Deflationäre Abwärtsspirale?

Im Jahr 2010 entscheidet sich, wie es mit der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise weitergeht. Deutschland hat Ende 2009 das tiefe Tal der schlimmsten Wirtschaftskrise seit 60 Jahren verlassen, doch ob die langsame Erholung ohne weitere Rückschläge anhält, ist gegenwärtig offen.

So halten auch die Wirtschaftsweisen in ihrem neuen Jahresgutachten fest: »Misslingt die Bewältigung dieser Herausforderungen, wird Deutschland für lange Zeit unter einer Wachstumsschwäche, einer die Generationengerechtigkeit untragbar verletzenden öffentlichen Verschuldung und einem am staatlichen Tropf hängenden Bankensystem, kurzum an der ›japanischen Krankheit‹ leiden.«1

 

 

Die »japanische Krankheit«

Was besagt der Hinweis auf die »japanische Krankheit«? Japan verzeichnet eine noch stärkere Schrumpfung der wirtschaftlichen Leistung (-6,7%) als Deutschland. Die asiatische Metropole ist zudem in die Deflation zurückgefallen, d.h. das allgemeine Preisniveau sinkt wieder. Wie bereits mehrfach seit dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase 1989 verfängt sich das Land in einer deflationären Abwärtsspirale. Japan steckte zuletzt von 2001 bis 2006 in einer Deflation. »Grund für den dauerhaften Preisverfall ist die mangelnde Nachfrage«, sagt der Notenbankchef. Er werde alles tun, um Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. »Aber wenn die Nachfrage an sich schwach ist, werden die Preise nicht steigen, nur weil genügend Liquidität bereitgestellt wird.«

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet kein schnelles Ende der Deflation in Japan. Nach ihren Prognosen werden dort die Verbraucherpreise in diesem Jahr um 1,2%, 2010 um 0,9% und 2011 noch einmal um 0,5% fallen.

Was Verbraucher freut, hat für die Wirtschaft verheerende Folgen: Umsatz und Gewinne der Unternehmen brechen ein, Investitionen werden zurückgestellt, Stellen abgebaut. Verbraucher scheuen dann erst recht größere Anschaffungen, wodurch sich der Preisverfall beschleunigt. Gewinner der Deflation sind die Gläubiger, weil die Tilgung der vorhandenen Schulden einen wachsenden Aufwand erfordert. Die Wachstumspotenziale kommen nicht in Gang, die Schuldenlast des Landes steigt nominal und real. Die Immobilienpreise sanken in Japan von 1990 bis 2005 um 87%. Das Land befand sich in einer chronischen Deflation, auf die falsch reagiert wurde. In einer solchen Situation wird die Geldpolitik wirkungslos, weil die Leute sich kein Geld leihen. Die Regierung hätte mit großen Ausgabenprogrammen gegensteuern müssen.

Dank steigender Exporte hatte sich die japanische Wirtschaft zuletzt von der schwersten Rezession der Nachkriegszeit erholt. Vor allem in Asien - dem wichtigsten Exportmarkt - zog die Nachfrage an. Der private Konsum blieb dagegen schwach, auch wegen der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit. Die japanische Wirtschaft hatte im dritten Quartal 2009 mit 1,2% das stärkste Wachstum seit mehr als zwei Jahren geschafft. Dazu trug auch das milliardenschwere Konjunkturprogramm bei, das die Regierung nun noch einmal aufstocken will.

Der Hinweis auf eine deflationäre Gefahr besagt also, dass auch Deutschland in eine solche Abwärtsspirale von fallenden Preisen, steigender Arbeitslosigkeit und geringen Wachstumsraten hineinschlittern könnte.

 

Deutschland zwischen leichter Erholung und deflationärer Abwärtsspirale

Zurück zur Entwicklung in Deutschland: Seit der zweiten Hälfte 2008 ist die Wirtschaftsleistung massiv geschrumpft. Die Bundeskanzlerin definiert daher als das zentrale Ziel der neuen Regierung: »Einerseits Deutschland aus der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise zu führen, eine Krise, die international noch längst nicht überstanden ist. Auch bei uns wird sie in ihrer ganzen Auswirkung an vielen Stellen erst noch spürbar werden. Unser Land muss endlich ein Verständnis für die volle Dimension dieser in der Geschichte unseres Landes so noch nie da gewesenen Krise bekommen. Zugleich müssen wir langfristige Ziele verfolgen: die Sozialsysteme auf die Folgen der Alterung der Gesellschaft einstellen, bessere Erfolge bei der Integration erreichen und unsere gute internationale Wettbewerbsposition in neuen Technologien weiter ausbauen.«2

Eine Ausweitung der Konjunkturprogramme und ein Übergang zu einer umfassenden gesellschaftlichen Regulierung des Finanzsektors kommt für das neoliberal geprägte politische Lager nicht in Frage. Dessen zentrale politische Option ist eine Exit-Strategie aus den staatlichen Interventionen in den Finanzsektor und die Realwirtschaft.

Die internen Konflikte beginnen in der inhaltlichen und zeitlichen Gestaltung des Übergangs zu einer solchen Politik. Das räumt auch der Sachverständigenrat ein: »Der Ausgleich zwischen den Erfordernissen eines konsequenten Rückzugs einerseits und der Berücksichtigung der noch fragilen Konjunkturlage andererseits stellt eine schwierige Gratwanderung dar. Unter konjunkturellen Aspekten sollte der Ausstieg nicht zu früh, das heißt noch nicht im Jahr 2010, sondern erst im darauffolgenden Jahr beginnen.«

Nach dem dramatischen Einbruch der Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr 2008/2009 hat sich die deutsche Konjunktur zur Jahresmitte stabilisiert. Die über vier Quartale andauernde rückläufige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts fand im zweiten Quartal des Jahres 2009 ein Ende.

Der Weg aus der Krise ist mit einer Reihe von Risiken behaftet. Wie definiert der Sachverständigenrat die Risiken?

-  Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist für das Jahr 2010 mit besonders großer Unsicherheit verbunden. Trotz der Verlängerung der Kurzarbeiterregelung und den auslaufenden Effekten des Konjunkturpaketes II könnte die Arbeitslosigkeit dynamisch anwachsen, womit die Potenziale der Binnen­ökonomie geschwächt würden.

-  Zur endgültigen Bewältigung der Krise geht es den neoliberalen Kräften darum, die Rolle des Staates zurückzufahren und die öffentlichen Finanzen durch Sparpolitik zu konsolidieren. Die Haushaltskonsolidierung beim Bund soll im Jahr 2011 beginnen. Nach einem zusätzlichen Finanzimpuls von etwa 10 Mrd. Euro im laufenden Jahr soll im Jahr 2011 ein dauerhafter Konsolidierungsbetrag von etwa 6 Mrd. Euro erzielt werden, der dann allerdings jedes Jahr bis 2016 durchschnittlich um weitere 6 Mrd. Euro aufgestockt werden soll. Im Jahr 2016 wäre dann die grundgesetzlich vorgeschriebene Schuldenbegrenzung erreicht.

-  Zu den Risiken beim Übergang von der Phase der Krisenintervention zu normalen makroökonomischen Verhältnissen gehört die hohe Auslandsverschuldung zahlreicher mittel- und osteuropäischer Staaten, die in hohem Maße aus Fremdwährungen besteht. Dabei geht es nicht nur um die makroökonomische Entwicklung in diesen Ländern, sondern zugleich um die Stabilität von Banken im Euro-Raum, die durch direkte Kredite wie durch Mehrheitsbeteiligungen an Finanzinstituten vor Ort stark in dieser Region engagiert sind.

-  Nicht auszuschließen sind abrupte Veränderungen bei den Weltwährungsverhältnissen. Der Dollar hat in den zurückliegenden Monaten deutlich an Wert verloren und auch der Anstieg des Goldpreises kann als ein Indiz für eine Unruhe im Weltwährungssystem interpretiert werden.

-  Schließlich konstatiert der Sachverständigenrat zu Recht: »Noch immer hängt das System am Tropf der unlimitierten und fast kostenlosen Liquiditätszufuhr durch die Notenbanken. Noch immer verbleiben erhebliche Bilanzrisiken, sowohl in Form von Altlasten bei toxischen Wertpapieren als auch in Folge der Abschreibungen und Wertberichtigungen, die aufgrund der Verschlechterung der Kreditqualität im Zuge der realwirtschaftlichen Krise zu erwarten sind. Noch immer bestehen explizite und implizite Garantien des Steuerzahlers, den Gläubigern der Finanzinstitute im Fall der Fälle zur Seite zu stehen, wodurch extrem verzerrte Anreize zur übermäßigen Ausweitung der Bilanzsummen und Bilanzrisiken geschaffen werden. Zudem ist diese implizite Garantie durch die staatlichen Stützungsmaßnahmen sogar noch ausgeprägter denn je: Noch nie in der Geschichte finanzieller Unternehmung hatten ›so wenige so vielen so viel Geld zu verdanken‹ (Rede vom Chef der englischen Notenbank, M. King, am 20. Oktober 2009 in Edinburgh).«3

Keine Frage: Die Weltwirtschaft und die bundesdeutsche Ökonomie bewegen sich in einer offenen Konstellation. Für die kapitalistischen Hauptländer zeichnet sich eine Stabilisierung auf geschrumpftem Niveau ab. Die bundesdeutsche Ökonomie ist durch begrenzte außenwirtschaftliche Impulse in eine zögerliche Erholung hineingezogen worden. Ob diese Tendenz anhält, entscheidet sich auch daran, welchen Weg die kapitalistischen Hauptländer in der Konsolidierung des Finanzsystems einschlagen. Bislang ist wenig passiert, um zu geregelten Verhältnissen zurückzukehren.

Der Sachverständigenrat schreibt hierzu: »Im Kampf gegen die systemische Krise haben Zentralbanken und Regierungen weitreichende Notmaßnahmen ergriffen. Die Zentralbanken weiteten zur Sicherung der Liquidität ihre Bilanzen rapide aus und die Politik stellte umfangreiche Mittel für Garantien und zur Rekapitalisierung der Banken bereit. Die Wirkung der ergriffenen Stützungsmaßnahmen war zunächst verhalten, spätestens seit dem zweiten Quartal 2009 aber deutlich erkennbar. Gerade die Aktienkurse von Finanztiteln haben in den letzten Monaten erhebliche Wertzuwächse erzielt. Man sollte sich jedoch nicht täuschen lassen: Noch immer verbleiben erhebliche Bilanzrisiken, sowohl in Form von Altlasten bei toxischen Wertpapieren als auch infolge der Abschreibungen und Wertberichtigungen, die aufgrund der Verschlechterung der Kreditqualität im Zuge der realwirtschaftlichen Krise zu erwarten sind... Die verbleibenden Risiken sind das eine, die noch immer ungelöste Frage, wie Krisen dieses Ausmaßes verhindert werden können, das andere Problem, dem sich die Wirtschaftspolitik stellen muss... Erforderlich ist nun ein Exit, der mindestens ebenso heikel ist wie der Rückzug aus den expansiven geld- und finanzpolitischen Maßnahmen zur Stützung der Realwirtschaft. Die große Herausforderung besteht nämlich nicht in der an sich schon schwierigen Rückführung der expliziten Stützungsmaßnahmen, die ohnehin Jahre in Anspruch nehmen wird. Die wirkliche Herausforderung besteht im Rückzug aus der impliziten Absicherung privater Risiken durch die Allgemeinheit. Die Parallelen zur Finanzpolitik sind offensichtlich... Eine zu rasche Verschärfung der Regulierung könnte deshalb den noch fragilen Aufschwung gefährden.« (ebd.)

Übereinstimmend gibt es bei der schwarz-gelben Bundesregierung und ihren sozialökonomischen Think Tanks eine deutliche Problemsicht. Ein Konsens, wie der Exit im Bereich des Finanzsystems und der Realwirtschaft zu organisieren ist, zeichnet sich allerdings nicht ab.

Der SVR fordert die resolute Ankündigung eines Konsolidierungskurses und lehnt weitere Steuersenkungen, wie sie die Regierung für das Jahr 2011 vorhat, als kontraproduktiv ab. Die schwarz-gelbe Regierung hält hingegen an Steuersenkungen fest, weil sie die notwendigen Impulse brächten, um einen raschen Aufschwung zu erreichen. Berechnungen aus dem Bundesfinanzministerium, nach denen 65 Mrd. Euro bis zum Jahr 2016 eingespart werden müssten, um die Schuldenbremse einzuhalten, nennt die Kanzlerin verfrüht: »Diese Berechnungen ändern sich in Abhängigkeit von den jeweils aktuellen Wachstums- und Steuerschätzungen. Daher können solche Zahlen immer nur vorläufig sein.«

Wie sehen also die »Wachstumsschätzungen« aus?

 

Tendenzen der Weltwirtschaft

Laut OECD fällt der Rückgang der Weltwirtschaft im laufenden Jahr mit -1,7% nicht ganz so stark aus wie zuvor angenommen (-2,2%). Für 2010 prognostiziert die Organisation ein weltweites Wachstum von 3,3%. »Mit bisher beispiellosen wirtschaftspolitischen Anstrengungen scheint es gelungen zu sein, die Rezession zu mildern und den Aufschwung in einer Weise zu fördern, wie es noch vor sechs Monaten kaum zu erwarten war«, erklärte OECD-Chefökonom Elmeskov. Für 2011 sagt die OECD der globalen Wirtschaft einen Zuwachs von 2,8% voraus, was aber immer noch unter dem Durchschnitt der Jahre 1997-2006 von +3,2% läge.

Angetrieben wird der globale Aufschwung laut den Ökonomen von China, das von der Finanzkrise nur gering betroffen war und ein massives Konjunkturprogramm aufgelegt hat. Die Wirtschaft der USA und der Euro-Zone profitierten von den Konjunkturpaketen, der Belebung des Welthandels, der Lagerbildung bei den Unternehmen und der Stabilisierung des Immobilienmarktes.

Keine Frage: Diese relative Stabilisierung ist zurückzuführen auf

-  niedrige Notenbankzinsen, öffentliche Kapitaleinschüsse und Garantien für die Bankensysteme, Kreditangebote für die Unternehmen;

-  Konjunkturmaßannahmen - sowohl Steuersenkungen als auch Investitionen;

-  ein weitgehend kohärentes Herangehen der kapitalistischen Metropolen, wenngleich mit quantitativ nicht unwichtigen Unterschieden.

Auch die OECD, der weltweit 30 Länder angehören, ruft die Regierungen auf, rechtzeitig Ausstiegs-Szenarien für die Zeit nach der Krise zu entwerfen. »Von 2011 an sollten alle OECD-Staaten in der Lage sein, mit dem Abbau der Finanzhilfen zu beginnen.« Die nahe Null liegenden Notenbankzinsen seien bis ins zweite Halbjahr 2010 hinein angemessen. Danach müsse die Normalisierung beginnen. Die OECD warnt vor »business as usual«. Die Banken könnten erneut in Schwierigkeiten geraten und die Konsumenten wegen der steigenden Arbeitslosigkeit weniger Geld ausgeben.

Die Krise ist längst nicht ausgestanden. Es kann weiter abwärts gehen, vor allem, wenn die Regierungen jetzt die staatlichen Ausgaben kürzen, um die Defizite in den öffentlichen Haushalten zurückzufahren. Die Konjunktur der Globalökonomie befindet sich derzeit auf einem kleinen und äußerst fragilen Zwischenhoch. Dieses Bild wird sich im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich eintrüben. Die belastenden Faktoren für die Konjunktur sind:

-  Die äußerst niedrige Kapazitätsauslastung der Unternehmen drückt auf die Ertragslage und die Investitionsperspektiven.

-  Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Die privaten Konsumausgaben sind gesunken und werden die Konjunktur im kommenden Jahr dämpfen, wenn die Arbeitslosigkeit stark ansteigt.

-  Die Banken und die Finanzmärkte sind keineswegs saniert.

-  Auch die Immobilienmärkte dürften weitere Belastungen durch die massive Talfahrt der gewerblichen Objekte sehen.

Die Weltwirtschaft verliert zudem wegen allmählich auslaufender Konjunkturprogramme an Schwung. Aus dieser Sichtweise hängt der weitere Verlauf an der Exit-Strategie, d.h. dem Zurückfahren der expansiven Geldpolitik.

Erst 2010 entscheidet sich, in welcher Weise die ökonomischen Entwicklungstrends synchronisiert werden und ob wir einen weiteren Schrumpfungsprozess erleben.

 

USA fällt als Lokomotive der Weltwirtschaft aus

Ein Blick auf die Konjunkturentwicklung in den USA zeigt, dass die ganze Entwicklung durchaus fragil ist und das Land auf absehbare Zeit als Lokomotive eines internationalen Konjunkturzuges ausfällt.

Die US-Wirtschaft ist vor allem im dritten Quartal 2009 um 3,5% gewachsen. Staatliche Stimulierungsmaßnahmen haben dazu wesentlich beigetragen. Betrachtet man die Zahlen im Detail, so erkennt man, dass das hohe Wachstum in erster Linie dem Privatkonsum zu verdanken ist.

Dieser nahm gegenüber dem Vorquartal um 3,4% zu, und angesichts seines Gewichts von rund 70% der Gesamtnachfrage ergab dies einen Wachstumsbeitrag von 2,4%. Rund ein Prozentpunkt davon entfiel auf die Käufe von Autos, die im Wesentlichen durch die staatliche Abwrackprämie stimuliert wurden. Das entsprechende Programm war ausschließlich im dritten Quartal wirksam. Es wird davon ausgegangen, dass es deshalb im vierten Quartal bei den Autokäufen zu einem deutlichen Rückgang kommen wird.

Es wäre aber falsch, das hohe Konsumwachstum nur auf dieses temporäre Programm zurückzuführen. Auch die Nachfrage nach nichtdauerhaften Gütern und nach Dienstleistungen nahm merklich zu. Gleichzeitig fielen jedoch die Haushaltseinkommen. Als Resultat der gegenläufigen Entwicklung bildete sich die Sparquote von 4,9 auf 3,3% des verfügbaren Einkommens (nach Steuern und Sozialabgaben) zurück.

Der Privatkonsum wurde im Wesentlichen durch staatliche Maßnahmen gestützt, sei es durch die staatliche Abwrackprämie, sei es durch staatliche Transferzahlungen in Form von Arbeitslosengeldern oder Lebensmittelmarken. Die Lohneinkommen gingen dagegen weiter zurück. Mit 71% ist überdies der Privatkonsum gemessen am Bruttoinlandsprodukt immer noch auf Rekordniveau und höher als in den meisten anderen Ländern. Will Amerikas Wirtschaft nachhaltig gesunden, muss mehr investiert und exportiert werden, was für den Konsum nur ein begrenztes Steigerungspotenzial übrig lässt. Auf den Privatkonsum als so gewichtige Wachstumsstütze wie im dritten Quartal 2009 kann man sich daher nicht verlassen.

Erheblich positiver als im Vorquartal fielen die Zahlen zu den privaten Investitionen aus. Als große Überraschung ist der starke Anstieg der Investitionen im Bereich der Wohnimmobilien zu werten. Aus einem Zuwachs von nicht weniger als 23,4% resultierte ein Wachstumsbeitrag von gut einem halben Prozentpunkt. Rückläufig war erneut der gewerbliche Bau. Bei den Ausrüstungsinvestitionen ist der Rückgang der letzten sechs Quartale zum Stillstand gekommen.

Fast einen Prozentpunkt zum Wachstum trugen die Lagerveränderungen bei. Einen positiven Wachstumsbeitrag leistete auch die staatliche Nachfrage, wobei der stärkste Impuls von höheren Rüstungsausgaben kam. Daneben nahm der Konsum auf zentralstaatlicher Ebene zu; die Bundesstaaten und Gemeinden haben angesichts wegbrechender Steuereinnahmen ihre Nachfrage jedoch reduzieren müssen. Der Außensektor erbrachte erstmals seit zwei Jahren einen nennenswerten negativen Beitrag zum BIP, weil die Importe etwas stärker zunahmen als die Exporte.

Letztlich wird der Wachstumspfad einer Wirtschaft aber durch die Entwicklung der Endnachfrage - aus dem In- und dem Ausland - bestimmt. Bei der Inlandsnachfrage wirkt das staatliche Stimulierungspaket noch etwas weiter. Die Stunde der Wahrheit für Amerikas Wirtschaft wird kommen, wenn die Konjunkturstützungsmaßnahmen und die Auswirkungen des Lagerzyklus auslaufen.

Der Haushalt der USA ist im letzten Fiskaljahr per Ende September 2009 mit einem Ausgabenüberschuss von 1,4 Bio. US-Dollar saldiert worden. Das war nicht nur in absoluten Zahlen, sondern mit rund 10% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auch relativ zur wirtschaftlichen Gesamtleistung das höchste Defizit seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Fehlbetrag ist kleiner als ursprünglich angenommen wurde. Hauptgrund dafür ist, dass eine Reserve von 250 Mrd. US-Dollar für zusätzliche Stützungsmaßnahmen im Finanzsektor nicht in Anspruch genommen werden musste.

Die massive Ausweitung des Fehlbetrags des zentralen Staatshaushalts ist in erster Linie eine Folge der Rezession. So haben sich die Staatseinnahmen um nicht weniger als rund 17% zurückgebildet. Sowohl die Haushalte als auch die Unternehmen haben deutlich weniger Steuern bezahlt als im Vorjahr. Am größten - gegen das Zweieinhalbfache - war der Anstieg bei den ausbezahlten Arbeitslosengeldern und bei Medicaid (ein Viertel mehr). Insgesamt erreichten die Staatsausgaben mit einem Anteil von gegen 25% am BIP den höchsten Stand seit 1946. Andererseits muss man bis 1950 zurückgehen, um einen tieferen Anteil der Staatseinnahmen zu finden (knapp 15%).

Die Ausgaben des Staates wurden im vergangenen Fiskaljahr aber auch durch die staatlichen Rettungsaktionen im Finanzsektor aufgebläht. An Fannie Mae und Freddie Mac mussten rund 100 Mrd. US-Dollar überwiesen werden, um eine Überschuldung der beiden Hypothekar-Riesen zu verhindern. Würde man die beiden Unternehmen aufgrund ihrer Abhängigkeit vom amerikanischen Staat konsolidieren, so würde dies nach den Schätzungen des Congressional Budget Office das Haushaltsdefizit um weitere 180 Mrd. US-Dollar aufblähen. Belastet wurde das Fiskaljahr aber auch durch die Ausgaben im Rahmen der Finanzhilfe an Finanzunternehmen und Autoindustrie im Umfang von gut 150 Mrd. US-Dollar. Die endgültigen Kosten können erst später ermittelt werden. Sie hängen davon ab, wieviel Geld von den unterstützten Unternehmen an den Staat zurückfließt.

Mit rund 10% des BIP war das Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr bereits außerordentlich hoch. Es wäre jedoch noch höher, wenn nicht der Überschuss aus der Sozialversicherung in den Saldo eingerechnet wäre. Dieser Überschuss ist zwar wegen einer starken Erhöhung der Renten sowie leicht rückläufiger Beitragszahlungen im letzten Jahr deutlich gesunken, erreichte aber immer noch knapp 1% des BIP. Bemerkenswert ist, dass der Überschuss nicht mehr aus einem Überschuss der laufenden Einnahmen gegenüber den Auszahlungen resultiert, sondern primär aus den Zinserträgen des Social Security Trust Fund, der rund 2,5 Bio. US-Dollar an Staatspapieren enthält.

Das wirklich Beunruhigende am jüngsten Haushaltsloch der USA ist nicht allein der große Betrag, sondern vor allem die Aussicht auf weiterhin hohe Defizite. Das Office of Management and Budget sowie das Congressional Budget Office veranschlagen für die kommenden zehn Fiskaljahre einen kumulierten Ausgabenüberschuss von 7 bis 9 Bio. US-Dollar - und dies, obwohl gemäß diesen Projektionen die Staatseinnahmen über das langfristige Mittel hinaus steigen werden. Damit werden aber auch die US-Staatsschulden unaufhaltsam weiter nach oben gehen. Allerdings sollte sich die Schuldenquote nach einem raschen Anstieg zwischen 2008 und 2011 - gemessen an den Ausständen gegenüber dem Publikum - bei ungefähr 65% des BIP stabilisieren.

Der US-amerikanische Ökonom Nouriel Roubini bilanziert: »Die Geschichte der USA ist ... die zweier Wirtschaften. Es gibt eine kleinere, die sich langsam erholt, und eine größere, die sich immer noch in einem tiefen und anhaltenden Abwärts­trend befindet. ... Die USA dürften theoretisch fast am Ende einer schweren Rezession angekommen sein. Aber ein Großteil Amerikas steht vor einer Beinahe-Depression. Es ist daher kaum verwunderlich, dass nur wenige Amerikaner glauben, dass das, was wie eine Ente läuft und wie eine Ente quakt, der Phönix der Erholung ist.«4

 

1 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen. Jahresgutachten 2009/10, S. 1
2 »Das Land muss endlich die Dimension der Krise
3 Sachverständigenrat…, S. 118.egreifen«. Angela Merkel im Gespräch, in: FAZ vom 14.11.2009.
4 Nouriel Roubini: Ente statt Phönix – oder die Geschichte zweier Welten, in: Handelsblatt vom 23.11.2009, S. 11.