Effektiv undemokratisches Regieren

Output als Legitimationsquelle für politische Herrschaft

in (10.11.2009)

Im politischen Betrieb ist oft von „alternativlosen" Entscheidungen die Rede. Besonders häufig begegnet diese Phrase im Zusammenhang mit der europäischen Integration. Hier heißt es dann zutreffend: Die Europäische Union (EU) hat uns Frieden und Wohlstand gebracht. Es wird zu zeigen sein, warum aus diesem Satz für die Legitimation europäischer (und anderer) Herrschaft nichts folgt.

Input-Legitimation bedeutet Legitimation durch Partizipation. Es kommt darauf an, wie die Bürgerinnen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Output-Legitimation nimmt hingegen die Leistung des Regierungssystems zum Maßstab. Es wird darauf abgestellt, ob die Bürgerinnen im Nachhinein mit einer Entscheidung zufrieden sind, egal wie autokratisch diese gefällt wurde.

Das Konzept der Output-Legitimation abzulehnen, bedeutet die Rettung der politischen Demokratie vor der sanften Diktatur eines rationalistischen Wohlfahrtsausschusses. Sie erschöpft sich in der Verteidigung dessen, was sich mit Recht liberale Demokratie nennen darf. Denn eine in dieser Weise organisierte Experimentiergemeinschaft zeichnet sich durch einen Primat der Praxis vor der Theorie aus. Nur dadurch wird der Vorrang des Wertes der Gleichheit vor dem Expertinnenwissen gesichert.

Das Modell nach Fritz Scharpf

Der Politologe Fritz Scharpf hat die Unterscheidung zwischen Input- und Output-Legitimationsmodellen entworfen, ohne gleichzeitig eine Behauptung der Gleichwertigkeit aufzustellen. Er ist sich der Grenzen insbesondere der Output-Legitimation durchaus bewusst,[1] verweigert sich jedoch einer fundamentalen Skepsis.

Scharpf benennt als Ziel jeder „guten", also rechtfertigbaren Herrschaft, sie müsse sowohl „liberal" als auch „effizient" sein. Ersteres meint die Rückbindung an die Regierten, also eine liberale Demokratie, letzteres bezweckt eine hinreichende Akzeptanz und daraus resultierende Folgebereitschaft der Beherrschten. Die Nebenordnung dieser beiden Aspekte der Herrschaft mag aus juristischer Perspektive zunächst befremden; sie ist aber aus politologisch-empirischer Sicht gut begründbar.

Im Staatsrecht wird üblicherweise strikt zwischen dem Normalvollzug von Herrschaft und dem Ausnahmefall der Grundlegung von Herrschaft getrennt. Da es sich diese Disziplin angewöhnt hat, den pouvoir constituant, die verfassunggebende Gewalt, als reines Gedankenkonstrukt abzutun, ist ihr aus dem Blick geraten, dass dieser als Hintergrundmacht stets vorhanden ist. Von Zeit zu Zeit erhebt er hochpolitisch seinen Kopf, des Öfteren in den USA in sogenannten „constitutional moments"[2] (z. B. der Sklavenbefreiung oder dem New Deal), dem dortigen Ersatz für die praktisch fast unmögliche Änderung des Verfassungstextes, die in Deutschland der „verfassungsändernde Gesetzgeber" als Repräsentant des pouvoir constituant ausgiebig vollzieht. Die Verfassungsänderung ist dabei die integrierte Notbremse, die sich real aufstauenden oder auch nur massenmedial-hysterisch erzeugten Unmut formal-juristisch kanalisiert. Zeigen lässt sich das etwa an der Einschränkung verschiedener liberaler Grundrechte (v.a. Art. 10, 13 und 16a des Grundgesetzes) oder der so genannten Föderalismusreform. Reagiert wird auf den ungenügenden Herrschafts-Output, also tatsächliche oder vermeintliche, jedenfalls in weiten Bevölkerungsteilen stark empfundene Bedrohungslagen für Leben, Leib und Wohlstand.

Effizienz im Ausnahmefall

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht mehr abwegig, die Effizienz zum der Partizipation gleichrangigen Gütekriterium von Herrschaft zu erklären. Effizienz wird politisch verarbeitet, Legitimation juristisch. Effizienz äußert sich, Legitimation wird geäußert. Dennoch gilt: Effizienz ist auch juristisch relevant, nämlich in Gestalt des pouvoir constituant, so wie Legitimation auch ein primär-politischer Begriff ist. Soweit kann Scharpf gefolgt werden.

Jedoch wird es höchst problematisch, wenn zwischen dem Ausnahmezustand der Herrschaftsbegründung durch Verfassunggebung und dem politischen Normalbetrieb der Herrschaftsausübung nicht hinreichend differenziert wird. Denn es ist eine Sache, die Rolle der Akzeptanz der Herrschaft für die Legitimation durch den pouvoir constituant herauszustellen, aber eine völlig andere, die Effizienz zum Legitimationsprinzip im Normalfall des pouvoir constitué zu erheben. Eine solche Grenzverwischung ist nicht allein der empirisch feststellbaren Überlappung von (wie auch immer definiertem) Normal- und Ausnahmefall geschuldet; eher trägt sie selbst erst dazu bei, die Ausnahme zur Regel zu verformen. Das Legitimationskriterium der Effizienz orientiert sich also am Ausnahmefall und ist gerade deshalb für den Regelfall der Herrschaftsausübung juristisch unbrauchbar.

Liberalität im Normalfall

Herrschaft muss daher vom Verfassungsstandpunkt „liberal", besser: liberal-demokratisch, sein - und sonst nichts. Eine solch apodiktische Formel übersieht nicht die berechtigten rechtsphilosophischen Diskussionen um den Stellenwert der Akzeptanz für den Charakter einer Norm als Rechtssatz. Dieses Kriterium ist für die soziologisch orientierte Spielart des Positivismus plausibel, aber nicht für den spezifisch staatsrechtlichen Positivismus. Denn dieser rechnet eben nicht mit dem Extremfall der überwiegenden Nichtbefolgung einer Norm, er rechnet mit der Staatsgewalt. Vor allem aber rechnet er mit der Überlegenheit seiner eigenen Kreatur. Erfahrungsgemäß führt ein demokratisches Verfahren in der Regel auch zu „hinreichend effizienten" Ergebnissen für die Mehrheit; liberale und soziale Grundrechte, beide verstanden als Minderheitenschutz, schwächen ernsthafte Exklusionsgefahren ab.

Es wäre daher wohl angemessen, zu sagen, in einer hypothetischen Demokratie ohne Grundrechte hätte das Effizienzkriterium eine größere, auch juristische Berechtigung als in den liberalen Demokratien Europas. In der juristisch idealisierten Verfassungswelt ist Effizienz für die „Mehrheit" eine Frage der Quantität an Friedens- und Wohlstandsgenuss und daher verfassungsrechtlich ohne Bedeutung, für die „Minderheit" dank effektivem Grundrechtsschutz plus Abwahlchance kein Problem. Grundrechte sind auch aus Scharpfs Perspektive in die Verfassung inkorporierte Output-Legitimationskriterien, wie sie aus klassisch-liberaler Perspektive gerade der Verhinderung des juristisch ungezähmten Ausnahmefalls dienen: zwei Seiten derselben Medaille.

Abgestufter Legitimationsbedarf

Was muss sich überhaupt legitimieren? Fremdbestimmung - so lautet die nahe liegende Antwort. In Anlehnung an den ökonomischen Sprachgebrauch spricht Scharpf von der Abweichung von subjektiven Präferenzen. Er unterscheidet sodann im Vokabular der Spieltheorie vier Stufen mit aufsteigendem Legitimationsbedarf: reine Koordinationsspiele (technische Koordination des Rechtsverkehrs), Koordinationsspiele mit Verteilungskonflikt (z.B. Scheidungsfolgen), Dilemma-Spiele (z. B. Selbstverpflichtungen der Industrie mit Trittbrettfahrerproblem) und Nullsummenkonflikte (jede Art von gesellschaftlicher Umverteilung, individuelle Sonderopfer für die Gesellschaft).

Die Abstufung wirkt zunächst ökonomisch plausibel: Altruismus wird nicht verlangt, Egoismus unterstellt - im Schlepptau des Individualismus der herrschenden Ökonomie, der für sich oft den Anspruch normativer Enthaltsamkeit erhebt. Aber diese Scheinabstinenz verdeckt nur mühsam die einseitige Betonung des „Freiheitskontextes" des einsamen Existenzkampfes, über die sich die liberalistische Ideologie in das Konzept der Output-Legitimation einschleicht. Und schon an dieser Stelle liegt eine gravierende Vorentscheidung: zugunsten der rationalistischen Theorie, zulasten der voluntaristischen Praxis. Das ist bloß halb-aufgeklärt, Symptom einer unvollendeten Moderne, die sich noch nicht der Grenzen des wissenschaftlichen Denkens bewusst geworden ist. Eine Entscheidung über den Legitimationsbedarf kann aber keine einsame Wissenschaftlerin fällen, sie gehört in den demokratischen Prozess. Es geht hier nicht darum, Wahrheitssuche in demokratische Gremien zu verlagern; es geht allein um eine abweichende Antwort auf die Frage, wo Wahrheitssuche anfängt.

Emanzipation vom System

Kontrovers ist die Grenzziehung zwischen Wissenschafts- und Politiksystem;[3] wo ein solcher Streit tatsächlich ausgefochten wird, erstarrt alle Autopoiesis, und die Politik beweist für einen irritierenden Moment, dass sie funktionalistisch nicht hinreichend zu begreifen ist. Nur in diesen Augenblicken wird Demokratie emphatisch „fühlbar": wenn das politische Normal-Verfahren durch die Forderung nach seiner eigenen Ausweitung aufgestört wird. Demokratie bewährt sich in der Demokratisierung; dann wird sie von den Bürgerinnen ernst genommen. Ein anderer Ausdruck für dies Geschehen lautet: Emanzipation von Herrschaft, Befreiung.

Freiheit wird heute in erster Linie als Durchbrechung von Systemlogik erfahren. Machtverzicht in der Politik, Wohlstandsverzicht in der Ökonomie, Wahrheitsverzicht in der Wissenschaft, Erlösungsverzicht in der Religion: dies sind moderne Emanzipationsakte erster Stufe („negative Emanzipation"). Auf der zweiten Stufe kommt es zur gewollten Kolonialisierung eines Nachbarsystems inklusive Unterwanderung seines systemspezifischen Vokabulars („positive Emanzipation"): „Selbstbestimmung" des Arbeitnehmers, „Erlösung" durch Politik, Bewährungs-(oder „Leistungs-") Prinzip in der wissenschaftlichen Theoriebildung etc. Auf der dritten Stufe der „reflexiven Emanzipation" erfolgt die systemvermittelnde Selbstkritik des Vokabulartransfers.[4]

Somit ergibt sich als Zwischenfazit: Wie groß der Legitimationsbedarf jeder einzelnen Maßnahme ist, entscheidet zuletzt der Verfassungsgeber: nicht die Wissenschaft, sondern das „Volk" und seine Politikerinnen.

Inputkomplikationen

Wenn bereits die Zuordnung einer Maßnahme zur Stufe ihres Legitimationsbedarfs eine politische, kontingente Wertentscheidung darstellt, gilt das erst recht für den Inhalt der Maßnahme selbst. Es irritiert daher, wenn Scharpf von sog. verzerrten und ungefilterten Präferenzen spricht, die an objektiven Interessen zu messen seien. Wer soll darüber urteilen? Das soll offenbar das Verfassungssystem als Ganzes leisten, also neben der Repräsentation v.a. auch die autoritative Grundrechtsinterpretation in einem Ensemble von Institutionen, vom Bundestag bis zum Europäischen Gerichtshof, und nicht etwa nur das je zur Entscheidung berufene Kollektiv von Politikerinnen.

„Veredelt" wird die subjektive Präferenz erst durch die Anerkennung einer Wir-Identität der Bürgerinnen, also durch Solidarität, sonst (und nicht etwa gerade dann) droht die Gefahr der totalitären Demokratie[5]. Hier liegt (noch) die Achillesferse jedes Versuchs, die europäische Willensbildung direkt über ein europäisches „Volk" und damit Input-orientiert zu legitimieren.

Kooperation durch Konkurrenz?

Neben der Input-Legitimation wird auch die Output-Legitimation begrifflich ausdifferenziert. Waren es bei der Input-Legitimation „aufgeklärte" und „unaufgeklärte" Präferenzen, die in den demokratischen Prozess eingespeist oder in ihm erst „gefunden" werden, unterscheidet Scharpf bei der Output-Legitimation zwischen einer negativen und einer positiven Seite: negativ geht es um klassische liberale Vorkehrungen gegen Machtmissbrauch, also Kontrollrechte, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit; positiv um „Problemlösung".

Ausgehend von einem rationalistisch-utilitaristischen Menschenbild, rekurriert Scharpf auf das Pareto-Kriterium: Soweit dieses reicht, ist auch die Output-Legitimation zulässig. Wenn also Wohlstand gesteigert wird und niemand dabei verliert, soll allein schon die „Problemlösung" eine entsprechende Entscheidung legitimieren. Und über eine solche „vernünftige" Lösung nach als universalistisch gedachten Grundsätzen sollen sich die „Völker" in ganz Europa (z. B.) leichter einigen können als auf eine gemeinsame Identität, die die Hauptvoraussetzung der Input-Legitimation europäischer Herrschaft wäre.

Dahinter steht der Gedanke, dass es einfacher sei, an den gemeinsamen Selbsterhaltungstrieb zu appellieren, als auf die Herausbildung einer geteilten Öffentlichkeit, „Kultur" etc. zu warten. Darin liegt schon allein deshalb ein Trugschluss, weil ein Gemeinwesen niemals durch Interessenhomogenität gekennzeichnet sein kann. Das Prinzip der europäischen Grundfreiheiten ist Konkurrenz, ökonomischer Wettbewerb. Solidarität steht dazu im Widerspruch. Ob der so oft beschworene Mittelweg zwischen europäischem Bundesstaat und reiner Binnenmarktgesellschaft sich auf Dauer stabilisieren kann, muss folglich bezweifelt werden. Denn es erscheint absurd, Kooperation gerade auf Konkurrenz gründen zu wollen. Eine so konstruierte EU wird jedenfalls eine langfristig schrumpfende Ökonomie nicht überdauern.

Outputkomplikationen

Weitere Zweifel sind anzumelden: Wer weiß um die Gültigkeit der Pareto-Prämisse im Voraus? Wann werden in der Politik überhaupt nicht-verteilungsrelevante, aber wohlstandsfördernde Entscheidungen getroffen? Worin besteht der Wohlstand eines Landes: im BIP oder auch in der nicht erfassten Artenvielfalt? Schließlich kann auch die schon von ökonomischer Seite geäußerte Kritik am Pareto-Kriterium nicht unerwähnt bleiben: es begünstigt die Beibehaltung des Status quo, da es gesellschaftliche Umverteilung ausschließt. Aber abgesehen davon, muss die Kritik tiefer ansetzen: am Modell des homo oeconomicus, das der Theorie zugrunde liegt. Unter modernen Bedingungen sollte schlechterdings von jeder Art Menschenbild abgesehen werden.

Außerdem gilt: „Identitäre Selbstgesetzgebung [...] ist nur möglich, wenn sie aus einem offenen Spektrum konfligierender und differenter Meinungen, Kulturen, Sachgebiete, Interessen hervorgeht (Input-Legitimation), und die Ergebnisse demokratischer Deliberation haben nur in dem Maße, in dem sie niemanden aus dem öffentlichen Prozedere diskursiver Willensbildung ausschließen, die Vermutung der Vernünftigkeit für sich (Output-Legitimation)."[6] Das ist der Punkt: Input-Legitimation und Output-Legitimation bedingen einander und sind je für sich allein gedacht sinnlos. Für die Input-Legitimation gilt Letzteres aber nur unter der Voraussetzung, dass unter Output wirklich nicht mehr als die schwache „Vermutung der Vernünftigkeit" (und nicht etwa die Erfüllung „objektiver Interessen") verstanden wird.

Demokratie bedeutet Problemlösung. Das Eigene der Demokratie liegt aber darin, dass sie selbst definiert, was überhaupt ein Problem ist, wie die Lösung aussehen soll und ob die Problemlösung gelungen ist. In der Demokratie fließt wirklich fast alles. Die Bürgerinnen Europas müssen jetzt europäische Probleme definieren, damit eine politische EU jenseits des Bürokratismus wachsen kann.

Tim Wihl promoviert in Berlin.

Weiterführende Literatur:

  • Fritz Scharpf, Regieren in Europa, Frankfurt/New York 1999
  • Christoph Möllers, Demokratie, Berlin 2008.
  • Anne Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, Berlin 2001.

[1] Fritz Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, in: Schuppert et al., Europawissenschaft, 2006, S. 705 ff.

[2] Bruce Ackerman, We the People: Foundations, 1993.

[3] Im Sinne Luhmanns, vgl. nur: Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 40 ff.

[4] Hier handelt es sich nicht um Luhmannsches, sondern um Eigenvokabular.

[5] Vgl. zum Begriff Jacob Talmon, The Origins of Totalitarian Democracy, 1952.

[6] Hauke Brunkhorst, Solidarität, 2002, S. 188.