Geistiger Neubeginn

Will DIE LINKE gut durch dieses »Superwahljahr« kommen, muß sie auch
plausible Angebote für eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik vorlegen.
Ohne eine theoretische Wertung der tiefgreifenden Veränderungen in den
Produktions- und Austauschbeziehungen der Weltgesellschaft geht das nicht.
Sie beinhalten eine hochgradige Vergesellschaftung (gesellschaftliche Existenzweise)
des Menschen und seiner Auseinandersetzung mit der Natur. Die Trennung
des Geldes vom bestimmten realen Sachwert (Gold) im Jahre 1971 ermöglichte
die schrankenlose Aufblähung des Finanzsystems, unabhängig von
den in der Realwirtschaft gebundenen Werten. Dieses quasi neue Geld (und
seine Bewirtschaftung) ist dem Wesen nach nicht mehr Sache von Privaten,
sondern öffentliche Angelegenheit. Der Staat mit seiner Notenbank als Herausgeber
und »Hüter« des Geldes hat mit seinem ganzen Gesetzesapparat dafür
zu sorgen, daß das Geld seine ökonomischen Funktionen erfüllt und der gesellschaftliche
Reproduktionsprozeß als Einheit von Produktion und Konsumtion
funktioniert. Was gerade in der ganzen Welt in Form staatlicher Bemühungen
um finanzielle und sachlich-strukturelle Stabilität in der Wirtschaft vor sich
geht, geschieht leider nicht aus theoretischer Einsicht, sondern der praktischen
Not gehorchend und daher mangelhaft.


Wer heute Geld besitzt, hat – ökonomisch gesehen, wenn auch noch nicht de
jure fixiert – staatlich sanktionierten Anspruch auf Produkte und Leistungen der
Gesellschaft zum entsprechenden Betrag. Bis 1971 hatte er – auf der Rechtsgrundlage
des Abkommens von Bretton Woods – mit je 35 US-Dollar Anspruch
auf 1 Feinunze Gold, das bei der Zentralbank der Vereinigten Staaten lagerte.
Diesen Anspruch hatte der Staat mit der Geldpolitik seiner Notenbank zu garantieren,
und darin erschöpfte sich seine aus den Bedingungen des Warenaustauschs
resultierende ökonomische Funktion. Nun aber, in der neuen ökonomischen
Konstellation, hat der Staat dafür zu sorgen, daß mit dieser »Quittung
für geleistete gesellschaftliche Arbeit« im Gegenzug auch wirklich sachliche
Ergebnisse gesellschaftlicher Arbeit aus dem allgemeinen Fonds (auf demMarkt) erworben werden können. Dieser Veränderung in der ökonomischen Basis
der Gesellschaft muß durch einen entsprechenden Wandel ihres geistigen,
politischen und juristischen Überbaus Rechnung getragen werden. Hier soll
nur auf drei das Unternehmertum betreffende Aspekte hingewiesen werden:


Erstens: Als »gesellschaftliche Arbeitsquittung« drückt das Geld einen Anspruch
seines Besitzers auf einen entsprechenden Teil des Produkts der Gesellschaft,
also ihres Produktionsfonds, und damit auf Teilhabe am Produktivvermögen
der Gesellschaft aus. Der gesamte gesellschaftliche Produktionsfonds
ist daher – ökonomisch gesehen – nicht mehr Privateigentum von Unternehmern,
sondern Produktivvermögen der Gesellschaft als ganzes. Diesen bereits
gegebenen ökonomischen Sachverhalt gilt es in unserem Rechtssystem klar
zu fixieren. Dem kommt der Umstand entgegen, daß heute der sogenannte Eigenkapitalanteil
sogar auch in den mittelständischen Unternehmen ohnehin nur
noch zirka ein Viertel des Betriebsvermögens ausmacht, während die überwiegende
Masse geliehenes »Fremdkapital« darstellt.


Zweitens: Der Unternehmer selbst – und erst recht der Manager einer »Kapitalgesellschaft
« – ist so gesehen zu einem »Betriebsleiter im Auftrag der
Gesellschaft« geworden, ausgestattet mit bestimmten Kompetenzen und Vollmachten,
die es rechtlich noch klarer zu umreißen gilt, ohne in kleinliche Bevormundung
zu verfallen. Und auch in dieser Hinsicht hat sich in der Praxis
bereits ein sichtbarer Wandel vollzogen: Der Unternehmer kann schon lange
nicht mehr nach persönlichem Gutdünken handeln, sondern ist an zahllose
Rechtsvorschriften und Normen gebunden, bis hin zur Gestaltung seiner betriebswirtschaftlichen
Rechnungsführung, Arbeits- und Lohngestaltung und
so weiter. Klare rechtliche Regelungen und Grenzen seiner Kompetenzen und
Verantwortung könnten ihm künftig durchaus größere »unternehmerische Freiheit
« und Sicherheit gewähren, als er heute genießt.


Drittens: Die vielbeschworene Sozialpflichtigkeit des Unternehmers leitet
sich aus seiner verantwortungsvollen Stellung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß
als Existenzgrundlage der menschlichen Gemeinschaft ab und
ist unter anderem im Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes rechtlich begründet.
Sie wird heute in erster Linie durch den von der Gesellschaft selbst
erzeugten Druck der ökonomischen Zwänge beeinträchtigt. Hier soll vor allem
auf den Zwang zu bedingungsloser Gewinnmaximierung und Verzinsung geliehenen
Geldes hingewiesen werden. Beiden Faktoren liegt letztlich der allgemeine
Irrtum dieser Gesellschaft zu Grunde, Geld und Finanzwerte aller
Art für Reichtum zu halten, obwohl diese lediglich Ansprüche ausdrücken beziehungsweise
eine ideelle Darstellung verausgabter gesellschaftlicher Arbeit
sind. Der Zins als Kostenfaktor bläht, da er keinen wirklichen gesellschaftli-
chen Aufwand von Arbeit darstellt, in der Betriebswirtschaft die Kosten der
Produktion künstlich auf und begründet – neben anderen Ursachen – gesellschaftlich
eine inflationistische Entwertung des Geldes.


Die Leichtigkeit, mit der derzeit rund um den Globus vom Staat Gelder in
nie gekannter Menge zur Krisenbewältigung hingeblättert werden, markiert
das gründliche Versagen einer ökonomischen Theorie, die mehr als drei Jahrzehnte
lang den Staat aus der Wirtschaft verbannen wollte. Nun gilt es zu verstehen,
was da in der Tiefe der vom Gold-Dollar befreiten Wirtschaft vor sich
geht und daß nicht, wie jetzt beschlossen, einfach noch mehr Geld erzeugt,
sondern das vorhandene mit der Macht des Staates umverteilt und künftig
eine realwirtschaftlich begründete Geld- und Finanzwirtschaft betrieben werden
muß, damit der produzierte Sachreichtum der Gesellschaft ohne Verschuldung
konsumiert werden kann, Produktion und Verbrauch also in ein letztlich
auch ökologisch vernünftiges Gleichgewicht kommen.