Der Vodafone-Skandal

Bundesregierung und führende Politiker aus Regierungskoalition und Opposition sind empört. Das britische Mobilfunkunternehmen Vodafone hat bei den Düsseldorfer Finanzbehörden für die ...

... Tochterunternehmung in Deutschland einen Abschreibungsbedarf von rund 50 Milliarden Euro angemeldet und geht davon aus, dass rund 25 Milliarden von den Finanzbehörden akzeptiert werden. Ähnlich wie andere Großunternehmen wäre damit die Firma bei positiven Gewinnen auf Jahre hinaus von Steuerzahlungen befreit.
Der CDU-Haushaltspolitiker Austermann spricht von steuerlichen Beutezug, der verhindert werden müsste. Die Grünen-Finanzpolitikerin Scheel fordert ein schnelles und scharfes Vorgehen der Finanzbehörden. Nicht nur wegen der Ebbe in den öffentlichen Kassen. Hinzu kommt, dass im Zusammenhang mit der Unternehmensfusion Vodafone-Mannesmann enorme Abfindungssummen an beteiligte Manager gezahlt wurden. Diese Zahlungen gingen zum einen nicht korrekt über die Bühne und sprengen in der Größenordnung alles bisher bekannt Gewordene, weshalb die Verantwortlichen aus dem Vorstand und Aufsichtsrat wegen Untreue vor Gericht stehen. Logischerweise kommt jetzt die Vermutung auf, dass letztlich der deutsche Steuerzahler für die Prämien der Mannesmann-Vorstände in Millionenhöhe gerade stehen müsse.

Aber der Proteststurm wird verhallen - denn der Antrag auf Abschreibung ist gesetzlich berechtigt. Bei der feindlichen Übernahme von Mannesmann wurde ein Kaufpreis von 180 Milliarden Euro fällig, z.T. durch Aktientausch, z.T. durch Barzahlungen. Im Zusammenhang mit diesem Deal hat eine Luxemburger Vodafone-Tochter Ende 2000 ein Mannesmann Aktienpaktes für 147 Milliarden Euro an Vodafone-Deutschland verkauft. Kurz darauf setzte der Börsen-Crash ein und die Mannesmann Aktien bei Vodafone-Deutschland waren per Stück statt 309 Euro nur noch 200 Euro wert. Den entstandenen Abschreibungsbedarf beabsichtigt das Unternehmen gegen die seit 2001 anfallenden Gewinne zu verrechnen.

Was folgt daraus? Seit langem ist bekannt, dass die Steuergesetze solche Geschäfte ermöglichen und dass die Praxis der Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen begrenzt oder abgeschafft werden muss. Richtig ist auch, dass in den Unternehmen üppig mit Sonderzahlungen umgegangen wird - Raubtierkapitalismus nennt das der Ex-Bundeskanzler Schmidt. Seiner Meinung nach liegt die Wurzel der Missstände - Bereicherung der Vorstände, Bilanzfälschungen, Anstieg der Wirtschaftskriminalität, Abschreibungswahn etc. - in dem Verfall von Moral und Anstand bei einigen Managern. Hinzu kommt der Vorwurf des "unpatriotischen" Verhaltens von Spitzenmanagern. Diese verlagern die Unternehmenszitze ins Ausland, fordern Lohnzurückhaltung, längere Arbeitszeiten und Verzicht von Sozialleistungen. Gleichzeitig bedienen sie sich aus der Unternehmenskasse. Wo Spekulation und Leichtfertigkeit zum Alltagsgeschäft gehören, da ist Täuschung und Betrug nicht weit.

Dieser Bewertung von Helmut Schmidt (und vielen anderen) soll widersprochen werden. Nicht die Moral, die Orientierung am Begriff des ehrbaren Kaufmanns, bleibt auf Strecke - vielmehr ist das System von Kräften und Gegenkräften im Unternehmen und zu den öffentlichen Institutionen seit Jahren immer mehr aus dem Gleichgewicht geraten.

Das Shareholder value-Konzept bestimmt die Unternehmensrealität. Die Formel heißt: "Wer seine Aktionäre reich macht, soll selbst reich werden." Wenn nach der Ankündigung von Personalabbau oder dem Drücken der Arbeitseinkommen (Verlängerung von Arbeitszeiten etc.) die Börsenkurse positiv reagieren, dann ist dies nur der finanzpolitische Ausdruck einer erfolgreichen Steigerung der Eigenkapitalrendite. Investoren - Fonds, Vermögensverwalter etc. - bestimmen die Ausgestaltung der Verwertungslogik. Wie sichert die Unternehmensführung, dass die Investoren und das Management ihre Ansprüche an den gesellschaftlichen Reichtum befriedigt erhalten?

Die kapitalistische Antwort lautet nach wie vor: Je eingesetzter Arbeitskraft müssen jetzt und künftig genügend Überschüsse erwirtschaftet werden. Die Ansprüche der wirklichen Produzenten und der öffentlichen Institutionen sind nachgeordnet. Seit Jahren dominiert die absurde Logik der Steuersenkung für Unternehmen und Vermögende mit dem Ziel, sie könnten ihre erfolgreiche Bereicherung in neue Arbeitsplätze umsetzen. Die Masseneinkommen stagnieren, die Belastungen durch Beschneidung von Sozialleistungen werden größer, der öffentliche Sektor wird durch die absurde Steuersenkungspolitik kaputtgespart und die Privatisierung von Gütern und Diensten sowie die Verlängerung der Arbeitszeiten verfestigen den Marsch in die gesellschaftspolitische Sackgasse.

Was tun? Helmut Schmidt sagt, einige der skizzierten Missstände könnten durch Gesetzesänderungen eingeschränkt werden. Unternehmensvorstände sehen darin neue Investitionsblockaden. So liest man in der FAZ: "Eine Flut von Gesetzen und selbstverfasste Leitlinien der Wirtschaft zur Unternehmenskontrolle (Corporate Governance) sollen die Entwicklung der börsennotierten Gesellschaften transparenter machen, die Geldgier der Vorstände zügeln und die Bilanzgestaltung jenseits vernünftiger Maßstäbe verhindern... Parallel zu den Bemühungen der Wirtschaft kam es ... zu einer Gesetzesflut, die inzwischen Züge von Kontrollwahn trägt." Die Praxis von Vodafone zeigt, dass davon keine Rede sein kann. Eine neues Gleichgewicht in den Unternehmen und im Verhältnis von Unternehmen zu sozialen Sicherungsinstitutionen und öffentlichem Bereich unterstellt mehr als einzelne Gesetze zur Begrenzung der aggressiven Logik des Shareholder value.

Wir sind mit einer umfassenden gesellschaftspolitischen Herausforderung konfrontiert. Positiv formuliert: Es geht um einen radikalen Kurswechsel in den Verteilungsverhältnissen, um die Rückeroberung des politischen Gestaltungswillens gegenüber der Wirtschaft und eine umfassende Neuordnung der Unternehmensverfassungen.

aus: www.sozialismus.de