Lenin Presidente

Linke gewinnt die Stichwahl in Ecuador

Der Präsidentschaftskandidat des linksgerichteten Regierungsbündnisses Alianza País (AP) in Ecuador, Lenín Moreno, hat die Stichwahl knapp gewonnen: Nach Auszählung von 99% der Stimmen entfielen auf Moreno 51,2%.

Sein Gegenkandidat, der Banker Guillermo Lasso von der rechtsliberalen »Allianz für den Wechsel« der Parteien CREO-Suma, erreichte 48,8%. Der 64-jährige Moreno [1] tritt am 24. Mai offiziell die Nachfolge des bisherigen Staatschefs Rafael Correa an. Im neugewählten Kongress kann er sich auf eine absolute Mehrheit der Allianza Pais stützen, die im ersten Wahlgang im Februar 74 der 137 Parlamentssitze erringen konnte.

Dass das Ergebnis für Moreno deutlich knapper als erwartet ausfiel – in der ersten Wahlrunde lag er noch um mehr als zehn Prozentpunkte vor Lasso –, lag auch an einigen kleinen Parteien und Bewegungen der traditionellen Linken und Teilen der indigenen Bewegung, die sich nach rechts gewandt hatten und ihre Politik im Disput mit dem scheidenden Staatschef Correa auf das Motto reduzierten: »Lieber einen Banker als eine Diktatur!«, sagte Carlos Pérez, Präsident der indigenen Organisation Ecuarunari. Allerdings hatten sich Vertreter verschiedener sozialer Bewegungen von den Aufrufen ihrer Organisationsführer distanziert.

Gleichwohl, das Ergebnis der Stichwahl ist richtungsweisend. Die Mehrheit der 12,8 Millionen wahlberechtigten Ecuadorianer stimmte für eine Fortsetzung des politischen Wandels und einen Ausbau der Sozialprogramme für ärmere Schichten; gegen einen Rückbau des Staates und die Entfesselung des Marktes.

Seit dem Regierungsantritt des promovierten Wirtschaftswissenschaftlers Rafael Correa im Jahr 2007 und dem Beginn der »Bürgerrevolution« verfolgt das Land einen linken Kurs und erfuhr damit einen Modernisierungsschub. Armutsbekämpfung, kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung sowie der Ausbau der Infrastruktur wurden priorisiert. Getragen vom Rohstoffboom, aber auch durch höhere Steuern und den Ausbau der staatlichen Unternehmen, konnte der Fiskus die Einnahmen verdreifachen und so Sozialprogramme, den Ausbau des öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens sowie massive Investitionen in die staatliche Infrastruktur finanzieren. Lebten in Ecuador 2006 noch über 37% der Menschen in Armut, waren es 2016 nur noch unter 23%; die absolute Armut konnte von 16 auf acht Prozent halbiert werden. [2]

Für den Soziologen David Chávez von der Universidad Central war der »Correismo« Ecuadors prägendste politische Erfahrung der letzten Jahrzehnte, nicht nur wegen der Umverteilungspolitik der linksgerichteten Regierung, sondern vor allem, weil sie die Bevölkerung politisiert habe.
Daran vermochte auch der Medienkrieg, [3] der mit dem Ziel geführt wurde, die neoliberalen Wirtschaftspolitiken des 61-jährigen Oppositionskandidaten und Hauptaktionärs der Banco Guayaquil, Guillermo Lasso, zu puschen und den Rechtsschwenk in Lateinamerika weiter voranzutreiben, nichts zu ändern. Ein Kernbestandteil des Programms des Vertreters der alten Elite war das Versprechen massiver Steuersenkungen, die bei genauerem Hinsehen ausschließlich wohlhabende Ecuadorianer zugutekommen sollten.

Allerdings geriet der Ex-Banker gerade wegen seiner mangelnden Steuermoral im Wahlkampf in die Defensive. Cynthia Garcia, Journalistin der argentinischen Zeitung Pagina/12, berichtete, wie der rechtsliberale Oppositionskandidat über seine 49 Briefkastenfirmen und Treuhandgesellschaften in den Steueroasen Panama, Cayman Islands und dem US-Bundesstaat Delaware die Zahlung von Steuern in Millionenhöhe umgeht. Sein Versprechen zur Schaffung einer Million neuer Arbeitsplätze sollte durch Erleichterungen für Investoren, d.h. durch Ausbau der Flexibilisierung und Abbau der Arbeitnehmerrechte, realisiert werden.

Wie sich diese radikal neoliberale Visionen des unterlegenen Kandidaten tatsächlich ausgewirkt hätten, lässt sich in Argentinien seit der Amtsübernahme des Neoliberalen Mauricio Macri verfolgen: Deindustrialisierung, Massenentlassungen und ein explosionsartiger Anstieg der Preise für Strom, Wasser und Gas, während gleichzeitig zwei Millionen Argentinier in die Armut abrutschten.

Der neugewählte Präsident Lenín Moreno verkündete am Wahlabend in Quito: Die »Bürgerrevolution« gehe weiter, jedoch werde sich der Stil ändern – nach dem Motto: »zuhören, verstehen, einbinden«. Erklärtes Ziel von Moreno und seines Vize Jorge Glas sei u.a., die Sozialversicherung für alle BürgerInnen zu öffnen, sodass niemand mehr ohne soziale Absicherung leben muss. Das betrifft vor allem die sogenannten autonomen Arbeiter im informellen Bereich, wie beispielsweise VerkäuferInnen auf Märkten, Gelegenheitsarbeiter in der Landwirtschaft oder traditionelle Kunsthandwerker.

Die Wirtschaft soll sich vom extraktiven Rohstoffexport und der Agrarwirtschaft hin zur Produktion von Hochtechnologien weiterentwickeln. Moreno setzt vor allem auf die Förderung junger Menschen, die sich selbständig machen, kleine und mittlere Unternehmen gründen und dazu beitragen sollen, die Wirtschaft wiederzubeleben. Langfristige Kredite mit niedrigen Zinsraten sollen den Weg ebnen, dazu soll eine »Volksbank« eingerichtet werden, die auf unkomplizierte Weise Mikrokredite ausgibt. »Es wird 20.000 Kredite von bis zu 15.000 Dollar für 20 Jahre geben, um junges Unternehmertum zu fördern und eine Risikoabsicherung zu schaffen«, erläuterte Moreno. Als Teil des Wirtschaftsplans seien bereits jetzt mehr als zwei Milliarden US-Dollar für Kredite an Unternehmer der Volks- und Solidarischen Ökonomie eingeplant.

Morenos Sieg hat Signalwirkung in Lateinamerika. [4] Die Tendenz von linken Wahlniederlagen in der Region in den letzten Jahren wurde unterbrochen. Der Ausgang der Wahl in dem Andenland am Äquator widerlegt insbesondere jene selbst ernannten Propheten, die unter Verweis auf die Entwicklungen in Argentinien, Brasilien und Venezuela [5] umgehend die Idee des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« für beendet erklärt haben. Über die Linke in Lateinamerika, die jahrzehntelang massiven Repressionen durch putschende Militärs und reaktionäre Politiker ausgesetzt war, verbreiten sie die Stereotype, diese habe zwar gute Absichten, aber sei unfähig zu regieren, während sie gleichzeitig als Alternative die Rückkehr zum Neoliberalismus der 1980er und 90er Jahre anpreisen. [6] Der ecuadorische Außenminister Guillaume Long merkte zu Recht an, »es kann einen Rückschlag geben, aber Lateinamerika hat sich verändert und ist nicht dahin zurückgekehrt, was wir ›die lange und traurige neoliberale Nacht‹ genannt haben«. (Amerika 21, 20.2.2017)

[1] Lenín Moreno wurde im März 1953 in Nuevo Rocafuerte im Amazonasgebiet nahe der Grenze zu Peru geboren, wuchs in der Hauptstadt Quito auf und machte seinen Abschluss als Verwaltungswirt. Als Student sympathisierte er mit der linken revolutionären Bewegung MIR. Unter Correa übernahm er von 2007 bis 2013 das Amt des Vizepräsidenten. Zuletzt war er als UN-Sonderbotschafter für Menschen mit Behinderung in Genf tätig. Moreno sitzt selbst im Rollstuhl, nachdem er bei einem Raubüberfall 1998 angeschossen wurde.
[2] Vgl. Otto König/Richard Detje: Lenín Moreno muss in die Stichwahl, Entscheidung in Ecuador vertagt, SozialismusAktuell v. 26.2.2017.
[3] Der uruguayische Journalist Aram Aharonian schreibt in seinem Buch »Die Internationale des Medienterrors«, dass diese Manöver typisch für den sogenannten Krieg der vierten Generation seien, die »ausgehend von der geistigen Kolonialisierung mit dem Ziel der Beherrschung einer Gesellschaft« organisiert werden. Dieser Krieg werde mit Soldaten organisiert, die »nicht länger Militärexperten sind, sondern Kommunikationsexperten im Bereich Aufstand und Counterinsurgency«, die »Militäroperationen durch psychologische Operationen« ersetzen.
[4] Aufatmen kann auch Julian Assange. Dem Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der seit 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London lebt, um einer Auslieferung an Schweden zu entgehen, da er eine Auslieferung an die USA befürchtet, wird nach Angaben von Moreno weiter Asyl gewährt. Dagegen hatte Lasso vor der Wahl angekündigt, diesen Schutz aufzuheben.
[5] In Venezuela verstärkte die rechte Opposition nach dem Tod von Hugo Chávez ihren erbitterten Kampf gegen dessen Nachfolger Nicolás Maduro. In Argentinien verlor Ende 2015 der designierte Nachfolger von Christina Kirchner, Daniel Scioli, die Präsidentschaftswahl gegen den neoliberalen Mauricio Macri. In Brasilien kehrte 2016 nach dem »parlamentarischen Putsch« gegen die demokratisch gewählte Präsidentin Dilma Rousseff die alte konservative, korrupte Elite unter Michel Temer an die Macht zurück.
[6] Das widerlegt im Hinblick auf die Regierung in Uruguay, aber auch mit Blick auf die längere politische Entwicklung in Brasilien Dierk Hirschel: Politik der Gleichheit. Nationale und internationale Erfahrungen, in: Sozialismus 1/2017, S. 36-39.