Der Streit um die Anpassung des Rohölpreises an den Weltmarkt
Nachdem der bolivianische Präsident Evo Morales die Ölpreisanpassung per Dekret kurz vor Weihnachten in Kraft gesetzt hatte, kam es zu heftigen Protesten auch seiner eigenen AnhängerInnen. Unter diesem Druck nahm Morales das Dekret kurz darauf zurück. Doch die Aussicht auf eine Erhöhung des Preises und die damit verbundenen Probleme für die Bevölkerung bleiben.
Juan Carlos Salvatierra muss in Zukunft mehr
zahlen, um seinen Sport zu trainieren. Aber das war ihm in den letzten
Wochen vermutlich egal. In La Paz fieberten alle mit ihm, dem
erfolgreichsten bolivianischen Rallye-Dakar Teilnehmer aller Zeiten. Auf
der Schlussetappe der Rallye, die im Januar in Argentinien und Chile
stattfand, belegte er mit seinem Motorrad den 15. Platz. Der Benzinpreis
wird ihn dabei kaum beschäftigt haben.
Anders sieht es für die Mehrzahl der BolivianerInnen aus. Pünktlich zu
Weihnachten veröffentlichte Präsident Evo Morales das Dekret 748, das
den Rohölpreis des Landes an den Weltmarkt anpasste. Dadurch steigerte
sich der Preis der verschiedenen Treibstoffe – abhängig von Region und
Art des Sprits – um 78 bis hin zu 99 Prozent. Dieser gasolinazo, wie die
unbeliebte Maßnahme bald getauft wurde, kam völlig überraschend und
provozierte umgehend Proteste. In El Alto errichteten erboste
BürgerInnen Blockaden. Eine Mautstelle der Regierung wurde geplündert
und in Brand gesteckt. Auch in anderen Städten kam es zu teilweise
gewalttätigen Protesten. Diese gingen vor allem von den
Bevölkerungsteilen aus, die eigentlich die Regierung Morales
unterstützen. Die Proteste waren so stark, dass die Ölpreisanpassung
letztlich politisch nicht durchführbar war. Kurz vor dem Jahreswechsel
nahm der Präsident das Dekret zurück.
In den darauf folgenden Tagen beschuldigten Mitglieder der
Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS) oppositionelle Gruppen,
die Unruhen provoziert zu haben. Insbesondere die linke Partei Bewegung
ohne Angst (MSM), der auch der amtierende Bürgermeister von La Paz
angehört, war Zielscheibe der MAS-Beschuldigungen. Die MSM hatte die MAS
bei den Präsidentschaftswahlen 2005 und beim Berufungsreferendum 2008
unterstützt, doch inzwischen befindet sie sich in Opposition. In einer
Zeitungsanzeige wies die MSM die Anschuldigung der MAS, die
Ausschreitungen koordiniert zu haben, scharf zurück. Doch nicht nur
Parteien kritisierten das Dekret. In einem offenen Brief an Evo Morales
und Vizepräsident Álvaro García Linera machten Vertreter von sozialen
Bewegungen, Oscar Olivera Foronda Marcelo Rojas, Abraham Grandydier
Aniceto Hinojosa Vasquez und Carlos Oropeza aus Cochabamba, ihrem Ärger
Luft: „Seit Ihr an der Regierung seid, haben sich Eure Defekte, aber
nicht Eure Tugenden um den Faktor 10 verstärkt. Was ist denn aus Deinem
„gehorchend regieren“ geworden? Hat das Volk Dir den Auftrag gegeben,
diesen gasolinazo durchzuführen?“Der nun entfachte Streit um die
Ölpreisanpassung offenbart Risse zwischen der Regierung und zumindest
Teilen ihrer Basis.
Derzeit schaltet die Regierung Werbung in den Radios, in der sie wieder
bekräftigt, dass sie angetreten sei, um „gehorchend zu regieren“. O-Töne
von Evo Morales‘ Rücknahme des Dekret 748 am 31. Dezember sollen nun
belegen, dass der Präsident sein Versprechen erfüllt und auf die
Bevölkerung hört. Die Frage kommt auf, warum er nicht schon vorher auf
soziale Bewegungen gehört und mit ihnen das Dekret diskutiert hat,
anstatt es so plötzlich einzuführen.
Dass diese intransparente Regierungsart zu massiven Protesten führen
würde, hätte man sich vorher denken können. Derzeit versuchen Präsident
und Vize in öffentlichen Reden, diese mangelnde Kommunikation
nachzuholen. Vor allem den Schmuggel des subventionierten bolivianischen
Benzins und Diesels nennen sie als Grund für die Anpassung des
Ölpreises – von einer Steigerung des Preises, wie es das Wort gasolinazo
impliziert, reden sie nicht. Wann die Anpassung des Rohölpreises an den
Weltmarkt kommt, ist noch unklar, aber die Regierung stellt immer
wieder klar, dass sie kommen wird. Und wahrscheinlich wird sie diesmal
nicht auf einen Schlag, sondern eher schrittweise verlaufen, wie der
Minister für fossile Brennstoffe, Guillerme Torres, der Zeitung El
Debate mitteilte. Der Vorteil einer einmaligen Anpassung liege darin,
dass es zu einer geringeren Belastung der Währung und damit zu weniger
Inflation führte, erklärte der Ökonom Marcello Zabaluga derselben
Zeitung. Derweil sind erste Auswirkungen der Inflation bereits zu
spüren. Aufgrund steigender Lebensmittelpreise, insbesondere des
Zuckers, wurden Ende Januar in Llallagua im Departamento Potosí mehrere
Läden geplündert.
Maßnahmen bezüglich des Ölpreises sind laut Regierung trotzdem
notwendig. Der Schmuggel von subventionierten Treibstoffen aus Bolivien
stellt in der Tat ein massives Problem dar. In Bolivien kostet das
Barrel Rohöl dank staatlicher Hilfen derzeit umgerechnet 27 US-Dollar,
ein scharfer Kontrast zu den 98 US-Dollar auf dem Weltmarkt. Auf dem Weg
zur Grenze nach Peru gibt es Tankstellen in einer deutlich höheren
Dichte als anderswo im Land. Insbesondere aber der Schmuggel von Diesel
nach Brasilien, wo der Treibstoff in der Agrarindustrie verbraucht wird,
bedeutet einen großen Verlust für die bolivianische Volkswirtschaft.
Nach Aussagen der Regierung verlor Boliven 380 Millionen Dollar auf
diesem Weg, ein enormer Betrag für das finanzschwache Land.
KritikerInnen des Dekrets verlangen aber, dass man zur Schonung der
Bevölkerung besser den Schmuggel unterbinden solle, als die Subventionen
zu kürzen. In der Tat wird die Erhöhung der Transportkosten vor allem
die Ärmsten treffen.
Aber auch die bolivianische Agrarindustrie profitiert von den
Subventionen. So kommt die Kritik nicht nur von links, sondern auch von
der Autonomiebewegung im bolivianischen Tiefland. Das Bürgerkomitee von
Santa Cruz de la Sierra, das vor allem von den Agrarindustriellen
dominiert wird, konnte mehrere tausend Menschen zu Demonstrationen
mobilisieren. Die Subvention des Erdöls ist ein Thema, dass Bevölkerung
und Agrareliten leicht vereint. Für die Bevölkerung wirkt sich ein
erhöhter Benzinpreis natürlich negativ auf die Lebenssituation aus. Für
die Agrarindustrie wird es teurer, die Maschinen zu betreiben, die die
riesigen Sojafelder beackern, obwohl genau für ihre Förderung die
Subventionen in den 1970er Jahren eingeführt wurden.
Dieses Privileg lässt sie sich natürlich nicht gerne wegnehmen. Und
zudem lässt sich die Autonomiebewegung keine Möglichkeit nehmen, die
Regierung zu attackieren, auch wenn es um die Rücknahme einer Maßnahme
geht, die eigentlich der eigenen wirtschaftsliberalen Grundhaltung
widerspricht. Aber wenn es um die eigenen Vorteile geht, kritisiert man
weniger schnell einen drohenden „Sozialismus“. Noch können die
Agrarindustriellen subventioniertes Diesel auf ihren Feldern
verbrauchen. Aber nicht mehr lange, die Anpassung an den Weltmarktpreis
wird kommen. Doch auch ein höherer Spritpreis wird Juan Carlos
Salvatierra kaum davon abhalten, weiter mit seinem Motorrad durch die
bolivianische Landschaft zu heizen, um für die nächste Rallye zu
trainieren.
Text: // Thilo F. Papacek
Ausgabe: Nummer 440 - Februar 2011
Weitere Artikel zum Thema Bolivien: