boss warns of nuclear ‚point of no return‘, defensenews.com, 28. Februar 2020; https://www.defensenews.com/smr/nuclear-arsenal/2020/02/28/stratcom-head-warns-us-near-nuclear-point-of-no-return/ – aufgerufen am 31.05.2021.
Die Nuklearrüstungsausgaben der Atommächte für das Jahr 2020 werden im aktuellen ICAN-Jahresbericht folgendermaßen beziffert: USA – 37,4 Milliarden Dollar, China – 10,1 Milliarden Dollar, Russland – 8 Milliarden, Großbritannien – 6,2 Milliarden, Frankreich – 5,7 Milliarden, Indien – 2,48 Milliarden, Israel – 1,1 Milliarden, Pakistan – 1 Milliarde und Nordkorea – 667 Millionen Dollar (Globale Ausgaben für Atomwaffenarsenale stiegen auf 72,6 Milliarden Dollar, russland.news, 08.06.2021; http://www.russland.news/globale-ausgaben-fuer-atomwaffenarsenale-stiegen-auf-726-milliarden-dollar/ – aufgerufen am 20.06.2021).

[31] – Bei amerikanischen Experten ist die Rede davon, dass China die Anzahl seiner Atomwaffen von derzeit um die 300 verdoppeln könnte; siehe u.a. Fred Kaplan, a.a.O.
Großbritannien hat jüngst ganz offiziell eine Erhöhung der Anzahl seiner strategischen Atomsprengköpfe auf bis zu 260 angekündigt; siehe Global Britain in a competitive age. The Integrated Review of Security, Defence, Development and Foreign Policy, HM Government, March 2021, S. 76; https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/975077/Global_Britain_in_a_Competitive_Age-_the_Integrated_Review_of_Security__Defence__Development_and_Foreign_Policy.pdf – aufgerufen am 28.05.2021.

[32] – Zu Wortlaut und Kommentar siehe Daniel Rietiker / Manfred Mohr: Vertrag über das Verbot von Kernwaffen, April 2018; https://www.ialana.info/wp-content/uploads/2018/04/Deutsch-Kommentar-zum-Vertrag-%C3%BCber-das-Verbot-von-Kernwaffen_180613.pdf – aufgerufen am 29.05.2021.

[33] – Siehe dazu Sarcasticus: Atomwaffen: Abrüstung und Abschreckung, Das Blättchen, 23/2016; https://das-blaettchen.de/2016/11/atomwaffen-abruestung-und-abschreckung-37818.html – aufgerufen am 29.05.2021.

[34] – Joint Statement by China, France, Russian Federation, United Kingdom and United States, 29.10.2018; https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/-/asset_publisher/cKNonkJE02Bw/content/id/3384609 – aufgerufen am 04.06.2021.

[35] – Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV), a.a.O.

[36] – Zur nuklearen Teilhabe speziell Deutschlands siehe:

[37] – Auch in der Türkei lagern noch US-Atomwaffen, doch die türkischen Streitkräfte stellen dafür keine Trägersysteme mehr.

[38] – Department of Defense: Nuclear Posture Review 2018, S. 22; https://media.defense.gov/2018/Feb/02/2001872886/-1/-1/1/2018-NUCLEAR-POSTURE-REVIEW-FINAL-REPORT.PDF – aufgerufen am 31.05.2021.
Ein gern gebrauchtes Argumentationsmuster zur Rechtfertigung dieser Position lautet: „Es liegt eindeutig im Interesse der USA und ihrer engen Verbündeten, Peking, Moskau und Pjöngjang im Unklaren darüber zu lassen, ab welcher Schwelle die USA den Einsatz von Atomwaffen in Betracht ziehen würden. Kalkulierte Zweideutigkeit ist kluge Politik, denn je mehr Gewissheit die Gegner über die Schwelle haben, ab der ein bestimmtes Maß an Gewalt eingesetzt wird, desto sicherer fühlen sie sich, wenn sie unterhalb dieser Schwelle die Initiative behalten. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass Peking während einer Krise zurückhaltender sein wird, wenn es sicher ist, dass die USA nicht auf Atomwaffen zurückgreifen werden, es sei denn, China führt zuerst einen Atomschlag aus?“ (Andrew O’Neil / Stephan Frühling, a.a.O.)

[39] – Diese Zusicherung ist folgendermaßen formuliert: „Die Vereinigten Staaten werden keine Kernwaffen gegen Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragsparteien des NPT sind und ihre Verpflichtungen zur Nichtverbreitung von Kernwaffen erfüllen, einsetzen oder diese mit deren Einsatz bedrohen.“ (Nuclear Posture Review 2018, S. 21, a.a.O.)

[40] – Vgl. James N. Miller: No to no first use – for now, thebulletin.org, January 1, 2020; https://thebulletin.org/premium/2020-01/no-to-no-first-use-for-now/ – aufgerufen am 31.05.2021.

[41] – Vgl. ebenda.

[42] – Hans M. Kristensen / Matt Korda: Nuclear Notebook: French nuclear forces, 2019, tandfonline.com, 07 Jan 2019; https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00963402.2019.1556003 – aufgerufen am 27.05.2021.

[43] – Global Britain in a competitive age, a.a.O.

[44] – Sophia Becker / Elisabeth Suh, a.a.O.

[45] – „Sollte […] die grundlegende Sicherheit eines NATO- Verbündeten bedroht sein, so verfügt die NATO über die Fähigkeiten – sowohl im nuklearen als auch im konventionellen Bereich – und über die Entschlossenheit, dem Gegner Kosten aufzuerlegen, die inakzeptabel wären und den Nutzen, den sich ein Gegner erhoffen könnte, bei weitem überwiegen würden.“ (NATO’s nuclear deterrence policy and forces, Last updated: 11 May, 2021; https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_50068.htm – aufgerufen am 04.06.2021.)

[46] – Russland hat dabei die heutige überwältigende konventionelle Überlegenheit der NATO als Militärblock im Blick, wofür das westliche Bündnis an sich grundsätzliches Verständnis haben müsste, verfocht es doch gegenüber der empfundenen konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes in Zentraleuropa bis zum Ende des Kalten Krieges und darüber denselben Grundsatz – Zurückweisung eines konventionell überlegenen Angreifers durch Rückgriff auf Atomwaffen. So resümierten US-Experten im Jahre 1984: Die NATO stütze „sich seit Ende der vierziger Jahre auf die erklärte Strategie, einen Krieg mit Kernwaffen fortzuführen, sollten ihre konventionellen […] Streitkräfte in Europa oder anderswo von einer Niederlage bedroht sein“. (Kurt Gottfried / Henry W. Kendall / John M. Lee: Verzicht auf den Ersteinsatz von Kernwaffen, Spektrum der Wissenschaft, Mai 1984, S. 32.) Knapp 30 Jahre später vermerkte ein Experte vom US-Center for Naval Analyses kurz und bündig: „Die Drohung mit einem nuklearen Ersteinsatz spielte während des gesamten Kalten Krieges eine Schlüsselrolle in der militärischen Strategie der NATO, und auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die verschiedenen US-Regierungen – implizit oder explizit – an der Option des Ersteinsatzes festgehalten.“ (Michael S. Gerson: No First Use. The Next Step for U.S. Nuclear Policy, International Security, 2/2010, S. 7.)

[47] – Basic Principles of State Policy of the Russian Federation on Nuclear Deterrence, mid.ru, 8 June 2020 – Punkt 17; https://www.mid.ru/en/foreign_policy/international_safety/disarmament/-/asset_publisher/rp0fiUBmANaH/content/id/4152094 – aufgerufen am 27.05.2021.
Fragen in diesem Zusammenhang wirft allerdings die mindestens zeitweise Stationierung nuklear armierbarer ballistischer Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander-M in grenznahen Bereichen der sogenannten NATO-Ostflanke (wie der Region Kaliningrad – siehe z. B. Песков рассказал, до каких пор „Искандеры“ будут оставаться в Калининграде, ria.ru, 21.01.2017; https://ria.ru/20170121/1486194002.html – aufgerufen am 28.05.2021) auf. Bei Ausbruch eines militärischen Konflikts befänden sich solche Systeme sofort in einer Lage, die westliche Experten als Use it or lose it-Dilemma bezeichnen (siehe dazu David C. Logan: The Varied Roads to Armageddon, Princeton University, July 1, 2020; https://scholar.princeton.edu/sites/default/files/dlogan/files/logan_david_-_the_varied_roads_to_armageddon_-_june_2020_3.pdf – aufgerufen am 28.05.2021.): Diese Waffen wären, würden sie nicht sofort eingesetzt, der Vernichtung durch den Gegner ausgesetzt. Ihr Einsatz allerdings wäre möglicherweise ein atomarer Ersteinsatz und könnte wahrscheinlich die Eskalation des Konfliktes auf die atomare Ebene bis hin zum allgemeinen nuklearen Schlagabtausch in Gang setzen.

[48] – Zit. nach Hans M. Kristensen / Matt Korda: Nuclear Notebook: Pakistani nuclear forces, 2018, tandfonline.com, 31 Aug 2018; https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00963402.2018.1507796 – aufgerufen am 27.05.2021.

[49] – Unter anderem haben US-Experten einiges an Indizien zusammengetragen, dass Verfügungsgewalt über Kernwaffen wahrscheinlich bereits seit Ende der 1960er Jahre besteht; siehe Hans M. Kristensen / Robert S. Norris: Israeli nuclear weapons, 2014, tandfonline.com, 27 Nov 2015; https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1177/0096340214555409 – aufgerufen am 27.05.2021.
1973, während des Yom Kippur-Krieges, als anfangs eine militärische Niederlage Israels möglich schien, soll dessen damaliger Verteidigungsminister Mosche Dayan es für „sinnvoll“ gehalten haben, „die Nuklearoptionen vorzubereiten“ (Michael Borgstede: Als Israel atomar mobilisieren wollte, welt.de, 07.10.2013; https://www.welt.de/geschichte/article120689681/Als-Israel-atomar-mobilisieren-wollte.html – aufgerufen am 27.05.2021).
1986 ließen Enthüllungen des ehemaligen israelischen Nukleartechnikers Mordechai Vanunu über die Plutoniumproduktion im israelischen Kernforschungszentrum Negev nahe Dimona – der dortige Kernreaktor wurde mit maßgeblicher technischer Hilfe Frankreichs gebaut – den Rückschluss zu, dass Tel Aviv genug Plutonium für 100 bis 200 Atomsprengköpfe produziert hatte; siehe Hans M. Kristensen / Robert S. Norris, Israeli nuclear weapons, a.a.O.

[50] – Laut dem israelischen Historiker Avner Cohen wurden 1966 vier „rote Linien“ definiert, deren Überschreiten einen Ersteinsatz von oder eine Vergeltung mit Atomwaffen nach sich ziehen könnte: a) ein erfolgreiches militärisches Eindringen in besiedelte Gebiete innerhalb Israels, b) die Zerstörung der israelischen Luftwaffe, c) die Zerstörung israelischer Städte durch verheerende Bombardements oder chemische/biologische Angriffe und d) der Einsatz von Atomwaffen gegen Israel. (Siehe https://en.wikipedia.org/wiki/No_first_use#cite_note-:0-39 – aufgerufen am 31.05.2021.)

[51] – Zit. nach Kim Jong Un’s October 10 Speech: More Than Missiles, 38north.org, October 13, 2020; https://www.38north.org/2020/10/kjuspeech101320/ – aufgerufen am 31.05.2021.
Zur nordkoreanischen Atomrüstung siehe Hans M. Kristensen / Robert S. Norris: North Korean nuclear capabilities, 2018, tandfonline.com, 08 Jan 2018; https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00963402.2017.1413062 – aufgerufen am 27.05.2021.

[52] – 2003 erklärte Neu-Delhi, dass es auch als Reaktion auf chemische oder biologische Angriffe potenziell Atomwaffen einsetzen könnte; vgl. Hans M. Kristensen / Matt Korda: Nuclear Notebook: Indian nuclear forces, 2020, thebulletin.org, July 1, 2020; https://thebulletin.org/premium/2020-07/nuclear-notebook-indian-nuclear-forces-2020/ – aufgerufen am 27.05.2021.

[53] – Zit. nach ebenda.

[54] – Zit. nach Richard H. Ullman: No First Use of Nuclear Weapons, foreignaffairs.com, July 1972; https://www.foreignaffairs.com/articles/1972-07-01/no-first-use-nuclear-weapons – aufgerufen am 01.06.2021.

[55] – So vermerken Kristensen/Korda: „China ist […] einer Nuklearpolitik verpflichtet, die darin besteht, zu keinem Zeitpunkt und unter keinen Umständen Atomwaffen zuerst einzusetzen und keine Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffenstaaten oder atomwaffenfreie Zonen einzusetzen oder damit zu drohen.“ (Hans M. Kristensen / Matt Korda: Nuclear notebook: Chinese nuclear forces, 2020 thebulletin.org, December 7, 2020; https://thebulletin.org/premium/2020-12/nuclear-notebook-chinese-nuclear-forces-2020/ – aufgerufen am 27.05.2021.)

[56] – Selbst das Pentagon bestätigte im vergangenen Jahr erneut, dass „China mit ziemlicher Sicherheit den Großteil seiner Nuklearstreitkräfte in einem Friedensstatus hält – mit getrennten Abschussvorrichtungen, Raketen und Sprengköpfen“ (Department of the Secretary of Defense: Military and Security Developments Involving the People’s Republic of China 2020. Annual Report to the Congress, 01.09.2020, S. 88; https://media.defense.gov/2020/Sep/01/2002488689/-1/-1/1/2020-DOD-CHINA-MILITARY-POWER-REPORT-FINAL.PDF – aufgerufen am 20.06.2021.)
Trotzdem ist es an der Tagesordnung, dass höchste US-Militärs die No First Use-Politik Chinas öffentlich verunglimpfen, um den ganzen Ansatz in Verruf zu bringen – wie etwa der Kommandeur des Strategischen Kommandos der US-Streitkräfte (USSTRATCOM), Admiral Charles Richard, bei einer Befragung durch den republikanischen Senator Joshua Hawley im Februar 2020:
„HAWLEY: […] Admiral, lassen Sie […] uns ein wenig über die Atompolitik sprechen. Sind Sie zuversichtlich, dass Peking sich an die angekündigte Politik des Nicht-Ersteinsatzes halten würde, wenn es einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten gäbe?
RICHARD: Senator, ich denke, ich könnte mit einem Lastwagen durch diese ‚No First Use‘-Politik fahren.“ (U.S. Strategic Command and U.S. Northern Command SASC Testimony, stratcom.mil, Feb. 13, 2020; https://www.stratcom.mil/Media/Speeches/Article/2086752/us-strategic-command-and-us-northern-command-sasc-testimony/ – aufgerufen am 21.06.2021.)
Die Metapher „can drive a truck through something“ meint in den USA bekanntlich, dass ein Sachverhalt, eine Aussage, eine deklaratorische Politik Fehlstellen groß wie Scheunentore aufweise.
Zugleich verfügt China heute über nuklearfähige ballistische Mittelstreckenraketen vom Typ DF-26 (Reichweite: 4000 Kilometer), der „China seine erste nukleare Fähigkeit zu Präzisionsschlägen verleihen könnte“ (Hans M. Kristensen / Matt Korda: Nuclear notebook: Chinese nuclear forces, a.a.O.) und dem von Experten die Fähigkeit zur Vernichtung von US-Flugzeugträger-Kampfgruppen nachgesagt wird (siehe Kristin Huang: China’s rocket force tests ‚carrier killer‘ DF-26 ballistic missiles, scmp.com, 10.06.2021; https://www.scmp.com/news/china/military/article/3136789/chinas-rocket-force-tests-carrier-killer-df-26-ballistic – aufgerufen am 20.06.2021). Diese Kampfgruppen sind eine der offensiven Hauptkomponenten der US-Marine zur Bekämpfung von Landzielen mit – auch atomaren – Abstandswaffen. Die Ausschaltung solcher Feindkräfte wäre natürlich unmittelbar bei Ausbruch eines Konfliktes oder als Präventiv-, respektive Präemptivmaßnahme militärisch besonders effektiv.

[57] – Zu diesem Sprengkopf (W76-2) und seinen militärstrategischen Implikationen siehe Wolfgang Schwarz: Gedrosselte Sprengkraft, gesteigertes Risiko, Das Blättchen, 4/2020; https://das-blaettchen.de/2020/02/gedrosselte-sprengkraft-gesteigertes-risiko-51394.html – aufgerufen am 29.05.2021. Biden hatte in seinem Wahlkampf zwar geäußert, die Einführung dieses Sprengkopfes rückgängig zu machen (vgl. Andrew O’Neil / Stephan Frühling, a.a.O.), doch aus dem inzwischen bekannt gewordenen ersten Militärhaushalt der Biden-Administration geht hervor, dass dies nicht der Fall ist (vgl. Lara Seligman / Bryan Bender / Connor O’Brien: Biden goes ‚full steam ahead‘ on Trump’s nuclear expansion despite campaign rhetoric, politico.com, 06/02/2021; https://www.politico.com/news/2021/06/02/biden-trump-nuclear-weapons-491631 – aufgerufen am 04.06.2021).

[58] – Kristensen schätzt ein: „dass strategische Trident-U-Boote in einem W76-2-Szenario als taktische Atomwaffen eingesetzt würden, möglicherweise in einem Ersteinsatzszenario […]. Die Vereinigten Staaten haben sich geweigert, den Ersteinsatz von Atomwaffen auszuschließen.“ (Hans Kristensen: US Deploys New Low-Yield Nuclear Submarine Warhead, fas.org, January 29, 2020; https://fas.org/blogs/security/2020/01/w76-2deployed/ – aufgerufen am 29.05.2021.)

[59] – Trotz dieses Statements vom immerhin NATO-Oberbefehlshaber Europa sind beim Nordatlantikpakt Verbaläquilibristen wie Michael Rühle, Redenschreiber zahlreicher NATO-Generalsekretäre, unterwegs, die ihrem Publikum weiszumachen versuchen, „dass die Ablehnung einer NFU-Zusage nicht gleichbedeutend mit einer ‚First Use‘-Doktrin“ sei (Michael Rühle, a.a.O.).

[60] – Charles Richard: Forging 21st Century Strategic Deterrence, Proceedings of United States Naval Institute, Feb. 2021; hier zit. nach Dan Robitzky: US admiral: „Real possibility“ of nuclear with China, Russia, futurism.com, Feb 4, 2021; https://futurism.com/the-byte/us-admiral-possibility-nuclear-war-china-russia – aufgerufen am 29.05.2021.

[61] – Richard Falk / David Krieger, a.a.O.

[62] – Siehe ausführlicher Wolfgang Schwarz: Russlands strategischer Coup, Das Blättchen, 8/2018; https://das-blaettchen.de/2018/04/russlands-strategischer-coup-43736.html – aufgerufen am 31.05.2021.

[63] – Dazu im Detail Wolfgang Schwarz: Raketenabwehr versus strategische Stabilität, Das Blättchen, 1/2021; https://das-blaettchen.de/2021/01/raketenabwehr-versus-strategische-stabilitaet-55361.html – aufgerufen am 31.05.2021.

[64] – Siehe ausführlich Wolfgang Schwarz: Conventional Prompt Global Strike – die russische Antwort, Das Blättchen, 18/2020; https://das-blaettchen.de/2020/08/prompt-global-strike-%e2%80%93-die-russische-antwort-53959.html – aufgerufen am 31.05.2021.

[65] – Siehe dazu Ramesh Thakur: Why Obama should declare a no-first-use policy for nuclear weapons, August 19, 2016; https://thebulletin.org/2016/08/why-obama-should-declare-a-no-first-use-policy-for-nuclear-weapons/ – aufgerufen am 09.06.2021.

[66] – Gareth Evans, a.a.O.
Generell zur Debatte der NFU-Problematik in den USA siehe auch Brad Roberts: Debating Nuclear No-first-use, Again, Survival, 21 May 2019; https://cgsr.llnl.gov/content/assets/docs/Debating-Nuclear-No-first-use-Again.pdf – aufgerufen am 31.05.2021.

[67] – Siehe Paul Sonne / Gordon Lubold / Carol E. Lee: ‚No First Use’ Nuclear Policy Proposal Assailed by U.S. Cabinet Officials, Allies, wsj.com, Aug. 12, 2016; https://www.wsj.com/articles/no-first-use-nuclear-policyproposal-assailed-by-u-s-cabinet-officials-allies-1471042014 – aufgerufen am 31.05.2021.

[68] – Vgl. ebenda.
Was die westdeutsche Ablehnung anbetraf, so verdeutlichte sie zugleich ein, wenn man so will, Kontinuum im Destruktiven, denn bereits 1982, nachdem Bundy, Kennan, McNamara und Smith ihr Plädoyer pro No First Use publiziert hatten, waren es zuvorderst und besonders rasch prominente Vertreter aus der Bundesrepublik – Kaiser (Politikwissenschaft), Leber (SPD), Mertes (CDU) und Schulze (Bundeswehr) –, die ablehnend vorpreschten: „Ein Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen würde der gegenwärtigen Strategie“ – gemeint war die damalige NATO-Strategie Flexible Response –, „die von Regierung und Opposition in der Bundesrepublik Deutschland sowie von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen wird, sicherlich einen entscheidenden Charakterzug nehmen.“ (Karl Kaiser / Georg Leber / Alois Mertes / Franz-Josef Schulze, a.a.O., S. 1160.)

[69] – Andrew O’Neil / Stephan Frühling, a.a.O.

[70] – Ebenda.

[71] – Zit. nach The New York Review of Books, November 24; 1983; https://www.nybooks.com/articles/1983/11/24/an-exchange-on-nuclear-war/ – aufgerufen am 21.06.2021.

[72] – Andrew O’Neil / Stephan Frühling, a.a.O.

[73] – 122 UNO-Mitgliedsstaaten haben dem Vertrag im Rahmen der UN-Generalversammlung zugestimmt. Mit Stand vom 24.10.2020 hatten 84 Staaten unterzeichnet und 50 ratifiziert.

[74] – Ramesh Thakur: Weniger ist mehr, a.a.O.

[75] – Gareth Evans, a.a.O.

[76] – Auch wenn das Risiko eines nichtvorsätzlichen Kernwaffeneinsatzes (etwa durch technisches oder menschliches Versagen) fortbestände.

[77] – Ramesh Thakur: Weniger ist mehr, a.a.O.

[78] – Gareth Evans, a.a.O.

[79] – John P. Holdren, The overwhelming case for no first use, thebulletin.org, January 1, 2020; https://thebulletin.org/premium/2020-01/the-overwhelming-case-for-no-first-use/ – aufgerufen am 31.05.2021.

[80] – Richard Falk / David Krieger, a.a.O.

[81] – „Die USA und Russland haben sich darauf geeinigt, ihre Nuklearwaffen so auszurichten, dass sie nicht auf die jeweils andere Nation zielen […].“ (White House Statement on Mutual Detargeting, Jan 14, 1994; hier zit. nach https://fas.org/nuke/control/detarget/news/940114-331576.htm – aufgerufen am 22.06.2021.)

[82] – „Die 500 älteren US-Minuteman-III-Raketen sind jetzt auf Ozeane gerichtet, während die neuen Trident- und Peacekeeper-Raketen überhaupt keine Zielinformationen enthalten.“ (Defense Department Report, Tuesday, May 31, 1994, hier zit. nach https://fas.org/nuke/control/detarget/news/940531-346693.htm – aufgerufen am 22.06.2021.)

[83] – Siehe https://fas.org/nuke/control/detarget/news/940531-346693.htm – aufgerufen am 22.06.2021.

[84] – Siehe ausführlicher Wolfgang Schwarz: Kernwaffen, nukleare Abschreckung und die internationale Sicherheit (15 Thesen, kommentiert), Das Blättchen, Sonderausgabe, 08.01.2018; https://das-blaettchen.de/2018/01/kernwaffen-nukleare-abschreckung-und-die-internationale-sicherheit-15-thesen-kommentiert-42623.html – aufgerufen am 22.06.2021.

[85] – U.S. Nuclear Weapons Policy: Considering „No First Use“, Congressional Research Service, April 16, 2021; https://fas.org/sgp/crs/nuke/IN10553.pdf – aufgerufen am 31.05.2021.

[86] – „U.S.-Russia Presidential Joint Statement on Strategic Stability“, June 16, 2021; https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2021/06/16/u-s-russia-presidential-joint-statement-on-strategic-stability/ – aufgerufen am 21.06.2021.

[87] – Gareth Evans, a.a.O.