Fast auf den Tag genau vor sechs Jahren, als die Kampagne »Posaunen gegen Nuklearwaffen« mit der ersten Umrundung des Atomwaffenstandorts Büchel begann, habe ich schon einmal hier gestanden, um laut und deutlich auszusprechen: Auch Soldaten finden es unerträglich, daß derart barbarische Waffen existieren, daß sie an solchen Waffen ausgebildet werden und daß sie solche Waffen auf Befehl einsetzen sollen. Waffen, über die der Internationale Gerichtshof in seinem epochalen Gutachten vom 8. Juli 1996 geurteilt hat: »Die Vernichtungskraft von Nuklearwaffen kann weder in Raum noch Zeit eingedämmt werden. Sie können die gesamte Zivilisation und das gesamte Ökosystem des Planeten zerstören.«
Solch kritische Rede als demokratischer Staatsbürger in Uniform war damals und ist heutzutage nicht ohne Risiko und Folgen. Denn jeder Bürger, der es wagt, sich seines Verstandes ohne Leitung der Herrschenden zu bedienen, sieht sich in zunehmendem Maße der Repression staatlicher Sicherheitsapparate ausgesetzt. Deshalb muß ich vorweg zu Protokoll geben, daß ich selbst hier und heute lediglich meine ganz persönliche Sicht der Dinge darlege und nicht in offiziellem Auftrag als Vertreter des Bundesministers der Verteidigung spreche.
Denn was die politische Klasse unseres Landes von fundamentalen Bürgerrechten wie der Meinungsfreiheit hält, hat ein führender Repräsentant der sogenannten »Strategic Community« in einem unbedachten Moment zum Besten gegeben, als er die Maske des Biedermannes fallen und seine totalitäre Gesinnung ungeschminkt zum Vorschein kommen ließ. »Es ist die Tragik der Demokratie, daß bei uns jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf und daß man politisch Verantwortliche in einer Demokratie schützen muß. In Diktaturen würde so etwas nicht passieren«, so sprach der Musterdemokrat Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik (früher Kanzleramt, dann Bertelsmann-Stiftung, jetzt Leiter der alljährlichen Münchener Sicherheitskonferenz). In Anbetracht dessen kann es nicht verwundern, daß meine damalige Rede die umgehende Vernehmung durch den Wehrdisziplinaranwalt sowie meine anschließende Strafversetzung zur Folge hatte. Die Vorwürfe lauteten, ich hätte den Eindruck erweckt, für die Bundeswehr zu sprechen, weil ich in der Presse mit meinem Dienstgrad zitiert worden war. Zudem hätte ich gegen die soldatengesetzliche Zurückhaltungspflicht verstoßen. Und schließlich hätte ich ein Geheimnis verraten, als ich davon sprach, daß hier in Büchel Atomwaffen stationiert seien.
Die Sache ging damals aus wie das sprichwörtliche Hornberger Schießen. Der Vorwurf des Verstoßes gegen die Zurückhaltungspflicht hatte sich erledigt, als ich den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann zitierte. Der hatte einst als Bundesminister vor dem Deutschen Bundestag erklärt: »Ich nenne die Atomwaffen Ungeziefervertilgungsmittel, bei denen der Mensch das Ungeziefer sein soll«, und er hatte die rhetorische Frage angefügt: »Ist die Anwendung solcher Mittel christlich verantwortbar?« Jedenfalls, so entgegnete ich dem Herrn Wehrdisziplinaranwalt, hätte ich selbst mich mit meiner Kritik an den nuklearen Massenvernichtungswaffen demzufolge ja wohl eindeutig innerhalb der Spannbreite regierungsamtlicher Argumentation bewegt.
Was den angeblichen Geheimnisverrat betraf, so brauchte ich lediglich anzumerken, daß es sich bei einem Geheimnis per definitionem um einen Sachverhalt handele, den nicht ohnehin schon jeder kennt, und daß man etwas, was jeder weiß, schlechterdings nicht mehr »verraten« könne.
So skurril dieser Vorgang rückblickend erscheinen mag, so deutlich illustriert er die Empfindlichkeit der staatlichen Exekutive gegenüber Kritik an Heiligen Kühen der Sicherheitspolitik wie in diesem Fall an der prestigeträchtigen »nuklearen Teilhabe« – zumal dann, wenn sie aus den eigenen Reihen heraus öffentlichkeitswirksam vorgetragen wird. Aber von solchen machtpolitischen Attitüden dürfen wir uns als Staatsbürger – gleich ob mit oder ohne Uniform – nicht abschrecken lassen.
Und deshalb wiederhole ich heute, daß es sich bei den in Büchel und an anderen Orten auf dieser Welt gelagerten Atomwaffen um Waffen zum Massen- und Völkermord handelt. Die tapfere US-amerikanische Friedensaktivistin Cindy Sheehan, deren Sohn dem Aggressionskrieg gegen den Irak und die Iraker zum Opfer fiel und die seit Jahr und Tag vor der Ranch des Völkerrechts- und Kriegsverbrechers George W. Bush unbeirrt ihren Protest kundtut, hat neulich geschrieben: »Vor 60 Jahren haben die Monster der US-Kriegsmaschinerie eine Atombombe auf Hunderttausende unschuldiger Frauen und Kinder abgeworfen, und seit diesem Tag wurde unsere Nation in eine Spirale immer neuer Kriege hineingezogen, weil in Kriegen Profite zu machen sind und für höhere Profite immer neue Kriege angezettelt werden müssen.« Die Hunderttausende Zivilisten, die in Hiroshima und Nagasaki im atomaren Höllenfeuer zu Asche verbrannt worden sind, waren unter gar keinen Umständen ein legitimes Ziel im Sinne des auch damals schon geltenden Kriegsvölkerrechts. Haben wir jemals davon gehört, daß irgendeiner der für diese Menschheitsverbrechen verantwortlichen Politiker und Militärs zur Rechenschaft gezogen worden wäre? Im Gegenteil: In den USA, die sich weltweit als Lordsiegelbewahrer für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte gerieren, werden die Atombombenabwürfe auf Japan bis heute als großartige Heldentaten gefeiert.
Wenn aber das Töten unschuldiger Zivilisten zu politischen Zwecken nach landläufiger Definition als Terrorismus gilt, so ist auch das hunderttausendfache Töten von Zivilisten mittels jener »atomaren Ungeziefervertilgungsmittel«, von denen Gustav Heinemann sprach, ein Akt des Terrorismus, genauer gesagt: des Staatsterrorismus. Atomwaffen sind nichts anderes als Waffen des Staatsterrorismus. Wer sie anwendet, ist ein Terrorist, ein Staatsterrorist nämlich. Und daran ändert sich auch nichts, wenn er bei der Durchführung einer solchen Tat eine Uniform trägt – egal welcher Armee. Für all jene Soldaten, die sich an der nuklearen Massenvernichtung beteiligen, gilt das bekannte Verdikt des scharfzüngigen Publizisten und leidenschaftlichen Pazifisten Kurt Tucholsky: Diese Soldaten sind Mörder. Hoffentlich nicht nur meinem Verständnis zufolge muß daher für jeden Soldaten, der auch nur einen Funken Moral, Humanität oder auch soldatisches Ehrgefühl besitzt, der Gedanke an einen Einsatz von Atomwaffen insbesondere gegen Städte und schutzlose Menschen unerträglich sein und Ungehorsam gegenüber derartigen, jegliche Rechts- und Moralvorstellung pervertierenden Befehlen zur höchsten Pflicht werden.
Immerhin sind selbst im Bundesministerium der Verteidigung mittlerweile offenkundig Bedenken gegen den Einsatz von Atomwaffen laut geworden. Dort gab die Rechtsabteilung II 3 schon 1996 eine sogenannte »Taschenkarte Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten – Grundsätze« heraus, die gemäß ministerieller Weisung »in die Hand aller Angehörigen der Bundeswehr gehört« und »soweit nicht anders befohlen, bei jedem Auslandseinsatz in der äußeren linken Brusttasche des Kampfanzuges mitzuführen ist«. In dieser Taschenkarte steht für jeden Soldaten zu lesen: »Es ist verboten, Mittel oder Methoden anzuwenden, die dazu bestimmt oder geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen (z. B. Dum-Dum-Geschosse), ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt zu verursachen, militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos zu schädigen. Insbesondere der Einsatz folgender Kampfmittel ist deutschen Soldaten in bewaffneten Konflikten verboten: Antipersonenminen, bakteriologische Waffen, chemische Waffen (z. B. Giftgas) und atomare Waffen.«
Laut offiziell dokumentierter Rechtsauffassung des Verteidigungsministeriums dürfen deutsche Soldaten also gar keine Atomwaffen einsetzen. Gegenteilige Einsatzbefehle wären rechtswidrig; sie dürften nach dem geltenden Soldatengesetz weder von Vorgesetzten erteilt noch von Untergebenen befolgt werden.
Wenn dies aber die Rechtslage ist, so drängt sich die Frage auf, weshalb in Büchel immer noch diese völkerrechts- und zugleich verfassungswidrigen Waffen lagern. Und warum immer noch das hier stationierte Jagdbombergeschwader 33 seine Rolle im Konzept der »nuklearen Teilhabe« erfüllt. Und warum immer noch Soldaten der Bundesluftwaffe für den Einsatz dieser atomaren Massenvernichtungswaffen ausgebildet werden und solche Einsätze üben. Denn wenn den deutschen Soldaten der Einsatz von Atomwaffen verboten ist, dann ergibt das alles keinerlei Sinn, nicht wahr?
Doch ungeachtet dessen halten großmannssüchtige Politiker an den Schalthebeln der Macht in Berlin stur nach der Devise »Legal, illegal, scheißegal!« an ihrer Politik der Atomwaffenstationierung und der »nuklearen Teilhabe« fest. Und das, obwohl, wie das Beispiel Griechenland zeigt, die US-Regierung selbst durchaus willig, ja sogar interessiert daran ist, ihre Atombomben zurück in heimische Depots zu schaffen. (Die griechische Regierung hatte die USA zum Abzug der auf griechischem Territorium gelagerten Atomwaffen aufgefordert.)
Laßt uns deshalb zum einen an die Angehörigen des Jagdbombergeschwaders 33 appellieren: Soldaten und Soldatinnen, schaut ins Soldatengesetz und in die Dienstvorschriften zum Völkerrecht. Und dann prüft euer Gewissen und verweigert – ganz so, wie es das Soldatengesetz vorsieht – die Ausführung ungesetzlicher, gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts verstoßender Befehle und die Beteiligung an Kriegsverbrechen wie dem nuklearen Massenmord.
Und zum anderen laßt von hier aus quer durchs Land mit aller Kraft bis an die Spree den Ruf ertönen: »Merkel, schaff‘ die Bomben weg!«
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt – was übrigens auch für alle anderen Ossietzky-AutorInnen gilt.