Es vergeht kaum ein Jahr, ohne dass eine neue Idee für eine Geldreform geboren wird. In unserer krisengeschüttelten Zeit ist die Kreativität auf diesem Gebiet besonders hoch. Mit einer Geldreform würde aber nicht das Ziel verfolgt, das Geld abzuschaffen, sondern vielmehr eine Verbesserung seiner Funktions- und Wirkungsweise angestrebt. Dabei gehen die Geldreformer den ökonomischen Zusammenhängen selten auf den Grund, sondern folgen eher sozialphilosophischen, philanthropischen oder moralischen Erwägungen. Ihre Debatten bilden daher einen eigenständigen Diskurs, der parallel zur Diskussion im ökonomischen Mainstream stattfindet. Das Spektrum dieses Diskurses ist außerordentlich breit: Es reicht von antikapitalistischen, genossenschaftlichen und sozialistischen Initiativen über die Frei- und Schwundgeldbewegung bis zu monopol- und finanzkapitalkritischen, gegenüber dem Markt und dem Geld „an sich“ aber durchaus aufgeschlossenen Positionen. Gegenwärtig machen vor allem zwei Reformideen von sich Reden, die Komplementärwährungen und das Vollgeld.
Komplementärwährungen knüpfen an „Notgeld“ und „lokale“ Währungen an, wie sie beispielsweise 1919 bis 1923 unter den Bedingungen der Zerrüttung der offiziellen Währung oder zur Belebung regionaler Wirtschaftskreisläufe in Krisenzeiten Verwendung fanden. Ihr Ziel ist es, einzelne Regionen oder Bevölkerungsgruppen vor den Folgen von Währungs- und Wirtschaftskrisen zu schützen. In der Regel treten Komplementärwährungen neben die offizielle Währung. Ihre Verwendung beruht auf der Übereinkunft, sie innerhalb der Grenzen einer Gemeinschaft als Tauschmittel zu akzeptieren. Derzeit gibt es Tausende Parallelwährungssysteme auf der Welt, vor allem in Gestalt lokaler Währungen, privater Unternehmens- und sozialer Gemeinschaftswährungen, aber auch als globale Referenzwährungen oder Kryptowährungen wie LETS (Local Exchange Trading System) in Kanada, WIR (Wirtschaftsring) in der Schweiz, Time Dollars in den USA und Bitcoins als globale Internetwährung. In Deutschland gab es 2006 bereits 65 derartige Ergänzungswährungen, zumeist in barer Form. Inzwischen sind weitere hinzugekommen, vor allem auf elektronischer Basis. Ihren Protagonisten schwebt ein komplexes mehrschichtiges Geldsystem vor, mit einer globalen Referenzwährung, mehreren multinationalen Weltwährungen, diversen Landeswährungen, Regionalgeld sowie lokalen Komplementärwährungen. Dieses Konzept versteht sich als dezentraler Gegenentwurf zur globalen Zentralisation des Geldwesens, auch wenn der Gesamtumfang der Komplementärwährungen derzeit noch sehr gering ist, so dass volkswirtschaftliche Effekte kaum messbar sind. Trotzdem hat sich die Bundesbank als höchste Autorität in Geldfragen in Deutschland klar dagegen positioniert: Aus wohlfahrtstheoretischer Sicht, so das Ergebnis einer Studie, sei der Einsatz von Komplementärwährungen „suboptimal“. Zwar ließen sich für die jeweilige lokale Wirtschaft positive Effekte feststellen. Die aber würden durch überregionale Negativeffekte kompensiert, so dass das Ganze volkswirtschaftlich eher einem Nullsummenspiel ähnelt als einem vernünftigen Projekt.
Demgegenüber bildet das Vollgeld-Konzept eine originelle, bisher in der Praxis aber unerprobte Variante chartalistischen Denkens in der Tradition von Georg Friedrich Knapp (1905), Irving Fisher (1935) und Milton Friedman (1948). Seit dem Aufkommen dieser Idee in den 1930er Jahren gab es mehrere Versuche, sie weiterzudenken. Dafür steht nun ein Konzept, das die Verstaatlichung der Geldemission und die Entkopplung der Geldschöpfung vom Kreditgeschäft der Banken enthält. Die Umsetzung dieses Programms würde mehr als eine kosmetische Geldreform bedeuten: Es wäre die Aufhebung der kreditbasierten Geldordnung und deren Ersetzung durch ein staatliches Geldsystem.
Vollgeld besagt, dass alles Geld, das in einem Währungsgebiet umläuft, vollwertiges „gesetzliches Zahlungsmittel“ und als solches „staatliches Geld“ ist. Das trifft gegenwärtig nur für das Zentralbankgeld zu, also für die Banknoten, Münzen und Zentralbankguthaben, während das Giralgeld, das die Banken emittieren und das die große Masse des Geldes ausmacht, Geschäftsbankengeld ist. Eine Umstellung der Währungsordnung auf „Vollgeld“ verspricht mehr Stabilität, wäre aber kaum marktwirtschaftskonform, hinreichend flexibel und wachstumsfördernd. Und ob es sein Stabilitätsversprechen zu halten vermag, wäre auch erst noch abzuwarten. Kern einer Vollgeld-Ordnung wäre die Verstaatlichung der Geldemission, die institutionelle Trennung von Geldschöpfung und Kreditgeschäft sowie die Einführung einer 100-Prozent-Deckung für die Kredite der Geschäftsbanken. Obwohl eine diesbezügliche Währungsneuordnung erhebliche Risiken impliziert, haben sich in der Schweiz viele Bürgerinnen und Bürger dafür ausgesprochen, so dass eine entsprechende Initiative in den parlamentarischen Abstimmungsprozess eingebracht wurde. Da es inzwischen auch in Deutschland Bestrebungen gibt, eine Vollgeldordnung zu etablieren, war wiederum die Bundesbank gefragt, dazu Stellung zu nehmen. Ihre Antwort findet sich im Monatsbericht vom April. Dort wird der Geldschöpfungsprozess, wie gegenwärtig gehandhabt, umfassend dargestellt und der Vollgeldinitiative en passant eine Absage erteilt. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die Bundesbank nicht direkt zum Vollgeldkonzept äußert, sondern es implizit kritisiert, indem sie einerseits die Vorzüge des gegenwärtigen Systems herausstellt, andererseits aber eine frühe und dem Vollgeld verwandte Variante alternativen Geldes, das Fishersche 100 Percent Money, kritisiert. Ihr Fazit lautet: Die Erhöhung der Stabilität des Geldsystems sollte auf anderem Wege als einer Vollgeld-Reform erfolgen, und zwar „durch die Stärkung seiner Eigenkapitalbasis sowie den Auf- und Ausbau eines wirkungsvollen makroprudenziellen Instrumentariums“.
Die damit erfolgte Zurückweisung einer Geldreform durch die Bundesbank mag für manch einen enttäuschend sein. Die ausführliche Erläuterung des Geldschöpfungsprozesses dagegen ist es nicht, denn auf dieser Grundlage lassen sich die in Reformkreisen kursierenden und zum Teil recht abenteuerlichen Vorstellungen des kreditbasierten Systems sachlich erörtern und qualifizieren. Man muss einsehen, dass es von der Bundesbank nicht erwartet werden kann, dass sie sich zum Fürsprecher einer radikalen Geldreform macht. Etwas konkreter hätte sie auf die vorliegenden Reformkonzepte aber schon eingehen können. Trotzdem ist die Darlegung ihrer Argumente hilfreich für die Fortsetzung der geldtheoretischen wie -politischen Diskussion.