Eine echte Alternative: Zurück an den Herd

Für die deutsche Familienministerin Kristins Schröder ist es ein „ideologischer Kulturkampf“, für die Opposition ein Rückschritt. Nur eine Landespartei namens CSU hält eisern an ihrer Klientelpolitik und am Betreuungsgeld fest. 

„Staatliche Krippen-Fernhalte-Prämie“ ist noch eine der harmloseren Beschimpfungen für das von der deutschen Bundesregierung beworbene und im Juni beschlossene Betreuungsgeld. Laut Gesetzesvorschlag soll die geplante „Herdprämie“ Eltern, die ihre ein- und zweijährigen Kinder zu Hause betreuen, finanziell entschädigen. Es folgte eine Welle der Empörung: Nicht nur die Oppositionsparteien sprühten Funken – auch Politiker_innen aus den Reihen der Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP kritisierten das Vorhaben als unsinnig und rückschrittlich. Ein Streit, der nicht nur die Politik seit dem letzten Jahr beschäftigt, sondern seine explosive Wirkung auch auf den vor- deren Seiten der Wirtschaftszeitungen entfaltete und als dermaßen brisant gilt, dass jegliche diesbezügliche Äußerung minutiös abgebildet wurde und wird. Als Vorlage, die Frauen zu „Gebärmaschinen dieser Gesellschaft“ erniedrigt, sieht Manuela Schwesig, Familienpo- litikerin der SPD, das Betreuungsgeld. Die Familienministerin selbst (Kristina Schröder, CDU) hält dagegen die Fahne hoch und unterstellt Gegner_innen eine „Herabwürdigung von Familien mit anderen Wertvorstellungen“.

Bündnis ohne Mehrheit. Worum geht es? Um eine familienpolitische Leistung – die 161. neben dem Kinder- oder Elterngeld –, die nach dem Willen der CSU die Betreuung der eigenen Kinder unter drei Jahren im Haus entlohnen soll. Ab 2013 mit hundert Euro im Monat, ab 2014 gar mit 150 Euro. Als argumentative Beweggründe werden Wahlfreiheit, Gerechtigkeit und die Anerkennung von Betreuungszeiten in die Diskussion und zuweilen gegen den flächendeckenden Ausbau der Kita-Plätze in Stellung gebracht. 2009 im Koalitionsvertrag niedergeschrieben, stellt sich die „Herdprämie“ auf dem politischen Parkett als ein „Gibst du mir, so gebe ich dir“-Handel dar – im Austausch erfolgte die Zustimmung zu den FDP-Plänen einer staatlich bezuschussten privaten Rentenversicherung und der Möglichkeit eines einfacheren Zuzugs von Fachkräften nach Deutschland.

„Pflege-Riester“ und „Blue Card“ sind also verabschiedet, das Betreuungsgeld schaffte es hingegen nicht durch den Bundestag. Der von der Opposition geforderte sog. Hammelsprung, der die Beschlussfähigkeit anhand der vorhandenen Stimmen feststellt, zählte nur 211 Politiker_innen. Um Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, hätten 321 Stimmen abgegeben werden müssen, selbst die Familienministerin erschien nicht, und die Abstimmung wurde auf Herbst verschoben. Einige Bundesländer wie z.B. Hamburg prüfen derzeit, ob eine Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld-Gesetz möglich ist. Andere schlagen vor, dass die Länder selbst entscheiden sollen, ob sie das Geld lieber in den Kita-Ausbau stecken wollen, da kein bundeseinheitlicher Regelungsbedarf besteht und Thüringen bspw. schon 2006 ein Betreuungsgeld eingeführt hat.

Ähnlich lange schwelt die Diskussion um die „Herdprämie“, die sich die CSU schon 2007 bei der Zustimmung zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz – auch für die unter Dreijährigen – erkaufte und im Kinderförderungsgesetz von 2008 festhalten ließ. Die CSU, allen voran der bayerische Ministerprä- sident Horst Seehofer, konterkariert somit die zaghaften Bemühungen, endlich eine adäquate und bezahlbare Kinderbetreuung auszubauen und anzubieten, die mitunter Nebeneffekte wie Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit zeitigen würde. Denn nach wie vor sind es Frauen, die sich um die Kinder kümmern und aus dem Beruf aussteigen. Daran änderte auch das Elterngeld nichts, das seit 2007 neben verstärkten finanziellen Anreizen zur Kinderproduktion auch Väter in die Sorgearbeit einbeziehen will. Die mehrheitlichen Mittelklasse-Väter nutzen ihre statistisch ermittelten zwei Elternzeitmonate für einen verlängerten Familienurlaub. Denn diese staatliche Transferleistung wird, ebenso wie beim Betreuungsgeld, bei Hartz-IV-Bezieher_ innen als Einkommen angerechnet und wieder abgezogen – Geringverdiener_ innen stehen mit ihrem 67-prozentigen Abschlag des Nettoeinkommens auch wieder in der Schlange des Jobcenters.

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Foto: nanny snowflake / flickr

Verfestigte Rollen. Das Betreuungsgeld könnte prinzipiell auch anders wirken und zum einen den Unterhalt von Au-pairs und „Kindermädchen“ in gut situierten Familien bezuschussen, zum anderen ein Zubrot für sozial schwache Familien mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt sein. Zumindest legt dies eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung dar, die im April veröffentlicht wurde und neues Futter für die Gegenseite lieferte. Hier analysiert und vergleicht die norwegische Soziologin Anne Lise Ellingsæter die Erfahrungen in Norwegen, Schweden und Finnland: Seit 1985 kann in Finnland das Betreuungsgeld beantragt werden, in Norwegen seit 1998 und in Schweden seit 2008. Trotz unterschiedlicher Ausgestaltungen wie Höhe der Leistung oder anteiliger Auszahlung bei stunden- weiser öffentlicher Kinderbetreuung ist Ellingsæters Fazit für die drei Länder dasselbe: Das Betreuungsgeld verfestige Geschlechterungerechtigkeiten, da überwiegend Frauen die Leistung in Anspruch nehmen, zu Hause bleiben und einen erschwerten (Wieder-)Einstieg in das Berufsleben haben. Darüber hinaus wird es vor allem von solchen Familien bzw. Müttern in Anspruch genommen, die aufgrund fehlender Ausbildung oder auch rassistischer Diskriminierung wenig Hoffnung auf einen gut bezahlten Job haben.

Zwischen 320 und 400 Euro monatlich lassen die Länder sich die Hausbetreuung kosten, wobei die Zahlen für Schweden und Norwegen rapide zurückgehen, da parallel die öffentliche Kinderbetreuung ausgebaut und bezahlbar gestaltet sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wurde. Anders in Finnland, wo für 52 Prozent der Kinder zwischen neun Monaten und drei Jahren Betreuungsgeld gezahlt wird. Hier können Frauen vielfach nur zwischen Vollzeitarbeiterin und Vollzeithausfrau entscheiden. Auch langfristig richte das Betreuungsgeld Schaden an. „Der Einfluss des Betreuungsgeldes auf die zukünftige Rente von Frauen ist ein weiterer Grund zur Dreijährige einlösen zu können. Das heißt auch, dass keine echte Alternative besteht und schon heute eine Klagewelle befürchtet wird. Über den verstärkten Einsatz von Tagesmüttern soll hier Abhilfe geschaffen werden – eine Form der Betreuung, die zwar leicht auf die Beine zu stellen ist, aber weder an Tarifverträge angebunden noch qualitativ abgesichert ist.

Worum geht es also? Um ein verzweifeltes Festhalten an einem wertkonservativen Familienbild, an einem männlichen Familienernährer und um das Hochhalten eines häuslichen Mutterbildes? Oder sollen Besorgnis“, schreibt Ellingsæter, außerdem verstärke die Transferleistung die ökonomische Abhängigkeit vom Mann. Ob und in welcher Zahl alleinerziehende Mütter sich die häusliche Betreuung bezahlen lassen, führt sie nicht an.

Symbol ohne Wahlfreiheit. Auch Christina Boll und Nora Reich prognostizieren in ihrer ökonomischen Vorab-Analyse in der Zeitung für Wirtschaftspolitik „Wirtschaftsdienst“, dass das Betreuungsgeld die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern verfestigen werde. Die verlängerte Familienpause koste die Frauen einiges an Status, Einkommen und sozialer Absicherung. Mithin dieser Effekte verurteilen die Wissenschaftlerinnen des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts das Betreuungsgeld als diskriminierende Leistung, die dem Gebot der Gleichstellung zuwider- laufe und damit verfassungsrechtlich bedenklich sei. Ebenso entkräften sie die angeführten Argumente der Wahl- freiheit, Anerkennung von Betreuungsleistungen oder Gerechtigkeit, da nichts davon wirklich gegeben sei. Laut „Spiegel Online“ fehlten im Juni 160.000 Kita-Plätze und 14.000 Erzieher_innen, um den ab 2013 gesetzlich festgeschriebenen Anspruch auf einen öffentlich geförderten Kindergartenplatz für unter Frauen, gerade auch in Krisenzeiten, länger vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden? Bei der Politik der CSU kann Ersteres angenommen werden, da sie hier erzkonservative Pfründe verteidigen kann. Um die „Herdprämie“ schmackhafter zu machen, versprach die CSU eine verstärkte Anerkennung von Erziehungszeiten in den künftigen Rentenansprüchen. Im jetzigen Gesetz findet sich dies allerdings nicht wieder. Familienministerin Kristina Schröder beharrt weiterhin auf einer Hürde und händigt lieber das Betreuungsgeld nur gegen verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen aus.

Das Gerangel wird auch nach der parlamentarischen Sommerpause unvermindert weitergehen, neue Zündschnüre werden gelegt und vielleicht noch ein paar Hammelsprünge geprobt werden. In der Schublade verschwinden kann das Betreuungsgeld nicht mehr, denn es ist mittlerweile zur Belastungsprobe für die Koalition geworden und muss verabschiedet werden. Die Linke-Politiker_in Caren Ley bleibt dennoch optimistisch: „Ich würde nicht auf eine parlamentarische Mehrheit für dieses Wahnsinnsprojekt wetten.“ So sei es.

Kendra Eckhorst ist freie Journalistin in Hamburg.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at