Geschminkte Wahrheiten

Der Dokumentarfilm „Gangster Girls“ porträtiert Insassinnen des Frauengefängnisses Schwarzau. Eine feministisch-filmische Analyse von Gesellschaft und Gefängnis.

„Ich habe schon vorher Diebstähle begangen, das war mein erster Einbruch, aber der ist nicht gut gegangen. Ich habe das Geldbörsel vom Kellner gestohlen, da waren 325 Euro drin, und als ich aus dem Fenster flüchten wollte, ist gerade die Polizei vorbei gefahren. Und da haben sie mich erwischt. So ein Pech habe ich gehabt.“

Die Geschichten der porträtierten Häftlinge des Frauengefängnisses Schwarzau ähneln sich. Bis auf eine Insassin, über die als Komplizin bei einem Mordversuch verschiedenste Gerüchte kursieren („Erst vergiftet, dann angezündet und dann ist er aus dem Fenster gesprungen. Und, ah ja, eingestochen haben sie auch auf ihn, glaube ich. Irgendwer halt.“), sitzen sie hauptsächlich wegen kleinkrimineller Delikte. Eine hat mit einer Spielzeugpistole eine Trafik überfallen, 300 Euro erbeutet und sich schließlich selbst gestellt. Eine andere nicht an die Kamera beim Automaten gedacht und Geld bei einer Bank abgeräumt, in der man sie kannte.

Den Frauen eine Bühne. Der Dokumentarfilm „Gangster Girls“ formuliert Kritik am System Strafvollzug zunächst einfach dadurch, dass er inhaftierte Frauen ihre Geschichten erzählen lässt: Die Konsequenz jahrelangen Freiheitsentzugs scheint bei nahezu allen geschilderten Vergehen fast unanständig unangemessen.

Expliziter wird die Kritik auch im weiteren Verlauf der knapp 80-minütigen Dokumentation, die vergangenen Herbst bereits bei der Viennale zu sehen war, nicht. Foucault gibt es im Booklet der DVD, der Film selbst kommt gänzlich ohne Metakommentar aus. Es sind die Insassinnen, die über ihr Leben vor der Haft und über ihren Gefängnisalltag sprechen oder ihn gemeinsam in Szene setzen, aber auch sie zeichnen keineswegs das kohärente Bild eines enthumanisierten Repressionssystems. „Es ging darum, den Frauen eine Bühne für Selbstdarstellungen und -entwürfe zu geben“, sagt Regisseurin Tina Leisch. „Es hat uns nicht interessiert, Wahrheiten zu erforschen oder Szenen auf ihren Wirklichkeitsgrad zu überprüfen. D.h. es ist uns egal, ob etwas wirklich passiert (ist) oder nur von einer so gesehen und empfunden wurde, ob etwas von der, der es passiert ist, gespielt oder erzählt wurde, oder von jemand anderem, ob etwas rau und direkt daherkommt oder durch einen gewissen ästhetischen Verfeinerungsprozess dann zur Szene im Theaterstück wurde … Ganz im Gegenteil ging es darum, diese Dinge bewusst zu vermischen und zu verwischen.“

Die Frauen werden mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen nicht in den Dienst des Entwurfs einer großen Geschichte rigider Rechtsstaatlichkeit genommen, sondern in ihren durchaus widersprüchlichen Selbstinszenierungen gezeigt. Sie werden nicht als Opfer ins Bild gesetzt oder in die Rolle von Anklägerinnen institutioneller Zumutungen gezwungen. Und genau dadurch gelingt nicht nur eine glaubhafte feministische, filmische Analyse von Gesellschaft und Gefängnis, sondern nebenbei auch ein kluger Kommentar zum Problem- und Diskursfeld dokumentarischer Repräsentation. 

Spielorte und Settings. Tina Leisch ist inzwischen bekannt für unübliche Spielorte und Settings. Im besetzten Wiener Ernst-Kirchweger-Haus inszenierte sie die Dreigroschenoper, in der Psychatrie Steinhof arbeitete sie mit PatientInnen zu nationalsozialistischen Verbrechen an psychisch Kranken. Mit migrantischen LaiendarstellerInnen brachte sie im arisierten Nestroyhof Jelineks Stück „Stecken, Stab und Stangl“ zu den Roma-Morden in Oberwart auf die Bühne und Taboris „Mein Kampf“ verlegte sie an seinen Originalschauplatz –das Männerwohnheim in der Meldemannstraße, in dem Adolf Hitler mehrere Jahre lebte.

Der Film „Gangster Girls“ entstand nun im Kontext der Inszenierung von „Medea bloß zum Trotz“, einem Theaterstück, das die Nestroypreisträgerin Leisch 2007 gemeinsam mit Sandra Selimovic realisierte. Die SchauspielerInnen waren allesamt Häftlinge des Frauengefängnisses Schwarzau und der Justizanstalt für jugendliche Straftäter Gerasdorf. Anlass für die Aufführung war das 50-jährige Bestehen des Frauenknasts im niederösterreichischen Schwarzau. Die in einem kaiserlichen Jagdschloss untergebrachte Haftanstalt ist Österreichs einziges Frauengefängnis und sorgte zuletzt 2004 wegen einer „Übungsrazzia“ mit schweren Übergriffen für öffentlichen Aufruhr (vgl. an.schläge 05/04). Alle weiblichen Straftäterinnen – sie machen weiterhin nur etwa fünf Prozent aller Strafgefangenen in Österreich (wie auch im EU-Schnitt) aus –, die zu mehr als 18 Monaten Haft verurteilt wurden, sitzen ihre Haftstrafe dort ab.

Mit der Adaption des Medea-Mythos thematisierte Leisch, die sich keinesfalls als „Theatertherapeutin“ versteht, nicht nur die Stigmata, mit denen straffällig gewordene Frauen außerhalb des Gefängnisses belegt werden. Medea verkörpert als Kindsmörderin auch das weibliche Pendant zum männlichen Kinderschänder, jene also, die innerhalb der Gefängnishierarchie ganz untenstehen. 

Antiheldinnen. Produzentin Ursula Wolschlager ist es wichtig zu betonen, dass „Gangster Girls“ von Anfang an nicht als reines Making Of zur Theaterproduktion geplant war. „Als Tina Leisch Anfang 2007 zu mir gekommen ist und sagte, sie wolle ein Stück und einen Film machen, gab es von allen Seiten Bedenken, es würde sich beim Film um ein Making Of des Theaterstücks handeln. Um das zu verhindern, haben wir ein sehr stringentes Konzept entwickelt. Denn wir wollten unbedingt die seltene Chance nutzen, in einem österreichischen Gefängnis drehen zu dürfen, die sich Tina durch langjährige, hartnäckige Arbeitin derlei Institutionen ‚verdient‘ hatte.“

Und weil es sich dabei um ein Frauengefängnis handelt,eröffnete sich zugleich die Chance, sich damit auch den „absoluten Antiheldinnen einer Gesellschaft“ zu widmen. Sowie den Folgen, die eine Verurteilung für Frauen hat. „Sie dürfen in ihrem sozialen Umfeld noch weniger fehlen als Männer. Sind sie weg, so bricht oft ein ganzes Netz zusammen, das sie zusammengehalten haben. Dafür werden sie dann doppelt geächtet: einerseitswegen der eigentlichen Delikte, andererseits wegen ihrer Abwesenheit. Sie sind dann Rabenmütter, die wegen ein paar Euro im Häfen und damit fern von ihrenKindern sind.  Dabei scheint es doch bei den herrschenden Einkommensunterschieden nicht ganz unlogisch, dass sich manche das größere Stück vom Kuchen mit der Spielzeugpistole nehmen will!“

Blaue Schönheiten. Für Tina Leisch lässt sich eine Gesellschaft ganz grundsätzlich am besten durch das beschreiben, „was sie ausschließt, wovon sie sich abgrenzt, was sie wegsperrt, niederspritzt, verbietet.“ Und Kriminalität an sich ist für sie „ein großes, spannendes Rätsel. Zum einen eine dicke fette Notwendigkeit. Die Kontrollgesellschaft könnte einpacken, wenn sie nicht zu ihrer Rechtfertigung die VerbrecherInnen hätte. Daher wird ständig und auf allen Kanälen Werbung fürs Verbrechen gemacht. Andererseits wird aber nur ein relativ kleiner Teil von Verhalten, das andere Leute schädigt, quält, ausbeutet und erniedrigt, kriminalisiert. Was ist spannender, als da einen Blick darauf zu werfen?“

Der Blick, den Leisch mit ihrer Dokumentation wirft, ist nie voyeuristisch, nie sensationalistisch. Und dass es sich dabei nicht um dies ozialpornografische Zurschaustellung einer „ungeschminkten Wahrheit“ handelt, macht insbesondere die fingerdicke bläuliche Schminkschicht schön anschaulich, mit der die ProtagonistInnen unkenntlich gemacht wurden.

Von einer seltsamen Versammlung blauer Schönheiten spricht Leisch. Sie verdanke sie dem beharrlichen Drängen der Künstlerin Ines Doujak,die dieses ästhetisch und strategisch funktionierende Maskenkonzept entwickelt hat. Einer schmuddeligen, „schiache Bilder für schiache Verhältnisse“-Optik habe man damit entkommen, der Schönheit der ProtagonistInnen außerdem einen ungewöhnlichen Verstärker gönnen wollen.

Und es sind tatsächlich ungeheuer schöne Bilder geworden. Schiache Verhältnisse zeigen sie freilich trotzdem.

 

Kinostart Gangster Girls: 27. März 2009