Al-Qaida und die Diktatoren

Plädoyer für eine (außen)politische Terrorismusbekämpfung

Der internationale Terrorismus im Jahr 2008 ist weitgehend deckungsgleich mit dem Terrorismus jihadistischer Organisationen. Al-Qaida ist hierbei nicht die einzige, aber doch die bei weitem einflussreichste Gruppierung und ist geradezu zu einem Synonym für islamistischen Terrorismus geworden. Ihre Entwicklung wird auch die Zukunft des islamistischen Terrorismus insgesamt prägen. Al-Qaida war lange Zeit stark geschwächt. Durch den Verlust ihres Hauptquartiers und der sicheren Rückzugsbasis in Afghanistan schien es 2002 und 2003, als stünde die Organisation kurz vor der endgültigen Zerschlagung. Seit 2005 ist es Usama Bin Laden und seinem Stellvertreter Aiman az-Zawahiri jedoch gelungen, diesen Trend umzukehren: al-Qaida plant von Neuem Anschläge über Kontinente hinweg. Diese Beobachtung ist Grund genug, immer wieder zu hinterfragen, inwieweit deutsche Terrorismusbekämpfung der Herausforderung durch al-Qaida gerecht wird. Auffällig ist in der deutschen Debatte, dass entscheidende Punkte bislang zu wenig Beachtung finden: Zwar wird über die Wirksamkeit des deutschen Engagements in Afghanistan und über die Frage der Terrorismusbekämpfung im Inland von Zeit zu Zeit heftig diskutiert. Häufig übersehen wird jedoch, dass die Ursachen des al-Qaida-Terrorismus in erster Linie in den Heimatländern ihrer überwiegend arabischstämmigen Anhänger zu suchen sind. So stellt sich die drängende Frage, wie deutsche Außenpolitik gegen über diesen Ländern gestaltet sein muss, will sie das Problem an der Wurzel packen.  

 

Al-Qaida kommt nach Hause Al-Qaida ist an vielen Fronten aktiv: Der Kampf in Afghanistan hat an Bedeutung gewonnen. Anschläge in Europa sind eines ihrer wichtigsten Mittel, um weltweite Aufmerksamkeit zu erregen. Die überwiegende Mehrheit ihrer Attentate jedoch haben sie und eng mit ihr verbündete Organisationen seit 2003 in der arabischen Welt verübt. Der Irak, Algerien, Saudi-Arabien und andere Länder der Region sind ihr Haupteinsatzgebiet. Heute droht sie vor allem in Nordafrika zu einer wachsenden Bedrohung zu werden. Diese Entwicklung geht auf einen der wichtigsten Trends der Jahre nach 2001 zurück: Al-Qaida kehrte in ihre Ursprungsländer zurück. Al-Qaida war 2001 eine fast ausschließlich arabische Organisation, die von Saudi-Arabern und Ägyptern dominiert wurde. Als sie im Winter 2001 ihre Basen in Afghanistan aufgeben musste, fl ohen die meisten Anhänger Bin Ladens in ihre Heimatländer in der arabischen Welt. Ab 2003 sorgten die Rückkehrer dort für eine neue Eskalation terroristischer Gewalt – nachdem sich die Situation seit Mitte der 1990er Jahre beruhigt hatte. Insbesondere in Saudi- Arabien startete eine saudi-arabische Teilorganisation der al-Qaida eine terroristische Kampagne von bis dahin ungekannter Intensität. Die Jihadisten profitierten nun auch von der Präsenz amerikanischer Truppen im Irak. Das Zweistromland wurde zum gut zugänglichen Schlachtfeld arabischer Jihadisten, die hier eine willkommene Gelegenheit erhielten, die USA zu bekämpfen. Darüber hinaus erleichterte der Irak-Krieg der al-Qaida und ihren Verbündeten die Rekrutierung. Mit „al-Qaida im Irak“ entstand die für lange Zeit stärkste und einflussreichste jihadistische Gruppierung überhaupt. Der Trend zur terroristischen Aktion in der arabischen Welt hält an. Seit 2003 wuchs zunächst die terroristische Gefahr in den Nachbarländern des Irak. In Syrien, im Libanon und Jordanien gab es zahlreiche Anschläge. Seit 2007 wird vor allem Nordafrika unsicherer. Die arabischen Staaten sind und bleiben das Epizentrum des islamistischen Terrorismus. Der Trend zur Rückkehr in die arabische Welt verweist auf die wichtigste Ursache des Jihadismus: die Unterdrückung der islamistischen Opposition durch autoritäre Regime. Islamisten bekämpften seit den 1970er Jahren die Regime ihrer Heimatländer. In den 1990er Jahren scheiterten sie in Algerien und Ägypten. In Saudi-Arabien war das Regime so stark, dass die militanten Oppositionellen um Bin Laden das Land verließen. Ihr Scheitern wurde meist von brutaler staatlicher Repression begleitet. Daraufhin änderten sie ihre Strategie: Aus dem Exil in Afghanistan bekämpften sie nicht nur ihre Heimatregime, sondern deren wichtigsten Unterstützer, die USA. So hofften sie, die USA zum Rückzug zu zwingen, die eigene Regierung zu schwächen und sie möglicherweise doch noch stürzen zu können. Auf diese Weise haben die algerische, ägyptische und saudi-arabische Innenpolitik maßgeblich zur Entstehung von al-Qaida beigetragen.  

 

Al-Qaida muss in der arabischen Welt bekämpft werden 

 

Wenn die Ursachen des islamistischen Terrorismus in der arabischen Welt liegen, dann muss auch die Terrorismusbekämpfung zu einem wesentlichen Teil dort stattfinden. Die USA und ihre Verbündeten haben eine ähnliche Analyse getätigt, deren Schlussfolgerung indes in die falsche Richtung führt. Sie haben ihre Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung mit den meisten Regimen der arabischen Welt (und auch darüber hinaus) deutlich intensiviert. Ihnen geht es vor allem um die Stabilität dieser Staaten. Die Zusammenarbeit mit pro-westlichen arabischen Ländern wird meist damit gerechtfertigt, dass sie von „gemäßigten“ oder „moderaten“ Regimen geführt würden. Diese in den USA und Europa verbreitete Sichtweise ist jedoch irreführend, weil sie die Innenpolitik ignoriert. Auch angeblich moderate Regime wie Algerien, Ägypten oder Jordanien sind Diktaturen, die ihre Opposition je nach Konjunktur mehr oder weniger brutal unterdrücken. Wenn westliche Staaten eng mit diesen Regimen kooperieren, laufen sie Gefahr, von deren Opposition und – schlimmer noch – von deren Bevölkerungen als Komplizen der Machthaber wahrgenommen zu werden. Wie folgenschwer eine solche Politik sein kann, zeigt sich am Beispiel Algeriens. Dort bekämpfte eine lokale Organisation ausschließlich das algerische Regime, bevor sie sich seit 2003 der al-Qaida annäherte. Aus der „Salafi stischen Gruppe für Predigt und Kampf“ (GSPC) wurde im Jahr 2007 „al-Qaida im Islamischen Maghreb“, die von Algerien aus operiert und versucht, ihren Kampf zu internationalisieren. Auslöser dafür war neben dem Irak-Krieg in erster Linie die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den USA und Algerien im Kampf gegen islamistische Terroristen. Die Europäer schlossen sich den USA in dieser Politik an und sind folgerichtig auch ins Visier der algerischen al-Qaida geraten.  

 

Al-Qaida und die deutsche Nahostpolitik

 

Das Stabilitäts-Paradigma hat sich auch in der deutschen Politik gegenüber der arabischen Welt weitgehend durchgesetzt. Es gibt nur wenige Ansätze für eine stärker politisch geprägte und damit nicht auf kurzfristige Stabilisierung abzielende Terrorismusbekämpfung. Vielmehr betreibt das Bundesinnenministerium den Ausbau der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, während die AußenpolitikerInnen weiter der erklärten deutschen und europäischen Politik gegenüber diesen Ländern folgen – die auf graduelle politische Reformen und Rechtsstaatlichkeit abzielt. Eine gemeinsame außenpolitische Strategie gibt es jedoch nicht, und in der Praxis dominieren Sicherheitsfragen. Da auch andere Länder wie die USA, Großbritannien und Frankreich in erster Linie auf Kooperation im Sicherheitsbereich setzen, ist das Ergebnis, dass die betreffenden Regime keinerlei Grund mehr sehen, tatsächlich innenpolitische Reformen anzugehen. Ein Trend zur „autoritären Konsolidierung“ ist die Folge.  Notwendig ist aber eine Politik, die zwar einerseits die Notwendigkeit zur Kooperation mit problematischen Akteuren akzeptiert, andererseits aber nicht ablässt, auf substantielle politische Veränderungen zu drängen, um so die Ursachen des islamistischen Terrorismus anzugehen. Der hier so deutliche Zielkonfl ikt zwischen dem Wunsch nach gemeinsamer Terrorismusbekämpfung und dem Willen zur Reform arabischer politischer Systeme muss sich in einer außenpolitischen Gesamtstrategie gegenüber der Region widerspiegeln. Deren Zielen müsste sich auch die Terrorismusbekämpfung unterordnen. Eine solche Politik hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich die Europäer eng mit den USA abstimmen. Wichtige Verbündete der USA wie Ägypten oder Saudi-Arabien werden nur dann auf den Wunsch nach Veränderungen reagieren, wenn dieser auch von Washington formuliert wird. Hier gab es auch einige positive Ansätze in der amerikanischen Politik nach 2001. Die Bush-Administration hatte verstanden, dass die Ursachen der Anschläge des 11. September 2001 in Saudi-Arabien und Ägypten lagen. Ihr Druck zwang Kairo und Riad, innenpolitische Reformen zu beginnen. Leider ebbten die Reformbemühungen ab 2005 ab: Der Druck der USA ließ merklich nach, nachdem das Demokratisierungsexperiment im Irak gescheitert war, und Washington die arabischen Regime als Verbündete gegen den Iran benötigte.  Die USA, Europa und Deutschland müssen an diese frühere Politik der Bush-Administration anknüpfen. Man darf allerdings keine zu hohen Erwartungen hegen. Eine „Demokratisierung“ der arabischen Welt ist kein realistisches Ziel. Die Möglichkeiten des Westens, auf arabische Regime einzuwirken, sind begrenzt. Eine Kombination aus sehr diskretem Druck aus den USA und europäischen Angeboten zur Zusammenarbeit könnte eine Lösung sein. Denn schon schrittweise Verbesserungen der Menschenrechtssituation würden helfen. Wenn der Westen dazu beitragen könnte, dass in Ländern wie Ägypten und Jordanien weniger gefoltert würde, wäre schon etwas erreicht. Ein deutliches Mehr an Rechtsstaatlichkeit wäre ein realistisches Ziel. Kurzfristig würde sich an der terroristischen Gefahr zwar nichts ändern. Langfristig jedoch kann nur so die Radikalisierung immer neuer Generationen militanter Regimegegner verhindert werden. Nur wenn wir nicht mehr als die Komplizen brutaler Diktatoren betrachtet werden, können wir islamistischen Terrorismus auch nachhaltig bekämpfen.   

 

Dr. Guido Steinberg, Islamwissenschaftler, arbeitete zwischen 2002 und 2005 im Referat Internationaler Terrorismus im Bundeskanzleramt und ist seitdem für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin