Die Schlechten von den Guten trennen

Zur Problematik der Rasterfahndung

Wenn man dem Bundesinnenminister Otto Schily bei seiner Jagd nach potentiellen Terroristen innerhalb der Bevölkerung zusieht, könnte einem das Märchen vom Aschenputtel in den Sinn kommen. ...

... Aschenputtel musste die guten Erbsen von den schlechten Erbsen trennen. Die Tauben halfen ihr beim Aussieben und dann durfte sie auf den Ball gehen und dort den schönen Prinzen treffen.
Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen hieß also die Devise im Märchen der Gebrüder Grimm.
Die Schlechten von den Guten trennen, das ist auch das Prinzip der Rasterfahndung. Nur mit dem Unterschied, dass eben keine Tauben helfen und oft auch die "Guten" im Raster hängenbleiben. Eigentlich immer.

Die Rasterfahndung, die Schily jetzt als Mittel gegen die Terroristen einsetzt, wurde Ende der Sechziger Jahre zur Bekämpfung der RAF entwickelt und ist eine hochumstrittene Fahndungsmethode.

Systematische Fahndungsmethode
Mit dem Begriff Rasterfahndung wird eine systematische Fahndungsmethode beschrieben, die sich die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung zu Nutze macht, indem bestimmte Datenbestände mit anderen maschinell abgeglichen werden. Unter Datenabgleich versteht man "die programmgesteuerte Durchführung von Suchläufen, bei der die Datenbestände mehrerer speichernder Stellen zusammengeführt werden". 1 Dabei liegt dem konkreten Abgleich ein sogenanntes Raster zu Grunde. Das Raster enthält täterbezogene Merkmale und orientiert sich an einem Täter- bzw. Verdächtigenprofil, das nach kriminalistischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erstellt worden ist. 2

Die Suche nach der RAF
Zur Verdeutlichung des Ablaufs einer Rasterfahndung soll auf das "Paradebeispiel" hingewiesen werden: 3 Ende der siebziger Jahre wurde die Rasterfahndung vom Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Horst Herold, gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) eingesetzt. 4 Das BKA ging damals von der Annahme aus, dass die RAF in mehreren deutschen Großstädten konspirative Wohnungen unterhielt. Aus der Vermutung, dass die RAF-Mitglieder ihre wahre Identität verbergen wollten, folgerte man, dass die gesuchten Personen ihre Stromrechnung in bar und unter falschem Namen bezahlten. Deshalb wurden die Kundendateien der Stromwerke in deutschen Großstädten beschlagnahmt und diejenigen KundInnen herausgefiltert, die ihre Stromrechnung in bar bezahlten. Diese Namen wurden nun mit anderen Dateien, zum Beispiel aus Melderegistern, Grundbucheinträgen und Versicherungsdateien, abgeglichen. Das heißt, jeder Legalname aus einer solchen Datei radierte sein "Spiegelbild" aus der Stromkundendatei, so dass am Ende dieses Abgleichs nur noch wenige FalschnamenträgerInnen übrigblieben. Gegen die Personen, die gewissermaßen "im Raster hängenblieben", wurde daraufhin herkömmlichen kriminalistischen Methoden ermittelt. Tatsächlich gelang es dem BKA, ein gesuchtes RAF-Mitglied mit dieser Methode ausfindig zu machen.

Dieses Beispiel einer erfolgreichen Fahndung erscheint faszinierend und taucht wohl auch deswegen immer wieder in den Lehrbüchern und Aufsätzen auf, die sich mit dem Thema beschäftigen. Allerdings liegt das auch daran, dass bisher recht selten eine Rasterfahndung durchgeführt wurde und es schlichtweg an anderen praktischen Anwendungsfällen mangelt.

Täterprofil
So einfach wie in diesem Lehrbuchbeispiel gestaltet sich die Rasterfahdnung nämlich meist nicht. Der Erfolg hängt zum Großteil von der Genauigkeit und Richtigkeit des vermuteten Täterprofils ab. Ist das Profil sehr konkret und genau formuliert, obwohl einige Merkmale nach dem Ermittlungsstand ungewiss sind, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eines der Merkmale falsch ist, und die gesuchte Person durchs Raster fällt. Sind wiederum die Merkmalsangaben zu allgemein, bleibt eine zu große Zahl von Personen "hängen". Die Effektivität der Rasterfahndung ist also sehr stark mit einem guten Täterprofil verbunden, welches durch den Stand der Ermittlungen und das kriminalistische Feingefühl der Ermittlungsbehörden bedingt wird.

Im aktuellen Anwendungsfall soll die Rasterfahndung bei der Suche nach potentiellen Terroristen, den sogenannten Schläfern der Al-Quaida, helfen. Dieser Suche liegt dabei folgendes Profil zugrunde: die Schläfer sind wahrscheinlich männlich, Studenten eines technischen Studienfaches, sowie islamischen Glaubens und arabischer Herkunft und zudem vermutlich unauffällig. Dass dieses Täterprofil alles andere als genau und kriminalistisch fundiert ist, liegt auf der Hand. Ebenfalls offensichtlich sind die Folgen für diejenigen, die zufällig den Kriterien entsprechen: Menschen arabischer Herkunft und islamischen Glaubens werden pauschal unter einen Vorabverdacht gestellt.

Historie
Die Rasterfahndung ist seit ihrer Einführung in das Instrumentarium der Ermittlungsbehörden rechtspolitisch heftig umstritten. 5
Der Gesetzgeber hielt es aber trotz Kritik zunächst nicht für nötig, für diese spezielle Fahndungsmethode eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Die herrschende Ansicht in der juristischen Literatur stützte die Maßnahme auf § 163 Strafprozessordnung (StPO), eine Art Generalermächtigung für Handlungen der Strafverfolgungsbehörden. 6 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz 7 im Jahr 1983 und dem darin entwickelten Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber war der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen. 1992 wurde das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität erlassen, durch welches die §§ 98a, b und § 98c in die StPO eingeführt wurden.

Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Das Bundesverfassungsgericht hat in dem sogenannten Volkszählungsurteil aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 1 Grundgesetz) das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt. Anknüpfungspunkt sind frühere Entscheidungen zum Recht der und des Einzelnen, selbst über die Darstellung seiner Person in der Öffentlichkeit zu verfügen 8 bzw. über die Offenbarung persönlicher Lebenssachverhalte selbst zu entscheiden 9.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des und der Einzelnen, "grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden" und spielt bei der Beurteilung der Rasterfahndung eine besonders wichtige Rolle. Schließlich wurde es von den Karlsruher Richterinnen und Richtern entwickelt, um zu gewährleisten, dass das Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Bürgerin und des einzelnen Bürgers auch "unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung" bestehen kann.

Ausgangspunkt der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist die Erkenntnis, dass ein freiheitliches, demokratisches Gemeinwesen auf der Selbstbestimmung der einzelnen Bürgerin und des einzelnen Bürgers fußt, ja sogar eine "elementare Funktionsbedingung" für dieses sei. Individuelle Selbstbestimmung bedeute dabei, dass der oder dem Einzelnen eine Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende und zu unterlassende Handlungen zukomme und sie oder er dann auch die Möglichkeit habe, sich entsprechend dieser Entscheidung zu verhalten.

Vermeidungsverhalten
Inwiefern ist dieses Selbstbestimmungsrecht nun durch die automatische Datenverarbeitung gefährdet? Durch die elektronische, computerunterstützte Datenverarbeitung ist es möglich, Angaben über persönliche Verhältnisse unbegrenzt zu erfassen, zu speichern, sie zusammenzuführen und sogar ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Grosse Einkaufshäuser basteln sich so zwar schon länger ein Abbild ihrer Kundinnen und Kunden, aber es ist ein Unterschied, ob dies von staatlicher Seite zu Zwecken der Strafverfolgung und dergleichen geschieht oder freiwillig gegen ein paar Prozente Rabatt.
Es entsteht durch diese technischen Möglichkeiten nun eine Unsicherheit des Einzelnen/der Einzelnen, wenn er oder sie nicht mehr überschauen kann, welche Informationen bei welcher Stelle bekannt und gespeichert sind und welche nicht. Bereits in dieser Verunsicherung und nicht erst in der tatsächlichen Speicherung oder Verarbeitung von Daten sieht das Bundesverfassungsgericht eine wesentliche Gefährdung der unbeschwerten Wahrnehmung von eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielräumen. Sind die BürgerInnen über das Wissen von Kommunikationspartnern nämlich im Unklaren, könnte sie in ihrer Freiheit, selbstbestimmt zu planen und zu handeln, gehemmt sein. Wer unsicher ist, ob abweichendes Verhalten notiert und als Information dauerhaft gespeichert und weitergegeben wird, wird versuchen, eben nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Es muss also nicht einmal tatsächlich zu einer Verwendung von Daten kommen. Schon die Furcht vor einer unkontrollierten Persönlichkeitserfassung erzeugt einen sozialen, vielleicht auch unbewussten, Anpassungsdruck, der dazu führt, dass als auffällig eingeschätzte Verhaltensweisen unterlassen werden. Denn ist das Kriterium einer Rasterfahndung bekannt, wird jede/r versuchen, dieses Merkmal nicht zu erfüllen, um ein "Hängenbleiben" im Raster zu vermeiden. Und ist das Rastermerkmal nicht bekannt, ist man versucht, sich eben an vermeintliche Erwartungen anzupassen.
Interessant ist hier übrigens die Parallele zur Problematik der Videoüberwachung im öffentlichen Raum: Auch hier besteht, unabhängig von der tatsächlichen Auswertung des Bildmaterials die Gefahr, dass die Bürgerin oder der Bürger aufgrund des Gefühls, beobachtet zu werden, Freiheitsrechte nicht in Anspruch nimmt und sich ihr oder sein Verhalten ändert. 10 Wer unauffällig ist, hat nichts zu befürchten.

Schutz des Grundrechts
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird nicht absolut gewährleistet, sondern kann "im überwiegenden Allgemeininteresse" eingeschränkt werden.
Die Einschränkungen bedürfen einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, aus welcher sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und erkennbar ergeben und die so dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen. Zudem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, d.h. die einschränkende Regelung (hier die Rasterfahndung) muss geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Des weiteren betont das Gericht die Bedeutsamkeit organisatorischer und verfahrensrechtlicher Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts in Anbetracht der besonderen Gefährdungssituation durch die raschen Fortschritte der maschinellen Datenverarbeitung.

Die gesetzlichen Grundlagen der Rasterfahndung, also die §§ 98a, b StPO und die Vorschriften der Polizeiaufgabengesetze der Länder müssen sich an diesen Voraussetzungen und Anforderungen messen lassen.

Strafverfolgung
Nach den Vorschriften der Strafprozessordnung muss die Rasterfahndung durch eine/n Richter/in angeordnet werden. Bei Gefahr im Verzug kann auch die Staatsanwalt die Anordnung erteilen, dann muss eine richterliche Entscheidung nachgeholt werden. Die Anordnung kann nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 98a StPO vorliegen. Hierzu muss ein "Anfangsverdacht" (§ 152 Absatz 2 StPO) vorliegen, dass eine im Straftatenkatalog (§ 98a Absatz 1 StPO) aufgeführte, "erhebliche" Straftat begangen worden ist. Außerdem darf die Rasterfahndung nur durchgeführt werden, wenn andere Maßnahmen weniger Erfolg versprechen.
Weitere Vorschriften der StPO regeln zudem den genauen Verfahrensgang, unter welchen Voraussetzungen Zwangsmittel angewendet werden können, welchen Inhalt die Anordnung einer Rasterfahndung haben muss, und dass die erhobenen Daten gelöscht werden müssen, sobald sie für das Strafverfahren nicht mehr benötigt werden .

Stumpfes Schwert
Diese Voraussetzungen und Verfahrensvorschriften sollen den leichtfertigen und exzessiven Einsatz der Rasterfahndung verhindern. Die vorgesehenen Einschränkungen sind nicht dazu geeignet: Der Katalog, der die Straftaten aufzählt, bei deren Vorliegen, eine Rasterfahndung durchgeführt werden darf, ist unübersichtlich und unbestimmt, verweist über das Gerichtsverfassungsgesetz auf erneute Straftatenkataloge anderer Normen, z.B. den § 129a Strafgesetzbuch (StGB) 11 . Zudem ist der Begriff "erhebliche Bedeutung" schwammig, denn er wird durch die Rechtsprechung definiert, die sich auf die Aussagen der Ermittlungsbehörden verlässt. Da die Ermittlungsbehörden selbst die Prognose darüber abgeben, ob eine andere Ermittlungsmethode den gleichen Erfolg verspricht, hat die Subsidiaritätsklausel in der Praxis noch keine Rasterfahndung verhindert.

Was geschieht, wenn eine Rasterfahndung zu Unrecht angeordnet wurde, beispielsweise der Richtervorbehalt nicht beachtet wurde oder eine Tat aus dem Katalog gar nicht vorlag? Was passiert mit Erkenntnissen, die eine ganz andere als die verfolgte Straftat betreffen? Dürfen die Daten auch weiterhin gespeichert und zum Beispiel zur Gefahrenabwehr verwendet werden?
Bisher haben sich die Gerichte noch kaum mit diesen Problemen beschäftigt, es gibt kaum Rechtsprechung zur Rasterfahndung. Der Rechtsschutz kann durch die Heimlichkeit der Maßnahme ja auch erst im Nachhinein erfolgen, woran viele Betroffene dann kein Interesse mehr haben. Außerdem werden ohnehin nur diejenigen benachrichtigt, gegen die hinterher weitere Ermittlungen durchgeführt wurden.

Die Datenschutzbeauftragten erweisen sich in diesem Kampf gegen den Missbrauch personenbezogener Daten als stumpfes Schwert - sie können weder effektiv überprüfen, was mit den Daten geschieht, noch haben sie die Kompetenz, die Datenlöschung zu überwachen oder gar selbst durchzuführen.
Auch die Kommentarliteratur zu den §§ 98a, b StPO gibt auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten. Und so gehen einzelne Meinungen soweit, dass aus der Bestimmung, die Daten höchstens solange zu Speichern, "bis sie für das Strafverfahren nicht mehr gebraucht werden", herauslesen, dass diese auch auch bis zu einem möglichen Wiederaufrollen des Verfahrens aufgehoben werden könnten . 12 Ziemlich lange also. Und auch eine Verwendung der Daten zu Zwecken der Gefahrenabwehr, im präventiven Bereich, soll trotz fehlender Ermächtigung möglich sein. 13
Diese Ungewissheit veranlasst die Strafverfolgungsbehörden, die Vorschrift in der Praxis zu ihren Gunsten auszulegen. Ein Phänomen, welches man von der Praxis der Aushöhlung des Begriffs "Gefahr im Verzug" nur allzu gut kennt.

Gefahrenabwehr
Die Regelungen zur präventiven Rasterfahndung, die in den Polizeiaufgabengesetzen der Länder zu finden sind, haben eine große Ähnlichkeit zu denen der StPO. Allerdings haben sie in manchen Fällen noch weiter gefasste Anwendungsgebiete und noch geringere Anforderungen. Die bayerische Regelung in Artikel 44 Polizeiaufgabengesetz verlangt beispielsweise nicht einmal eine richterliche Anordnung - eine Zustimmung des Innenministeriums reicht aus.
Die Kritik an der Vorschriften im Bereich der Strafverfolgung lässt sich so auf die Vorschriften zur Gefahrenabwehr übertragen. Allerdings kommen weitere Kritikpunkte hinzu. So muss im Rahmen der Gefahrenabwehr als Voraussetzung polizeilichen Handelns eine konkrete und gegenwärtige Gefahr vorliegen, die es dann abzuwehren gilt. Kann man sich überhaupt eine Rasterfahndung vorstellen, die eine "konkrete und gegenwärtige" Gefahr abwehrt? Selbst in der polizeirechtlichen Literatur ist dies umstritten: "praktische Fälle, in denen die Rasterfahndung das geeignete Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für eines der [...] Rechtsgüter ist, dürften also, wenn überhaupt, nur selten auftreten". 14 Die Gefahr vor Durchführung einer Rasterfahndung dürfte in der Regel kaum konkret sein. Denn erst die erfolgreiche Ermittlung lässt die Gefahr ja näher bestimmen. Insofern ist die Rasterfahndung im Bereich der Gefahrenabwehr systemwidrig.
Die Richterinnen und Richter in Berlin, Wiesbaden und Frankfurt sahen das übrigens genauso, und stoppten die aktuellen Rasterfahndungen nach den Al-Quaida-Schläfern - teilweise auch deshalb, weil sie die Gefahr nicht als gegenwärtig bewerteten. 15

Charakterisierung
Charakteristisch für die Rasterfahndung ist, dass sie sich nicht, wie andere Fahndungsmethoden, gegen bestimmte Tatverdächtige richtet, sondern vielmehr dazu dient, erst solche Verdächtige zu ermitteln. Sie steht damit im Gegensatz zur herkömmlichen Ermittlung, bei der es um die Sammlung von Beweisen geht, die bestimmte Verdächtige belasten und freilich auch entlasten. Eine solche herkömmliche Ermittlungsmethode, beispielsweise das Abhören von Wohnungen, hat einen konkreten Erfolg: im Rahmen der Strafverfolgung die Beweissicherung bzw. im präventiven Bereich die Abwehr einer Gefahr. Eine Rasterfahndung hingegen ist der eigentlichen Ermittlungstätigkeit vorgeschaltet, sie soll diese als vorgelagerte Fahndungsmethode sozusagen erst ermöglichen.

Dabei werden in den Ermittlungsgang zahlreiche Unverdächtige und Unschuldige miteinbezogen, die erst nach und nach ausgeschieden werden. Es findet also eine Einengung des möglichen Täterkreises statt. Aber nicht erst diese Personen sind als "Betroffene" der Rasterfahndung anzusehen, sondern auch schon diejenigen, deren Daten in den Durchsuchungsvorgang miteinbezogen werden. Darunter fallen auch solche, die von vornherein nicht als Verdächtige in Betracht kommen, sondern die zufällig auch in Datenbeständen vorkommen, die zum Datenabgleich benötigt werden. 16
Dieser Umstand ist in rechtstaatlicher Hinsicht bedenklich. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich, dass die Bürgerin und der Bürger die Möglichkeit haben muss, durch rechtstreues Verhalten den Staat "auf Abstand" zu halten. Der Rechtsstaat hat das Prinzip der Unschuldsvermutung zu beachten, d.h. er muss die BürgerInnen grundsätzlich als ungefährlich betrachten und auch so zu behandeln. 17 Der eingreifende Staat muss der/m Bürger/in ein Fehlverhalten nachweisen und umgekehrt darf die/der Bürger/in nicht unversehens unter Rechtfertigungsdruck geraten. Eine Inanspruchnahme von Unverdächtigen ist daher auch nach der StPO grundsätzlich nicht zugelassen und nur in Ausnahmefällen möglich. 18 Dann aber haben die Unverdächtigen einen gewissen Tatbezug, beispielsweise als ZeugInnen.
Bei der Rasterfahndung hingegen findet ein staatlicher Eingriff in die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern statt, die überhaupt keinen Tatbezug haben, sondern lediglich zufällig Kriterien erfüllen, die vermutlich auch die Täterin oder der Täter besitzt.
Außerdem wird auf Daten zugegriffen, die ursprünglich in einem ganz anderen Zusammenhang erfasst worden sind, im obigen Beispiel eben von den Stromwerken. Wenn bei einer bestimmten Gelegenheit persönliche Angaben gemacht werden, besteht keine Gewißheit mehr, dass die Daten auch bei dieser Stelle verbleiben. Vielmehr ist es möglich, dass sie nun plötzlich im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen auftauchen und damit zweckentfremdet werden. Das Ganze geschieht dann auch noch heimlich, so dass sich der oder die Betroffene gar nicht wehren kann. Der Grundsatz des Datenschutzes wird dabei beeinträchtigt. Auch in dieser Hinsicht stellt sich die Fahndungsmethode als problematisch dar.

Verschwommene Kontrolle
Die oben beschriebene schwierige Einordnung der Rasterfahndung in das Instrumentarium herkömmlicher Ermittlungsmethoden weist auf ein weiteres Problem hin: Die Trennlinie zwischen Strafverfolgung, deren Umfang und Voraussetzungen in der StPO geregelt sind, und dem Bereich der Gefahrenabwehr, geregelt in den Polizeigesetzen der Länder, scheint in Hinsicht auf die Rasterfahndung zu verwischen. Ist das Suchen nach den Al-Quaiada-Terroristen Strafverfolgung oder geht es um die Verhinderung von Straftaten?
Begünstigt wird diese Entwicklung durch den Umstand, dass die tatsächliche Durchführung der Rasterfahdnung durch Einrichtungen der Polizei übernommen wird. Die Staatsanwaltschaft hat so vielfach kaum eine wirkliche Kontrolle über den Gang der Ermittlungen.
Problematisch ist das Verwischen der Trennlinie von repressiven und präventiven Maßnahmen, weil dadurch gegen die Gebote von Normenklarheit und Gesetzesvorbehalt verstoßen wird. Wenn nicht mehr klar ist, welche Instanz aufgrund welcher Befugnis und in welchem Umfang agiert, sondern nur noch im Interesse der Sicherheit gehandelt wird, ist die nötige Kontrolle erschwert.

Die oben angesprochene Vorverlagerung staatlicher Aktivität ist aber auch noch in anderer Hinsicht kritisch zu betrachten. Besonders problematisch ist nämlich die Rasterfahndung, wenn es sich um Straftatbestände handelt, die in einem ebenfalls vorgelagerten Bereich Strafandrohungen enthalten. Dies sind vor allem Straftatbestände, die Handlungen mit Strafe bedrohen, die lediglich Vorbereitungshandlungen sind und für sich genommen noch gar keine Rechtsgutverletzung zur Folge haben. Als Beispiel sei § 129a StGB genannt, der die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, unabhängig von tatsächlichen Handlungen, unter Strafe stellt. In § 129a StGB geht es lediglich um die Gesinnung, die Zielsetzung, welche die Mitglieder der Vereinigung bei ihrem Zusammenschluss haben. Dies eröffnet die Möglichkeit von Ermittlungen "ins Blaue" hinein. Eine Gesinnung, die es zu ermitteln gilt, kann nämlich so gut wie immer als Vorwand genommen werden.
Ermittlungen ohne Tat und ohne TäterIn?

Fazit
Die Wirksamkeit und Effektivität der Rasterfahndung ist zweifelhaft, die rechtliche Regelung in der StPO und den Polizeigesetzen der Länder mangelhaft und unklar, sie führt in ihrer aktuellen Anwendung zu einer Stigmatisierung und Diskriminierung von arabischen StudentInnen und MigrantInnen und fügt sich damit nahtlos in das durch die "Sicherheitspakete" der Bundesregierung geschaffene, gesellschaftliche Klima ein, welches die Freiheitsrechte unter einen Sicherheitsvorbehalt und Rechtfertigungsdruck stellt.

Die Rasterfahndung steht beispielhaft für den präventiv ausgerichteten Sicherheitsstaat.

Maximilian Warntjen und Dominik Kissler studieren Jura in München.

Anmerkungen:

1 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 98a StPO Rn 2.
2 Möhrenschlager, wistra 1992, S. 281 bzw. S. 326.
3 Beispiel bei Wehner, Kriminalistik 1986, S. 540.
4 Herold, in "DER SPIEGEL" vom 8.9.1995.
5 Vgl. die Hinweise bei Hilger, NStZ 1992, S. 457, 459; Simon/Taeger, Rasterfahndung, 1981, S. 23 ff.
6 Rieß, in: Löwe-Rosenberg, § 163 StPO Rn 49.
7 BVerfGE 65, 1.
8 BVerfGE 34, 269 ff.
9 BVerfGE 35, 202 ff.
10 Schiek, FoR 2001, S. 80f.
11 Kritisch auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 98a StPO Rn 5.
12 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 100b Rn 8.
13 Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 98b Rn 13.
14 Bäumler, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, Rn 717.
15 Urteile unter
www.stud.uni-giessen.de/asta/content/aktuelles/raster/urteilolgffm21.02.02.pdf und www.cilip.de/terror/lg-berlin-150102.pdf
und www.cilip.de/terror/lg-wiesbaden-060202.pdf
16 Siebrecht, Rasterfahndung, S. 72 f.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur StPO, vor § 94 Rn 73.
17 Wolter, in: Systematischer Kommentar zur StPO, vor § 151 Rn 93.
18 Beispielsweise im Rahmen der §§ 81c, 99, 100a, 103 Abs. 1 StPO.

Literatur:

Unter www.rgerlin.purespace.de/dud2001_746 finden sich die Rechtsgrundlagen der Rasterfahndung sowie eine Einführung.

Wittig, Schleppnetzfahndung, Rasterfahndung und Datenabgleich, in: Juristische Schulung 1997, 961.

Erhard Denninger, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Innere Sicherheit, in: Kritische Justiz 1985, 215:

Jürgen Simon / Jürgen Taeger, Rasterfahndung: Entwicklung, Inhalt und Grenzen einer kriminalpolizeilichen Fahndungsmethode, 1981.